Verhältnis zwischen 32jährigem Lehrer und 14jähriger Schülerin - OLG Koblenz spricht den Lehrer frei

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.01.2012

 

Nicht nur in Rheinland-Pfalz hat ein freisprechendes Revisionsurteil des OLG Koblenz Aufsehen erregt. Ausführlich berichtet die Rheinzeitung - hier.

Zitat:

22-mal war es zu sexuellen Handlungen zwischen Lena W., der damals 14 Jahre alten Schülerin, und Dirk S., dem Klassenlehrer ihrer Parallelklasse, gekommen. Erst nach langem Leugnen hatte Dirk S., Lehrer für katholische Religion, Mathematik und Englisch, die Taten eingeräumt. Das Neuwieder Amtsgericht hatte ihn im Januar vergangenen Jahres zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Was für die Rheinzeitung, die Eltern der Schülerin und die Schulleitung eindeutig Straftat ist, ist dies für das OLG nicht. Da in Deutschland eine (begrenzte) Sexualreife schon für Jugendliche ab 14 Jahre gilt, kommt es im Fall einvernehmlichen Sexualverkehrs allein auf das Merkmal "zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung  anvertraut" des § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) an.

Die Rechtsprechung des BGH hat hier seit den frühen 60er Jahren  (BGH 2 StR 357/63, BGHSt 19, 163 = NJW 1964, 411) eine differenzierende Sicht eingenommen. Ob ein Schüler dem Lehrer anvertraut sei, also ein Obhutsverhältnis nach § 174 Nr.1 StGB  bestehe, und welchen Umfang dieses habe, hänge von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall ab. In dem damaligen Fall ging es um eine Berufsschülerin und einen Lehrer derselben Schule, der aber nicht mehr in ihrer Klasse unterrichtete. In nachfolgenden Entscheidungen (insbes. BGH NStZ 2003, 661 und BGH NStZ-RR 2008, 307) ging es hingegen um Tennis- bzw. Fußballtrainer. Ein Obhutsverhältnis wurde jeweils verneint.

Das OLG Koblenz hat nun ebenfalls ein Obhutsverhältnis verneint. Der Lehrer habe nur wenige Male in der  Klasse vertreten, ihm sei daher die Schülerin nicht anvertraut gewesen, als er mit ihr sexuell verkehrte.

Anders könnte man es sehen, wenn man der Argumentation des Schulleiters folgt, nach dem in kleineren Schulen (die betr. Schule hat 500 Schüler) für jeden Lehrer eine Aufsichts- und Obhutspflicht gegenüber jedem Schüler besteht. Diese Argumentation findet auch durchaus eine Grundlage in der schon oben zitierten BGH-Entscheidung von 1963 (BGHSt 19, 163, 166):

"In einer kleinen Schule, wo sich alle Lehrer und Schüler gegenseitig kennen und im täglichen Umgang der Über- und Unterordnung bewusst werden, mögen schon angesichts dieser Gestaltung alle Schüler allen Lehrern zur Erziehung und Aufsicht anvertraut sein (...) In einer großstädtischen Berufsschule kann es anders sein (...) ist die Zahl der Schüler nicht selten so hoch (...) dass sich Lehrer und Schüler völlig fremd bleiben. Deshalb kann unter solchen Bedingungen ein Obhutsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern durch die Tatsache ihrer bloßen Zugehörigkeit zu derselben Schule nicht begründet werden."

Zwar bleibt  fraglich, ob eine Schule mit 500 Schülern noch "klein" genug ist für eine generelle Obhutsbeziehung zwischen Lehrern und Schülern, jedoch herrschten an der betreffenden Schule ersichtlich nicht die Verhältnisse, die nach der älteren BGH-Entscheidung zum Ausschluss eines Obhutsverhältnisses führen würden. 

In der Diskussion klingt natürlich auch eine generelle  Sorge insbesondere von Eltern an, ob nicht die Altersgrenze 14 Jahre zu niedrig angesetzt ist, und ob nicht generell eine sexuelle Beziehung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen strafrechtlich erfasst werden sollte.

Was meinen die Blog-Leser dazu?

 

Update (1817.09.2014): Im heute  veröffentlichten Gesetzentwurf ist § 174 Abs. 2 StGB nun so formuliert, dass jeder Lehrer an einer Einrichtung sich bei einem sexuellen Verhältnis zu einem minderjährigen Schüler dieser Einrichtung strafbar machen würde. 

 

 

 

 

 

 

 

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74 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

Quote:
Herr Tolksdorf wird nach meiner Einschätzung keinesfalls eine "offizielle" Erklärung abgeben zu einem bereits rechtskräftig entschiedenen Fall
Ich hatte nicht geschrieben, dass er zu dem konkreten Fall eine Erklärung abgeben sollte, sondern darauf Bezug genommen, dass die seit 1963 ständig angewandte Interpretation des § 174 StGB durch den BGH der Realität nicht gerecht wird.

Die Koblenzer Entscheidung widerspricht dem allgemeinen Rechtsempfinden, dass sexuelle Kontakte von Lehrern zu Schülern, die in der Schule angebahnt werden, strafrechtlich strenger bewertet werden sollen als sexuelle Kontakte von Erwachsenen zu unter 16jährigen allgemein.

Eine daraus resultierende Frage ist, wie künftig Entscheidungen getroffen werden können, die dem allgemeinen Rechtsempfinden entsprechen. Beispielsweise sind an immer mehr Schulen auch Schulsozialarbeiter tätig. Diese haben sich insbesondere um jene Schülerinnen und Schüler zu kümmern, deren Probleme aus instabilen Beziehungen zu ihren Eltern herrühren. Diese Schülerinnen und Schüler dürften auch in einem stärkeren Maß als der Durchschnitt gefährdet sein, sexuell missbraucht zu werden. Gehe ich recht in der Annahme, dass Schulsozialarbeiter nach der bisherigen BGH-Interpretation von "zu Erziehung und Ausbildung anvertraut" grundsätzlich nicht unter den § 174 fallen, weil kein Über-Unterordnungsverhältnis besteht?

Mit freundlichen Grüßen
Anton B.

