Verhältnis zwischen 32jährigem Lehrer und 14jähriger Schülerin - OLG Koblenz spricht den Lehrer frei

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.01.2012

 

Nicht nur in Rheinland-Pfalz hat ein freisprechendes Revisionsurteil des OLG Koblenz Aufsehen erregt. Ausführlich berichtet die Rheinzeitung - hier.

Zitat:

22-mal war es zu sexuellen Handlungen zwischen Lena W., der damals 14 Jahre alten Schülerin, und Dirk S., dem Klassenlehrer ihrer Parallelklasse, gekommen. Erst nach langem Leugnen hatte Dirk S., Lehrer für katholische Religion, Mathematik und Englisch, die Taten eingeräumt. Das Neuwieder Amtsgericht hatte ihn im Januar vergangenen Jahres zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Was für die Rheinzeitung, die Eltern der Schülerin und die Schulleitung eindeutig Straftat ist, ist dies für das OLG nicht. Da in Deutschland eine (begrenzte) Sexualreife schon für Jugendliche ab 14 Jahre gilt, kommt es im Fall einvernehmlichen Sexualverkehrs allein auf das Merkmal "zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung  anvertraut" des § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) an.

Die Rechtsprechung des BGH hat hier seit den frühen 60er Jahren  (BGH 2 StR 357/63, BGHSt 19, 163 = NJW 1964, 411) eine differenzierende Sicht eingenommen. Ob ein Schüler dem Lehrer anvertraut sei, also ein Obhutsverhältnis nach § 174 Nr.1 StGB  bestehe, und welchen Umfang dieses habe, hänge von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall ab. In dem damaligen Fall ging es um eine Berufsschülerin und einen Lehrer derselben Schule, der aber nicht mehr in ihrer Klasse unterrichtete. In nachfolgenden Entscheidungen (insbes. BGH NStZ 2003, 661 und BGH NStZ-RR 2008, 307) ging es hingegen um Tennis- bzw. Fußballtrainer. Ein Obhutsverhältnis wurde jeweils verneint.

Das OLG Koblenz hat nun ebenfalls ein Obhutsverhältnis verneint. Der Lehrer habe nur wenige Male in der  Klasse vertreten, ihm sei daher die Schülerin nicht anvertraut gewesen, als er mit ihr sexuell verkehrte.

Anders könnte man es sehen, wenn man der Argumentation des Schulleiters folgt, nach dem in kleineren Schulen (die betr. Schule hat 500 Schüler) für jeden Lehrer eine Aufsichts- und Obhutspflicht gegenüber jedem Schüler besteht. Diese Argumentation findet auch durchaus eine Grundlage in der schon oben zitierten BGH-Entscheidung von 1963 (BGHSt 19, 163, 166):

"In einer kleinen Schule, wo sich alle Lehrer und Schüler gegenseitig kennen und im täglichen Umgang der Über- und Unterordnung bewusst werden, mögen schon angesichts dieser Gestaltung alle Schüler allen Lehrern zur Erziehung und Aufsicht anvertraut sein (...) In einer großstädtischen Berufsschule kann es anders sein (...) ist die Zahl der Schüler nicht selten so hoch (...) dass sich Lehrer und Schüler völlig fremd bleiben. Deshalb kann unter solchen Bedingungen ein Obhutsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern durch die Tatsache ihrer bloßen Zugehörigkeit zu derselben Schule nicht begründet werden."

Zwar bleibt  fraglich, ob eine Schule mit 500 Schülern noch "klein" genug ist für eine generelle Obhutsbeziehung zwischen Lehrern und Schülern, jedoch herrschten an der betreffenden Schule ersichtlich nicht die Verhältnisse, die nach der älteren BGH-Entscheidung zum Ausschluss eines Obhutsverhältnisses führen würden. 

In der Diskussion klingt natürlich auch eine generelle  Sorge insbesondere von Eltern an, ob nicht die Altersgrenze 14 Jahre zu niedrig angesetzt ist, und ob nicht generell eine sexuelle Beziehung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen strafrechtlich erfasst werden sollte.

Was meinen die Blog-Leser dazu?

 

Update (1817.09.2014): Im heute  veröffentlichten Gesetzentwurf ist § 174 Abs. 2 StGB nun so formuliert, dass jeder Lehrer an einer Einrichtung sich bei einem sexuellen Verhältnis zu einem minderjährigen Schüler dieser Einrichtung strafbar machen würde. 

 

 

 

 

 

 

 

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74 Kommentare

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Ich würde zunächst einmal gerne den OLG-Beschluß lesen und mich nicht auf die Berichterstattung einer Zeitung verlangen. War es wirklich ein Freispruch, hat das OLG also "durchentschieden" oder die Sache wegen unzureichender Feststellungen lediglich zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen?

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Sehr geehrter Gerd,

danke für Ihren Hinweis. Man muss manchmal schon vorsichtig sein. Die Rheinzeitung ist aber nicht meine einzige Quelle. Ich habe zwar bislang keine vollständige Version der Entscheidung gefunden, doch finden sich Zitate  auf der Seite des NDR (Panorama). (Angebliches) wörtliches Zitat aus der Entscheidungsbegründung:

"Vertrauenslehrer war der Angeklagte während des Tatzeitraums auch nicht. Aus den Akten ergibt sich zudem, dass an der Regionalen Schule in (…) im Schuljahr 2006/2007 ca. 500 Schülerinnen und Schüler von einem aus 34 Personen bestehenden Lehrkörper unterrichtet wurden, sodass es schon aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, dass jede(r) Jugendliche, die/der diese Schule besuchte, dem Angeklagten zur Erziehung anvertraut war." Auch der Umstand, dass es unter anderem während der Unterrichtszeit im Klassenzimmer und Putzmittelraum zu sexuellen Handlungen gekommen sei, würde "… kein (temporäres oder dauerhaftes) Obhutsverhältnis begründen, das die Anwendung des § 174 Abs. 1 StGB eröffnet."

(Angebliches) wörtliches Zitat eines OLG-Sprechers:

"In der Entscheidung steht ausdrücklich, dass der Täterkreis nicht auf Klassen- und Fachlehrer beschränkt sein muss. Es wurde auch keine Entscheidung dahingehend getroffen, dass Vertretungslehrer von vorn herein ausscheiden. Allerdings reichen die hier festgestellten Umstände (nur zweimal Vertretung in Laufe eines Schuljahres und Tanzunterricht außerhalb des Unterrichtsangebots) eben gerade nicht für das nach dem Gesetz und der Rechtsprechung des BGH geforderte Dauerobhutsverhältnis."

