Emden: Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und Lynchjustiz-Aufruf gegen Unschuldigen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 30.03.2012

Es ist mittlerweile Usus geworden, auch nur vorläufige Ermittlungsergebnisse in Strafverfahren per Pressekonferenzen und -mitteilungen an die Öffentlichkeit vorzeitig zu kommunizieren. Dass dies enorm gefährliche Tendenzen haben kann, dafür gibt  Emden ein Beispiel:

Während man noch gestern Mittag der Presse gegenüber angab, der 17jährige habe "kein Alibi" (Bericht der rp von gestern) und habe sich in Widersprüche verstrickt (Bericht des Hamburger Abendblatts von gestern), wurde der Jugendliche heute freigelassen, nachdem sich der Tatverdacht offenbar in Luft aufgelöst hatte (zdf).

Die Festnahme des Tatverdächtigen gab Anlass zu Aufrufen auf facebook, die auch tatsächlich dazu führten, dass die Polizeidienststelle, in der der Tatverdächtige vernommen wurde, von  ca. 50 Personen, einer Art Lynchmob, belagert wurde (Bericht).

Es bestand überhaupt keine rechtliche Notwendigkeit irgendwelche Details der Ermittlungen gestern an die Presse zu kommunizieren. Es hätte völlig genügt, mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen, Auskünfte auf das allernötigste zu beschränken. Auch die staatsanwaltlichen Ermahnungen, dennoch die Unschuldsvermutung zu beachten, wirkten gegenüber konkreten Auskünften (kein Alibi, Widersprüche) nur als allg. abstrakte Verhaltensregel, die von den entsprechenden Presseorganen auch nicht befolgt wird.

So etwa hieß es in der BILD:

Der miese Kindermörder von Emden (Niedersachsen): Er missbrauchte die kleine Lena († 11), tötete sie und ließ ihre Leiche in einer Blutlache im Parkhaus liegen!

Die Kripo ist sicher: DER KILLER IST EIN SCHÜLER (17)!

Es wurde Haftbefehl erlassen, der mutmaßliche Killer sitzt in U-Haft.

Das Verbrechen soll der 17-Jährige zur Vertuschung einer Sexualstraftat begangen haben, so die Ermittler bei einer Pressekonferenz.

Meine kritische Haltung zur Öffentlichkeitsarbeit von Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren habe ich ja schon mehrfach hier im Blog (siehe etwa hier) und auf Tagungen (siehe hier) verbreitet. Vielleicht kommt man innerhalb der Polizeien und Staatsanwaltschaften anlässlich dieses Falles zum Nachdenken darüber, wie schädlich eine solche Öffentlichkeitsarbeit sein kann.

Dazu auch: Law-Blog.

Update: Aufgrund von Hinweis eines Lesers habe ich die Überschrift korrigiert: Die Lynchjustiz-Aufrufe hatten schon vor der Pressekonferenz begonnen und sich schon an die Festnahme angeschlossen.

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26 Kommentare

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Das Bild Beispiel ist schön, denn man sieht daran das die Stattsanwaltschaft nur teilweise daran mitschuzld hat. Hauptschuld bei der Vorverurteiling ist wie immer die Presse:

 

http://www.bild.de/newsticker-meldungen/home/11-emden-23416556.bild.html

 

".......Die Ermittler hatten allerdings betont, dass es sich um einen Verdächtigen handle, gegen den nur „Indizien” vorlägen."

 

Ist das die Entschuldigung der Bildzeitung? Das Belegt nur, das die Bild eigendlich nicht das im Artikel zitierte hätte schreiben dürfen.

Ich bin dafür, das die komplette Presse einen Fon auf macht aus dem solche Verdächtigungs-Opfer ein neues Leben bezahlt bekommen.

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Nun hat sich die Gewerkschaft der Polizei zum Thema gemeldet - wie häufig wird ein allgemeinpolitisches Mandat wahrgenommen. Auszug des  Berichts auf Welt-Online:

Nach Aufrufen im Netz war eine aufgebrachte Menschenmenge in der Nacht zu Mittwoch vor die Polizeistation gezogen. Dort habe sie für eine zusätzliche, unnötige und nicht zu akzeptierende Störung gesorgt, kritisierte der GdP-Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut am Freitag in Berlin. «Wer hinter den Lynchaufrufen steckt, muss die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.» Es dürfe nicht toleriert werden, dass «einige soziale Netzwerker glauben, in unserem Rechtsstaat Wild-West-Methoden wiederbeleben zu dürfen».

