Love-Parade-Ermittlungen: Kommt es 2012 zur Anklageerhebung?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 31.12.2011

Die Love-Parade Katstrophe vom 24. Juli 2010 hat über ein Jahr lang die Öffentlichkeit in Deutschland stark bewegt (allein hier im Blog ca. 80.000 Abrufe und über 3.000 Kommentare). Nach dem Jahrestag mit starker medialer Aufmerksamkeit ist es allerdings recht still geworden - über die Duisburger Stadtgrenzen hinaus wird kaum noch darüber berichtet und auch hier im Blog ist die Diskussion, die monatelang intensiv alle Aspekte dieses Unglücks beleuchtet und die staatsanwaltliche Aufklärung kritisch begleitet hat, im Herbst 2011 weitgehend zum Erliegen gekommen. Nun, das ist der übliche Aufmerksamkeitszyklus, der auch in einem Blog nicht völlig ignoriert werden kann.

Dennoch möchte ich die Love Parade am letzten Tag des Jahres 2011 noch mal zum Thema machen und meine Einschätzung mitteilen, dass es nach vielen Monaten der intensiven Ermittlungen wohl bald zu einem Abschluss des Ermittlungsverfahrens kommen wird. Ich erwarte dies für 2012. Und ich hoffe für die Angehörigen der Getöteten, für die vielen Verletzten und für die Allgemeinheit, dass die Ermittlunegn einen hinreichenden Tatverdacht ergeben, dass also Anklage erhoben wird gegen Verantwortliche, die insbesondere bei der Planung dieser Veranstaltung wesentliche Sicherheitsinteressen der Besuicher missachtet haben. Dieses Ergebnis ist wegen der Schwierigkeit des Nachweises individueller Verantwortlichkeit allerdings nicht sicher. 

Unabhängig davon wünsche ich allen an der Diskussion hier im Blog Beteiligten und allen, die sich nach wie vor für die Aufklärung des Love Parade Unglücks auf verschiedenen Ebenen engagieren, alles Gute für  2012.

Hier die Links zu den früheren Diskussionen hier im Beck-Blog in umgekehrter Chronologie:

AKTUELL Juli 2012

Juli 2011 (249 Kommentare, ca. 12000 Abrufe)

Mai 2011 (1100 Kommentare, ca. 7500 Abrufe)

Dezember 2010 (537 Kommentare, ca. 8000 Abrufe)

September 2010 (788 Kommentare, ca. 16000 Abrufe)

Juli 2010 (465 Kommentare, ca. 23000 Abrufe)

Ergänzend:

Link zur großen Dokumentationsseite im Netz:

Loveparade 2010 Doku

Link zur Seite von Lothar Evers:

DocuNews Loveparade Duisburg 2010

Link zur

Großen Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag NRW

Link zum

Gutachten von Keith Still (engl. Original)

Gutachten von Keith Still (deutsch übersetzt)

Link zur

Analyse von Dirk Helbing und Pratik Mukerji (engl. Original)

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172 Kommentare

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Liebe KollegInnen,
wo ist eigentlich in all Euren Ursachenforschungen Carsten Walter?
Und wo ist sein Vorgeseter Wagner. Die hatten doch mit den Kameras den Überblick über das Gelände.
Und die waren doch für Massnahmen zuständig, aus ihrem missratenen Veranstaltungs und Wegedesign einen Flow aufrecht zu erhalten.

Ein Flow entsteht doch nicht durch schliessen der Eingänge. Wer sollte denn bitte den risigen Bauzaunabschnitt Düsseldorferstr. Karl Lehr Str. halten? Insgesamt waren angeblich 1000 Ordner auf dem Gelände. Statt davon welche zu den Eingängen abzuziehen, hat Walter von den eigenen Mannen noch welche zur VIP Betreuung abgestellt.

Dann hat er die Polizei involviert und falsch gebrieft. Er hat eben nicht um Hilfe beim Schliessen der Schleusen gebeten, sondern darum, den Druck auf den Rampenkopf zu mindern damit er dort via Pu´sher Staus auflösen könnte, wissend dass es die nicht gab.

Es scheint wirklich die unterschiedliche Perspektive auf das Geschehen zu sein, die wir haben.
Aber für mich mich war die Veranstaltung, bei dem Wegedesign (inclusive Verengung an der Floatstrecke am Rampenkopf), der Befüllung und Leerung via Gegenverkehr und Schleuse,der eingesparten Lautsprecheranlage, und der "charmanten Idee" des Bauamtes, nicht via Abnahme für die Verhinderung der Veranstaltung zu verweigern, kaum zu retten.
Schon gar nicht mit den paar Polizisten, die Walter dann involviert.

Eines fände ich noch wichtig:
Können wir mal ermitteln wie breit oben am Rampenkopf Platz ist um an den Floats vorbei auf das Gelände zu kommen, und was das für den Flow bedeutet. Da scheint mir Still nämlich in der Tat zu kurz zu analysieren.

P.S.
Oberhagemann geht davon aus, dass bei dem Stau oben, die Rampe nach unten in ca 15 Minuten volläuft.
 

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### wo ist eigentlich in all Euren Ursachenforschungen Carsten Walter? ###

 

Hahaha - den und die komplett versagende Veranstaltertruppe nehmen wir(ich) ab 14:30 gar nicht mehr für voll - was die Rampe bzw. den Rampenkopf betrifft. Es kann schon sein, dass Veranstalter (Rampenkopf) und Polizei (Schleusen/Vorsperren) unterschiedliche Problemsichten hatten und die Polizei versucht hat, beides unter einen Hut zu bekommen. Aber die Polizei hat nunmal ab 15:45 die vollständige Besuchersteuerung übernommen (gezwungenermaßen - aufgrund der Handlungsunfähigkeit des Veranstalters) und dabei (möglicherweise) entscheidende Fehler gemacht.

Und dadurch, dass der Veranstalter sowieso völlig hilflos oder unfähig bzgl. jeglicher Personensteuerung zwischen Schleuse und Hauptgelände war, konnte er natürlich auch keine operativen Fehler mehr machen. Was die mit ihren 1000 Ordnern gemacht haben, frage ich mich auch. Andererseits stellt sich die Frage, ob diese zusammengewürfelten Ordner überaupt jemals dazu in der Lage gewesen wären, Besuchermassen zu steuern.  Alleine diese Unfähigkeit und Ordnereinsatzplanung auf der Hauptrampe und am Rampenkopf müsste man schon bestrafen.