Es handelt sich wohl um einen rechtskräftigen Freispruch, keine Zurückverweisung, so jedenfalls berichten auch alle weiteren Publikationen über diesen Fall (Spiegel, Focus, SZ etc.). Es müsste schon eine kollektive Fehlleistung vieler Journalisten sein, wenn dies überall falsch stünde.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

Ohne den Wortlaut des Urteils zu kennen, halte ich als ehemaliger Schulleiter diesen Freispruch für eine Katastrophe, die eine noch schlimmere Entwicklung begünstigt. Lehrer haben nicht nur eine Vorbildfunktion, sondern auch die Verantwortung, sexuelle Übergriffe auf Schülerinnen und Schüler zu ahnden, zu verhindern und anzuzeigen.

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Nazih Musharbash schrieb:
Lehrer haben nicht nur eine Vorbildfunktion, sondern auch die Verantwortung, sexuelle Übergriffe auf Schülerinnen und Schüler zu ahnden, zu verhindern und anzuzeigen.
Da stimme ich Ihnen völlig zu - nur war es in diesem Fall laut den übereinstimmenden Berichten eben kein "Übergriff", also keine Handlung gegen den Willen der Schülerin, sondern geschah einvernehmlich. Das ist etwas völlig anderes.

Erst einmal: Quantitativ spielen diese Fälle kaum eine Rolle (zumindest in der heterosexuellen Welt --es gibt ja bekanntlich auch schwule Jugendliche, die vor ganz eigenen Problemen stehen, die gesellschaftlich kaum bekannt sind und die kaum Interesse an einer Beschreibung finden). Sex zwischen Schülern und Lehrern wird es in einer Nation von 80 Mio in einer kleinen Zahlen wohl immer geben.

Die Beantwortung der Frage hängt wohl davon ab, welche Rolle man dem Strafrecht zusprechen möchte. Soll es elterliche Erziehung ersetzen? Sollen nach wie vor das (entfernte) Ideal eines Strafrechts, das nicht Moral- und Sittenstrafrecht, sondern ein Strafrecht des Rechtsgüterschutzes sein möchte, gelten? Soll das Recht auf "sexuelle Selbstbestimmung" auch junger Menschen respektiert werden (das ohnehin in einem Spannungsfeld zum Beschützer-Instinkt der Eltern steht)?

Bei der Diskussion übers Sexualstrafrecht muss man Fallen vermeiden, die erste ist die (erkenntnistheoretische), zu glauben, man eine persönliche Objektivität sei möglich (ohne sich jahrelang mit dieser Frage beschäftigt zu haben); die zweite ist die Ausblendung der Entwicklung des Sexualstrafrechts über die letzten 30 Jahre (nur eine Tendenz: Verschärfung). Und vielleicht die dritte ist, sich der eigenen sexualwissenschaftlichen Inkompetenz (außer eben man hat sich lange genug oder professionell mit der kindlichen und jugendlichen Sexualentwicklung beschäftigt) bewusst zu bleiben. Natürlich vorausgesetzt, man möchte wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt in seinen Erwägungen eine Bedeutung zumessen.

Hier wäre es jetzt angebracht, die undefinierte Nominalisierung der "ungestörten sexuellen Entwicklung", auf die die Norm abzielt, zu dekonstruieren, wofür aber kein Platz ist.

Ich halte das Schutzniveau für die die 14 bis 18jährigen für völlig ausreichend. Der Gesetzgeber hat bei den 14 bis 16jährigen die "Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung" zum Maßstab erklärt, und geht davon aus, dass die ab 16 die Fähigkeit dafür uneingeschränkt selbst ausüben können. Der ältere Partner geht ohnehin ein Risiko ein --sei es soziale Ächtung oder restliche rechtliche Risiken: bei dem Verdacht, die sexuelle Unerfahrenheit ausgenutzt zu haben, kann ja (mit Antrag) sofort ermittelt werden. Der ältere Partner steht damit quasi (theoretisch) ständig mit einem Fuß in einem Ermittlungsverfahren.

Würde man die "sexuelle Selbstbestimmung" als Maßstab aufgeben, dann würde man Teile der Bevölkerung einfach weiter kriminalisieren, ohne dass Rechtsgüter beeinträchtigt werden.

Sexualstrafrecht ist das Rechtsgebiet, das, finde ich, von der größten gesetzgeberischen Willkür geprägt ist. Dazu muss man sich nur die Schutzaltersgrenzen in Europa und die historische Entwicklung ansehen.  Es gibt durchaus auch Argumente, für eine Absenkung bei freiwilligen sexuellen Handlungen auf 13 Jahre zu plädieren (dazu muss man sich nur die körperliche Entwicklung junger Menschen und den Beginn der Pubertät in den letzten 30 Jahren ansehen).

Um es von einer Minderheiten-Perspektive zu sehen: Diejenigen jungen Menschen, die als Jugendliche (auch sexuelle) Beziehungen zu Erwachsenen pflegen, weil sie das wollen, sind ihrerseits einer Stigmatisierung ausgetzt und können kaum auf Toleranz ihrer Umgebung hoffen.

Ich sage dies nochmal ausdrücklich mit Verweis auf schwule Jugendliche, die, ohne dass ich empirische Belege dafür habe, nach meiner Wahrnehmung viel häufiger sexuelle Beziehungen zu jungen Erwachsenen haben als ihre Hetero-Peers. Möchte man diese quantitative Minderheit durch die Strafandrohung gegen den erwachsenen Partner (die ihrerseits auch die Minderheit darstellen) weiter ins Abseits stellen?

Also: Sexual-Erziehung muss stattfinden, auch für die Eltern. Aufgeklärte Eltern, die selbst mit Besonnenheit und emotionaler Kompetenz auf die sexuelle Aktivität ihrer Kinder reagieren, sind für die jungen Menschen viel hilfreicher --dann müssen auch solche Jugend-"sünden", wenn man sie im nachhinein so qualifizieren will, das bleiben, was sie sind: Erfahrungen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Und dass es (zahlenmäßig wenige) Erwachsene "Verführer" gibt, damit kann die Gesellschaft mE. wohl durchaus leben lernen. (Und ja, als Lehrer sollte man sowas lassen).

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Nachtrag: Auch die rechtliche Tatsache, dass 16jährige bereits heiraten dürfen (auch über 18jährige) müsste wohl bei einer Schutzaltersgrenze "18" neu bewertet werden ;-)

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Sehr geehrter Herr Musharbash,

der Freispruch bedeutet nicht, dass sexuelle Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern allgemein erlaubt sind, sondern bezieht sich nur auf diesen Fall, in dem der Lehrer nicht DER Lehrer dieser Schülerin war, sondern nur EIN Lehrer dieser Schule. Ob die Unterscheidung sinnvoll ist, kann man durchaus bezweifeln, aber eine "Katastrophe" wäre es nur, wenn sich nunmehr alle Lehrer sicher sein könnten, wegen solcher Verhältnisse nicht verfolgt zu werden. Und diese Sicherheit gibt ihnen der Freispruch sicherlich nicht.