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Jetzt hat der Lehrer Frank C. (dessen Sex mit einer 14jährigen Schülerin seiner Schule das OLG Koblenz endgültig rechtskräftig als nicht strafbar beurteilt hat, nachdem er vom Amtsgericht Neuwied und dem Landgericht Koblenz verurteilt worden war) den Vater des Mädchens verklagt:

http://www.bild.de/news/inland/lehrer/sex-lehrer-verfuehrte-schuelerin-v...

Die Interpretation des BGH, dass ein Obhutsverhältnis eine Über-/Unterordnungsbeziehung voraussetze, wurde 1963 begründet, als der Paragraph 174 noch Auszubildende unter 21 Jahren davor schützen sollte, dass ihre wirtschaftliche Abhängigkeit ausgenutzt würde. Seither schreibt das ein Jurist vom anderen ab.

Der heutige § 174 Absatz 1 Punkt 1 soll Jugendliche unter 16 Jahren, deren Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung sich noch in Entwicklung befindet, davor schützen, durch Personen ausgenutzt zu werden, denen diese Jugendlichen ein besonderes Vertrauen entgegenbringen.

Es ist völlig abseits der Absicht des Gesetzgebers, auf den heutigen § 174 (1) 1. weiterhin die alte "Obhutslehre" anzuwenden.

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@ Anton B.

 

Wenn der Zivilrechtsstreit tatsächlich so wie in dem von Ihnen verlinkten Bild-Artikel beschrieben abgelaufen ist, dann ist das echt ein Skandal. Auf Grund der Beweis-Regelung in § 190 S. 2 StGB dürfte die Behauptung des Vaters, Frank C. sei ein Straftäter nämlich eine üble Nachrede nach § 186 StGB eine üble Nachrede darstellen. Insoweit dürfte auch völlig unproblematisch ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch bestehen. Aber ich nehme mal an, dass das Landgericht das als Berufungsinstanz schon korrigieren wird...

 

Zu Ihrer Ansicht zum Obhutsverhältnis: Grundsätzlich ist es nicht verboten, wenn Erwachsene mit 14jährigen sexuelle Handlungen vornehmen. Das ist eine Entscheidung des Gesetzgebers, die man gut oder schlecht finden kann. Insoweit muß bei § 174 Abs. 1 StGB abgegrenzt werden, ob eine Person in den entsprechenden Täterkreis fällt. Das ergibt sich auch ganz unproblematisch aus dem Wortlaut "anvertraut". Wenn Sie das so nicht gut finden, dann sollten Sie vielleicht lieber den Gesetzgeber kritisieren...

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Sehr geehrter Herr Anton B.,

ich habe ja schon dargestellt, dass meines Erachtens die Interpretation des OLG Koblenz zum Merkmal "anvertraut" im vorliegenden Fall  nicht zwingend war. Jedoch Ihre Auslegung:

Der heutige § 174 Absatz 1 Punkt 1 soll Jugendliche unter 16 Jahren, deren Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung sich noch in Entwicklung befindet, davor schützen, durch Personen ausgenutzt zu werden, denen diese Jugendlichen ein besonderes Vertrauen entgegenbringen.

entspricht keineswegs der Gesetzesfassung. In der gesetzlichen Formulierung "zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut" geht es um eine objektive Komponente der Beziehung (eben um ein Anvertrautsein/ein Obhutsverhältnis), nicht darum, dass der Jugendliche dem Erwachsenen subjektiv irgendein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Außerdem geht es in § 174 StGB auch nicht um ein "Ausnutzen" eines solchen "besonderes Vertrauens", vielmehr bedarf es im Falle eiens Obhutsverhältnisses gerade keines Ausnutzens (entgegen Ihrer Absicht würden Sie mit Ihrer Interpretation die Anwendung des § 174 StGB in der Praxis eher verhindern als ermöglichen).

Besten Gruß

Hernning Ernst Müller

Es ist richtig, dass der Gesetzestext "anvertraut" sich nur darauf bezieht, dass die Sorgeberechtigten das Kind den Lehrern einer Schule anvertrauen, und nichts mit dem besonderen pädagogischen Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrern zu tun hat. Es muss aber auch überlegt werden, welche Absicht der Gesetzgeber hat.

Die Interpretation von "anvertraut" nach der seit 1963 tradierten Obhutslehre des BGH ist nicht lediglich "im vorliegenden Fall nicht zwingend", sondern sie ist heutzutage  grundsätzlich falsch, weil die Obhutslehre mit der Forderung nach dem Über-Unterordnungsverhältnis auf ganz anderen Voraussetzungen gegründet ist. Das war angemessen, als es mit der Altersgrenze 21 Jahre darum ging, junge Erwachsene (mit gefestigter sexueller Selbstbestimmung) vor Ausnutzen mittels plumpem Druck zu schützen. Inzwischen ist das völlig veraltet.

Es glaubt doch wohl niemand, dass beispielsweise der massenhafte sexuelle Missbrauch in der reformpädagogischen Odenwaldschule nach dem Muster verlaufen sei "Willst du in Mathe eine 4 oder machst du Sex mit mir für eine 2?". Da wurden andere Mechanismen wirksam, da wurde mit Ausgrenzungen aus persönlichen Beziehungen etc. vorgegangen.

Quote:
entgegen Ihrer Absicht würden Sie mit Ihrer Interpretation die Anwendung des § 174 StGB in der Praxis eher verhindern als ermöglichen
Sie unterstellen mir eine Interpretation, die ich nie gemacht habe.

Meine Interpretation lautet: Die Eltern vertrauen mit der Anmeldung an der Schule ihr Kind allen pädagogischen Mitarbeitern der Schule pauschal an, also:
Allen Lehrern, nicht nur denen, die ihr Kind regelmäßig unterrichten und ihm Noten geben.
Allen an der Schule tätigen Sozialarbeitern, auch wenn das Kind vielleicht mit einem von ihnen nie tatsächlich zu tun bekommt.
Dort wo es sie noch geben sollte, auch der Schulkrankenschwester.

Jedoch nicht dem Schulhausmeister. Für den gelten die Paragraphen und Altersgrenzen, die auch für Otto Normalverbraucher, für den Schulbusfahrer und für den Verkäufer im Kiosk gegenüber der Schule gelten. Bitte korrigieren Sie mich, wenn Sie das anders sehen.