1. Es lag auch eine verfehlte Öffentlichkeitsarbeit der Polizei vor (s.o. mein Update) Ich würde Witthaut zustímmen, wenn er auch hinsichtlich der Emdener Polizei fordern würde, sie sollte die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, nämlich eine hoffentlich erfolgreiche Schadenersatzklage des Betroffenen.

2. Facebook ("unsocial media") darf ruhig kritisiert werden, aber warum gilt die Kritik des Gewerkschafters nur den "Netzwerkern"? Warum werden Presseorgane wie die Bild-Zeitung von Kritik verschont?

 

 

Staatsanwalt und Polizei lernen NIE dazu weil keine finanzielle oder personelle Konsequenzen drohen. Die gleiche Diskussion gabs nach Kachelmann und DSK und wieder hat sich nichts geändert. Kein Wunder dass Staatsanwaltschaft und Polizei in Deutschland so einen schlechten Ruf haben.

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@Prof. Dr. Müller:

Wenn eine Festnahme stattfindet und das irgendwie bekannt wird, kann die Presse regelmäßig nach den Landespressegesetzen Auskunft verlangen. Zwar müssen keine Details offenbart werden, aber dass überhaupt eine Presseauskunft gegeben wird, halte ich nicht für falsch.
Was dann die selbsternannte 4. Gewalt damit macht, ist primär deren Verantwortung. Dass es auch anders und differenzierter geht als in der Mob-Presse und dass die Pressemitteilungen offenbar einigermaßen ausgewogen waren, zeigt z.B. die FAZ. (s. unten)

Und weshalb die Netzwerker kritisiert werden? Weil die Adresse und Namen einstellen und explizit zum Lynchen aufrufen. Bzw. wie sich ebenfalls aus dem Artikel ergibt, auch noch per cybermobbing weitere Leute als angebliche Täter verleumdet werden. Es gilt eben das, was Erwin Pelzig sagte: Früher gab es auch Idioten, aber ohne das Internet wussten die nichts voneinander. (heute vielleicht zu ergänzen: und fanden sie sich auch nicht so schnell zusammen)

"Der Berufsschüler sitzt in einer Jugendjustizanstalt. Er war nach dem Hinweis einer Zeugin festgenommen worden. Dies geschah vor der Veröffentlichung eines Videos aus dem Parkhaus, wie die Polizei auf der Pressekonferenz mitteilte. Mit Spuren vom Tatort könne möglicherweise ein DNA-Abgleich vorgenommen werden. Das Material werde vom Landeskriminalamt in Hannover ausgewertet. Die Ermittlungen würden aber mit aller Macht in alle Richtungen weitergeführt werden, nicht nur in Richtung des Tatverdächtigen, sagte Brandt.

Martin Lammers von der Polizei erklärte, dass in sozialen Netzwerken auch Unschuldige der Tat bezichtigt wurden. Dies habe die Arbeit der Mordkommission erschwert. Inzwischen seien mehr als 150 Hinweise von Bürgern eingegangen." FAZ vom 28.03.2012

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klabauter schrieb:

@Prof. Dr. Müller:

Wenn eine Festnahme stattfindet und das irgendwie bekannt wird, kann die Presse regelmäßig nach den Landespressegesetzen Auskunft verlangen. Zwar müssen keine Details offenbart werden, aber dass überhaupt eine Presseauskunft gegeben wird, halte ich nicht für falsch.
 Was dann die selbsternannte 4. Gewalt damit macht, ist primär deren Verantwortung. 

 

Mal blöde gefragt: Was hast Du z.B. an der Aussage aus einem der Artikel 

Der am Dienstagabend im Zusammenhang mit dem Mord festgenommene 17-Jährige streitet die Tat ab, doch die bisherigen Ermittlungen sprechen gegen den Berufsschüler. Dies teilte die Emder Polizei gestern mit. Der junge Mann habe für die Tatzeit kein Alibi und habe sich bei der Vernehmung in Widersprüche verstrickt, sagte der Leiter der Mordkommission, Werner Brandt.

nicht verstanden?