Außerdem: Disziplinarrechtlich dürfte der Lehrer durchaus zur Verantwortung gezogen werden, auch wenn § 174 StGB nicht erfüllt ist.

 

Sehr geehrter Gast 13.01.,

ich stimme Ihnen weitgehend zu. Die Freiheit zu einvernehmlichen Sexualkontakten ab 14 und damit dei grds. "Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung" ist ein fortschrittlicher und richtiger Kern der strafrechtlichen Regelung. Darin eingeschlossen ist auch die Straffreiheit bei Altersstufen-Unterschieden, d.h. es wird - was tatsächlich ja auch nicht selten problematisch ist - einvernehmlicher Sexualkontakt zwischen Erwachsenen und Jugendlichen (wenn auch nicht durchgehend moralisch, so doch) strafrechtlich akzeptiert.

Das Thema dieser Entscheidung ist aber eine andere Grenzziehung, nämlich diejenige zwischen Schülern und Lehrern. Sie schreiben selbst, als Lehrer "sollte man sowas lassen" - dafür gibt es wohl breiten Konsens. Sie äußern sich aber nicht dazu, ob ein Verstoß generell strafrechtlich erfasst werden sollte oder nicht.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

Bezüglich der Altersgrenzen kann ich Gast-13.01 eigentlich nur beipflichten. Natürlich ist dieses Beispiel erschreckend. Aber die Crux mit Gesetzen ist ja nun einmal, dass sie für alle erdenklichen Fallkonstellationen greifen sollten. Aber ist eine Beziehung zwischen einem 18-Jährigen und einer 14-Jährigen wirklich so weltfremd? ( Denn da gelten ja die gleichen Maßstäbe. )

Allerdings finde ich, dass man das Obhutsverhältnis wesentlich eher annehmen sollte. Denn, auch wenn ich für sexuelle Selbstbestimmung ab 14 bin, so muss doch in diesem Fall völlig eindeutig sein, dass es auch wirklich selbstbestimmt ist. Zweifel aller Art sollten zu Lasten des Obhutspflichtigen gehen.

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angesichts dieser Passage aus dem Panorama-Artikel

"Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsse dem Angeklagten für ein solches "Obhutsverhältnis" das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung der Schülerin und damit deren geistlich-sittliche Entwicklung im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses im Sinne einer Über- und Unterordnung zu überwachen und zu leiten (BGH, Entscheidung vom 10.06.2008). Ein Lehrer müsse danach für die Überwachung der Lebensführung der Schülerin und ihre körperliche, psychische und moralische Entwicklung verantwortlich sein, was entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten über einen gewissen Zeitraum voraussetze."

ist der Freispruch keineswegs so "überraschend", wie es viele Journalisten geschrieben haben.

Nun muss sich die Schulverwaltung eben mit einem Disziplinarverfahren herumschlagen und analysieren, wo denn möglicherweise eigene Versäumnisse waren und kann die Entfernung aus dem Dienst oder andere Maßnahmen nicht bequem über das Strafrecht "outsourcen" - möglichweise auch ein Grund für die heftigen Reaktionen.

Hier kann man wohl analog Lepsius zu Guttenberg zitieren: "Nicht alles, was unanständig ist, ist auch strafbar".

So wie die Anbahnung des Verhältnisses in den Medien geschildert worden ist, sehe ich deutliche Unterschiede z.B. zu Karel Fajfr, der tatsächlich zu 2 Jahren auf Bewährung verurteilt worden ist.

Der vorletzte Absatz macht mich stutzig:

"Zwar bleibt fraglich, ob eine Schule mit 500 Schülern noch "klein" genug ist für eine generelle Obhutsbeziehung zwischen Lehrern und Schülern, jedoch herrschten an der betreffenden Schule ersichtlich nicht die Verhältnisse, die nach der älteren BGH-Entscheidung zum Ausschluss eines Obhutsverhältnisses führen würden."

Müsste es nicht vielmehr heißen "[...] nicht die Verhältnisse, die nach der älteren BGH-Entscheidung zur Annahme eines Obhutsverhältnisses führen würden"? Oder habe ich den Satz falsch verstanden?

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Der Satz stimmt schon so wie er dasteht - und soll den Zweifel zum Ausdruck bringen, ob bei einer Schule mit 500 Schülern ein Obhutsverhältnis bei Vertretungslehrern mit Berufung auf die ältere BGH-Entscheidung (generell) ausgeschlossen werden kann.

Ich halte dagegen das Urteil für lebensnah: kein Schüler sieht in einem zweimaligen Vertretungslehrer und Tanzstundenbetreuer (freiwillige Freizeitaktivität!) einen "eigentlichen" Lehrer im Sinne einer Rolle, die das eigene Leben bestimmt (Disziplinarisches, Noten etc.).

Auch die Eltern müssen sich die unbequeme Frage stellen, warum ihre 14-jährige Tochter den Kontakt nach der Frage nach  "anderen" Bildern nicht abbrach. Es ist natürlich leichter, alles auf den "bösen Mann" zu schieben als sich  mit einem eventuellen Erziehungsversagen auseinandersetzen zu müssen... 

Interessant auch, dass das Verfahren genau aus den Günden, die das OLG nun in seiner Entscheidung genannt hat, zuallererst eingestellt worden ist:

http://www.carechild.de/news/urteile/verbotene_liebe_gesetz_schuetzt_schueler_nur_vor_fach__und_klassenlehrern_630_193.html

"... entschied die zuständige Staatsanwältin, das Verfahren einzustellen. Sie begründete ihre Einstellung damit, dass kein "Obhutsverhältnis" bestanden habe, da der Lehrer kein Klassenlehrer oder Fachlehrer dieser Schülerin gewesen sei. Lediglich wegen der Verbreitung pornographischer Schriften musste der Lehrer eine Geldauflage zahlen. ...

Nur durch einen Kraftakt und öffentlichen Druck (Beitrag im TV Magazin Panorama/ARD und der Rhein-Zeitung Koblenz) gelang es unserer Initiative einige Politiker, unter anderem den Justizminister von Rheinland-Pfalz, davon zu überzeugen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Das führte schließlich dazu, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz auf Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufnahm.  Nach Anklage und der Verurteilung des Lehrers vor dem Amtsgericht Neuwied, wurde die Berufung des Lehrers vor dem Landgericht Koblenz (27.6.2011) verworfen, das Urteil somit bestätigt. ...  legte gegen das Urteil vor dem Oberlandesgericht Koblenz Revision ein, mit der er jetzt Erfolg hatte ..."

