Präsente Zeugen übergangen? Die Revision ist schwierig!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 25.02.2012
Rechtsgebiete: BGHpräsente ZeugenStrafrechtVerkehrsrecht2|5808 Aufrufe

Die Verfahrensrüge ist stets problematisch - sie ist begründungsintensiv um führt oft zur Erfolglosigkeit der Revision. Hier einmal ein etwas ungewöhnliches Beispiel - es geht um nicht berücksichtigte / nicht vernommene präsente Zeugen:

 

 Die Revision trägt vor, die Verteidigung habe die Zeugen, die sich am Tag der Antragstellung vor dem Gerichtssaal eingefunden hätten, vor dem 24. September 2010 selbst geladen; dies werde auch anwaltlich versichert. Damit hat sie jedoch nicht hinreichend dargetan, dass es sich um präsente Beweismittel im Sinne von § 245 Abs. 2 Satz 1 StPO handelt. Ein Angeklagter kann die Vorladung von Beweispersonen im Sinne dieser Vorschrift gemäß §§ 220, 38 StPO nur mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers bewirken (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1981 - 1 StR 385/81, NStZ 1981, 401; ebenso bereits BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 - 2 StR 567/51, NJW 1952, 836 zu § 245 StPO a.F.); er hat die förmliche Ladung nachzuweisen, wenn diese nicht aktenkundig ist (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 245 Rn. 16 a.E.). Zur Einhaltung dieser Formvorschriften verhält sich die Revision unter Verstoß gegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht (vgl. LR-Becker, StPO, 25. Aufl., § 245 Rn. 77); entgegen ihrer Auf-fassung erübrigt sich „die Einhaltung der Ladungsform gemäß § 38 StPO" nicht dadurch, dass die Verteidigung einen nach § 245 Abs. 2 Satz 1 StPO ohnehin erforderlichen Beweisantrag stellt. Die Revision trägt lediglich vor, dass die in Rede stehenden Ablehnungsbeschlüsse, die auf Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (aus rechtlichen Gründen) gestützt sind, die Voraussetzungen des (engeren) Katalogs der sachlichen Ablehnungsgründe gemäß § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht erfüllten; bloße Unerheblichkeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen genüge danach nicht. Im Übrigen liege Bedeutungslosigkeit im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vor, so dass auch ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO gegeben sei.

 

Abgesehen davon, dass diese von der Revision offenbar verfolgte „Alternativität“ nicht über die Unzulänglichkeit ihres Vortrags zu § 245 Abs. 2 StPO hinweghilft, kann aufgrund ihres nicht eindeutigen Vorbringens auch nicht ent-schieden werden, ob die angegriffenen Ablehnungsbeschlüsse an dem Prü-fungsmaßstab des § 245 Abs. 2 Satz 3 oder des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zu messen sind. Eine zulässige Verfahrensrüge setzt gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO voraus, dass der behauptete Verstoß gegen formelles Recht so konkret und bestimmt vorgetragen wird, dass keine Zweifel verbleiben, welche Verfahrensvorschrift verletzt sein und anhand welcher Norm der gerügte Verstoß ge-prüft werden soll (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 24). Dies gilt namentlich dann, wenn zwei Vorschriften inmitten stehen, die ähnliche Rege-lungen enthalten, sich aber im entscheidungserheblichen Punkt doch unter-scheiden: § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO erlaubt die Ablehnung eines Beweisantrags – soweit hier von Interesse – nur, wenn zwischen der Beweistatsache und dem Gegenstand der Urteilsfindung kein Zusammenhang besteht; § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO lässt hingegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen oder rechtli-chen Gründen genügen (vgl. im Einzelnen Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 54 bis 56, § 245 Rn. 25; LR-Becker, StPO, 25. Aufl., § 245 Rn. 61 f.). Da somit der Prüfungsmaßstab des § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO aufgrund der unmittelbaren Verfügbarkeit der Beweismittel wesentlich enger ist als der des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, hätte es vorliegend eines konkreten, die Voraussetzungen der als verletzt bezeichneten Norm ausfüllenden Vortrags der Revision bedurft.

 

BGH, Beschl. v. 8.12.2011 - 4 StR 430/11 -

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

2 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Statt sich derart umständlich auszudrücken, hätte der Senat auch einfach formulieren können, daß er das Urteil im Ergebnis für goldrichtig hält. Entgegen der immer wieder in revisionsgerichtlichen Entscheidungen zu lesenden Behauptung schaut das Revisionsgericht selbstverständlich die gesamte Akte durch. Wenn dem BGH eine Entscheidung nicht paßt, hebt er es auf die allgemeine Sachrüge hin auf oder hält eine Verfahrensrüge ohne weiteres für  zulässig, verschafft sich ggf. im Wege des "Freibeweises" die nötigen Informationen, gibt vor, daß ihm aufgrund dieser oder jener Umstände "der Blick in die Akten eröffnet" sei oder geht auf derlei verfahrensrechtliche Hürden gar nicht ein.