 

Die Presse mit Ausnahme von der Zeitung mit den 4 Buchstaben hat da übehraupt nichts draus gemacht....wer da in den Hintern getreten gehört ist die Polizei, die sich vor der Presse zu diesen eindeutigen Aussagen hinreissen läßt.

bombjack

 

 

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klabauter: Nein, der Vorwurf trifft Polizei und Staatsanwaltschaft völlig zu recht. Natürlich ist es nicht falsch, dass eine Auskunft gegeben wird, aber wir reden hier darüber, welche Auskunft gegeben wird und in welchem Rahmen. Wer überzogene Einsätze, "Schauvorführungen", groß angelegte Pressekonferenzen etc. veranlasst, steht völlig zu recht in der Kritik. Den Mob, den haben sich die Herrschaften Strafverfolger selbst zuzuschreiben. Oder soll der Hinweis auf die Verantwortung der Presse etwa bedeuten, dass nicht exakt diese Berichterstattung zu erwarten war? Also bitte. Bei aller berechtigten Kritik am Berichterstattungsstil mancher Medien, bei aller berechtigter Kritik am Sühnewahn wutbenebelter Social-Media-Nutzer_innen: Den Anstoß, den haben Polizei und Staatsanwaltschaft gegeben. Bestenfalls durch grob fahrlässige Unüberlegtheit. Aber das glaube ich kaum. Wer große Presseveranstaltungen organisiert und dabei im Nachsatz noch auf die "noch nicht" erwiesene Schuld hinweist, der nimmt ganz bewusst in Kauf.

(Übrigens bezeichnet sich die "vierte Gewalt" in aller Regel nicht selbst als solche.)

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Sehr geehrter Herr Klabauter,

mir sind all diese Argumente, die die Staatsanwaltschaften und Polizeien regelmäßig zur Rechtfertigung ihrer PR-Aktionen anführen, sehr gut bekannt. Die Regelungen der Landespressegesetze stellen aber keine bereichsspezifischen Rechtsgrundlagen für Informationen aus strafrechtlcihen Ermittlungsverfahren dar, die geeignet sind, Rechtsverletzungen hervorzurufen. Die Presse kann Auskunft verlangen, aber wenn es ermittlungstechnisch unpassend ist, braucht niemand zu antworten. Wenn eine Information geeignet wäre, die Unschuldsvermutung faktisch außer Kraft zu setzen, dann darf diese Auskunft nicht erteilt werden. Die Unschuldsvermutung ist kodifiziertes Menschenrecht (Art. 11 Abs.1 Allg. Erkl. der Menschenrechte der UN), wird aber von den Propagandisten einer Öffentlichkeitsarbeit im Ermittlungsverfahren regelmäßig dann irgendwie "abgewogen" gegen ein drei Stufen niedrigeres ganz allgemeines Transparenzgebot der Behörden - es genügt dann angeblich, wenn man darauf hinweist, dass der Festgenommene noch als unschuldig gelten müsse. Er habe leider NOCH nicht gestanden.

In diesem Fall hätte es genügt, die Frage nach einer Festnahme ohne weitere Auskunft zu bestätigen. Eine Pressekonferenz, die Menschen Anlass gibt, daran zu glauben, man habe den "Richtigen", war völlig überzogen.

 Menschen, die in sozialen Netzwerken unsozial handeln, sollte man kritisieren, der Lynchmob-Aufruf (wie genau lautete er eigentlich?) ist natürlich schreiendes Unrecht. Aber offenbar will doch der GdP-Vorsitzende (und andere Polizeiverantwortliche)  jetzt nur von der Verantwortlichkeit der Polizei ablenken, indem man auf das "böse Internet" hinweist.

In dieser Diskussion hilft es, wenn man sich nur für einen Moment in die Lage eines zu Unrecht des Mordes beschuldigten Jugendlichen versetzt, der stundenlang vernommen wird.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

 

 Auf Focus.de wird nun die (angebliche) Ermittlungspanne behandelt. Polizei und Staatsanwaltschaft weisen diesen Vorwurf zurück.

Trotzdem verteidigt die Staatsanwaltschaft mit Nachdruck die Festnahme. „Seine Alibis waren nicht zutreffend, es blieb uns zu diesem Zeitpunkt keine andere Wahl, und dazu stehen wir auch“, erklärt der Leitende Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck. Es habe keine Alternative gegeben. „Wir mussten diesen Haftbefehl beantragen, weil zu diesem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht vorlag.“ Nun habe sich aber eine neue Lage ergeben, würden Fakten vorliegen, die eine Täterschaft des Jugendlichen ausschließen würde.