Viel wichtiger finde ich daher die Frage: sind die Neuwieder/Koblenzer unteren Instanzen also durch  politischen und medialen Druck beeinflussbar?

Ich denke, dass 500 Schüler zu viele für ein Obhutsverhältnis bei einem Vertretungslehrer sind. Meine Schule hatte auch etwa 500 Schüler, von den Lehrern kannte ich gut ein Drittel quasi gar nicht und das vom heutigen Standpunkt, also nach Durchlaufen der gesamten Schullaufbahn bis zum Abitur.

Man sollte sich vor der Beurteilung klar machen, dass es hier nicht um eine Vergewaltigung geht, sondern um einvernehmliche Kontakte einer Jugendlichen mit einem Erwachsenen. Das ist grundsätzlich gestattet. Eine Strafwürdigkeit ergibt sich daraus nur, wenn ein besonderes Verhältnis, Geldwerte oder ähnliches im Spiel ist. Das OLG hat mE, soweit man das aus den Berichten entnehmen kann, zutreffend dargestellt, dass hier kein Obhutsverhältnis vorlag. Von daher richtige Entscheidung.

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@ gat 2012: Ist das neuste, was ich höre. Tatsächlich? Gesetzesrelevanten Bezug? Lass mich gerne eines Bewsseren belehren.

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Interessant finde ich auch die Frage: Geht es darum, 14-Jährige prinzipiell vor sexuellen Handlungen zu schützen, oder geht es darum, dass ein Lehrer sein Vertrauensverhältnis ausnützen könnte, um sie zu etwas zu bewegen, dass sie ja so eigentlich gar nicht will. Und wer entscheidet, was sie eigentlcih will? Klar, sicher, incipe principies, aber ist das nicht ein wenig blauäugig? Letztlich stellt sich diese Frage doch immer, wenn man alte Säcke mit jungen Frauen sieht. Und letztlich hat es doch immer etwas von einem Vertrauens- oder Obhuts-Verhältnis, wenn sich ein 32-Jähriger Mann einem 14-Jährigen Mädel nährt. Die Frage ist: Was will man unter Strafe stellen?

P. S.: Natürlich spiel ich hier abvokatus diaboli.

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justus jonas schrieb:
 Geht es darum, 14-Jährige prinzipiell vor sexuellen Handlungen zu schützen, oder geht es darum, dass ein Lehrer sein Vertrauensverhältnis ausnützen könnte, um sie zu etwas zu bewegen, dass sie ja so eigentlich gar nicht will.

Eindeutig das zweite - und es ist dann auch strafbar, wenn beide es wollen, sofern das zitierte Obhutsverhältnis gegeben ist. S.o. #6:

 

Henning Ernst Müller schrieb:
 Die Freiheit zu einvernehmlichen Sexualkontakten ab 14 und damit dei grds. "Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung" ist ein fortschrittlicher und richtiger Kern der strafrechtlichen Regelung. Darin eingeschlossen ist auch die Straffreiheit bei Altersstufen-Unterschieden, d.h. es wird - was tatsächlich ja auch nicht selten problematisch ist - einvernehmlicher Sexualkontakt zwischen Erwachsenen und Jugendlichen (wenn auch nicht durchgehend moralisch, so doch) strafrechtlich akzeptiert.

justus jonas schrieb:
Natürlich spiel ich hier abvokatus diaboli
Oder eher den Lesefaulen ...? ;-)

@ Mein Name: Wieso denn den Lesefaulen? Die Frage ist doch eher, wann ist der Sex denn einvernehmlich? Oder wann muß man ( trotz vermeintlicher ) Einvernehmlichkeit davon ausgehen, dass sie ( die 14-Jährige, sexuell selbstbestimmte ) das dann doch nicht so einvernehmlich gemacht hat. ( Alles weiter ist ja strafrechtlich geregelt. Aber mich würde immer noch interessieren: 21 Jahre? Gesetzestextlicher Nachweis?)

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@ justus jonas: noch einmal - der hier zur Diskussion stehende §174 soll vor Ausnutzung des Obhutsverhältnisses schützen, auch wenn die sexuellen Handlungen einvernehmlich sind (wie in diesem Fall). Ansonsten würde § 177 greifen (sexuelle Nötigung/Vergewaltigung).

 

justus jonas schrieb:
 letztlich hat es doch immer etwas von einem Vertrauens- oder Obhuts-Verhältnis, wenn sich ein 32-Jähriger Mann einem 14-Jährigen Mädel nähert.
Wenn das 14-jährige Mädel solch ein selbstgewähltes "Obhuts"verhältnis aber will und mit den "grünen Jungs" unter 30 nix anfangen kann oder will? Dann sagt das Strafrecht eben: ist erlaubt, die sexuelle Selbstbestimmung beginnt mit 14 Jahren  - und nur wenn ein "offizielles" Obhutsverhältnis besteht, dann ist es verboten.

Habe immer noch keinen Erkenntnisgewinn. Meine Frage war doch, was bestimmt das "offizielle" Obhutsverhältnis.  Und weder bei § 174, noch bei "§ 177  kann ich rigendwas von 21 Jahren lesen.

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justus jonas schrieb:
 Meine Frage war doch, was bestimmt das "offizielle" Obhutsverhältnis.  
nicht nur, sondern auch

justus jonas schrieb:
 die Frage: Geht es darum, 14-Jährige prinzipiell vor sexuellen Handlungen zu schützen, oder geht es darum, dass ein Lehrer sein Vertrauensverhältnis ausnützen könnte
Die habe ich beantwortet. Aber auch die Antwort auf die Frage nach dem Obhutsverhältnis erhalten Sie durch einfaches Nachlesen unter #9 ...

Ja schön, dass ist die Meinung des BGH. Aber hier geht es doch um die juristische Diskussion. Was ist denn Ihre Meinung? Und ich weiß immer noch nicht, woher diese 21 Jahre kommen. Da Sie doch ach so weltklug scheinen, könnten sie doch ein wenig Licht in mein Dunkel bringen.

