Mordsinstrument Zapfpistole...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 09.02.2012

...möchte man meinen. Da ist ein Tankstellenkunde, der es offenbar nicht schafft, die Zapfpistole zu halten. Sie fällt ihm runter und gegen das Auto. Nun will er Schadensersatz - glücklicherweise erfolglos:

 

Die Beklagte ist Betreiberin der Autobahntank- und Rastanlage … . Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung der Kosten für die Beseitigung eines Lackschadens am Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen „…“ in Anspruch. Am Schadenstag fuhr der Kläger mit diesem Fahrzeug zum Tanken an eine der Säulen der Tankanlage heran. Unmittelbar zuvor hatte der Fahrer eines Pkws mit französischem Kennzeichen an dieser Säule den Tankvorgang beendet und hatte die Rastanlage sodann verlassen. Der Kläger tankte Superbenzin. Während des Tankvorganges fiel der Dieselzapfhahn der nämlichen Säule aus seiner Halterung, stieß gegen den Pkw und hinterließ einen Kratzer im Lack des Fahrzeuges. Den Ersatz der Kosten für die Schadensbeseitigung verlangt der Kläger von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung. Die Beklagte hat unter anderem das Eigentum des Klägers am beschädigten Fahrzeug und die geltend gemachte Schadenshöhe bestritten. Eine Verletzung von Kontrollpflichten scheide aus, da sie die Tankanlage von ihren Mitarbeitern ständig überwachen lasse und diese auch zum Zeitpunkt des fraglichen Geschehens technisch vollkommen in Ordnung gewesen sei.

Das Herunterfallen des Dieselzapfhahnes sei einzig damit zu erklären, dass der vorausgegangene Nutzer desselben diesen völlig unsachgemäß und nicht sicher eingehakt habe. Eine Kontrolle jedes Zapfvorganges auf korrektes Wiedereinhaken des Zapfhahnes sei der Beklagten hingegen nicht zumutbar.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Für die Eigentümerstellung des Klägers streite die unwiderlegte Vermutung des § 1006 BGB. Die Beklagte sei in Folge einer Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht zum Ersatz des Sachschadens verpflichtet. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass der Schaden nicht auf von ihr zu verantwortenden Umständen eingetreten sei. Dies gehe zu ihren Lasten. Grundsätzlich trage zwar der Geschädigte die Beweislast dafür, dass der Schuldner objektiv eine ihm obliegende Pflicht verletze habe und diese Pflichtverletzung den Schaden verursacht habe. Hiervon sei jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn der Geschädigte nachweise, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners herrühren könne. Dieser Umstand sei in den Waschanlagefällen in zahlreichen Entscheidungen bestätigt worden. So liege der Fall auch hier. Zwar habe die Beklagte vorgetragen, dass die Zapfsäule selbst bei einer nachfolgenden Kontrolle keinerlei Fehlfunktion gezeigt habe. Jedoch liege auch die von der Beklagten angeführte Verursachung durch unsachgemäßes Einhaken des Zapfhahnes durch den vorherigen Nutzer im alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten als Tankstellenbetreiberin.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Sie rügt, das Amtsgericht habe die Frage der Beweislastverteilung rechtsfehlerhaft bewertet. Eine Umkehr der Beweislast nach den Rechtsprechungsgrundsätzen bei Fahrzeugschäden bei der Nutzung von Waschstraßen komme angesichts der nicht vergleichbaren Sachverhalte nicht in Betracht. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Berufung ist insgesamt zulässig. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Ersatz des Fahrzeugschadens verpflichtet.

1. Ob die mit der Berufung weiterverfolgten Einwände der Beklagten gegen die Aktivlegitimation und die Eigentümerstellung des Klägers tragen, kann dahinstehen. Denn selbst wenn man beides unterstellt, ist die Beklagte dem Kläger nicht zum Ersatz des Fahrzeugschadens verpflichtet.

2. Die Ersatzpflicht der Beklagten setzt mangels Schadensverursachung durch ein ihr unmittelbar zurechenbares aktives Tun sowohl auf vertraglicher (§ 280 Abs. 1 BGB) wie deliktischer (§ 823 Abs. 2 BGB) Grundlage voraus, dass der Sachschaden auf der schuldhaften Nichterfüllung von Verkehrssicherungspflichten der Beklagten beruhte. Auf der Grundlage des Sachvorbringens des Klägers ist ein solcher Ursachenzusammenhang entgegen der Ansicht des Amtsgerichtes nicht festzustellen.