Eltern unterscheiden jedenfalls nicht in Lehrer, die ohne Strafe mit ihrer 14jährigen Tochter Sex im Putzmittelraum der Schule haben dürfen und solche, die dafür bestraft werden können. Vielleicht wird dadurch endlich deutlich, wie pervers die "Obhutslehre" des BGH ist: Anderenfalls müssten den Eltern bei der Schulanmeldung entsprechende Namenslisten der einen und der anderen Sorte Lehrer vorgelegt werden.

 

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Sehr geehrter Herr Anton B.,

es ist sehr schwierig zu diskutieren, wenn der Diskussionspartner seinen Standpunkt wechselt. In #52 haben Sie wörtlich geschrieben, § 174 solle

davor schützen, durch Personen ausgenutzt zu werden, denen diese Jugendlichen ein besonderes Vertrauen entgegenbringen

Eine solche Interpretation liegt quer zum Gesetzestext und würde es außerdem (entgegen Ihrer Abicht) sogar schwieriger machen, einen Lehrer zu verurteilen.

Nun meinen Sie in #54

Sie unterstellen mir eine Interpretation, die ich nie gemacht habe. Meine Interpretation lautet: Die Eltern vertrauen mit der Anmeldung an der Schule ihr Kind allen pädagogischen Mitarbeitern der Schule pauschal an

Dies ist aber eine ganz andere Interpretation als die in #52. Dort schrieben Sie (s.o.) vom Vertrauen des Jugendlichen in den Lehrer, hier schreiben Sie jetzt vom "Vertrauen der Eltern". Auch dieses Vertrauen der Eltern ist im Gesetz nicht gemeint, und, wenn es jedesmal geprüft werden müsste, würde es ebenfalls die Verurteilung eines Lehrers eher erschweren.

Die jetzige Gesetzesfassung verlangt auch kein "Ausnutzen" eines Über-/Unterordnungsverhältnisses, sondern lediglich das Bestehen eines objektiven "Anvertrautsein". Streitfrage (nach jetzigem Gesetzestext) kann lediglich sein, wann man ein solches Verhältnis annimmt. Da bin ich im Ergebnis ganz nah bei Ihrer strengeren Sichtweise, dass jedem Lehrer einer Schule alle Schüler anvertraut sind und dies im Gesetz klargestellt werden sollte.  Irgendwelche weiteren "Mechanismen" vorauszusetzen, wie Sie andeuten, würde Ihrem Ziel zuwiderlaufen. 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

ich bedauere sehr, dass die ähnlichen Worte "anvertrauen" im Gesetzestext und "Vertrauen" in meinen Kommentaren für Missverständnisse gesorgt haben. Tatsächlich spielt es keine Rolle für die Tatsache des "Anvertrauens", ob die Eltern den Lehrern Vertrauen entgegenbringen.

Nochmals versuche ich, mich unmissverständlich auszudrücken: Es kommt darauf an, wem die Eltern das Kind "zur Ausbildung und Erziehung anvertrauen". Bisher wurde dazu die "Obhutslehre" des BGH mit ihrer Forderung, dass ein Über-Unterordnungsverhältnis bestehen müsse, herangezogen. Diese Obhutslehre ist aufgrund einer entscheidend anderen Fassung des § 174 im Jahr 1963 entwickelt worden, passt nicht mehr zum reformierten § 174 und zur veränderten Realität. Beispielsweise würden m.E. Schulsozialarbeiter mit dieser Interpretation überhaupt nicht in den Personenkreis einbezogen werden, sehr wohl aber mit dem Gesetzestext "zur Ausbildung und Erziehung anvertraut".

Der Gesetzestext braucht überhaupt nicht verändert zu werden, nur seine Interpretation muss der Realität angepasst werden. Oder ist das Rechtssystem gar nicht in der Lage, eine unbrauchbar gewordene Interpretation eines Gesetzestextes aufzugeben?

Mit freundlichen Grüßen
Anton B.

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Ich habe diese Seite erst heute entdeckt, da in einem Artikel zu einem ähnlichen Fall auf dieses Urteil verwiesen wurde. Bis hierhin habe ich alles aufmerksam gelesen - und hoffe, dass Sie meinen Beitrag noch lesen werden und ggfs. vielleicht sogar darauf antworten.

 

Für mich als (interssierten) juristischen Laien mit "Halbwissen" stellt sich ebenso wie Anton B. die Frage, wie es denn sein kann, dass das Gericht das Nicht-Vorliegen von Anhaltspunkten für eine Anwendbarkeit des § 182(3) mal eben so beiläufig in einem Nebensatz - und ohne jede weitere Begründung - feststellt.

 

Wäre der Lehrer direkt wegen eines Verstoßes gegen §182(3) StGB angeklagt gewesen, wäre es doch geradezu skandalös gewesen, wenn das Gericht in der Urteilsverkündung lediglich ohne jede nähere Begründung festgestellt hätte, dass sich eben einfach keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen diesen § ergeben würden - basta und Ende der Diskussion. Das Argument von Anton B. ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass - hätte es sich nicht um einen Lehrer, sondern z.B. um den Hausmeister gehandelt (- hätte die Frage, ob ein Obhutsverhältnis gegeben war, also von Anfang an gar keine Rolle gespielt -) der Frage der Anwendbarkeit des §182(3) StGB doch vermutlich sehr viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre.

 

Für mich riecht es ein wenig danach, als ob im Angesicht der im Vordergrund stehenden Beschuldigung (wegen des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener) die Frage, ob sich der Lehrer vielleicht eines ANDERWEITIGEN sexuellen Missbrauchs strafbar gemacht haben könnte, überhaupt nicht mehr sorgfältig überprüft worden wäre.

 

In allen Pressemeldungen wurde auch unisono darauf hingewiesen, dass einvernehmliche sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und 14-Jährigen grundsätzlich  NUR dann strafbar seien, wenn ein Obhutsverhältnis vorliege - was aber so natürlich nicht stimmt! Da die Medien ja sicherlich nur die Informationen weitergeleitet haben, mit denen sie versorgt worden sind, liegt IMHO der Verdacht nahe, dass die Frage nach §182(3) vom Gericht in sträflicher Weise vernachlässigt worden ist.