 

Auch sonst stimme ich voll mit dem Beitrag überein. So unterschiedlich sind die Ansichten also offensichtlich nicht. Grundsätzlich muss man sich nur dagegen wehren, dass bis zum Unglückszeitpunkt die Kapazität des Tunnel-/Rampensystems "rechnerisch" nicht ausgereicht hätte und es deshalb zu der Menschenverdichtung im unteren Rampenbereich gekommen ist.

Was nie und nimmer ausgereicht hat ist einfach die Kapazität und Durchflussgeschwindigkeit der Rampenköpfe, da diese mehr oder weniger direkt in die Floatsrecke gemündet sind. An dieser Stelle wurde offenbar planerisch auch einfach mit Durchlassbreite * X * 60 und einer Prise Mitziehkonzept gerechnet - und das ist schwer in die Hose gegangen.

 

Nur ist hier auch die Frage, ob da nicht spätestens um 15:45 radikal eingegriffen werden musste  - so radikal (Schleusenvollsperre), wie es ja plötzlich auch um 17 Uhr möglich war. Da gab es auch keinen Flow mehr, obwohl doch zwischen 17 und 18 Uhr angeblich die schlimmste Stunde mit dem höchsten Besucherandrang werden sollte. Plötzlich war eine Vollsperre kein Problem mehr ? Sollten doch noch fast 100.000 Anreisende an den Schleusen gestanden haben oder was ist mit denen plötzlich passiert ?

 

Zum Rückstau bei komplett dichtem Rampenkopf: (Originalbezäunung an den Böschungsseiten)

Aufgrund der oberen Zäune und des Fahrzeugstreifens würde ich mal grob mit 200m Länge und 20m Breite rechnen.

Bei einer Staudichte von 4 Pers/qm  ergibt sich eine Staukapazität von: 200 x 20 x 4 =16.000 Personen.

Prof. Still hat 90.000 Pers/h Durchfluss aufgrund der Breite berechnet. Hinter dieser gedachten horizontalen Durchflussstelle ergibt sich also nach einer Stunde eine Staulänge von 90.000/16.000=5,6 fache Länge der HR --> 60 Minuten/5,6=11 Minuten bis voll

Bei 40.000 Pers./h (ermittelte Realzahl zwischen 15 und 16 Uhr): 40.000/16.000=2,5 --> 60 Minuten/2,5=24 Minuten bis voll

 

Wie man jetzt den "Flow" am Rampenkopf berechnet ist schwierig. M.E. darf allenfalls der Platz zwischen Rampenende und Floatstrecken-Beginn gerechnet werden, da das Mitziehkonzept eher Leute von der Seite, als Leute von der Rampe mitzieht:

Meine optische Einschätzung dieses Bildes: http://img221.imageshack.us/img221/9908/rampenkopf.jpg

Zwischen den seitlichen Rampenzäunen: 20 Meter

Zwischen Zaunende und Floatstrecke: 15 Meter je Seite

Macht 20*82*60 = 98.400/h in "simple mathematics" - aber wo sollten die hin "flowen", wenn die Hälfte auf dem Rampenkopf stehen bleibt oder sich in unmittelbarer Nähe der Loveparade=Floatstrecke aufhält ?

 

Wie oben schon vorgerechnet, war bereits zwischen 15 und 16 Uhr und 4 Pers/qm eine 2,5-fache-Hauptrampenfläche als Auslauf nötig - also eine komplett leere Fläche von 500 x 20 Meter = 10.000 Quadratmeter. Bei den vorgeschriebenen 2,5 Pers/qm sogar 800 x 20 Meter = 16.000 qm !

Zwischen 17 und 18 Uhr wären es bei 2,5 Pers/qm sagenhafte 1,8 Kilometer x 20 Meter Breite = 36.000 Quadratmeter nur für die Anreisenden gewesen! Komplett leere Fläche, welche an die Hauptrampe angrenzen muss, um Rückstaus zu vermeiden!

Diese leeren Flächen gab es vielleicht im unattraktiven Nordosten, aber ganz bestimmt nicht ab 14 Uhr in der Nähe der Floatstrecke mit Verbindung zur HR!

 

Und genau hier liegt das Problem:  In der Nähe der Floatstrecke gab es keine ausreichend leeren Durchgangs-Flächen - nur irgendwo geballt im Nordosten und im Süden. Das längliche Hauptgelände mit dem Riesen-Gebäude in der Mitte und der umlaufenden Floatstrecke - sowie der extra am Nordost-Rand und im Süden noch ausgebaggerten riesigen "reinen Alibi-Flächen" stand dem Eingangsdurchfluss immer im Weg. Diese bestimmt 50.000qm große Alibi-Flächen im Nordosten und Süden wurden der LOPA zum Verhängnis, denn niemand konnte von der HR dort hin fliegen oder hingepusht werden.

Foto: http://news.orf.at/static/images/site/news/20100729/loveparade_luftbild_...

 

Mit zunehmender Füllung des (wahren) Kern-Hauptgeländes (50-60Tsd. qm ohne Süden und Nordosten) nahm der Durchfluss am Rampenkopf immer mehr ab, weil sich die ersten Partybesucher bis 14 Uhr nunmal nicht anständig in die nordöstliche oder südliche Ecke gestellt haben ;-) - sondern direkt an der Strecke auf den Start der Floats gewartet haben. Und das war eindeutig voraussehbar!

 

 

 

 

 

 

 

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lopachron schrieb:

### wo ist eigentlich in all Euren Ursachenforschungen Carsten Walter? ###

 

Hahaha - den und die komplett versagende Veranstaltertruppe nehmen wir(ich) ab 14:30 gar nicht mehr für voll - was die Rampe bzw. den Rampenkopf betrifft. Es kann schon sein, dass Veranstalter (Rampenkopf) und Polizei (Schleusen/Vorsperren) unterschiedliche Problemsichten hatten und die Polizei versucht hat, beides unter einen Hut zu bekommen.