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@justus jonas; @Mein Name: 
Einvernehmlicher Sexualverkehr ist zwar grds. ab 14 nicht strafrechtlich relevant, unabhängig vom Alter des Partners, aber es gibt wichtige Ausnahmen:

1. Ausnahme: Es besteht ein Obhutsverhältnis (Altersabstufungen finden Sie in § 174 StGB) oder ebsondere Lagen wie in §§ 174 a - c

2. Ausnahme: Der Sexualverkehr findet entgeltlich statt bzw. wird von Dritten gefördert - § 180 StGB (auch hier gibt es Altersabstufungen)

Eine
3. Ausnahme ist in § 182 StGB geregelt. Dort findet sich unter Abs. 3 die 21-Jahresgrenze (Täter über 21, Opfer unter 16):

Dort hängt die Strafbarkeit davon ab, dass die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt wird.

Dies wurde im vorliegenden Fall offenbar verneint.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Eine
3. Ausnahme ist in § 182 StGB geregelt. Dort findet sich unter Abs. 3 die 21-Jahresgrenze (Täter über 21, Opfer unter 16):

Dort hängt die Starfbarkeit davon ab, dass die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt wird.

Dies wurde im vorliegenden Fall offenbar verneint.

 

Wodurch ist in diesem Fall "offenbar" geworden, dass die Frage verneint wurde?

Was waren die Gründe für die Verneinung?

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Allerdings war doch die Rede von einvernehmlichen Sex. Nichts desto trotz bin ich doch über die Aöltersgrenze von 21 Jahren in § 182 überrascht.

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

es ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Anwendung der Schutzvorschrift des § 174 von der Anzahl an Schulstunden abhängig gemacht werden kann, die ein Kind bei einem Lehrer hat. Wenn Eltern ihr Kind an einer Schule anmelden, dann rechnen sie doch gedanklich überhaupt nicht damit, dass die Kinder durch das Strafgesetz vor sexuellem Missbrauch durch diejenigen Lehrer geschützt sind, die häufig mit dem Kind zu tun haben, aber nicht vor Lehrern, mit denen sie nur gelegentlich zu tun haben.

Die Eltern vertrauen ihr Kind allen Lehrerinnen und Lehrern einer Schule zur Ausbildung und Erziehung an. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Sie haben keinen Einfluss darauf, zu welchen Lehrern eine wie tiefe pädagogische Beziehung entsteht oder ob das Kind manche Lehrer überhaupt nie kennenlernt.

Es entspricht überhaupt nicht der Realität, an ein und derselben Schule gedanklich Lehrer mit und ohne Obhutsbeziehung zu unterscheiden.

Dieses verschwurbelte Gedankenkonstrukt des BGH schützt Kinderficker.

Und was ist das für ein Anspruch "fehlender sexueller Selbstbestimmung" in § 182 Absatz 3? Die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung wächst allmählich, aber absolut fehlen tut sie doch auch bei Grundschulkindern nicht. Also schützt der § 182 (3) überhaupt irgend jemanden?

Woraus schließen Sie, dass im o.g. Fall die Anwendbarkeit des § 182 (3) ausdrücklich verneint wurde?

Die im Dunkeln des Dienstgeheimnisses stattfindende (oder auch nicht stattfindende) disziplinarrechtliche Ahndung des Fehlverhaltens kann eine angemessene strafrechtliche Verfolgung nicht ersetzen.
 

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A.B. schrieb:
 für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Anwendung der Schutzvorschrift des § 174 von der Anzahl an Schulstunden abhängig gemacht werden kann, die ein Kind bei einem Lehrer hat. Wenn Eltern ihr Kind an einer Schule anmelden, dann rechnen sie doch gedanklich überhaupt nicht damit...
dann haben Sie aber die Erinnerung an Ihre Schulzeit erfolgreich verdrängt, denn es macht für Schüler aller Altersstufen sehr wohl einen großen Unterschied, ob man mit einem Lehrer zu tun hat, der einem Noten gibt oder mit einem, der das nicht tut. Das ist die Realität und die wird durch § 174 und die Rechtsprechung bestens abgebildet.

Und das Strafgesetzbuch schützt nicht die Erwartungen oder Gefühle der Eltern, für die ein frühreifes Früchtchen (ich begebe mich ausnahmsweise minimal in Richtung Ihrer verbalen Abgründe) immer noch ihr "kleines Baby" ist, sondern den Jugendlichen in seiner sexuellen Selbstbestimmung.

Die strafrechtliche Verfolgung hat stattgefunden und dank einer Medienkampagne den Steuerzahler unnötig Zehntausende Euro für drei Gerichtsinstanzen gekostet: das Verfahren vor dem OLG hat genauso geendet und mit derselben Begründung wie die ursprüngliche Einstellung des Verfahrens. 

Ger Punkt ist doch, es ist Ansichtssache, bzw. Verhandlungssache, wie es jetzt sein sollte. Ist ein 14-Jähriges Mädchen noch zu jung für Sex? Ich weiß es nicht. Denke schon, man könnte das auf 16 hochsetzen, aber wer sind wir denn, mit unseren Moralvorstellungen über andere Individuen zu entscheiden? In der Vergangenheit sind solche Versuche immer kläglich gescheitert.

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@ A.B.

Die Aufgabe eines guten Juristen besteht darin, besonnen und unter Beachtung der generell akzeptierten Auslegungskriterien das vom Gesetzgeber geschaffene Recht auf einen Einzelfall anzuwenden.

Ihr etwas emotionales Plädoyer ist daher leider auch nicht überzeugend. Es kommt überhaupt nicht darauf an, welche Vertrauenserwartung die Eltern an Lehrer haben. Das Obhutsverhältnis ist rein faktisch und nicht nach dem Erwartungshorizont unbeteiligter Dritter zu bestimmen. Da macht es schon Sinn zu sagen, dass ein besonderes Obhutsverhältnis nicht zu immerhin fünfhundert Personen bestehen kann.

Ihre Argumentation zu § 182 StGB übersieht auch leider, dass der Gesetzgeber Kinder, d.h. Personen die noch nicht das 14. Lebensjahr erreicht haben, als generell einwilligungsunfähig eingeordnet hat (§ 176 Abs. 1 StGB).

Es wäre manchmal doch ganz nett, wenn Laien Gerichtsentscheidungen bzw. die Gesetzeslage nicht gleich verdonnern würden ohne sich vorher zumindest die Mühe zu geben, die Rahmenaspekte nachzuvollziehen und zu verstehen.

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Ich bin fest davon überzeugt dass das OLG nicht auf Freispruch entschieden hätte, wenn der ältere Partner den jüngeren Partner "gezwungen" oder "gedrängt" hätte..ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass bei dem kleinsten Anzeichen von Zwang ein Freispruch unwahrscheinlich gewesen wäre.

 

Wenn man dem folgt bleibt es dabei, dass der Staat zwischen zwei Menschen nichts verloren hat, wenn niemand zu Schaden kommt ohne es zu wollen. 