 

Ich habe oft gehört, dass es in Deutschland praktisch so gut wie überhaupt keine Verurteilungen mehr nach §182(3) gäbe (es sei denn in extremen Fällen wie etwa Gefügigmachen durch Alkohol), da die Gerichte offenbar grundsätzlich davon auszugehen scheinen, dass fast alle 14-Jährigen heute bereits über die notwendige psychosexuelle Reife verfügen würden. Für mich bleibt es absolut unverständlich, wie ein Gericht einfach ohne nähere Begründung annehmen kann, die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung habe vorgelegen, wenn die Jugendliche das Geschehene (nach Zeitungsberichten) doch nur mit Hilfe von Psychotherapie aufarbeiten konnte. Angeblich wurde bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert - das ist eine psychiatrische Diagnose, die schwere Gewalterfahrungen oder sexuelle Traumatisierungen schon per definitionem als Bedingung voraussetzt (weil sie nach den offiziellen Diagnosekriterien nur bei deren Vorliegen gestellt werden darf). Ebenso setzt die Diagnose eine schwere Traumatisierung mit Wiedererleben z.B. durch Albträume, Panikattacken, Flashbacks, etc. voraus. (Ich studiere Klinische Psychologie und weiß es daher wirklich genau).

 

Wenn nun offenbar schon ein klinischer Psychologe oder Psychiater zu dem Schluss gekommen ist, dass es sich um sexuelle Gewalt (im psychologischen Sinne) gehandelt hat - wie kann dann ein Richter einfach zwischen zwei Gedankenstrichen und ohne jede nähere Begründung feststellen, dass es keinerlei Hinweise auf eine fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung gebe? Wie - wenn nicht durch das Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung - kann denn sonst erklärt werden, dass eine Jugendliche auf eine "einvernehmliche" sexuelle Beziehung mit Symptomen reagiert, die normalerweise nur nach schwerem sexuellen Missbrauch, Vergewaltigungen, etc. auftreten?

 

Gerade im Angesicht der Tatsache, dass sich die Gerichte offenbar in allen Instanzen nur sehr oberflächlich mit der Frage befasst haben, ob vielleicht eine Straftat nach §182(3) StGB vorliegen könnte, bin ich als Laie ziemlich entsetzt darüber, dass gegen dieses Urteil grundsätzlich keine Revision mehr möglich ist.

 

Für ein Feedback zu meinen Überlegungen wäre ich Ihnen sehr dankbar - insbesondere zu der Frage, inwieweit Sie meiner Vermutung, dass die Frage nach §182(3) StGB vernachlässigt worden sein könnte, für plausibel halten. Wäre auch dann keine Revsion mehr möglich, wenn sich im Nachhinein Hinweise auf grobe Verfahrensfehler ergeben würden? Könnte es sich bei der Tatsache, dass der Frage nach der Anwendbarkeit von §182(3) StgB allenfalls sehr oberflächlich nachgegangen worden ist, evtl. um einen solchen Verfahrensfehler handeln (Ihre ganz subjektive Einschätzung)? Oder reicht die bloße Feststellung des Gerichts, dass es hierauf keine Hinweise gegeben habe?

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@ Martin P.

Die Antwort auf Ihre Fragen ist eigentlich ganz einfach:

 

1. Das OLG Koblenz hatte als Revisionsgericht das angefochtene Urteil lediglich auf Rechtsfehler zu untersuchen. Eine Tatsachenverhandlung findet vor dem Revisionsgericht nicht statt. Enthält das erstinstanzliche Urteil keine positiven Feststellungen, die eine Strafbarkeit nach § 182 Abs. 3 StGB nahe legen, dann hat sich auch das Revisionsgericht nicht mehr mit dieser Frage auseinanderzusetzen. (Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Ausführungen im ersten Urteil nahe legen, dass das Gericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, überhaupt oder umfassend genug Feststellungen hierzu zu treffen.)

 

2. Mir liegen keine Fallstatistiken zu § 182 Abs. 3 StGB vor, aber wenn man in die Kommentare mal so reinschaut, dann scheint es reichlich Rechtsprechung zu geben, die auch bei recht minimalem  "Ausnutzen" schon eine Strafbarkeit annimmt.

 

3. Sie sollten mal in § 182 Abs. 3 StGB reinschauen. Erforderlich ist nicht nur fehlende Einsichtsfähigkeit, sondern das Ausnutzen derselben durch den Täter. Da im Strafrecht Vorsatz erforderlich ist, setzt eine Verurteilung den Nachweis voraus, dass der Täter (a) eine tatsächlich bestehende fehlende Einsichtsfähigkeit erkannt oder zumindest für möglich gehalten hat und (b) diese BEWUSST ausgenutzt hat. -- Insofern ist es auch letztlich unerheblich, ob das Opfer rückblickend betrachtet einsichtsfähig war oder nicht. Es wäre sogar grob falsch, eine Strafbarkeit ausschließlich daraus herzuleiten, dass sexuelle Kontakte stattfanden und das Opfer letztlich deswegen Probleme psychische Probleme erlitt. Das Revisionsgericht würde so etwas sofort aufheben.

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Vielen Dank für Ihre rasche Antwort.

 

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wäre also letztlich die Frage entscheidend, ob sich die vorigen Instanzen bereits mit hinreichender Sorgfalt mit der Frage nach der Anwendbarkeit des §182(3) StVO befasst haben oder nicht.

 

Da Sie zur Diskussion über die Angemessenheit der gegenwärtigen Gesetzeslage aufgefordert hatten, würde mein Beitrag dazu im Vorschlag einer Neuformulierung des §182(3) StGB bestehen. Und zwar in dem Sinne, dass nicht erst das bewusste und absichtliche Ausnutzen einer fehlenden sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit zur Strafbarkeit führen würde, sondern bereits die fahrlässige Inkaufnahme einer psychischen Schädigung des/r Jugendlichen.

