BVerfG bestätigt ständige Rechtsprechung des BGH: Verwertung rechtswidrig erhobener personenbezogener Informationen aus einer präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung kann zulässig sein, aber ....

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 04.01.2012

 ... (und das ist weiterhin bemerkenswert), verfassungsrechtlich wird mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot die Verurteilung wegen (versuchten) Betrugs beanstandet. Doch der Reihe nach:

 

Zum Fall (auch zur Verurteilung wegen Betrugs) sowie zur Rechtsprechung des BGH zur Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener personenbezogener Informationen im Strafprozess

 

Die drei Beschwerdeführer wurden 2007 erstinstanzlich wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung bzw. deren Unterstützung in Tateinheit mit versuchtem bandenmäßigen Betrug in 28 tateinheitlich begangenen Fällen jeweils zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Nach den Feststellungen planten die Beschwerdeführer, um Geldmitteln für Al Qaida zu verschaffen, Lebensversicherungsverträge abzuschließen, um sodann durch Vorlage noch in Ägypten zu beschaffender unrichtiger amtlicher Dokumente den tödlichen Unfall eines der Beschwerdeführer vorzutäuschen und das jeweilige Versicherungsunternehmen zur Auszahlung der Versicherungssumme zu veranlassen. In 28 Fällen beantragten die Beschwerdeführer den Abschluss einer Lebensversicherung; letztlich wurden neun Versicherungsverträge abgeschlossen. Bevor die Beschwerdeführer ihren Tatplan weiter in die Tat umsetzen konnten, wurden sie festgenommen.

 

Die Verurteilung beruhte u.a. auf den Erkenntnissen aus einer präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung, die im Jahr 2004 vor Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die Beschwerdeführer über mehrere Monate wegen des Verdachts der Planung terroristischer Anschläge durchgeführt worden war. Die richterliche Anordnung dieser Überwachungsmaßnahmen erging auf Grundlage des § 29 des Rheinland-Pfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG RP), wonach eine Wohnraumüberwachung als polizeiliche Präventivmaßnahme zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere zur Verhütung schwerwiegender Straftaten, durchgeführt werden kann. Die 2004 geltende Fassung des § 29 POG RP enthielt keine Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Die Vorgaben des BVerfG-Urteils zum Kernbereichsschutz (BVerfG NStZ 2004, 270) wurden erst im Jahr 2005 durch die Einführung entsprechender ergänzender Regelungen des § 29 POG RP umgesetzt.

 

Der BGH bestätigte die Verwertbarkeit der durch die präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung erlangten Erkenntnisse, auch wenn die Ermächtigungsgrundlage des § 29POGRP 2004 nicht in vollem Umfang den Vorgaben des BVerfG zum Kernbereichschutz entsprochen habe.

 

Den Schuldspruch hinsichtlich Betrugs änderte der BGH dahin ab, dass die Beschwerdeführer in den Fällen, in denen es zum Abschluss der Lebensversicherungen gekommen sei, wegen vollendeten Betruges und in den übrigen Fällen des versuchten Betruges schuldig seien (BGH NStZ 2010, 44).

 

BVerfG: Recht auf faires Strafverfahren gewahrt

 

Die Verwertung von Informationen aus den präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachungsmaßnahmen ist nach Auffassung des BVerfG (Beschluss vom 7.12. 2011, Az. 2 BvR 2500/09, 2 BVR 1857/10) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführer seien nicht in ihrem Recht auf ein faires Strafverfahren verletzt. Ein Beweisverwertungsverbot stelle von Verfassungs wegen eine begründungsbedürftige Ausnahme dar, weil es die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden einschränke und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtige. Eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen würden, dürfe nicht bejaht werden, sofern dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot könne daher insbesondere geboten sein nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind.

 

Nach diesen Maßstäben sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach ständiger Rechtsprechung des BGH ein Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung nicht ohne Weiteres zur Unverwertbarkeit der dadurch erlangten Erkenntnisse führe, sondern es in jedem Einzelfall der Abwägung der für und gegen die Verwertung sprechenden Gesichtspunkte unter Gewichtung des staatlichen Aufklärungsinteresses und der Schwere des Rechtsverstoßes bedürfe. Auch die danach vom BGH im Ausgangsverfahren vorgenommene Abwägung und die darauf beruhende Ablehnung eines Beweisverwertungsverbotes begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dabei sei entscheidend, dass es sich bei der präventiv-polizeilichen Wohnraumüberwachung nicht um eine nach dem Grundgesetz generell unzulässige Maßnahme handele und dass ihre tatsächliche Durchführung den verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung entspreche.

