Zusammenhang zwischen Religiosität muslimischer Jugendlicher und Gewalt - ist es doch ganz anders?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 06.02.2012

Vor eineinhalb Jahren traf eine Studie des KFN (Baier, Pfeiffer u.a. 2010, hier als pdf) auf großes Medienecho: Spiegel Online titelte: ""Jung, muslimisch, brutal", in der Süddeutschen Zeitung referierte Roland Reuß unter dem Titel "Die Faust zum Gebet" diese Studie und hier im Beck-Blog fühlten sich Kommentatoren teilweise in ihren Vorurteilen bestätigt.

Die umstrittene Kernaussage der KFN-Studie (S. 118):

"Für islamische Jugendliche zeigt sich im Ausgangsmodell ein zu den christlichen und „anderen“ Jugendlichen entgegengesetzter Effekt: Mit stärkerer religiöser Bindung steigt die Gewaltbereitschaft tendenziell an." 

Im soeben veröffentlichten Heft 6/11 der Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform kommen Autoren einer ganz ähnlich angelegten Studie  zu einem anderen Ergebnis, nämlich dass sich eine signifikante gewaltreduzierende Bedeutung der Religiosiät nicht nur bei christlichen Jugendlichen (aus deutschen oder aus Migrantenfamilien stammend), sondern auch bei muslimischen Jugendlichen zeige (Brettfeld/Wetzels: "Religionszugehörigkeit, Religiosität und delinquentes Verhalten Jugendlicher" MschrKrim 2011, 409-425):

"Die Richtung der Effekte ist für alle drei Gruppen gleich. (...) Zusammenfassend zeigt sich, dass die Religiosität bei einheimischen Christen, christlichen Migranten wie auch jungen Muslimen signifikant das Ausmaß ihres delinquenten Handelns (....) reduziert"   (S. 423 f.) Dies gilt, laut dieser Studie, ausdrücklich auch für "personale Gewalt".

Wie kommt es zu den auf den ersten Blick sehr widersprüchlichen Ergebnissen?

Schon in der KFN-Veröffentlichung gab es Hinweise, die am lauthals verkündeten gewaltsteigernden Effekt der Religiosität Zweifel aufkommen ließen: Der Effekt war ausdrücklich als "nicht signifikant" (S. 118) ausgewiesen. Dennoch wurde er sowohl von den Forschern als auch von der Presse in den Vordergrund gerückt - und dies schon (wie ich damals hier im Blog kritisierte) in Pressemitteilungen/Pressekonferenzen vor der Veröffentlichung der Studie. 

Ein Grund für die widersprüchlichen Ergebnisse könnte zudem in der Komplexität der Verknüpfungen mit weiteren mit Gewalt korrelierenden  Variablen liegen. Von solchen weiteren Variablen haben beide Studien einige erfasst, allerdings nicht ganz deckungsgleich. So spricht die KFN-Studie von den moderierenden Variablen Männlichkeitsvorstellungen, Gewaltmedienkonsum und Freundesgruppenkultur, die bei Muslimen und Christen inhaltlich unterschiedlich gefüllt sind. Die Studie  von Brettfeld/Wetzels hingegen kontrolliert die Variablen Bildung und Geschlechtsrollenorientierung. Faktisch sind diese Variablen eben bei christlichen und muslimischen Jugendlichen verschieden verteilt, nur wenn man sie herausrechnet, zeigen sich die Effekte der "puren" Religion. Aber es ist eine Interpretationsfrage, ob ein solches Herausrechnen Sinn macht bei Variablen, die mit der Religion möglicherweise im Alltag sich gegenseitig verstärkend verknüpft sind. Brettfeld/Wetzels kommen zum Ergebnis, dass der gewaltreduzierende Effekt der Religion auf die verstärkte soziale Kontrolle in solchen Gemeinschaften zurückzuführen sei, bei den religiöseren muslimischen Jugendlichen zudem auf den geringeren Alkoholkonsum (S. 427).

Vorläufiges Fazit für mich: Jede Vereinfachung bei der Darstellung der Verbindung zwischen Gewaltverhalten und Religion - noch dazu wenn sie nicht signifikant ist - erscheint unangemessen.  

Fragwürdig ist es, wenn nur Studien, die einen ("nicht signifikanten") Effekt in der einen Richtung  anzeigen, in der Presse breit publiziert werden, Studien, die ein anderes Ergebnis aufzeigen, jedoch nur einem Fachpublikum bekannt werden.

 

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4 Kommentare

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Wie wäre es mit einer invertierten Bild-Zeitung mit langweiligen Inhalten und langen ekligen Sätzen zum Ausgleich? Darin könnten dann solche Schlagzeilen stehen:

"Neue Studie gibt Hinweis darauf, dass es vielleicht sein könnte, dass eine religiöse Erziehung (u.a. muslimischer Art) Gewaltbereitschaft Jugendlicher nicht fördert!"

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... beruhigend, dass jmd die Gegenposition zu Herrn Pfeiffer, der es mit seinen hanebüchenen Thesen über junge Migranten zu einer gewissen Popularität in den Medien brachte, fundiert vertritt.

ÜK

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@Brent:

Die Bild ist nicht satisfaktionsfähig, aber von den ernsthafteren meinungsbildenden Zeitungen und Online-Nachrichtenportalen würde man sich manchmal doch etwas mehr kritische Differenzierungsanstrengung wünschen. Muss gar nicht so langweilig sein wie Sie das karikieren oder wie ich das hier versuche :-).

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Diese Feststellung war aber auch mal überfällig!

Ich meine, wer hätte denn schon jemals von gewalttätigen Moslems, Gewalt im Namen des Islam, Gewaltaufrufen durch hohe islamische Würdenträger, Institutionen, Rechtsschulen, oder gar Schriften (insbesondere den Koran) gehört? Gar gegenüber Anders- und Nichtgläubigen, etwa Juden, Christen oder Cartoonisten?

Bereits das Fehlen derartiger Konnotationen zwischen Gewalt und Islam zeigt ja ganz deutlich, dass beide nichts miteinander zu tun haben können.

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