 

Wer sich als Erwachsene(r) auf eine sexuelle Beziehung mit einem/r Jugendlichen einlässt, der bewegt sich aus psychologischer Sicht ohnehin schon in einer potenziellen Missbrauchs-Grauzone - alleine schon, was das Machtgefälle und den Vorsprung an sexueller und Lebenserfahrung angeht. (In Einzelfällen kann sogar bei über 16-Jährigen noch eine Missbrauchsdynamik vorliegen - Menschen sind eben Individuen.) Zwar stimme ich absolut darin überein, dass auch aus psychologischer Sicht nicht jede sexuelle Beziehung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren automatisch Missbrauchscharakter haben MUSS - denn nicht überall, wo ein Machtgefälle besteht, muss es auch zwangsläufig ausgenutzt werden. Es gibt durchaus auch Erwachsene, die sich in solchen Beziehungen sehr verantwortungsvoll verhalten (- die würden sich dann aber als Lehrer grundsätzlich von ihren Schülern fernhalten). Insofern ist es eigentlich zu begrüßen, dass der Gesetzgeber mit dem §182(3) StGB eine rechtliche "Grauzone" geschaffen hat, die es ermöglicht, entsprechende Fälle individuell zu beurteilen. Das ist letztlich auch im Interesse der betroffenen Jugendlichen, da eine Traumatisierung auch daraus resultieren kann, dass die Gesellschaft eine sexuelle Beziehung, die für den oder die Jugendliche(n) vielleicht völlig in Ordnung war, kriminalisiert und die Betroffenen zu Opfern stigmatisiert - während ein Mensch, den das vermeintliche Opfer möglicherweise immer noch liebt, zum "Triebtäter" erklärt und sozial geächtet wird.

 

Dennoch finde ich ziemlich skandalös, dass in einem mitteleuropäischen Land ein Freispruch vom sexuellen Missbrauch einer 14-Jährigen durch einen Erwachsenen erfolgen kann, obwohl die Jugendliche nach eigener Aussage massiv unter den Folgen der sexuellen Kontakte leidet, Psychotherapie in Anspruch nimmt und offenbar ähnlich stark traumatisiert ist wie ein Vergewaltigungsopfer (- denn sonst hätte sie die Diagnose einer PTBS nicht erhalten). Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Skandal besteht nicht darin, dass das Gericht so geurteilt hat - der Skandal besteht vielmehr darin, dass die gegenwärtige Gesetzeslage (an die die Gerichte natürlich gebunden sind) dazu führt, dass Gerichte nicht anders KÖNNEN als so zu urteilen. Das ist ein Hinweis darauf, dass unsere Gesetze in ihrer jetzigen Form Jugendlichen keinen hinreichenden Schutz vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch bieten - denn aus psychologischer Sicht handelte es sich im vorliegenden Fall wohl ganz offensichtlich um sexuellen Missbrauch - alleine schon wegen der Traumatisierung des Opfers (in Kombination mit seinem jungen Alter).

 

Wer sich als Erwachsene(r) auf eine sexuelle Beziehung mit einem/r Jugendlichen unter 16 Jahren einlässt, der/die solte sich seiner/ihrer moralischen Verantwortung vollkommen bewusst sein. Mit dieser Verantwortung beziehe ich mich ausdrücklich NICHT auf die subjektiven Moralvorstellungen der Gesellschaft (es geht hier nicht um "Anstand"), sondern auf die Verantwortung für die seelische Gesundheit und die ungestörte psychosexuelle Entwicklung eines heranwachsenden Menschen. Diese Verantwortung, die aus ethischer Sicht ohne Frage besteht, sollte sich dann auch in den entsprechenden Gesetzen niederschlagen. Mit anderen Worten: Eine solche sexuelle Beziehung sollte nur dann legal sein, wenn zum Zeitpunkt ihres Eingehens aus objektiver Sicht praktisch ausgeschlossen werden kann, dass der oder die Jugendliche dies später als sexuellen Missbrauch verarbeiten wird. (Dies ist nämlich keineswegs unvorhersehbar - es wird ganz wesentlich von der Persönlichkeit beider Beteiligten sowie von der Dynamik der Beziehung beeinflusst - z.B. von der Frage, inwieweit ein bestehendes Machtgefälle ausgenutzt wird). Wann immer daran auch nur der geringste Zweifel besteht, sollte der Schutz Jugendlicher vor sexueller Ausbeutung absolute Priorität haben. Wer sich auf eine solche Beziehung einlässt, der sollte auch in der Lage sein zu erkennen, an welchen Punkten die eigene Einschätzung vielleicht auch durch eigene, egoistische Interessen verzerrt sein könnte - auch dafür trägt der Erwachsene die volle Verantwortung. Eine solche Gesetzesänderung hätte also zur Folge, dass Erwachsene nur noch dann sexuelle Beziehungen zu Jugendlichen unter 16 Jahren eingehen dürften, wenn sie sich ABSOLUT sicher wären, dass sie den/die Jugendliche(n) dadurch nicht traumatisieren. Und wenn diese Sicherheit auch OBJEKTIV berechtigt wäre (und nicht nur das Resultat einer notorisch-pseudoliberalen, in Wirklichkeit verantwortungslosen und gleichgültigen Einstellung zum sexuellen Missbrauch Jugendlicher).

 

Wer sich eine solche Einschätzung nicht zutraut, der sollte grundsätzlich die Finger von Jugendlichen lassen - denn er hat sich mit dem Thema vermutlich viel zu wenig befasst, um verantwortungsvoll handeln zu können.

 

Was die Kommentare einiger SchreiberInnen angeht, die meinen, dass die gegenwärtige Gesetzeslage zum Schutz Jugendlicher vor sexuellem Missbrauch völlig ausreichend sei: Das finde ich schon ziemlich zynisch, wenn man bedenkt, dass in diesem Fall keine Strafbarkeit vorlag, obwohl es ein schwer traumatisiertes Opfer (mit posttraumatischer Belastungsstörung) gibt, das auch nach eigener Aussage massiv unter dem Geschehenen leidet. Und einer 14-Jährigen dafür selbst die Verantwortung geben zu wollen, wäre aus meiner Sicht Opferbeschuldigung.

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Andreas schrieb:
Enthält das erstinstanzliche Urteil keine positiven Feststellungen, die eine Strafbarkeit nach § 182 Abs. 3 StGB nahe legen, dann hat sich auch das Revisionsgericht nicht mehr mit dieser Frage auseinanderzusetzen. (Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Ausführungen im ersten Urteil nahe legen, dass das Gericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, überhaupt oder umfassend genug Feststellungen hierzu zu treffen.)
Und?
Hatten das Amtsgericht Neuwied und das Landgericht Koblenz überhaupt und umfassend genug Feststellungen bezüglich § 182 (3) getroffen oder nicht?
Wieso reicht eine einzige Behauptung ohne jede Erläuterung des OLG Koblenz dazu?