a) Die Kammer hat bereits erhebliche Bedenken, ob dem Kläger - wie vom Amtsgericht in Anlehnung an die Entscheidung des Amtsgerichtes Ingolstadt vom 05.11.2007 - 15 C 2648/06 (DAR 2008, 95) angenommen - bei der hier gegebenen Sachlage die von der Rechtsprechung in den Fällen von Fahrzeugschäden durch Nutzung von Waschstraßen entwickelten Beweiserleichterungen zugute kommen. Denn anders als in den letztgenannten Fallkonstellationen besteht für eine Einschränkung der grundsätzlich den Geschädigten treffenden Darlegungs- und Beweislast unter dem Aspekt der Beweisnot keine Veranlassung. Denn in den hier zu beurteilenden Fällen ist der Geschädigte in der Regel unmittelbarer Augenzeuge der Beschädigung und beruht diese nicht auf komplexen, für den Laien kaum nachvollziehbaren mechanischen Prozessen, wie dies beim Eintritt von Schäden bei einem automatisierten Waschvorgang der Fall ist. Die Kammer kann dies jedoch im Ergebnis offen lassen, da auch bei entsprechender Anwendung der erwähnten Rechtsprechungsgrundsätze ein Ersatzanspruch des Klägers ausscheidet.

b) Denn der Kläger hat - abweichend von der Ansicht des Amtsgerichtes - gerade nicht dargelegt hat, dass die Schadensursache allein im Verantwortungsbereich der Beklagten als Betreiberin der Tankanlage lag. Diese Feststellung ist aber auch nach den Rechtsprechungsgrundsätzen zu Fahrzeugschäden in Waschstraßen Voraussetzung für das Eingreifen der dort diskutierten Beweislastumkehr.

Der Fahrzeugeigentümer, der den Betreiber einer Autowaschstraße auf Schadenersatz in Anspruch nimmt, weil sein Pkw beim Durchlaufen der Waschanlage beschädigt worden ist, muss zumindest darlegen und beweisen, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich des Betreibers herrührt. Ist diese Feststellung nicht möglich, liegt das Risiko der Unaufklärbarkeit der Schadensursache beim Fahrzeugeigentümer (OLG Hamm NZV 2003, 285). So liegt der Fall auch hier.

aa) Der Kläger hat weder behauptet noch bewiesen, dass die Aufnahme des Dieselzapfhahnes der betroffenen Zapfsäule einen technischen Defekt aufwies oder bauartbedingt nicht den technischen Sicherheitsvorschriften an die Gestaltung entsprechender Anlagen entsprach.

bb) Die letztlich von beiden Parteien erwogene Schadensursache, das nachlässige Verhalten des vorherigen Benutzers der konkreten Zapfanlage, welches sich in der nicht ordnungsgemäßen Einrastung des Dieselzapfhahns niederschlug, ist demgegenüber entgegen der Wertung des Amtsgerichtes unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dem Verantwortungsbereich der Beklagten als Tankstellenbetreiberin zuzuordnen.

Im Hinblick auf vertragliche Ansprüche scheidet eine Zurechnung des Fehlverhaltens des vorherigen Nutzers nach § 278 BGB aus, da die Beklagte diesen nicht als Gehilfen zur Erfüllung seiner gegenüber nachfolgenden Kunden zu wahrenden Schutz- und Sorgfaltspflichten einsetzt. Die allgemeinen Billigkeitserwägungen, mit denen das Amtsgericht Ingolstadt dem Betreiber der Tankstellenanlage in der zitierten Entscheidung gleichwohl das Fehlverhalten des vorausgegangenen Kunden (wohl in entsprechender Anwendung des § 278 BGB) zurechnet, überzeugen nicht. Zwar war es vor der Einführung von Selbstbedienungstankstellen üblich, dass ein Tankwart das Fahrzeug eines Kunden befüllte und den Kaufpreis kassierte. Zutreffend ist auch, dass der Tankstellenbetreiber für ein Fehlverhalten des Tankwarts - etwa beim Einhängen der Zapfpistole - über § 278 BGB zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Die Ansicht, es sei unbillig, dass nach der für den Betreiber kostensparenden Einführung des Selbstbedienungssystems eine Fehlbedienung der Zapfsäule durch einen Kunden nunmehr dem Lebensrisiko anderer Käufer unterfalle, geht jedoch fehl. Zum einen ist nicht ersichtlich, auf welcher zivilrechtlichen Ebene das Amtsgericht den Schluss von der allgemeinen Unbilligkeitserwägung auf eine Haftungserstreckung des Tankstellenbetreibers zieht. Zum anderen ist die These, die Einführung des Selbstbedienungssystems habe zu einer einseitigen Kostenersparnis des Betreibers geführt, bereits realitätsfern. Naheliegend ist vielmehr, dass die im früheren System der Bedientankstelle entstandenen Personalkosten auf den Preis umgelegt wurden und deren Wegfall sich auch für den Kunden wirtschaftlich in einem günstigeren Preis niedergeschlagen hat. Zudem ist sich der Nutzer einer Tankanlage heute schon beim Heranfahren darüber im Klaren, dass es sich bei dem vorausgegangenen Nutzer nicht um einen professionellen Bediener der Anlage, sondern um einen Laien handelte. Das möglicherweise erhöhte Risiko einer Fehlbedienung ist ihm daher bewusst.