Ich denke, in dieser Hinsicht hat die StA möglicherweise Recht. Es kann in einem Ermittlungsverfahren passieren, dass man den Falschen verdächtigt, festnimmt und sogar Haftbefehl beantragt. Ob es hier ausreichte für einen dringenden Tatverdacht, können wir momentan nicht beurteilen. Dass man ihn dann relativ schnell wieder freigelassen hat, ist ja immerhin lobenswert. Es kann nämlich auch vorkommen, dass sich Staatsanwaltschaft und Polizei mit einer Verhaftung und entspr. öffentl. Selbstlobeshymne derart selbst unter Druck setzen, dass sie vom Verdacht gar nicht wieder herunterkommen (z.B. bei Herrn Kachelmann).

Aber die eigentlichen Fehler von Polizei und Staatsanwaltschaft, nämlich die Pressekonferenz und die dort gegebenen Auskünfte, werden im Focus-Artikel weder angesprochen  noch von Polizei und Staatsanwaltschaft eingeräumt oder gar erklärt. Denn diesbezüglich sitzen die Journalisten und die Polizisten im selben Boot. Die einen wollen die Infos immer sofort haben, die anderen wollen sich damit in ein gutes Licht setzen. Daher wird der Fehler der frühzeitigen Veröffentlichung von Verdachtsgründen in den Zeitungen und anderen Presseorganen kaum einmal thematisiert. Schließlich will man als Journalist  ja nicht gegen den eigenen Info-Strom anschreiben.

 

 

@Prof. Müller:

Sie können sicher sein, dass viele Pressesprecher bei der Justiz gerne anderes täten als von Ihnen so genannte "PR-Aktionen" zu starten oder zu versuchen, auch noch dem letzten Provinzblattpraktikanten  am Telefon zu erklären, was der Unterschied zwischen Strafanzeige und Ermittlungsverfahren ist oder etwas komplexere Sachverhalte wie ein Umsatzsteuerkarussell.   Abgesehen davon, dass differenzierte Sachinformation meist ohnehin nicht so interessant ist  (wenn sie denn dann auch verstanden und ungekürzt und richtig wiedergegeben würde) , sondern man nur einen 15-Sekunden-"O-Ton" zum Aufhübschen eines Artikels oder Sendebeitrags braucht.  

 

Pressekonferenzen sind in aller Regel keine "PR_Aktionen", sondern wenn eine Anzahl x an Presseanfragen eingeht und es nicht um Ladendiebstahl geht, wird eben auch aus Gleichbehandlungsgründen (und weil es einfacher ist, als zig anrufenden Journalisten jedesmal einzeln etwas zu erklären) eine Pressekonferenz abgehalten. Man kann sicher darüber streiten, ob in Emden zu früh agiert wurde, andererseits gab es den Haftbefehl, also zumindest (auf welcher Grundlage auch immer) einen dringenden Tatverdacht, den ein Ermittlungsrichter bejaht hatte.

Und die Auskunftsansprüche gehen tatsächlich recht weit, wenn man sich nur Journalist nennt.

Beispiel: selbst ein "Autor"  eines Verlags für Verschwörungsphantastereien hat es  geschafft, dass ihm diverse Auskünfte über den Tod von Frau Heisig mitgeteilt werden mussten.

De lege lata wäre ich durchaus auch für die von Ihnen geforderte restriktive Regelung, die derzeit aber nicht existiert (sondern man bewegt sich eben im LPresseG- Abwägungsgebräu zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit im Einzelfall).

 

@bombjack: Wenn die Frage bei einer Pressekonferenz kommt/bzw. zu erwarten ist, "worauf gründet sich denn der Verdacht", dürfte das, was Brandt gesagt hat (neben dem Satz: Wir ermitteln weiter in alle Richtungen), wohl das nichtssagendste Minimum dessen sein, was man ohne Gefährdung der Ermittlungen der Presse mitgeben kann. Von  Spurenlage, Identifizierung durch Videoaufnahme, Tatwaffe gefunden o.ä, geschweige denn gesichertem  Tatnachweis oder gar "nur noch Geständnis fehlt" war keineswegs die Rede.