Andreas schrieb:
Da im Strafrecht Vorsatz erforderlich ist, setzt eine Verurteilung den Nachweis voraus, dass der Täter (a) eine tatsächlich bestehende fehlende Einsichtsfähigkeit erkannt oder zumindest für möglich gehalten hat und (b) diese BEWUSST ausgenutzt hat.
Und?
Was steht in den Urteilsbegründungen von Amtsgericht Neuwied und Landgericht Koblenz darüber?
War die fehlende Einsichtsfähigkeit der Schülerin für den Lehrer nicht zu erkennen gewesen?
Oder hat er sie nur unbewusst ausgenutzt?

Martin P. schrieb:
Was die Kommentare einiger SchreiberInnen angeht, die meinen, dass die gegenwärtige Gesetzeslage zum Schutz Jugendlicher vor sexuellem Missbrauch völlig ausreichend sei: Das finde ich schon ziemlich zynisch, wenn man bedenkt, dass in diesem Fall keine Strafbarkeit vorlag
Der Paragraph 174 ist eigentlich völlig ausreichend. Das Problem ist: Die Eltern vertrauen ihr Kind allen pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Schule zur Ausbildung und Erziehung an. Die Gerichte sehen das aber nach der "Obhutslehre" nur bei notengebenden Lehrern als gegeben an. Diese Interpretation von "zur Erziehung und Ausbildung anvertraut" muss geändert werden.

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Der Lehrer hat das Disziplinarverfahren dadurch "ausgehebelt", dass er sich "entbeamtet" hat: http://www.rhein-zeitung.de/regionales_artikel,-Nach-Sex-mit-Schuelerin-...

Religion darf er auf Anordnung des Bistums Trier nicht mehr unterrichten: http://www.rhein-zeitung.de/regionales_artikel,-Nach-Sex-mit-Schuelerin-...

Nun ist das Mädchen mit der Klage auf Schmerzensgeld vor dem LG Koblenz gescheitert: http://www.spiegel.de/schulspiegel/lehrer-hatte-sex-mit-schuelerin-und-m...

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) hat eine Initiative angekündigt, um Schüler besser vor Übergriffen durch Lehrer zu schützen. Auf der Frühjahrskonferenz der Justizminister aus Bund und Ländern am Mittwoch und Donnerstag in Wiesbaden will sie einen Vorschlag zur Ergänzung des Strafgesetzbuchs vorlegen. 

 

Aus Merks Sicht ist dies eine „unerträgliche“ Lücke im Paragraf 174, die geschlossen werden müsse. Merk: „Es kann nicht sein, dass der Schutz von Schülerinnen und Schülern vor sexuellem Missbrauch davon abhängt, ob der Lehrer Vertretungslehrer ist oder nicht.”

Merk hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, der die Lücke schließen soll. “Denn das besonders Verwerfliche am Missbrauch von Schutzbefohlenen ist doch nicht allein, dass ein Betreuungsverhältnis besteht, sondern auch, dass jemand eine Machtstellung missbraucht”. Merk hat deshalb einen konkreten Vorschlag zur Ergänzung des Paragrafen 174 vorgelegt, der neben dem Missbrauch erzieherischen Einflusses auf ein besonderes “Über-Unterordnungsverhältnis” abstellt. 

 

http://www.news4teachers.de/2012/06/schuler-sollen-besser-vor-ubergriffen-durch-lehrer-geschutzt-werden/ 

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Die Meldung ist doch uralt ... "Auf der Frühjahrskonferenz der Justizminister aus Bund und Ländern am Mittwoch und Donnerstag"

Bitte nicht wahllos gegoogelte veraltete Meldungen hier abladen, das hier ist keine Müllkippe.

Liebe Diskutierende,

zunächst herzlichen Dank für das Urteil und die Diskussion. Wie Martin P. in #29 bereits angemerkt hat, scheint auch mir bedenklich, dass nur sehr wenig auf § 182 III StGB eingegangen wurde.

Aus Sicht des LG war dies natürlich konsequent, da bereits § 174 I Nr. 1 StGB bejaht wurde. Mit den wenigen tatsächlichen Hinweisen im Urteil des OLG hätte meines erachtens aber eine Rückverweisung mit weiterer Sachaufklärung nahegelegen.

So schreibt das OLG dass, es für § 182 "keinen Anhaltspunkt" gibt, ohne hierauf genauer einzugehen. Naheliegend ist eigentlich nur, dass es keine Anhaltspunkte für eine Zwanglsage nach Abs. 1 gibt. Die Ausnutzung einer möglicherweise fehlenden Selbstbestimmung nach Abs. 3 ist m.M.n. dagegen keinesfalls naheliegend. Was das OLG genau meint wird nicht klar. Es schreibt nur noch, dass "ausgeschlossen werden kann, dass in einer erneuten Hauptverhandlung eine strafrechtlich relevante Schuld des Angeklagten festgestellt werden könnte." Damit ist wohl auch § 182 insgesamt gemeint.

 

Die Rechtsprechung zu den Sexualdelikten ist geprägt von einer restriktiven Interpretation, die immer wieder zu "Lückenschließungen" des Gesetzgebers führte. Etwas mehr Mut würde der Rechtsprechung hier vielleicht gut tun.

Zu § 182 III StGB: 

Folgende Wertungen sollten berücksichtigt werden:

- Nach § 176 geht der Gesetzgeber davon aus, dass 14 Jährige noch keine sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit entwickelt haben, während ab 16 Jahren diese Fähigkeit grundsätzlich vorliegen soll (§ 182). Es ist naheliegend, von einem Reifungsprozess auszugehen, so dass bei 14 jährigen eher noch keine Selbstbestimmungsfähigkeit vorliegt. Eine ähnliche Handhabung wie bei Schuldfähigkeit bei Jugendlichen nach § 3 JGG ist daher angezeigt. Demnach bietet das Alter eine Tendenz aber keine generalisierende Aussage. Kennzeichnen für diese Phase sind Selbstunsicherheit, Neugier und fehlende Integration sexueller Wünsche und Erfahrungen in einer Gesamtpersönlichkeit. Gefahren liegen u.a. dort, wo altersbedingte oder sonstige Abhängigkeitsverhältnisse von Durchsetzungsstärkeren für sexuelle Zwecke genutzt werden (nach Tröndle).