 

Aber die Polizei hat nunmal ab 15:45 die vollständige Besuchersteuerung übernommen (gezwungenermaßen - aufgrund der Handlungsunfähigkeit des Veranstalters) und dabei (möglicherweise) entscheidende Fehler gemacht.

Mit Schleusen meinst Du die Vereinzelungsanlagen?

Im eigenen Selbstverständnis hat die Polizei die komplette Kontrolle wg. "akuter Gefährdungssituation" erheblich später übernommen.

Der Leiter des Einsatzes wird ja gerade deshalb als Beschuldigter geführt, weil er die Gefährdungssituation eher hätte erkennen können.

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Lieber Pilsbierchen,

die Veranstaltung wäre auch bei sehr viel weniger Besuchern nicht genehmigungsfähig und auch nicht abnahmefähig gewesen. Es fehlten die notwendigen Rettungswege (Openair in Abständen von 60 Metern, auch im Tunnel!), die notwendige ELA/ Lautsprecheranlage (Prof.Still beweist ja auch warum eine ELA unerlässlich ist) fehlt ebenfalls, das gesamte Sicherheitskonzept entsprach nicht den Anforderungen.

Das werbliche Anlocken gigantischer Menschenmengen und der Verzicht auf jegliche Begrenzung dieser Menge (z.B. durch Ticketausgabe) bringt den Veranstalter automatisch in die Pflicht, sich um die Sicherheit dieser Menschen verantwortlich zu kümmern, selbst wenn diese Menschenmenge das Fassungsvermögen der Versammlungsstätte überschreitet. Die vorher verbreiteten Falschangaben (1.5 Mio Besucher!) sind da nachträglich eine juristische Falle für den Veranstalter und die Stadt, die diese Lüge offensiv verbreitet haben. Deswegen fehlten bei der Loveparade ja auch rechtswidrig die nach SBauVO vorgeschriebenen Übersichtspläne, die in der Nähe der Eingänge öffentlich einsehbar hängen müssen (so wie ein Bestuhlungsplan im Foyer jedes Kinos). Da wäre die Lüge und das Fehlen von Rettungswegen nämlich aufgefallen.

Wenige, einzelne Personen kann man anhalten. Große eintreffende Menschenmengen kann man überhaupt nicht anhalten, sondern nur umleiten. Eine Sperre einer Einlassanlage ist nur möglich, wenn der Zustrom an Menschen woanders hin geleitet wird. Der Vergleich mit Wasser und Hydraulik ist hier richtig. Wenn ich eine Flut staue, erhalte ich Staudruck. Genau der führt bei Menschen zum Tode. Also muss der Druck konstant niedrig gehalten werden (auf 2 Menschen/ m²) und eine Überflussmenge abgeleitet werden. So macht das die chinesische Polizei vor dem chinesischen Neujahrsfest. Es gibt keine Sperren, sondern weichenartige Gestaltungen. Bei Überfüllung werden die flankierenden Gitter (zugelassene Gitter, keine Bauzäune!) an der Weiche umgesetzt und ein zweiter, vorher nicht benutzter Fußweg nimmt den Menschenstrom auf. Diese Wege sind alle prinzipiell als Einbahnstraßen konzipiert und so breit, dass 10 Personen nebeneinander gehen können. Es sind auch umfangreiche Wartezonen vorgesehen, auf denen große Menschenmengen rasten können. Die Kommunikation der Polizei funktioniert, es sind viele Polizeibeamte vor Ort und man sieht Megafone. Genau das habe ich alles selber schon vor Jahren in Guangzhou/ Kanton gesehen. Das wirkte völlig unaufgeregt und wohldurchdacht. (Vor den Feierlichkeiten zu Neujahr wollen viele Hundert Millionen Menschen große Strecken zur Familie zurücklegen und müssen anschließend wieder zum Arbeitsort. Dies ist landeweit der einzige Jahresurlaub. 2012 geht die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua von 3,16 Mrd. Reisebewegungen innerhalb von 40 Tagen aus. Z.Bsp. sind allein am letzten Freitag per Zug 5,7 Mio Passagiere transportiert worden.)

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Ich möchte einmal kurz meinen persönlichen "Zwischenstand" zu dieser Diskussion formulieren:

Zwei zum Teil konfligierende Positionen/Sichtweisen kristallisieren sich heraus:

Einerseits die globale Sichtweise, die von den geplanten/beworbenen Besucherzahlen und dem Ein-/Ausgangskonzept ausgehen und eine potentiell gefährliche Lage voraussehbar erscheinen lassen (eine eher prospektive Sicht). Da zugleich wichtige Sicherheitsanforderungen (Rettungswege, Lautsprecher, Ordnerzahl, Freiräumung der Rampe) fehlen - kann eine mangelnde Genehmigungsfähigkeit der LoPa konstatiert werden. Daraus wird dann geschlossen, dass die Veranstalter und die Genehmigungsbehörden schon allein mit dieser Planung das Unglück verursacht haben und zur Verantwortung zu ziehen sind.

Dagegen steht eine detailliertere Sichtweise, die von dem konkreten Unglück/der tödlichen Massenturbulenz ausgeht, und darauf schaut, welche Maßnahmen genau zu diesen Ereignissen geführt haben (eine eher retrospektive Sicht). Danach erscheint es so, dass anhand der niedrigeren realen Besucherzahlen die Ein-Ausgangssituaton allein noch nicht das Unglück ausgelöst hat, die strafrechtliche Verantwortung der Planer/Genhemiger wird damit in Frage gestellt. Hierfür kommen dann die Polizeiketten in den Blick, deren fatale Bedeutung für das Gedränge an dieser Stelle faktisch wohl nicht bestritten werden kann.

Natürlich sind beide Sichtweisen nicht erst seit dem Still-Gutachten in der Diskussion und sie bieten der jeweiligen Seite der Beschuldigten (Lopavent/Stadt/Polizei)  Stoff für ihre je eigene Version, die Verantwortung auf die anderen zu schieben.