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klabauter schrieb:

 

 

@bombjack: Wenn die Frage bei einer Pressekonferenz kommt/bzw. zu erwarten ist, "worauf gründet sich denn der Verdacht", dürfte das, was Brandt gesagt hat (neben dem Satz: Wir ermitteln weiter in alle Richtungen), wohl das nichtssagendste Minimum dessen sein, was man ohne Gefährdung der Ermittlungen der Presse mitgeben kann. Von  Spurenlage, Identifizierung durch Videoaufnahme, Tatwaffe gefunden o.ä, geschweige denn gesichertem  Tatnachweis oder gar "nur noch Geständnis fehlt" war keineswegs die Rede.

 

 

und einfach keine Pressekonferenz machen....wäre das denn keine Option? Besonders wo sich die Herren und Damen Polizisten an 5 Fingern abzählen können wie so eine Pressekonferenz abgeht. Es reicht doch die Meldung das ein Verdächtiger festgenommen wurde und das überprüft wird.

Dann hätten es solche Medien http://www.bildblog.de/37768/monster-erschaffen/ etwas schwerer....

 

Btw. falls es da Schadensersatz gibt, wäre ich dafür da auch Tagessätze (wie im Strafrecht) einzuführen, dann wäre endlich mal dafür gesorgt, dass solche Medien diese Kosten nicht aus der Portokasse begleichen.....

 

bombjack

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klabauter schrieb:

Sie können sicher sein, dass viele Pressesprecher bei der Justiz gerne anderes täten als von Ihnen so genannte "PR-Aktionen" zu starten oder zu versuchen, auch noch dem letzten Provinzblattpraktikanten  am Telefon zu erklären, was der Unterschied zwischen Strafanzeige und Ermittlungsverfahren ist oder etwas komplexere Sachverhalte wie ein Umsatzsteuerkarussell.

 

Wenn nicht einmal ausgebildete, gutbezahlte und qualifizierte Pressesprecher es schaffen, die Unschuldsvermutung in einer Pressekonferenz deutlich zu machen, dann brauchen wir sie nicht und auch keine Pressekonferenzen. Wenn sie allen Erntes behaupten, diese Leute wären schon überfordert, Anfragen von Pressefritzen zu ignorieren, dann erst recht nicht.

 

Als Pressesprecher sollte man die Wirkung seiner Worte kennen und auch die journalistische Arbeitsweise von Blättern wie die oben verlinkten. Das haben sie zu berücksichtigen oder den Mund zu halten, wenn anders die Menschenrechte nicht einzuhalten sind.

 

Vielleicht ist da in einigen Staatsanwaltschaften ein dringender Nachschulungsbedarf. Dass es auch anders geht, zeigt der Fall in Berlin heute, wo vor einigen Wochen eine Schülerin in der Schule vergewaltigt worden ist. Da wurde erst vor den Blitzlichtern gesprochen, als die ersten tatsächlichen Beweise vorlagen. War das nun so schwer für die Pressesprecher?

P.s.:
ME ist die Überschrift des Blogbeitrags vermutlich irreführend. Denn die "Öffentlichkeitsarbeit" . zumindest die Pressekonferenz war  nicht ursächlich. Die Pressekonferenz fand am Mittwoch oder Donnerstag statt. Am Dienstag gab es nur die Info, dass "ein Mann" (SPON) festgenommen wurde.

Die Lynch-Aufrufe sollen laut Hamburger Abendblatt bereits am Dienstag, und zwar unabhängig von irgendwelcher Pressearbeit, begonnen haben:

"Nur Minuten nachdem die Polizei einen 17-jährigen Emder Berufsschüler unter dringendem Tatverdacht verhaftet hat, berichtet ein Zuschauer quasi live im Netz darüber. Er nennt dabei Namen und Anschrift des Verhafteten. Noch am selben Tag ruft ein 18-Jähriger über Facebook dazu auf, die Emder Polizei zu stürmen und den mutmaßlichen Täter heraus zu holen."

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Herr Klabauter,

Sie haben Recht - der zeitliche Ablauf war so, dass die Versammlung vor der Polizeidienststelle und die facebook-Aufrufe nach der Festnahme und schon vor der Pressekonferenz stattfanden. Ich habe meinen Irrtum oben korrigiert.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Es ist schon erschreckend, wenn jetzt die selben Leute ihre Hände in Unschuld waschen, die zuvor (wenigstens innerlich) jubelnd ihre vermeintlichen Erkenntnis öffentlich vorgetragen (statt einer dürren Pressemitteilung per Fax) haben und die es zuließen, dass der vormalige Verdächtige der Presse vorgeführt wird.