- Bei der Bewertung, ob diese eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit "ausgenutzt" wurde ist zunächst festzustellen, dass der Taterfolg ermöglicht oder erleichtert wurde (Tröndle). Hierbei ist anerkannt, dass auch Initativen des Opfers aus Unreife, Leichtsinn oder Unkenntnis dem nicht entgegenstehen (Tröndle). Berücksichtigt werden sollte meiner Meinung aber auch, dass Unwerturteil, dass durch 174 StGB zum Ausdruck gebracht wird. Die tatsächlichen Umstände waren im vorliegenden Fall offenbar doch so nah an § 174 I Nr.1 StGB, dass das LG die Voraussetzungen als gegeben ansah. Dieses vom Gesetzgeber ausdrücklich normierte Abhängigkeitsverhältnis sollte nach Art eines Regelbeispiels auch bei der Auslegung berücksichtigt werden.

 

Die bisher gewonnene Sachverhaltsaufklärung würde mir nicht genügen. § 182 III erscheint mir aber auf jeden Fall diskussionswürdig.

 

Zu 174 I Nr.1 StGB:

Interessant ist die Aussage innerhalb BGHSt 19, 163:

"Allerdings haben es Ferienstrafsenate des Bundesgerichtshofs in unveröffentlichten Urteilen (vgl. 3 StR 318/52 vom 18. Juli 1952 und 3 StR 159/54 vom 10. August 1954) als zur Begründung eines Obhutsverhältnisses ausreichend erachtet, wenn dem Lehrer durch eine Dienstanweisung oder durch eine andere Anordnung der zuständigen Schulbehörde die Pflicht auferlegt sei, sämtliche Schüler auch außerhalb der Schule im Interesse der Erhaltung der Schulzucht zu überwachen." Zum alten Gesetzestext vgl. http://lexetius.com/StGB/174#2

Diese "alte" Rechtsprechung mag tatsächlich etwas am Ziel vorbeigehen. Macht aber auch deutlich, dass die Begründung eines "Obhutsverhältnisses", wie die im Gesetz genannten Verhältnisse noch heute zusammengefasst genannt werden (vgl. Tröndle), vom Wortlaut gedeckt und damit zulässig wäre. Meines erachtens ist die Rechtsprechung mit der Beurteilung von großen und kleinen Schulen allgemein auf dem richtigen Weg. Zu restrektiv geht sie aber vor, wenn selbst Vertretungslehrer [bitte alles geschlechtsneutral verstehen], die eben gerade doch Erziehungsaufgaben übernehmen (wenn auch nur für kurze Zeit - hier aber sogar immer wieder erneut und planmäßig als Ersatz) und durch Berichterstattung an den Kollegen sicherlich Einfluss auf eine Notenbewertung nehmen können. Selbst wenn dies im Regelfall (wie hier) nicht geschehen mag. Aus Sicht des Schülers stellt sich dies ebenfalls so dar. Warum sonst sollte er an diesem Vertretungsunterricht überhaupt teilnehmen müssen?

Wenn eine restrektion erfolgen soll, dann könnte diese sich darauf beziehen, dass das Obhutsverhältnis nicht bei außerschulische Aktivitäten fortbesteht. Doch auch dies kommt hier nicht in Betracht, da der Angeklagte und X. [sich] insgesamt 5 Mal nach vorheriger Verabredung während der Unterrichtszeit im Putzraum der Schule getroffen [hatten].

 

Im Ergebnis hätte daher § 174 I Nr.1 durchaus bejaht werden können. Für eine Bewertung von § 182 III sind die Feststellungen über die Fähigkeit zur Selbstbestimmung nicht ausreichend.

Beste Grüße Marcus Tröster

 

p.s. Weil danach gefragt wurde: In 2010 erfolgten 7.993 Aburteilungen gem. §§ 174-184f (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung). Allein nach § 182 III erfolgten 19 Aburteilungen (alle männlich).

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/StrafverfolgungVollzug/Strafverfolgung2100300107004.pdf?__blob=publicationFile

Marcus.Tröster schrieb:
So schreibt das OLG dass, es für § 182 "keinen Anhaltspunkt" gibt, ohne hierauf genauer einzugehen. Naheliegend ist eigentlich nur, dass es keine Anhaltspunkte für eine Zwanglsage nach Abs. 1 gibt. Die Ausnutzung einer möglicherweise fehlenden Selbstbestimmung nach Abs. 3 ist m.M.n. dagegen keinesfalls naheliegend. Was das OLG genau meint wird nicht klar. Es schreibt nur noch, dass "ausgeschlossen werden kann, dass in einer erneuten Hauptverhandlung eine strafrechtlich relevante Schuld des Angeklagten festgestellt werden könnte."
Dann spricht doch alles dafür, dass die Akten und die Feststellungen der Vorinstanz das Verhalten der Beteiligten so umfassend dargestellt haben, dass das OLG zu diesen eindeutigen Aussagen kommen konnte.

Enttäuschte Liebe ist keine fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (außer man fasst generell Verliebtsein als solche auf, aber dann ist bald jeder sexuelle Kontakt strafbar) und mit 14 beginnt nun mal die Beweislast dafür. Dass das jemand, der im 21. Jahrhundert ernsthaft mit Formulierungen wie "Schulzucht" aus den 1950er Jahren argumentiert, das nicht einsehen will, ist allerdings verständlich. 

Und wenn man dazu noch mit abenteuerlichen, völlig praxisfremden Konstruktionen wie "Vertretungslehrer nehmen Einfluss auf die Noten" (die Behauptung, Schüler nähmen das so wahr, entbehrt jeder Grundlage und ist reines Wunschdenken - es geht alleine darum, dass die Schule ihre Aufsichtspflicht wahrnimmt, was Ihre weltfremde Frage nach dem Grund für die Teilnahmepflicht am Vertretungs"unterricht" beantwortet) oder "Obhutsverhältnis durch das Treffen in Räumen der Schule" hantiert, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Gesinnungsjustiz eingeführt werden soll.