Keith Still bezieht sich nur auf die erste Sichtweise, er betrachtet vor allem die Ausgangslage bei der Planung und Genehmigung und sagt, dass dieses Konzept nicht aufgehen konnte. Was fehlt, ist die Verknüpfung mit den konkreten Ereignissen. Eine solche Verknüpfung ist aber für die strafrechtliche Würdigung (Pflichtwidrigkeitszusammenhang) enorm wichtig.

Der Zusammenhang zwischen Genehmigung/Planung und fatalem Gedränge infolge der Polizeiketten wird hergestellt durch den mangelnden Durchfluss am Rampenkopf: Man hätte voraussehen können und müssen, dass sich die Menschen nicht von allein in die hinteren Ecken des Geländes begeben, sondern viele dort stehen bleiben, wo sie voraussichtlich einen guten Blick aufs Geschehen haben, den sie auch durch Weitergehen nicht mehr verbessern können. Dies kann jeder, der ein Konzert besucht, natürlich voraussehen: Wird der (einzige) Eingangsweg direkt an der Bühne vorbeigeführt, bleiben natürlich viele an dem begehrten Platz direkt an der Bühne stehen und erzeugen so einen Rückstau.

Ein solcher Rückstau führt dann recht schnell zu einem Kollaps des gesamten Eingangsbereichs.

Der Eingangsbereich der LoPa in Duisburg war dann zusätzlich (infolge der Planung/Genehmigung) belastet durch die bekannten Defizite - gleichzeitig Ausgang, Tunnelsituation, keine Rettungswege, keine Notausgänge, keine Lautsprecher, Bauzäune, halboffener Gulli etc.), deshalb war ein solcher "Rückstau" hier ganz besonders gefährlich. Es gab eben kein Netz, keinen doppelten Boden.

Die Polizeiketten bei der LoPa waren (ebenso fahrlässige) Versuche, einen Kollaps zu vermeiden, haben ihn aber tatsächlich verschärft bzw. die tödliche Massenturbulenz unmittelbar ausgelöst. Eine Hauptfrage in der strafrechtlichen Würdigubng wird sein, ob und inwieweit ein solcher Ablauf schon für die Planer und die Genehmigungsbehörden vorhersehbar war.

Hauptkritik am Still-Gutachten ist deshalb, dass sich Herr Still mit dem Rampenkopf überhaupt nicht befasst hat, nicht mit den realen Besucherzahlen und auch nicht mit den Polizeisperren, so dass der Zusammenhang zwischen Planung/Genehmigung und dem konkreten Unglück auch nicht hinreichend erklärt wird.

Die erforderliche Faktenbasis dazu gibt es bereits, zum Beispiel unter "Bewegungsmodell" auf lopa2010doku, wo nicht nur eine reale Besucherzählung versucht wird, sondern auch die Situation am Rampenkopf und der dortige Rückstau (bereits ab 14 Uhr) nachvollziehbar dargestellt wird.

 

 

@Prof.Dr. Müller

 

###104:

Ich möchte einmal kurz meinen persönlichen "Zwischenstand" zu dieser Diskussion formulieren:

Zwei zum Teil konfligierende Positionen/Sichtweisen kristallisieren sich heraus: ###

 

M.E. eine großartige Zusammenfassung der unterschiedlichen Betrachtungsmöglichkeiten. Das könnte man direkt so nehmen und in einer Zeitung abdrucken. Denn sie beschreibt m.E. nicht nur den "Zwischenstand" in der Internet-Diskussion, sondern überhaupt den aktuellen "Zwischenstand".

 

Prospektive / Retrospektive Sicht:

M.E. sind alle Sichtweisen nach dem 24.7. grundsätzlich retrospektiv.

Einzig Prof. Still tut in seinem Gutachten weitgehend so, als hätte das Ereignis noch gar nicht stattgefunden. Sein Gutachten wäre also auch vor dem 24.7. in großen Teilen ähnlich ausgefallen. Er vermittelt damit tatsächlich eine prospektive Sichtweise.

Das Problem dabei: Wäre sein Gutachten wirklich vor dem 24.7. erschienen, so hätten die Verantwortlichen - um den Bedenken des Gutachtens zu entsprechen - nur die Zäune wegräumen und auf den Ausgang Nebenrampe verweisen brauchen (abgesehen von evtl. einer ELA und anderen kleineren Details), um die LOPA "Still-konform" trotzdem durchzuboxen. 

Dieses hätte die Rampenkopfprobleme aber eher noch verstärkt und auch eine ELA nutzt ja nur dann etwas, wenn es auch ausreichend dimensionierte und erreichbare Freiräume gibt, wo man die Menschenmassen hin steuern kann.

Hier bezweifele ich, dass sich die Leute, welche als erste an der Bühne (Floatstrecke/Rampenkopf)  gewesen sind, per ELA und Pusher in die nordöstliche oder südliche Ecke hätten zwingen lassen - was aber für einen ausreichend hohen Rampenkopfdurchfluss notwendig gewesen wäre.

 

Daraus kann man ableiten, das auch ein "pre existentes Still-Gutachten" eine solche Katastrophe vermutlich nicht verhindert hätte. Deshalb kritisiere ich auch, dass er nicht - retrospektiv - auf die Gründe und Entwicklung der realen Menschenverdichtung eingegangen ist:

Nämlich auf die - für die geplanten Besuchermassen - ungeeignete und nicht zum Geländedesign passende Position und Mündung des Ein-/Ausgangs (Rampemkopf) und die daraus ja erst folgenden polizeilichen Maßnahmen.

Nur durch eine solche retrospektive Betrachtung der Duisburger Katastrophe und der Feststellung des eigentlichen Problems, kann man die Sicherheit zukünftiger Veranstaltungen verbessern - ganz besonders im Hinblick auf die Gestaltung von alleinigen Ein-/Ausgängen, welche nahezu direkt im Bereich der Hauptattraktion münden. Weiterhin kann man nur aus einer - retrospektiven - Analyse der Polizeitaktik Schlüsse für eine geeignetere Vorbereitung auf vergleichbare zukünftige Problemsituationen ziehen.