Die durch die reduzierte PR gesparte Energie hätte wesentlich besser dafür investiert werden können, elementare Verfahrensgrundrechte des vormaligen Beschuldigten zu schützen. Einen Antrag auf (ggf. zusätzliche) Beiordnung eines auf Sexualstrafrecht spezialisierten Pflichtverteidigers zum Beispiel. Oder die klare Anweisung, dass noch nicht einmal der Versuch unternommen wird, eine Vernehmung ohne Anwesenheit eines Anwalts durchzuführen. Die Presseberichte sprechen m.E. nicht dafür.

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@bombjack:

Keine Pressekonferenz ist natürlich eine Option, mit dem Ergebnis,  50mal am Telefon oder im Einzelinterview dieselben Auskünfte verschiedenen Medienvertetern erteilen zu müssen (siehe Landespressegesetze)

 

@Untermann:

Wenn Sie mal nicht in der Bild nachlesen, erkennen Sie, dass durchaus die Unschuldsvermutung klargestellt und auch glasklar gesagt wurde, dass weiterhin in alle Richtungen ermittelt wird. Die BLÖD wird solche "überflüssigen" Zusätze wohl immer weglassen. Dass manche Presseauswürfe so arbeiten,  ist aber mE kein grundsätzliches Argument gegen Presseauskünfte:

Sueddeutsche nach der PK vom 29.03.:

"Zugleich wies Staatsanwalt Bernard Südbeck ausdrücklich darauf hin, dass weiter die Unschuldsvermutung gelte. Er warnte vor einer Vorverurteilung des inhaftierten Berufsschülers. In sozialen Netzwerken sei dies schon geschehen: "Daran haben wir uns sehr gestört." Auch Unschuldige seien im Internet der Tat bezichtigt worden, was "die Arbeit der Mordkommission erheblich erschwert" habe. Brandt betonte in diesem Zusammenhang, die Ermittlungen würden in alle Richtungen weitergeführt - nicht nur in Richtung des Tatverdächtigen."

FAZ nach der PK vom 29.03.:

"Staatsanwalt Bernard Südbeck wies ausdrücklich darauf hin, dass weiter die Unschuldsvermutung gelte. Er warnte vor einer Vorverurteilung.

Das Material werde vom Landeskriminalamt in Hannover ausgewertet. Die Ermittlungen würden aber mit aller Macht in alle Richtungen weitergeführt werden, nicht nur in Richtung des Tatverdächtigen, sagte Brandt."

 

Welt nach der PK vom 29.03. (offenbar haben alle entweder überraschenderweise mal fast denselben Wortlaut wahrgenommen oder aber die dpa-Meldung übernommen):

"Staatsanwalt Südbeck wies ausdrücklich darauf hin, dass weiter die Unschuldsvermutung gelte. Er warnte vor einer Vorverurteilung des Jungen."

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klabauter schrieb:

@bombjack:

Keine Pressekonferenz ist natürlich eine Option, mit dem Ergebnis,  50mal am Telefon oder im Einzelinterview dieselben Auskünfte verschiedenen Medienvertetern erteilen zu müssen (siehe Landespressegesetze)

 

 

Pressemitteilungen in der schriftlichen Form mit dem Zusatz, dass weitere Fragen aus Ermittlungstaktischengründen und zum Schutz der dort beteiligten Personen nicht beantwortet werden, sind Dir bekannt?

 

und weil Du so gerne auf dem Landespresse rumreitest:

§ 4 Informationsrecht der Presse.

(1) Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.

(2) Auskünfte können verweigert werden, soweit
durch sie die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, 1. erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte oder
2. ihnen Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen oder
sie ein überwiegenden öffentliches oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzen würden oder
3. ihr Umfang das zumutbare Maß überschreitet.

(3) Allgemeine Anordnungen, die einer Behörde Auskünfte an die Presse verbieten, sind unzulässig.

(4) Der Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift kann von den Behörden verlangen, daß ihm deren amtliche Bekanntmachungen nicht später als seinen Mitbewerbern zur Verwendung zugeleitet werden.

aus http://88.198.44.111/index.php?option=com_content&task=view&id=28&Itemid=27

wo vom Abs. 2 die Nummern 1 und 2 durch aus relevant sein könnten...