Übrigens haben die BGH-Senate in den Urteilen, auf die sich die hypothetische Dienstanweisung zur "Erhaltung der Schulzucht" bezieht, eine Obhutspflicht der in den Vorinstanzen verurteilten Lehrer sämtlich abgelehnt:

https://www.jurion.de/de/search/do/5/10?q=Erhaltungsinteresse#!doc:0:3326254/action:preview

https://www.jurion.de/de/search/do/5/10?q=Erhaltungsinteresse#!doc:0:3319002/action:preview

https://www.jurion.de/de/search/do/5/10?q=Erhaltungsinteresse#!doc:0:3318587,0/action:preview

Auch damals schon wussten die Richter zu differenzieren und es ist richtig, dass 60 Jahre später auch ein OLG die Umstände des Einzelfalls würdigt. Das ist nämlich entscheidend und nicht die Anzahl der Aburteilungen.

 

 

 

Mein Name schrieb:

Dann spricht doch alles dafür, dass die Akten und die Feststellungen der Vorinstanz das Verhalten der Beteiligten so umfassend dargestellt haben, dass das OLG zu diesen eindeutigen Aussagen kommen konnte.

Bei Urteilen im Namen des Volkes muss es möglich sein, dass die tragenden Erwägungen aus den Urteilsgründen ersichtlich sind.

 

Mein Name schrieb:

Und wenn man dazu noch mit abenteuerlichen, völlig praxisfremden Konstruktionen wie "Vertretungslehrer nehmen Einfluss auf die Noten" 

Gut, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann. Wer die Internetsuche bemüht, wird erkennen, dass diese Frage nicht "völlig praxisfern" ist.

Mein Name schrieb:

Übrigens haben die BGH-Senate in den Urteilen, auf die sich die hypothetische Dienstanweisung zur "Erhaltung der Schulzucht" bezieht, eine Obhutspflicht der in den Vorinstanzen verurteilten Lehrer sämtlich abgelehnt:

https://www.jurion.de/de/search/do/5/10?q=Erhaltungsinteresse#!doc:0:3326254/action:preview

 

Das ist falsch. Das Urteil wurde offenbar genauso gelesen wie mein Post.

Bei einem Tatgeschehen wird das Obhutsverhältnis angenommen:

"[...]weil er noch in ihrer Klasse unterrichtet habe. Daraus kann entnommen werden, dass die N. ihm damals zur Ausbildung und Aufsicht anvertraut war."

Bei einem anderen Tatgeschehen:

"In diesen Fällen ist es in der Regel so, dass sich Lehrer und Schüler gegenseitig kennen. Schon dadurch wird beiden Gruppen von Schulangehörigen das Verhältnis der Über- bzw. Unterordnung bewusst."

Da die tatsächlichen Feststellungen hierzu nicht ausreichend waren, wurde die Sache zurückverwiesen.[/quote]

Mein Name schrieb:

Das ist nämlich entscheidend und nicht die Anzahl der Aburteilungen.

Das sagt ja auch keiner. Es wurde nach der Häufigkeit der Aburteilungen nach § 182 III gefragt, was beantwortet wurde.

...und noch etwas ganz nebenbei: Der Beklagte in dem geschilderten Fall ist (/war?) Lehrer für katholische Religion. Wie war das mit dem "Wasser predigen..."?

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Verzeihen sie, wenn ich mich als juristischer Laie in die Diskussion einbringe.

 

Wir müssten erst klären, welcher Anspruch an die Schule gestellt wird, und wohin die Tendenz in unserer Zeit geht.

War und ist es eine Anstalt reiner Wissensvermittlung und der Bewertung des Kurzzeitgedächtnisses?

Darf ein Schüler sein wie er möchte, wenn er nur ein Maß an Leistungen erbringt?

Fordern wir von den Kindern, sich als egozentrische Einzelne ohne Bezug zu ihren Mitschülern zu verstehen?

 

Wenn meine Fragen durchgehend mit Ja beantwortet werden können, man also sagt, man wolle nur einen Ort für die messbare kognitive Leistung sehen, dann könnte es unter Umständen intellektuell nachvollziehbar sein, dass das im Schulkontext gelebte Sexualverhalten eines Lehrers als ein Individualereignis ohne Wirkung auf die Atmosphäre innerhalb des Lehrkörpers (   ; ) was für ein Satz!), des generellen Verhältnisses der Lehrer zu den Schülern und umgekehrt, und der Schüler untereinander, angesehen werden will.

Im Heute wird der Schule aber ständig mehr an ehemals elterlichen Aufgaben, wie sozialer Grunderziehung, Sprachgrundvermittlung, und sogar Sorge um Kleidung und Nahrung aufgelastet, die Wissensvermittlung tritt leider oft in den Hintergrund. Dadurch gerät das Kind oder der Jugendliche in noch größere Abhängigkeit. Es braucht schon grundsätzlich absolute Sicherheit vor Übergriffen durch die in der Klasse Lehrenden, noch mehr, wenn diese, und sei es auch nur an einem Mitschüler, beinahe Elternaufgaben übernehmen.

Wie es nicht sein darf, dass den Eltern Gleiche, istgleich Verwandte, sich an Heranwachsenden vergreifen, darf es nicht sein, dass die den Elterngleichen Gleichen, sich den Anvertrauten sexuell nähern.

Wenn Schule den Kindern als Lern- und Sozialraum vermittelt wird, von Ihnen Wissenserwerb und sozialverträgliches Verhalten gefordert wird, steht jeder Schüler auch im Blickfeld der nicht direkt in der Klasse Lehrenden, sei es in der Pausenaufsicht oder bei Förder- oder Supplierstunden, ja sogar nur durch deren Teilnahme an den Gesprächen im Lehrerzimmer und der Konferenz, und kann von diesen zurechtgewiesen, belehrt, oder (mit-)bewertet werden.

Ein Austritt aus dem grundsätzlichen Abhängigkeitsverhältnis ist einem Schüler während der Schulzeit nicht möglich. Zu keinem Zeitpunkt.

Jede sexuelle Handlung mit einem/einer Lehrer/in der Schule, findet in dem Kontext statt.

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