 

 

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das recht auf sexuelle selbstbestimmung stellt den wunsch des einzelnen über die wünsche der mehrheit. die würde des menschen ist unantastatbar, auch wenn eltern ihr heranreifendes kind als kindliches baby sehen wollen und es entsprechend behandeln. wortklauberei was nun kind ist und was nicht spielt keine rolle. es gibt eine sexuelle und allgemeine privatsphäre und die gilt für jeden der selbstbestimmt ist, auch innerhalb der familie. das die geistige und die körperliche pubertät sich unterscheiden, sollte jeder eigentlich schon mitbekommen haben. ja, manche sehen mit 14 aus wie 12 und sind im geiste trotzdem 16, sowie anderes herum. so mancher 28 jähriger ist geistig gerade mal 18, aber das nur weil er schon einen führerschein hat.

 

die schule hat einen bildungs- und aufklärungsauftrag, dieser muss mit bestem wissen und gewissen erfüllt werden. einigen erwachsenen täte aufklärung auch übrigens auch mal ganz gut. im übrigen hat eine schülerin die ihren lehrer erfolgreich verführt, die macht ihre position auszunutzen. außerdem sehe ich, dass es vielen menschen offenbar schwer fällt fiktion und fantasie von realität sowie experimente von gewaltübergriffen zu unterschieden.

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Sehr geehrte/r Herr/Frau A.B.,

das "offenbar" ergibt sich für mich daraus, dass diese Frage in der Berichterstattung und in den Presseerklärungen nirgendwo angesprochen wird. Ich selbst habe leider keine interne Information darüber, warum Staatsanwaltschaft und/oder Gericht diese Norm (§ 182 Abs.3 StGB) nicht angeklagt/erörtert haben.

Deshalb hier nur meine Spekulation: § 182 Abs. 3 StGB wurde von der Staatsanwaltschaft möglicherweise geprüft und verneint, da die Schülerin als hinreichend sexuell selbst bestimmt angesehen wurde oder es keine Anhaltspunkte dafür gab, dass der Lehrer ihre mangelnde Fähigkeit zur sex. Selbstbestimmung ausgenutzt hat.

Da ich die beteiligten Personen genauso wenig wie die Akten kenne, kann ich zu den näheren Hintergründen nichts sagen.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

@A.B.

"Was waren die Gründe für die Verneinung?"

Falsche Fragestellung im Licht der Unschuldsvermutung. Die Verneinung ist die Grundannahme. Es sind Gründe zu finden, die die Verneinung unmöglich machen. Und anscheinend gab es diese nicht, die Verneinung wurde also nicht widerlegt.

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Die Unschuldsvermutung hat nichts damit zu tun, wie eine Tat zu bewerten ist.

Auch in einem Verfahren beispielsweise wegen eines Tötungsdelikts gilt für den Angeklagten bis zur Verurteilung die Unschuldsvermutung, unabhängig davon, wie die Tat bewertet wird. Wenn sich herausstellt, dass Mordmerkmale nicht vorliegen, dann ist immer noch zu untersuchen, ob es sich um Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge handelt. Die Unschuldsvermutung gilt weiterhin.

Der Medienreferent des OLG Koblenz, Richter Fabian Scherf,
http://www.mjv.rlp.de/Gerichte/Ordentliche-Gerichte/Oberlandesgerichte/K...
hat den Medien anscheinend nichts darüber mitgeteilt, ob die Staatsanwaltschaft oder/und das Gericht die Anwendung von § 182 Abs. 3 geprüft hat.

Es scheint auch kein Journalist danach gefragt zu haben.

Auf der Presseseite des OLG Koblenz steht überhaupt nichts zu dem Fall:
http://www.mjv.rlp.de/Gerichte/Ordentliche-Gerichte/Oberlandesgerichte/K...

 

 

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wenn man die zitate der dame aus den dutzenden artikeln der rhein zeitung liest, dann kann man erkennen so man will, dass sie selbstbestimmend gehandelt hat und sich von anfang an bewusst war was sie tat. dazu kommt das die position als tanzlehrer ihm keine ausnutzbare position ihr gegenüber darstellte.

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@ Anton B. #34:

Dann können Sie wohl davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft in ihren Ermittlungen, z.B. durch Befragung der 14-jährigen, zu der Erkenntnis gekommen ist, dass die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung durchaus vorhanden war. Das Mädchen litt also offensichtlich weder an einer verzögerten Persönlichkeitsentwicklung, noch war sie bei den Treffen betrunken oder bekifft (was mMn Fälle wären, in denen § 182 Abs. greifen könnte).

Nein, ich gehe davon aus, dass weder der Medienreferent noch die Journalisten ihre Aufgabe erfüllt haben, die Öffentlichkeit ausreichend zu informieren.

 

Das riecht nach belgischen Verhältnissen.

 

 

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Vielen Dank, Herr Burschel,

die Entscheidung bestätigt die hiesigen Vermutungen: Für eine Verwirklichung des § 182 StGB sah das Gericht keine Anhaltspunkte, die Schulgröße von 500 Schülern wird relativ pauschal als zu groß erachtet, um ein Obhutsverhältnis jedes Lehrers für alle Schüler anzunehmen:

Aus den Akten ergibt sich zudem, dass an der YYYY. Schule in Z. im Schuljahr 2006/2007 ca. 500 Schülerinnen und Schüler von einem aus 34 Personen bestehenden Lehrkörper unterrichtet wurden, so dass es schon aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, dass jede(r) Jugendliche, die/der diese Schule besuchte, dem Angeklagten zur Erziehung anvertraut war.

heißt es dort.

 

 

Ist ein 14 jähriges Mädchen oder Junge in diesem alter fähig ein fundierte und diferenzierte sicht zur Sexualität und deren Folgen zu haben wie ein Erwachsener oder Lehrer? Für mich ist die Antwort klar: Nein! Für mich hat der Lehrer das Zutrauen eines Schutzbefohlenen, egal ob einvernämlich oder nicht, missbraucht. Mir scheint es hier nur um die Befriedigung von Erwachsenen mit Kindern (für mich sind 14jährige noch Kinder, egal ob Frühreif oder nicht. Dies ist kein Maßstab, wenn im Kopf noch gedacht wird wie ein Kind) zu gehen. So etwas wie ein Lolita-Syndrom. Sexualität hat in der Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert erreicht und führt zum Teil dazu, das moralische Aspekte einfach aussenvor gelassen werden. Der Lehrer übt Macht über das Kind aus und das Kind wird möglicherweise nur dazu bereit sein, wenn die Aufmerksamkeit des beliebten Lehrers als Belohnung folgt. Dieser Freispruch ist für mich ein Freifahrtschein für alle Lehrer, deren direkte Obhut von Kindern ab 14 Jahren, nicht nachgewiesen werden kann. Warten wir mal ab, wann es die ersten Taten von Selbstjustiz, bei solchen haarstreubenden Urteilen, geben wird. Ich bin Katholik und solche Fälle zeigen mir mal wieder, das wir mit unserem freizügigem Umgang mit Sexualität, besonders auch in den Schulen, nicht umgehen können. Freizügigkeit statt Treue und Enthaltsamkeit ist das Motto. Auf der Strecke bleiben die Kinder als Opfer für eine sexualisierte Gesellschaft. Schade.