 

Soll ein Urteil hingegen gehalten werden, sind die Zulässigkeitshürden für eine Verfahrensrüge unüberwindlich. Ich erhebe grundsätzlich keine Verfahrensrügen mehr, da der damit verbundene Arbeitsaufwand den Ertrag auf einen Bruttostundenlohn von 9,50 Euro drückt. Sollte sich aus der Akte tatsächlich ein kapitaler verfahrensrechtlicher Bock ergeben, der zur Aufhebung des Urteils zwingt, wird ihn das Revisionsgericht selbst erkennen und eine Möglichkeit finden, das Urteil auf die Sachrüge hin aufzuheben. Ich habe wirklich keine Lust mehr, mir für 412,00 Euro brutto bergeweise Akten und Protokolle durchzulesen und mir 50 Seiten Vortrag aus den Rippen zu schwitzen, nur um einmal mehr zu lesen, daß es dem Senat leider immer noch nicht möglich sei, allein aufgrund der Revisionsrechtfertigung den gerügten Verfahrensfehler nachzuvollziehen und das Gericht ja leider, leider nicht in die Akte schauen dürfe...

 

3

Auffassung des BGH im Strafprozess:

Vom Angeklagten vorgeladene Zeugen i.S.d. § 245 Abs. 2 S. 1 StPO sind nur Zeugen, die sich nicht nur auf Betreiben des Zeugen während der Verhandlung unmittelbar physisch vor dem Gerichtssaal aufhalten, sondern die zusätzlich auch unter Zuhilfenahme staatlichen Zwangs, d.h. durch Ladung mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers, vom Angeklagten herbeigeschafft wurden. Zur Begründung der Revision muss dass dann auch nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO im Detailausgeführt werden, dass diese Vorschriften eingehalten werden, wobei die bloße Ausführung, dass eine anwaltliche Ladung erfolgt ist, nicht ausreichen soll. Da die Revisionsbegründungsfrist strikt ist und eine Verlängerung nicht möglich ist, kommt natürlich auch kein richterlicher Hinweis zur Ergänzung der Ausführungen in Betracht.

 

Auffassung des BGH im Zivilprozess:

BGH NJW 1999, 1867, 1868:

"Eine Wiedereröffnung ist danach notwendig, wenn erhebliches neues Vorbringen darauf beruht, daß ein Gericht einen gem. §§ ZPO § 139 ZPO § 139 Absatz I, ZPO § 278 ZPO § 278 Absatz III ZPO erforderlichen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt hat und eine sachlich erhebliche Stellungnahme derPartei dazu erst nach deren Schluß möglich war (BGH, NJW-RR 1997, NJW-RR Jahr 1997 Seite 441 = LM H. 4–1997 § ZPO § 567 ZPO Nr. 32)."

BGH NJW 2003, 3626, 3628:

"Nach der Rechtsprechung des BGH genügt das Gericht seiner Hinweispflicht nach §§ ZPO2001 § 139 ZPO2001 § 139 Absatz I, ZPO2001 § 278 ZPO2001 § 278 Absatz III ZPO a.F. nur dann, wenn es die Parteien auf fehlenden Sachvortrag, der von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus gesehen entscheidungserheblich ist, unmissverständlich hingewiesen und der Partei die Möglichkeit eröffnet hat, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen (vgl. BGHZ 127, BGHZ Band 127 Seite 254 [BGHZ Band 127 Seite 260] = NJW 1995, NJW Jahr 1995 Seite 399 m.w. Nachw.). Diese Hinweispflicht besteht grundsätzlich auch in Prozessen, in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird"

 

Bin ich der einzige, der hier leichte Wertungswidersprüche sieht??? Bei BGH-Revisionen geht es nahezu immer um langjährige Freiheitsstrafen und da soll dann jede klitzekleine Unzulänglichkeit beim anwaltlichen Sachvortrag die ganze Revision zum Scheitern bringen, während im Zivilprozess umfangreiche Aufklärungs- und Hinweispflichten bestehen??? Außerdem dürfte es für die Prüfung der Anwendbarkeit des § 245 Abs. 2 StPO wohl ausreichen, wenn die Zeugen auf Betreiben des Angeklagten vor dem Gerichtssaal präsent sind. Die Unterscheidung zwischen § 244 und § 245 basiert ausschließlich darauf, dass an die Ablehnung PRÄSENTER Beweismittel höhere Anforderungen zu stellen sind als an die Ablehnung noch HERBEIZUSCHAFFENDER Beweismittel zu stellen sind.

 

Meines Erachtens ein Fall für das Bundesverfassungsgericht!

 

0

Kommentar hinzufügen