c) Das Fehlverhalten des vorherigen Nutzers der Tankanlage wäre der Beklagten daher nach den allgemeinen Haftungsgrundsätzen nur dann zurechenbar, wenn die Verkehrssicherungspflicht es ihr gebot, den Eintritt des aus einem solchen Verhalten drohenden Drittschaden unter allen Umständen zu verhindern. Dies ist nicht der Fall:

Eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist nicht erreichbar. Daher muss nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es genügen die Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Erforderlich sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um die Gefahren von Dritten abzuwenden. Die Maßnahmen zur Vermeidung oder Abwendung der Gefahren müssen dem Pflichtigen, auch wirtschaftlich, zumutbar sein (Palandt, BGB § 823 Rdnr. 46 m.N.). Ein (nahezu) völliger Ausschluss von Drittschäden durch Vorfälle wie dem vorliegenden erforderte eine durchgängige Überwachung einer jeden Zapfsäule und das unmittelbare Eingreifen des Sicherungspersonals nach Sichtung einer fehlerhaften Einrastung des Zapfhahns nach Abschluss des Tankvorganges. Dies überspannte jedoch das Maß wirtschaftlich zumutbarer Anstrengungen. Dies gilt insbesondere auch angesichts der recht geringen Wahrscheinlichkeit entsprechenden Fehlverhaltens der Tankstellenkunden, die sich nicht zuletzt auch in der überschaubaren Anzahl veröffentlichter Entscheidungen zur Haftungsverteilung niedergeschlagen hat.

Der Eintritt entsprechender Schäden ist daher im oben genannten Sinne als fernliegend zu betrachten. Daher genügt die Beklagte durch die regelmäßige, zumindest tägliche Sichtung der Anlage u.a. auf Schäden des Einrastsystems der Dieselzapfhähne den Sorgfaltsanforderungen.

 

LG Limburg, Urteil v. 18.11.2011 - 3 S 159/11

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

2 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Die Entscheidung des LG Limburg ist absolut richtig und überzeugend begründet. Die Annahme des AG, der Tankstelltenpächter müsse sich das Fehlverhalten des vorherigen Nutzers zurechnen lassen bzw. seiner Sphäre zuordnen lassen, kann nicht überzeugen. Das LG hebt völlig zurecht hervor, dass hiermit die Zumutbarkeitsschwelle überschritten wird. De facto hätte der Tankstellenbetreiber seiner Verkehrssicherungspflicht nach Auffassung des AG nur durch die Wiedereinführung des Tankwarts begegnen können. Dass dies wirtschaftlich in keinem Verhältnis zu der Gefahr steht, dass Nutzer Zapfpistolen falsch einhängen könnten, liegt auf der Hand.

Eine Sache ist aber überraschend. Von den angeblich weit verbreiteten Rechtsprechung hinsichtlich der Beweiserleichterungen in den "Waschanlagefällen" höre ich zum ersten Mal. Ein mir bekannter Richter meinte nur zum Waschanlagenfall: "Klage zurücknehmen. Kann nicht nachgewiesen werden." Und mit dieser Meinung entsprach er auch der Rechtsprechung der meisten Kollegen aus diesem Bundesland.

0

Der Einleitungssatz dieses Beitrags ist irreführend und stimmt nicht mit dem Sachverhalt überein. Der Kläger selbst war anscheinend durchaus in der Lage, die Zapfpistole zu halten und sie fällt IHM auch nicht runter.

Und auch, dass er erstmal an Schadensersatz denkt, kann man ihm eigentlich nicht verübeln - immerhin hat er durch das Verhalten (irgend)eines Dritten einen Schaden erlitten, den er selbst gerade nicht zu verantworten hat. Ob eine Klage gegen den Tankstellenbetreiber das richtige Mittel ist, finde ich zwar auch mehr als fragwürdig und halte das Urteil des Berufungsgerichts ebenfalls für absolut richtig. Aber aus dem Einleitungssatz sprechen Überheblichkeit, Unverständnis und Verdrehung des Sachverhalts auf Kosten des Klägers, die ich absolut nicht nachvollziehen kann und die sogar in einer (subtilen) Verunglimpfung des Klägers gipfeln.

Mein Unverständnis richtet sich eher auf den/die Richter/in am Amtsgericht, der/die ohne Anlass wesentliche Teile des Schadensrechts aushebelt. Da stand das Ergebnis wohl schon vor der Prüfung fest...

0

Kommentar hinzufügen