Koks auf dem Oktoberfest - EGMR erlaubt BILD die Berichterstattung unter Namensnennung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 10.02.2012

Das Thema "Berichterstattung über Ermittlungsverfahren" hat uns in den vergangenen Jahren schon mehrfach hier im Blog beschäftigt.

Nun ist das Thema wieder auf der Tagesordnung, die Große Kammer des  Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  hat in einem 12 zu 5 judgment in Entscheidungen des LG und OLG Hamburg gegen die Berichterstattung der BILD eine Verletzung des Art. 10 EMRK gesehen und Deutschland verurteilt.

Hintergrund war die Berichterstatung über einen TV-Schauspieler, den Polizisten in der Nähe der Toiletten eines Promi-Zelts auf der Wiesn mit verdächtigen Handbewegungen an seiner Nase fummeln sahen. Die Überprüfung ergab die Bestätigung des Verdachts, dass dieser Mann eine Nase Kokain geschnupft hatte. Ein Polizist bestätigte dies vor Ort dem BILD-Reporter, der sich zusätzlich vom Sprecher der Münchener Staatsanwaltschaft bestätigen ließ, dass es sich beim Verdächtigen um einen Serien-TV-Kommissar handle.

Gegen die daraufhin erschienenen Artikel  über das Ermittlungsverfahren (mit vollst. Namensnennung und Fotos) setzte sich der Betroffene in Hamburg erfolgreich  zur Wehr.

Der Axel-Springer-Verlag klagte dagegen vor dem EGMR und bekam jetzt Recht: Die Abwägung zwischen Rechten der Privatsphäre/Persönlichkeitsrecht  und Berichterstattung über Strafverfahren gegen Prominente sei von den Hamburger Gerichten unzutreffend erfolgt.

Ein maßgeblicher - in Hamburg als nicht ausschlaggebend angesehener, vom EGMR aber herausgehobener Umstand - war die Bestätigung der Tatsache durch die Presseabteilung der Münchener Staatsanwaltschaft. Ein mittelbar zu ziehendes Fazit: Die BILD konnte nach der Bestätigung durch den Pressesprecher davon ausgehen, dass sie darüber auch berichten durfte. Damit ist auch das Thema unmittelbar berührt, das ich schon mehrfach zum Gegenstand von Aufsätzen und Vorträgen gemacht habe: Die Öffentlichkeitsarbeit durch Strafverfolgungsbehörden in Ermittlungsverfahren. Bislang gibt es keine gesetzliche Grundlage, die klar regelt, ob und welche Informationen die Staatsanwaltschaft bzw. die Polizei herausgeben darf. Bislang wird meistens ein "Auskunftsanspruch" der Presse aus den Landespressegesetzen bemüht, der aber viel zu global ist und auf die Besonderheiten im Strafverfahren nicht eingeht. Zudem berief man sich seitens der Behörden (bislang) erfolgreich darauf, dass die Redakteure vor der Veröffentlichung dieselbe Prüfpflicht treffe, ob sie etwas veröffentlichen dürfen oder nicht. Anders der EGMR:

In the Court’s opinion, there is nothing to suggest that such a balancing exercise was not undertaken. The fact is, however, that having regard to the nature of the offence committed by X, the degree to which X is well known to the public, the circumstances of his arrest and the veracity of the information in question, the applicant company – having obtained confirmation of that information from the prosecuting authorities themselves – did not have sufficiently strong grounds for believing that it should preserve X’s anonymity. In that context, it should also be pointed out that all the information revealed by the applicant company on the day on which the first article appeared was confirmed by the prosecutor W. to other magazines and to television channels.

Wenn Journalisten also die Information von den Strafverfolgern selbst erhalten, dann gibt es regelmäßig keinen Grund mehr für sie, die Privatsphäre durch Anonymisierung zu schützen.

Der EGMR gibt damit sozusagen den "schwarzen Peter" an die Staatsanwaltschaften zurück. Schon um die Pressesprecher zu schützen, aber mehr noch, die nur Verdächtigen in einem  Ermittlungsverfahren, sollte dies Anlass sein, die Öffentlichkeitsarbeit in Strafverfahren jetzt klar gesetzlich zu regeln - und dies meines Erachtens möglichst restriktiv.

Ausführliche Besprechung auch hier: e-comm

Kritisch zur Entscheidung: Internet-Law

 

 

 

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7 Kommentare

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Klarstellend sollte man vielleicht anmerken, dass sich die Springer-Beschwerde vor dem EGMR nur gegen die Untersagung der Berichterstattung und nicht mehr gegen die Untersagung der Publizierung der Photos richtete.

Im Hinblick darauf, dass die Bildberichterstattung einen schwerwiegenderen Eingriff als die reine Wortberichterstattung darstellt und sich dieser Fall von der ebenfalls am 7.2 veröffentlichten CarolineII-Entscheidung, wo es primär um die Bilderveröffentlichung ging, insoweit unterscheidet, sollte dies nicht ganz unberücksichtigt bleiben.

Im Hinblick auf die von Ihnen geforderten gesetztlichen Ausgestaltung des Presseinformationsrechts durch die Strafverfolgungsbehörden ändert dieser Punkt natürlich nichts.

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Danke für Ihren Hinweis auf die persönlichkeitsrechtliche Differenzierung. Ich habe als Strafrechtler die möglichen strafrechtlichen bzw. strafprozessualen Aspekte der Entscheidung im Auge gehabt.

Liebe/r ZweiPi,

sorry, ich habe es jetzt oben im Text ausgeschrieben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist das Gericht, das die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) überwacht, es handelt sich NICHT um ein Gericht der EU.

Ansonsten: Bei unbekannten Abkürzungen ist die Suchmaschine Ihres Vertrauens nur einen Klick weit weg.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Die Hamburger Abmahnanwälte haben damals jede Quelle abgemahnt, die den Bild-Artikel und damit auch den Schauspieler mit vollem Namen zitiert hatte. Wir waren mit einem Internet-Stadtmagazin in München auch betroffen. Wir widersetzten uns der Abmahnung, wurden aber nach Klage (übrigens in Berlin) verurteilt, 2/3 zu bezahlen. 

Bedeutet dieses Urteil eigentlich jetzt, dass die Massen-Abmahnspezialisten in ähnlich gelagerten Fällen künftig nicht mehr so leichtes Spiel haben?

 

 

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