Dass eine derartige - retrospektive - Vorgehens- und Betrachtungsweise im aktuellen Fall LOPA - parallel zu den notwendigen Konsequenzen für die Planungs und Genehmigungsinstanzen - auch (straf-)rechtliche Konsequenzen für die "operative Führung" mit sich bringen könnte, muss man m.E. in Kauf nehmen und halte ich - falls eindeutig bewiesen - auch für gerecht...

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...was zum auch für Realzahlen ungeeigneten "Bühnen-Zugang" Hauptrampe noch hinzu kommt, ist, dass die aus dem "Loch" kommenden Besucher aufgrund des sichtversperrenden riesigen Gebäudes in der Mitte gar nicht wahrnehmen konnten, dass es im über 300 Meter entfernten Norden überhaupt attraktiver werden oder interessanter sein könnte.  Auch deshalb sind m.E. viele einfach auf dem Terrain der südlichen und südöstlichen Floatstrecke verblieben. M.E. voraussehbar und verständlich. Warum sollte ich mit einem Float mitlaufen, wenn mir durch "stehen bleiben" viel mehr Abwechslung geboten wird ? Und warum sollte ich Neuankömmlingen meinen "guten Platz" überlassen ?

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@lopachron (zu #100)

Vielen Dank für Deine ausführliche Argumentation. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir beide zu denjenigen gehören, die am meisten zugängliches Beweismaterial gesichtet haben (Fotos und vor allem Videos): Jedenfalls decken sich unsere Sichtweisen zu 99%. Ich kann Dir in allem folgen und unterstütze jeden einzelnen Satz.

@Lothar Evers (zu #101)

Wie Du weißt, liegt mir nichts ferner, als Carsten Walter in Schutz zu nehmen. Insbesondere die Tatsache, dass er spätestens um 16:49 Uhr (genauen Zeitpunkt wissen wir leider nicht) den Container verlassen hat und die Polizei beim Zäune-Festhalten an seinem "Vorgarten" unterstützte, anstatt noch irgendwas zu unternehmen, was die Lage hätte verändern können (z.B. Durchsagen über die Veranstaltungsbeschallung veranlassen), macht deutlich, dass hier wohl der falsche Mann am falschen Ort war.
Es gibt ja die bekannte Aussage der Feuerwehr zu PK 3 "dass diese Maßnahme aus einsatztaktischer Sicht sehr problematisch ist. Aus diesem Grund ist die Feuerwehr dagegen". Was hat Walter eigentlich dazu gesagt?
Aber unabhängig davon, ob er tatenlos zusah oder versucht hatte, gegenzusteuern, es wäre vermutlich ohne Auswirkung geblieben. Wenn sich die Polizei von der Feuerwehr nicht reinreden lässt, dann schon gar nicht von einem Psychologen.
Die Polizei hatte de facto die Hoheit auf dem Platz übernommen, weshalb sie m.E. auch für die Folgen ihrer Maßnahmen selbst gerade stehen muss.
 

@Meister für Veranstaltungstechnik (zu #103)

### die Veranstaltung wäre auch bei sehr viel weniger Besuchern nicht genehmigungsfähig und auch nicht abnahmefähig gewesen. Es fehlten die notwendigen Rettungswege (Openair in Abständen von 60 Metern, auch im Tunnel!), ###
Auf den Zuwegen zu Großveranstaltungen wird man höchst selten alle 60 Meter eine Entfluchtungsmöglichkeit haben und Tunnel (länger als 60m) dürften dann grundsätzlich nicht mehr als Zuwege erlaubt sein. Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, weil dann ja fast gar keine Veranstaltungen mehr zugelassen werden dürften.
Ich vermute, Ihre Aussage trifft auf geschlossene Veranstaltungsflächen zu. Und hier hatten wir es in Duisburg ja mit der Besonderheit zu tun, dass die Tunnel und Rampen zur Veranstaltungsfläche zählten, obwohl sie vom Charakter her nur als Zu- und Abwege geeignet und gedacht waren.
Formal mögen Sie daher Recht haben, ob dies allein genügt, zu beweisen, dass das Unglück eine unausweichliche Folge allein der Planungen war, erscheint mir nach wie vor nicht sicher.

### Das werbliche Anlocken gigantischer Menschenmengen und der Verzicht auf jegliche Begrenzung dieser Menge (z.B. durch Ticketausgabe) bringt den Veranstalter automatisch in die Pflicht, sich um die Sicherheit dieser Menschen verantwortlich zu kümmern, selbst wenn diese Menschenmenge das Fassungsvermögen der Versammlungsstätte überschreitet.###
Gibt es Gesetze, wo dieser "Automatismus" festgeschrieben wird? Und kann das so pauschal stimmen? Wäre der Veranstalter z.B. auch verantwortlich, wenn es zu tödlichen Unfällen am Hauptbahnhof gekommen wäre?

### Wenige, einzelne Personen kann man anhalten. Große eintreffende Menschenmengen kann man überhaupt nicht anhalten, sondern nur umleiten. Eine Sperre einer Einlassanlage ist nur möglich, wenn der Zustrom an Menschen woanders hin geleitet wird. ###
Leuchtet mir ein. Was dann in Duisburg bedeutet hätte, dass schon weit vor den Einlassanlagen Vorsperren errichtet und Ausweichstrecken freigehalten hätten werden müssen. Vorsperren (wenn auch unzureichende) gab es ja, Ausweichstrecken kaum. Zeugen beschreiben die Zuwege als vergitterten Gang, auf dem die Besucher nur in eine Richtung getrieben wurden. Die Polizei soll sogar verhindert haben, dass man zurückgehen konnte. (siehe u.a.  Kommentar von mchrobok).

@Prof. Müller (zu #104)
Vielen Dank für die Zusammenfassung (#104). Wie Sie wissen, gehöre ich mehr zu den Anhängern der detaillierteren Sichtweise, was übrigens nicht ausschließt, die globalen Fakten wahrzunehmen.
Ich finde, Sie kriegen das sehr gut hin, alle Sichtweisen im Auge zu behalten und weder vorzuverurteilen noch jemanden auszuschließen.