Ferner wo steht in den Landespressegesetzen, das es eine Pressekonferenz sein muss....und das die liebe Staatsanwaltschaft und Polente nicht ahnen kann wie es da bei so einer Thematik abgeht, für so Naiv schätze ich diese Behörden nicht ein...

 

Daher die Frage an Dich, ob nicht eine Pressemitteilung in schriftlicher Form genügt hätte......

 

bombjack

 

 

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Prof. Müller ist vollkommen im Recht. Grundübel ist und bleibt (mal abgesehen davon dass StA und Gericht stets zusammen frühstücken und mittagessen ...), dass behördliche Öffentlichkeitsarbeit (das Wort verstehe ich eigentlich schon nicht) vollkommen "dereguliert" ist und praktisch in einem rechtsfreien Raum stattfindet. Wozu ein Strafurteil, wenn es Öffentlichkeitsarbeit gibt?

 

Allerdings, der Rechtsstaat ist auch keine Kindergartenveranstaltung. Und ja, es gehört auch dazu, zu erdulden, unschuldig verdächtigt zu werden und in U-Haft zu kommen. Diese Erfahrungen sind traumatisch, gehören aber einfach dazu. Insbesondere von den ermittelnden Beamten erwarte ich bei der Schwere der Tat hier nicht ein Vorgehen nach dem Motto: " Du Osama, können wir mal reden?".

 

 

 

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RO schrieb:

Allerdings, der Rechtsstaat ist auch keine Kindergartenveranstaltung. Und ja, es gehört auch dazu, zu erdulden, unschuldig verdächtigt zu werden und in U-Haft zu kommen. Diese Erfahrungen sind traumatisch, gehören aber einfach dazu. Insbesondere von den ermittelnden Beamten erwarte ich bei der Schwere der Tat hier nicht ein Vorgehen nach dem Motto: " Du Osama, können wir mal reden?".

 

 

Ich kann  aber von einem Rechtsstaat und von Polizei und Staatsanwaltschaft erwarten, dass wenn ich als Beschuldigter noch überprüft werde oder in U-Haft bin, dass sie sich mit Mutmaßungen wie "doch die bisherigen Ermittlungen sprechen gegen den Berufsschüler" usw. zurück hält, sondern einfach mit teilt der Verdächtigte wird überprüft, verhört oder sonst was....und diese Mitteilung schriftlich gibt ohne eine Pressekonferenz. 

Sorry, das erinnert an Kachelmann oder noch besser an den Fall Tauss wo die Medien eher mehr wußten als der Angeklagte und sein Verteidiger und auch an einen best. Staatsanwalt aus Halle, wo es sogar möglich war, dass ein Fensehteam die Strafverfolger bei einer Hausdurchsuchung begleitetete und mit der Wohnung des Durchsuchten war vgl. http://www.heise.de/newsticker/foren/S-sebbel/forum-112133/msg-12149308/...

bombjack

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Der Fall geht noch weiter: Nun wird man plötzlich sehr wortkarg seitens der Staatsanwaltschaft. Wenn die Festnahme ein Fehler war, wäre es jetzt besonders wichtig, einen Grund dafür zu nennen. Stattdessen: http://web.de/magazine/nachrichten/panor...#.A1000145

"Warum der 17-Jährige nun entlastet wurde, bleibt unklar. Diese Fakten schließen eine Täterschaft des Jugendlichen aus." Nähere Angaben dazu wollte Südbeck nicht machen. Der Teenager befindet sich derzeit in Betreuung von Polizeibeamten.

 

So bleibt der Mob angespitzt für den Fall, dass der wahre Täter nicht gefunden wird. Das ganze wirkt so, als ob der Junge voreilig festgenommen wurde, die Staatsanwaltschaft ebenso voreilig vor den Blitzlichtern stehen wollte (ebenso wie im Fall Kachelmann) und die Polizei sich erst im Nachhinein darüber klar wurde, dass der Tatverdacht nicht hinreichend ist - jetzt fehlen die Ausreden und plötzlich fällt einem ein, dass man auch schweigen könnte.

Eine Aussage wie "die gefundenen DNA-Spuren waren nachweislich nicht von ihm, sondern von einem Dritten" hätte das bereinigt, ohne irgendwelche Ermittlungsschwierigkeiten zu verursachen. Eine Suche und ein Vergleich von DNA-Spuren war ja schon angekündigt.