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@ Carlos: immer wenn ich Beiträge wie Ihre lese, bin ich um ein weltanschaulich neutrales Rechtssystem froh, in dem einer der Grundsätze lautet (Zitat aus dem Urteil):
"Unangemessenes, unanständiges oder verantwortungsloses Verhalten ist nicht per se strafbar, sondern nur dann, wenn es unter einen zur Tatzeit geltenden Straftatbestand zu subsumieren ist."

Für einen Katholiken und gibt es darüber hinaus noch ganz andere Probleme als der hier beschrieben Fall, erweist sich seine Kirche doch als Sammelbecken für Erwachsene, die sich Kinder gezielt als Opfer aussuchen und dies jahrzehntelang ohne Gefahr der Entdeckung tun konnten, weil die Vorgesetzten die zahllosen Fälle verschwiegen und vertuscht haben und die Täter so vor Strafverfolgung schützten. Bevor Sie hier von Selbstjustiz faseln, überlegen Sie doch mal, ob Sie so gesehen vom moralischen Standpunkt aus nicht dazu beigetragen haben, mit Ihrer Kirchensteuer eine verbrecherische Organisation zu finanzieren ...

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ein Schüler der 9. Klasse sehr wohl weiß was er tut und was er will. Und damit sind alle Bereiche des Lebens gemeint und nicht nur der sexuelle oder politische. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Das jeder sich vom Auftreten und auch vom Wissenstand unterscheidet ist klar. Und auch jetzt lerne ich und gewinne stetig an Reife durch diesen lebenslangen Lernprozess. Wir sind ewig Lehrer und Schüler zugleich.

Meiner Meinung nach entstehen die meisten Probleme durch die psychische Penetration des Umfelds. Das dies ein entscheidender Faktor ist wird dadurch belegt, dass langwierige oder hart geführte Zeugenverhöre im Gerichtssaal einen negativen Einfluss haben.

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

Quote:
die Schulgröße von 500 Schülern wird relativ pauschal als zu groß erachtet, um ein Obhutsverhältnis jedes Lehrers für alle Schüler anzunehmen
Damit stellt das OLG diesen Lehrer bezüglich der Strafbarkeit sexueller Handlungen mit Schülerinnen unter 16 Jahren aufgrund der bisherigen BGH-Definition auf dieselbe Stufe wie andere Personen, die bedingt durch den Schulbesuch zwar häufigeren Kontakt mit Schülerinnen, aber keine pädagogische Beziehung haben, beispielsweise der Schulhausmeister oder der Schulbusfahrer.

Quote:
Für eine Verwirklichung des § 182 StGB sah das Gericht keine Anhaltspunkte,
Das wird in dem Beschluss so behauptet ohne jede Erklärung oder Erläuterung.

Wenn ein 32jähriger, verheirateter Schulhausmeister Sex mit einer 14jährigen Schülerin im Putzraum der Schule hätte, und die Eltern der Schülerin würden ihn wegen einer Tat nach § 182 Abs. (3) anzeigen, würde dann ein Gericht auch so lapidare Feststellungen treffen bzw. würde die Staatsanwaltschaft schon eine Anklageerhebung nur mit einer derart schlichten Behauptung ablehnen?

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@MEIN NAME: Sie meinen wir haben ein weltanschauliches neutrales Rechtssystem. Mitnichten. Wir haben ein Rechtssystem das versucht mit gesetzen alles zu reglementieren und moralische Grundsätze aussen vor zu lassen. Selbst wenn Richter wissen, das ein solches verhalten, wie das des Lehrers, verwerflich und nicht richtig war, dürfen Sie den Lehrer nicht verurteilen, weil dies laut Gesetz nicht möglich ist. Tolles Rechtssystem.

Was die katholische Kirche angeht, greifen Sie ganz tief in die Schublade. Sie können die Verfehlungen einzelner oder die Vertuschungen die es sicherlich gab, nicht auf alle Katholiken anwenden. Die moralischen Werte jedes einzelnen durch sein katholischen Glauben, sind höher einzuschätzen als alle Gesetze, denn ich bin Gott Rechenschaft schuldig und nicht irdischen Gesetzen, obwohl ich diese auf Erden befolgen muss. Den die Gebote Gottes zu befolgen, würde das zusammenleben vereinfachen. Dies gilt auch für die Verfehlungen einzelner in der katholischen Kirche. Ihnen allen GOTTES Segen.

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Sehr geehrte Diskutierende,

auch wenn sicherlich anlässlich geschichtlicher Ereignisse kein Anlass für die katholische Kirche besteht, sich aufs hohe Ross zu setzen - es war die von der Kirche abgelehnte Aufklärung, die den Boden bereitet hat für Menschenrechte, die von der Kirche leider in unchristlicher Weise jahrhundertelang mit Füßen getreten wurden - so sollten persönliche Angriffe aus der Debatte möglichst herausgehalten werden.

Zum Sexualstrafrecht: Dessen derzeitiger Stand ist nach langen Diskussionen und oftmaligen Änderungen in dne letzten Jahrzehnten entstanden. Änderungen wie etwa die Abschaffung des § 175 (Strafbarkeit der Homosexualität) sind dabei echte Fortschritte im Vergleich zu einer doch fragwürdigen "Moral", die zuvor vom Rechtssystem gestützt wurde. Es hat sich dann im demokratischen Gesetzgebungsprozess eine andere Mehrheit durchgesetzt. Man kann aber doch nicht sagen, das Rechtssystem sei deshalb unmoralisch. Welche Altersgrenze man für sexuelle Selbstbestimmung ansetzt, darüber kann man sicherlich verschiedener Ansicht sein, ohne dass moralische Pauschalurteile gegen die jeweils andere Auffassung gerechtfertigt erscheinen.