 

Soweit personenbezogene Informationen aus der Wohnraumüberwachung verwertet worden seien, seien die Beschwerdeführer auch nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Rechtsgrundlage für die Verwertung personenbezogener Informationen in einem strafgerichtlichen Urteil sei § 261 StPO, wonach das Gericht aufgrund freier Überzeugung über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheide. Diese Vorschrift sei verfassungsgemäß. Insbesondere entspreche sie bei verfassungskonformer Auslegung, die in Ausnahmefällen ein Verwertungsverbot anerkenne, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Verwertung personenbezogener Informationen in strafgerichtlichen Urteilen diene Zwecken, die Verfassungsrang haben. Sie erfülle die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten. Die Informationsverwertung sei daher auch dann grundsätzlich verhältnismäßig, wenn – wie im vorliegenden Ausgangsverfahren – die Informationen ursprünglich zu einem anderen Zweck erhoben wurden und somit der weiteren Verwendung im Strafverfahren eine Zweckänderung vorangegangen sei. Die ständige Rechtsprechung des BGH, dass nach § 261 StPOrechtswidrig erlangte personenbezogene Informationen grundsätzlich verwertet werden können, sei verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

 

Weiterhin BVerfG: Für Betrug fehlt es an einer wirtschaftlich nachvollziehbaren Feststellung und Darlegung eines Vermögensschadens

 

Bemerkenswert an der Entscheidung ist jedoch auch, dass die Annahme des BGH, die Beschwerdeführer hätten sich mit dem Abschluss von Lebensversicherungsverträgen wegen vollendeten Betrugs und mit der Beantragung von Lebensversicherungsverträgen wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht haben, vor dem BVerfG keinen Bestand hat, weil mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren. Es fehle an der von Verfassungs wegen erforderlichen wirtschaftlich nachvollziehbaren Feststellung und Darlegung eines Vermögensschadens. Verfassungsrechtlich sei zwar der rechtliche Ausgangspunkt des BGH nicht zu beanstanden, dass bereits der Abschluss eines Vertrags zu einem Vermögensschaden führen könne, wenn der vom Vertragspartner erlangte Anspruch weniger wert sei als die übernommene Verpflichtung (sog. Eingehungsbetrug). Grundsätzlich sei es jedenfalls mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar, bereits bei der konkreten Gefahr eines zukünftigen Verlusts einen gegenwärtigen Vermögensschaden anzunehmen. Zur Verhinderung einer Überdehnung des Betrugstatbestandes müsse jedoch der Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden. Es fehle hier an der ausreichenden Beschreibung und Bezifferung der Vermögensschäden, die durch den Abschluss der Lebensversicherungsverträge verursacht wurden oder – in den Versuchsfällen – verursacht worden wären. Zudem mangele es an Erwägungen dazu, inwiefern tragfähig geschätzt werden könne, wie hoch zum Zeitpunkt der (beabsichtigten) Vertragsabschlüsse die Wahrscheinlichkeit war, dass die Beschwerdeführer ihren Tatplan erfolgreich ausführen, die Versicherungsleistungen also später tatsächlich an sie ausgezahlt werden würden.

  

 

 

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Die Bewertung der Entscheidung des BVerfG wird ambivalent ausfallen. Je nachdem, ob der Blick auf den „materiell-rechtlichen Teil“ oder dem „prozessualen Teil“ der Entscheidung fällt.

 

Es ist zu begrüßen, dass das BVerfG der Tendenz der Rechtsprechung die Betrugsstrafbarkeit weit auszudehen, eine deutliche Absage erteilt hat.

 

Das Votum zum „prozessualen Teil“ der Entscheidung muss meines Erachtens anders ausfallen:

 

Indem das BVerfG die Auffassung vertreten hat, dass Erkenntnisse, die auf Grund eines verfassungswidrigen (!) Gesetzes erlangt wurde, von Verfassungs wegen im Strafprozess dennoch verwertet werden können, hat es die Beweisverwertungsverbote in weiten Bereichen gänzlich abgeschafft. Es ist mit seiner Auffassung, dass „ein Beweisverwertungsverbot ein von Verfassungs wegen begründungsbedürftige Ausnahme“ bei der Wahrheitsfindung darstellt (Rn 117 der Entscheidung) hinsichtlich der Erkenntnisse der Lehre von den Beweisverboten in Zeiten vor Beling (Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozess, 1903) zurückgefallen. Der Staat soll bei der Wahrheitssuche „rücksichtslos mit der Fackel hineinleuchten (dürfen) in das finstere Dunkel“ (Beling aaO, Seite 2).

 

Die Legitimität des Staates zum Strafen verlangt aber deutlich mehr!

 

Die Lehre von den Beweisverwertungsverboten ist nämlich bereits wesentlich weiter gewesen.

 

Jahn hat in seinem Gutachten zum 67. Deutschen Juristentag zu Recht festgestellt, dass bei der Frage der Beweisverwertung im Strafprozess „nicht alles erlaubt (ist), was nicht ausdrücklich verboten ist, sondern alles verboten (ist), was nicht ausdrücklich erlaubt ist“ (Gutachten Teil C, Seite 68 mwN).

 

Dieses folgt verfassungsrechtlich zwingend aus dem aus Art. 20 Abs. 3 GG ausfließenden Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes. Einfachgesetzlich findet sich dieses in § 244 Abs. 3 Satz 1 Strafprozessordnung: Demnach ist ein Beweisantrag abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist.

 

Das BVerfG hätte gut daran getan, die Beweisverwertungsverbote zu stärken und nicht abzuschaffen. Der 7.12.2011 ist kein guter Tag für den Rechtsstaat gewesen. 

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