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"Dann hat er (Walter) die Polizei involviert und falsch gebrieft. Er hat eben nicht um Hilfe beim Schliessen der Schleusen gebeten, sondern darum, den Druck auf den Rampenkopf zu mindern damit er dort via Pu´sher Staus auflösen könnte, wissend dass es die nicht gab." - Lothar

Hat er wohl, siehe Interviews.

"Ich brauchte, den Absprachen gemäß, nun die Unterstützung der Polizei. Ich brauchte den zuständigen Polizeiführer, und zwar ganz schnell. Nur der hätte entscheiden können, das Gelände endgültig abzuriegeln."

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,710875-2,00.html

 

"Es gibt ja die bekannte Aussage der Feuerwehr zu PK 3 "dass diese Maßnahme aus einsatztaktischer Sicht sehr problematisch ist. Aus diesem Grund ist die Feuerwehr dagegen". Was hat Walter eigentlich dazu gesagt?" - PB

 

Herr Walter wollte die PK 3 nach eigener Aussage oben am Rampenkopf haben:

"BILD: Was hat der Polizeiführer getan, als er nach 45 Minuten in ihren Container kam?

Walter: „Ich habe empfohlen, die Schleusen vor den Tunneln komplett zu schließen, die zweite Rampe als zusätzlichen Eingang zu öffnen, um den Druck aus dem Tunnel und von der Rampe zu nehmen. Was danach gemacht wurde, dazu sage ich nichts.“

BILD: Wieso tauchte dann unten auf der Rampe eine Polizeikette auf?

Walter: „Ich habe sie oben auf der Rampe empfohlen, um die Menschen auf den Platz zu drängen. Warum sie unten stand, weiß ich nicht.“"

http://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/ruhrgebiet-regional/das-lief-schief-bei-der-loveparade-13574838.bild.html

 

"SPIEGEL: Die Polizeikette an der richtigen Stelle, oben auf der Rampe, hätte die Situation Ihrer Meinung nach entzerrt?

Walter: Das hätte mehr Platz geschaffen. Aber noch mal: Ich kann der Polizei keine Anweisungen geben, ich kann keine Polizeikette anfordern, wo auch immer."

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,710875-2,00.html

 

 

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Vielen Dank für die vielen qualifizierten Diskussionen hier.

 

Ich komme nicht recht über die inhaltliche Kürze des Still-Gutachtens hinweg. Es ist mindestens erstaunlich, eher schon  ärgerlich und vielleicht auch skandallös?

Wissen wir genauer, was Aufgabenstellung von Herrn Still war? Gehört dazu nach intern. wissensch. Regeln nicht auch eine Angabe in dem Gutachen selber? Welches Material lag ihm vor und was war davon übersetzt? Warum steht davon nichts im Gutachen? Warum wurde überhaupt ein nicht-deutschsprachiger Fachmann ohne Orts- und Rachts- und Mentalitätskenntnisse ausgesucht (so interpretiere ich zumindest nach Durchsicht des Gutachtens)?

Handelt es sich hier nicht auch um eine Schlechtleistung der Staatsanwaltschaft mit der Auswahl des Gutachters und ggfs. der Auftragsformulierung? Was kostet dieses Gutachen?

Da ich nicht alle diese Fragen selbst beantworten kann, möchte ich mich im Urteil noch zurückhalten. Aber man ist geneigt zu vermuten, dass es sich am Ende um eine peinliche Leistung handelt.

Vielleicht findet der Gutachter ja selbst mal auf diese Seite und rechtfertigt sich ;-)

 

PS: Wer möglichst knapp und mit Verweis auf die #Beitrags-Nr. zitiert, hilft dabei, dieses Forum lesbarer zu gestalten.

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Lieber Pilsbierchen,

1. die 60 Meter Maximalabstand (30 Meter Radius) beziehen sich auf das geltende Baurecht - SBauVO NRW §7 .  Das gilt selbstverständlich auch im Tunnel wie auch an jeder anderen Stelle der Versammlungsstätte. Eine Abweichung hiervon ist nicht zulässig. Unter anderem genau deswegen ist die Genehmigung des Loveparade-Geländes illegal gewesen.

Und alle Versammlungsstätten, die legal zugelassen sind, verfügen über ausreichende und nah erreichbare Rettungswege. Das geht alles problemlos - wenn auch mit Kosten. (Bei der Loveparade hätte man unbedingt Brücken über die Autobahn gebraucht und bei den Tunneln Treppentürme, die aus den Tunneln herausführen). Die Flächen der Zuwegungen ab dem Einlass gehören zur Versammlungsstätte, auch wenn dort keine Veranstaltung stattfindet - genauso wie ein Foyer im Kino.

2. Der Veranstalter wäre auch bei einer Katastrophe am Bahnhof mit in der Verantwortung. Das gehört mit ins Sicherheitskonzept und folglich haftet der Veranstalter für Mängel und mangelhafte Durchführung. Hier ist das Gutachten von Prof.Still sehr brauchbar. Der Veranstalter hat für die Sicherheit der Besucher zu sorgen - dies meint eine Bringschuld des Veranstalters. Passiert etwas, ist der Veranstalter seiner Pflicht nicht nachgekommen (bis auf ganz wenige Ausnahmen wie höhere Gewalt, also Meteoriteneinschlag, nicht Unwetter - dass muss berücksichtigt sein!)

3. Genau die Ausweichstrecken fehlten. Deswegen wurden ja auch die Einlässe wieder geöffnet. Es gab also kein funktionsfähiges Konzept zum Stoppen beim Einlass und zum Umleiten der Menschenmengen, um zu hohen Druck zu vermeiden. Hier haben also sowohl der Veranstalter, die Planer der Polizei bei den Vorbesprechungen,die Gutachter, der Crowdmanager wie auch der Einsatzleiter der Polizei am Veranstaltungstag ihre Sorgfaltspflicht verletzt.

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### Deswegen wurden ja auch die Einlässe wieder geöffnet. Es gab also kein funktionsfähiges Konzept zum Stoppen beim Einlass und zum Umleiten der Menschenmengen, um zu hohen Druck zu vermeiden. ###

 

Doch - ein funktionierendes und lebensrettendes Konzept gab es: Abbruch per Großeinsatz!