Hinsichtlich des Lehrer-Schüler-Verhältnisses würde ich auch eine generellere gesetzliche Regelung, die nicht auf ein "Obhutsverhältnis" im Einzelnen abstellt befürworten: Es sollten dann sexuelle Kontakte von Lehrern mit  Schülern der Schule, an der sie tätig sind, grds. strafbar sein. Allerdings kann eine solche Regelung natürlich nicht rückwirkend auf den  hier verhandelten Fall angewandt werden. Bisher ist eben gesetzlich ein Obhutsverhältnis im Einzelnen erforderlich. Man könnte lediglich noch überlegen, ob die enge BGH-Interpretatoion dieses Obhutsverhältnisses wirklich zwingend ist.

Dass das Urteil einen "Freifahrtschein" für solches Verhalten bedeutet, ist wohl klar zu verneinen. Auch unabhängig vom Strafrecht wird man den Lehrer beamtenrechtlich disziplinieren können, und auch diese Folgen sollten abschrecken.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:
Hinsichtlich des Lehrer-Schüler-Verhältnisses würde ich auch eine generellere gesetzliche Regelung, die nicht auf ein "Obhutsverhältnis" im Einzelnen abstellt befürworten: Es sollten dann sexuelle Kontakte von Lehrern mit  Schülern der Schule, an der sie tätig sind, grds. strafbar sein.
Analog dazu wären dann in einem Ausbildungsbetrieb alle sexuellen Kontakte eines Auszubildenden zu einem Nicht-Auszubildenden strafbar. Dies wäre

1. völlig praxisfremd (OK, das hat den Gesetzgeber noch nie wirklich gestört)

2. dem bisherigen Zweck des Paragraphen völlig zuwider laufend (es soll ja die Ausnutzung des "Anvertrautseins", also des Obhutsverhältnisses verhindert werden, wobei hier ja in Beweislastumkehr ein Ausnutzen grundsätzlich angenommen wird! Das Schutzniveau für den 14-15-jährigen ist also enorm) und darum

3. ein unzulässiger Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht.

Ein Lehrer, von dem man nicht unterrichtet wird, unterscheidet sich nicht von einem Lehrer an einer anderen Schule oder vom Hausmeister. Soll - z.B. in dem Fall, dass ein Gebäudekomplex von mehreren Schulen (z.B. Kaufmännische/Technische Berufsschule/Hauptschule) genutzt wird und sich die Schüler und Lehrer gegenseitig kennen, zumindest vom Sehen - die eine Liebesbeziehung illegal sein, nur weil der Lehrer zufällig derselben Schule zugeordnet ist, die andere aber erlaubt, weil die Schule eine andere ist? Und der Hausmeister geht immer straffrei aus?

Die bisherige Regelung und Rechtsprechung, bei der es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, ist (auch angesichts der verschwindend kleinen Fallzahl) angemessen und näher an der Verfassung als ein Standardverbot.

Es gibt für Fälle wie diesen Disziplinarverfahren - der Lehrer ist suspendiert. Das Bedürfnis der Eltern (und der gewonnen Kampagnenunterstützer) nach "Genugtuung" - in diesem Fall Anprangerung und Rache - darf durch ein freiheitliches, demokratisches Rechtssystem nur im Rahmen des Gesetze befriedigt werden. Dass ein Blatt wie die Rhein-Zeitung, die die Verfolgungskampagne wesentlich unterstützt hat, auch üner das Urteil alles andere als neutral berichtet, ist verständlich - "Journalismus" dieser Art ist nicht auf die "Bild-Zeitung" beschränkt.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

immerhin braucht beim BGH i.Ggs. zum Papst kein Unfehlbarkeitsanspruch verteidigt zu werden (auch wenn man das manchmal meinen könnte). ;-)

Quote:
Hinsichtlich des Lehrer-Schüler-Verhältnisses würde ich auch eine generellere gesetzliche Regelung, die nicht auf ein "Obhutsverhältnis" im Einzelnen abstellt befürworten
Mir scheint, dazu bedarf es keiner anderen gesetzlichen Regelung, weil im § 174 nichts von Obhutsverhältnis steht, sondern nur einer anderen Interpretation der Gesetzesformulierung "zur Erziehung, zur Ausbildung (...) anvertraut" als bisher anscheinend vom BGH erfolgt.

Quote:
Man könnte lediglich noch überlegen, ob die enge BGH-Interpretation dieses Obhutsverhältnisses wirklich zwingend ist.
Und auf welchem formalen Weg könnte eine solche Überlegung auch noch auf den aktuellen Fall
http://www.rhein-zeitung.de/regionales_artikel,-Honigbaer-und-Heuchler-_...
angewandt werden?

Mit freundlichen Grüßen
Anton B.

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Sehr geehrter Herr Anton B.,

Das Wort "anvertraut" in § 174 StGB bezeichnet ein Obhutsverhältnis.

Hinsichtlich der "engen Interpretation"  habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt - dieser Fall ist entschieden. Das OLG hätte m. E. nicht unbedingt der engen BGH-Interpretation folgen müssen, aber da dies geschehen ist, und die Entscheidung rechtskräftig, kann daran nichts mehr geändert werden.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

Quote:
Das Wort "anvertraut" in § 174 StGB bezeichnet ein Obhutsverhältnis.

Ja. Aber Eltern interpretieren das grundsätzlich anders als der BGH bisher.

 

Quote:
Hinsichtlich der "engen Interpretation"  habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt - dieser Fall ist entschieden. Das OLG hätte m. E. nicht unbedingt der engen BGH-Interpretation folgen müssen, aber da dies geschehen ist, und die Entscheidung rechtskräftig, kann daran nichts mehr geändert werden.

Gibt es dazu eine offizielle Äußerung des Präsidenten des BGH, Klaus Tolksdorf, der auch Mitglied des "Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch"

http://de.wikipedia.org/wiki/Runder_Tisch_Sexueller_Kindesmissbrauch

der Bundesregierung ist? Wäre eine solche Äußerung nicht längst fällig?

 

Mit freundlichen Grüßen

Anton B.

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Sehr geehrter Herr Anton B. ,
Herr Tolksdorf wird nach meiner Einschätzung keinesfalls eine "offizielle" Erklärung abgeben zu einem bereits rechtskräftig entschiedenen Fall oder auch zu künftigen Fällen, die vom BGH irgendwann einmal  entschieden werden müssten, beides wäre unprofessionell und könnte künftige Befangenheitsanträge gegen ihn auslösen.  Allenfalls könnte sich Tolksdorf als Mitglied des Runden Tischs rechtspolitisch äußern, d.h. dazu, ob er die jetzige gesetzliche Regelung des § 174 StGB  für sinnvoll bzw. ausreichend hält.
Zudem handelt es sich ja vorliegend nicht um ein Kind (= unter 14 Jahre), sondern um eine Jugendliche.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

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