 

Rückblickend halte ich für interessant, dass Polizei und Staatsanwaltschaft bei einem erwiesenermaßen Unschuldigen angeblich Indizien für eine Täterschaft hatten! Wie kann das sein?

http://www.bild.de/newsticker-meldungen/home/11-emden-23416556.bild.html

".......Die Ermittler hatten allerdings betont, dass es sich um einen Verdächtigen handle, gegen den nur „Indizien” vorlägen."

Existieren die angeblich belastenden Indizien jetzt nicht mehr? Waren es gar keine Indizien? Waren es falsche oder gefälschte Indizien? Ist wahrheitswidrig behauptet worden, es gäbe Indizien gegen den Unschuldigen, obwohl das nicht zutraf?

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Sehr geehrter Herr Abrell,

Beispiele dafür finden Sie wöchentlich im Tatort. Zu Beginn gibt es irgendwelche Indizien, die auf eine Person als Täter hinweisen, die es dann aber doch nicht war (schließlich dauert der Tatort 90 Minuten und nicht nur 10).

Die Bewertung als Indiz ist dynamisch: Tatsachen/Spuren etc. werden zunächst als  Indizien angesehen,  aber bei näherem Hinsehen (das Zeit kostet) ergibt sich, dass sie letztlich doch nichts indizieren. War es so, dann ist das Verhalten der Ermittlungsbehörden korrekt. Aber ob es hier so war, bleibt zu fragen.

Möglicherweise war es nämlich anders (nachfolgend das was die Polizei angab):

1. Hinweis aus der Bevölkerung: Der da ist "auffällig" (kein Indiz für Täterschaft, denn "auffällig" ist jeder, der der Polizei gemeldet wird, irgendwie)

2. "kein Alibi" (auch kein Indiz für Täterschaft)

3. "Hat sich bei Angabe seines Alibis in Widersprüche verwickelt" (auch kein Indiz für Täterschaft, weil dies jedem, der eines Mordes beschuldigt wird, bei stundenlangen Verhören unterläuft)

Wenn also nur diese drei Punkte vorlagen und  keine sonstigen indizierenden Spuren, dann hat die Haftrichterin in ihrer Prüfungsaufgabe versagt: Solche Dinge ergeben niemals einen dringenden Tatverdacht. Der/die Haftrichter/in ist zudem gerade zur Kontrolle der Polizei/Staatsanwalstcahft da, nicht als Hampelmann/frau.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Hallo Herr Müller,

es ist gut zu lesen, dass nun auch kritisch hinterfragt wird, ob hier tatsächlich die Voraussetzungen für die Bejahung eines dringenden Tatverdachts vorlagen. Auch wenn die Voraussetzungen für einen dringenden Tatverdacht nur scheinbar hoch erscheinen, tatsächlich wird ja nur auf das jeweils vorliegende vorläufige Ermittlungsergebnis abgestellt und es findet ja gerade auch keine Verurteilungsprognose statt, dürften die hier vorliegenden und uns bekannten Tatsachen kaum die Annahme rechtfertigen, dass der ehemals Beschuldigte 17-Jährige mit großer Wahrscheinlichkeit der Täter dieser monströsen Tat war. M.E. dürfte dieses Ermittlungsergebnis eher nur die Annahme eines "einfachen" Tatverdachts rechtfertigen, so dass auf dieser Grundlage weitere Ermittlungen hätten stattfinden können. Dass der Verdacht aber "groß" ist, davon kann jedenfalls meiner Meinung nach keine Rede sein.

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Leider ist der unsägliche BILD-Artikel vom 29.03. mit der Tatsachenbehauptung „Die Kripo ist sicher: DER KILLER IST EIN SCHÜLER (17)!“ immer noch online.

http://www.bild.de/news/inland/news-inland/polizei-verhaftet-schueler-23385338.bild.html?wtmc=fb.off.share

Es handelt sich hier doch um eine Tatsachenbehauptung (Verdächtiger ist der Täter) wider besseres Wissen.

Kann die Kripo nicht eine Gegendarstellung zu dieser verleumderischen Aussage verlangen?

Der ehemalige Verdächtige hat nun auch ein dringendes Rehabilitationsinteresse. Ich fände es schon aus Gründen der Rechtshygiene schlimm, wenn sich die Ermittlungsorgane nun aus ihrer (zumindest doch moralischen) Verantwortung stehlen könnten.

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