Diesen Befehl (Fahrzeugsperren, Besucherinformation, Um-/Wegleitung) erhielt der EA/West um 16:40 und der EA/Ost um 16:48 direkt vom Polizeiführer.  (es ist davon auszugehen, dass zu diesen Zeitpunkten bereits die ersten Besucher erdrückt worden sind)

Kurze Zeit später war der Spuk vorbei und beide Einlässe konnten ohne bekannte größere Probleme geschlossen werden. Und das alles, obwohl zu dem Zeitpunkt der höchste Besucherandrang des Tages erwartet wurde.

 

Das zeigt, dass diese Maßnahme auch problemlos schon um 15:40 möglich, nötig und lebensrettend gewesen wäre. Nur da fehlte der klare Befehl des Polizeiführers bzw. die klare Entscheidung der LOPA-Leitung. In Folge dieser fehlenden Grundsatzentscheidung hat der EA/F Schutz der Veranstaltung bei seinem Versuch die Veranstaltung am Laufen zu halten mit seinem undurchdachten Polizeiketten-Konzept und seiner misslungenen 3-Richtungs-Stau-Taktik innerhalb von 30 Minuten eine tödliche Massenverdichtung produziert, die es zu dem Zeitpunkt und an dem Ort ohne die Polizeiketten-Aktion "noch längere Zeit" nicht gegeben hätte.

Die zögerliche LOPA-Leitung/Polizeiführung hat diese viel zu kurz gedachte 30-Minuten-Aktion aber fatalerweise toleriert und damit unterstützt, obwohl ihnen klar sein musste, dass dadurch weder die Rampenkopfprobleme noch die entstandenen Sicherheitsprobleme am seitlichen Rampenkopf auf Dauer gelöst werden konnten. Und selbst um 16:25, bei einer aufkommenden Verdichtung von bis zu 10 Pers/qm, sah man sich noch nicht genötigt die Veranstaltung sofort abzubrechen. Das zeigt nochmals deutlich das komplett fehlende Sicherheits- und Verantwortungsbewusstsein bzw. die Blamage-Angst der LOPA-Führung/Polizeiführung --> Abbruch und Blamage erst dann, wenn es Tote gibt...

 

Die Bilder der ÜK's zeigen ab 15:30 (Stürmen der abgesperrten seitlichen Rampenkopfböschungen), dass hier schon nur noch ein Abbruch der Veranstaltung in Frage kommen konnte.

Aufgrund der Besucherprognose und den Rampenkopf-Erfahrungen seit 14 Uhr musste man voraussehbar davon ausgehen, dass diese Lage von 15:30 nicht nur noch bis 20 Uhr anhält, sondern sich sogar noch verschlimmern würde. Auch riskante und evtl. kurzfristig funktionierende Polizeiketten-Maßnahmen um 16 Uhr im Tunnel konnten daran absehbar dauerhaft nichts ändern.

Man hat also ab diesem Zeitpunkt in Kauf genommen, dass diese steilen 4-6 Meter hohen gefährlichen und zuvor abgesperrten seitlichen Zu-/Abgänge von nochmals bis zu 700.000 Menschen (2x485.000 hin und zurück=970.000 insgesamt ohne Notausgänge und Nebenrampe) genutzt werden (bei einem Dutzend am Boden liegender verbogener Zaunelemente als Stolper- und Verhakungsfallen) und dass die Verdichtung am oberen Rampenkopf sowie der Rückstau auf der Hauptrampe immer gefährlichere Werte erreichen wird.

Auch wenn die Planung schon deutlich daneben war und alle vorsätzlich weggeschaut haben, so hätte man doch spätestens bei den Live-Bildern um 15:30 aufgeben und einsehen müssen, dass das Risiko nun einfach zu hoch wird und die "beobachtete" Durchfluss-Kapazität des Ein-/Ausgangs Rampe/Rampenkopf schlicht zu gering ist sowie dass das Mitziehkonzept niemals ausreichend funktiert hat. Die Gegebenheiten hatten sich ja durch die Böschungsgefahren gegenüber der ohnehin schon missratenen Planung nochmals erheblich verschlechtert. Beides wurde zwischen 14 Uhr und 15:45 Uhr deutlich erkennbar und offensichtlich - und auch per ÜK übertragen.

 

Kein normal denkender Mensch und auch kein Experte, Planer und Genehmiger im Vorfeld hätte dieses hohe Risiko, welches ab 15:30 Uhr am seitlichen Rampenkopf permanent gegeben war, akzeptiert. Die zu erwartende stetig steigende Dauerverdichtung bzw. der konzeptionelle Dauerpfropf am Rampenkopf kommt da noch erschwerend dazu.

 

Mittags hatte man ja sogar noch aus Sicherheitsgründen den im Vergleich zum Rampenkopf-/Böschungs-Chaos harmlosen Gulli provisorisch abgedeckt und zusätzlich mit einem Ordner bewachen lassen.

Etwa 3 Stunden später wurde dieses anfängliche Sicherheitsbewusstsein aber dann offenbar total ausgeblendet. Prestige-Sucht und Blamage-Angst standen ab 15:30 offensichtlich ganz ganz weit über der Sicherheit der Besucher - noch weiter, als schon in den illegalen Planungs- und Genehmigungsprozessen vor dem 24.7.  - m.E. fast schon so weit, dass man ab diesem Zeitpunkt Tote skrupellos in Kauf genommen hat bzw. nur noch mit geschlossenen Augen gehofft hat, dass eine sich deutlich abzeichnende mögliche Katastrophe auf der Hauptrampe bzw. am Rampenkopf irgendwie doch noch - wie durch ein Wunder - ausbleibt...

 

 

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lopachron # 112 schrieb:

### Deswegen wurden ja auch die Einlässe wieder geöffnet. Es gab also kein funktionsfähiges Konzept zum Stoppen beim Einlass und zum Umleiten der Menschenmengen, um zu hohen Druck zu vermeiden. ###

Doch - ein funktionierendes und lebensrettendes Konzept gab es: Abbruch per Großeinsatz

Ganz im Gegenteil, für die Polizei gab es das "lebensrettende Konzept: Abbruch" zu diesem Zeitpunkt nicht. Hier hätte nur Lopavent selber abbrechen können, weil es sich um ein geschlossenes Veranstaltugsgelände handelte, auf dem die Polizei nur bei "gegenwärtiger Gefahr" total abbrechen und übernehmen durfte.

Die Polizei hat dann nicht plötzlich, sondern sehr richtig

Quote:
  .........Diesen Befehl (Fahrzeugsperren, Besucherinformation, Um-/Wegleitung) erhielt der EA/West um 16:40 und der EA/Ost um 16:48 direkt vom Polizeiführer.  (es ist davon auszugehen, dass zu diesen Zeitpunkten bereits die ersten Besucher erdrückt worden sind)
....diesen Totalabbruch angeordnet, weil jetzt gegenwärtige Gefahr bestand. Zu dem Zeitpunkt hat die Feuerwehr und auch ein Polizist (wenn ich slayerplayer richtig deute) die ersten Stürze oder Tote gemeldet.

Quote:
kurze Zeit später war der Spuk vorbei (...) Das zeigt, dass diese Maßnahme auch problemlos schon um 15:40 möglich, nötig und lebensrettend gewesen wäre. Nur da fehlte der klare Befehl des Polizeiführers bzw. die klare Entscheidung der LOPA-Leitung.
 

Das zeigt nur, dass die Massnahme um 15:40 für Lopavent möglich gewesen wäre. NICHT für die Polizei. 

Quote:
In Folge dieser fehlenden Grundsatzentscheidung hat der EA/F (...)innerhalb von 30 Minuten eine tödliche Massenverdichtung produziert,(...)Die zögerliche LOPA-Leitung/Polizeiführung hat diese viel zu kurz gedachte 30-Minuten-Aktion aber fatalerweise toleriert und damit unterstützt, obwohl ihnen klar sein musste, (...). Das zeigt nochmals deutlich das komplett fehlende Sicherheits- und Verantwortungsbewusstsein bzw. die Blamage-Angst der LOPA-Führung/Polizeiführung --> Abbruch und Blamage erst dann, wenn es Tote gibt...

Du nennst LOPA-Leitung/Polizeiführung andauernd in einem Atemzug, (immerhin nennst du jetzt beide) aber das sind in diesem Fall zwei sehr verschiedene Paar Schuhe.

 

Wenn die sich tatsächlich gegenseitig beraten haben, wäre ausschlaggebend. wer hier die Verzögerung/bzw. das Nichthandeln durchgesetzt hat.

Entscheidungsbefugt war um 15:40 NUR Lopavent.

 

Die Rampenkopfproblematik um 15.40 war keine "gegenwärtige Gefahr", die die Polizei zur Totalübernahme berechtigt hätte. Diese schon um 15:40 nachzuweisen, dürfte kaum möglich sein. Dafür ging das mit dem Unglück ab ca. 16.40 wiederum zu schnell und kurzfristig.

Inwieweit die "unterstützende Hilfe" von Seiten der Polizei in Gestalt von Versuchen der Personenlenkung bei Fehlern ihr selber zuzuschreiben ist oder doch ihrem Befehlsgeber Lopavent, ist wohl auch wieder so eine kreuzknobel Frage....

Aber was der CM dem Spiegel erzählt, ist m.E. nicht ganz korrekt, von wegen: "Ich kann der Polizei keine Anweisungen geben, ich kann keine Polizeikette anfordern, wo auch immer." Er war doch der Auftraggeber.

 

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Der Abbruch wäre übrigens schon bei der Planung und auch zu Beginn des Veranstaltungstages geboten gewesen, weil so im Gesetz gefordert (fehlende Rettungswege und Sicherheitseinrichtungen -ELA).

Der Abbruch einer Veranstaltung ist aber kein Ersatz für ein funktionsfähiges Konzept zum sicheren Durchführen einer Veranstaltung. Bei einer Großveranstaltung dieser Art kommt es immer wiedrr und regelmäßig zu Stockungen beim Einlass. Dies muss also immer sicher beherrschbar sein ohne Abbruch der Veranstaltung als Ultima Ratio. Wenn eine Veranstaltung so schlecht geplant ist, dass jederzeit aus Sicherheitsgründen der komplette Abbruch im Raum steht, darf die Veranstaltung garnicht erst beginnen.

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lopachron #102 schrieb:
(...)Aber die Polizei hat nunmal ab 15:45 die vollständige Besuchersteuerung übernommen (gezwungenermaßen - aufgrund der Handlungsunfähigkeit des Veranstalters) und dabei (möglicherweise) entscheidende Fehler gemacht.

Das ist doch wohl ein Märchen, dass die Polizei die vollständige Besuchersteueurung übernommen hat. Das hätte der CM/ bzw. Lopavent wohl ganz gerne.

Quote:
Und dadurch, dass der Veranstalter sowieso völlig hilflos oder unfähig bzgl. jeglicher Personensteuerung zwischen Schleuse und Hauptgelände war, konnte er natürlich auch keine operativen Fehler mehr machen. (....)

hm....das ist auch eine seltsame Schlussfolgerung. diese Ünfähigkeit ist ja doch wohl identisch mit operativem Fehler des Veranstalters.

Ich meine auch, du entfernst dich immer mehr vom eigentlichen Unglück, Lopachron. Es ist ja keinewegs erwiesen, dass bei gleicher Rampenkopfsituation aber ohne die PK 3 und ohne die Stolperfallen, das Unglück geschehen wäre. Hier muss doch die Ursache gefunden werden.

lopachron #112 schrieb:
Mittags hatte man ja sogar noch aus Sicherheitsgründen den im Vergleich zum Rampenkopf-/Böschungs-Chaos harmlosen Gulli provisorisch abgedeckt und zusätzlich mit einem Ordner bewachen lassen.... Etwa 3 Stunden später wurde dieses anfängliche Sicherheitsbewusstsein aber dann offenbar total ausgeblendet.

Diese Sicherheitsabdeckung war ja nun alles andere als sicher, es war ein gefährliches Provisorium, das von der Gefährlichkeit des offenen Gullideckels nichts genommen hat. Man hätte den Zaun gerade so gut weglassen können. Es entstand dadurch im Grunde  ein noch gefährlicheres Loch.

Diese Stolperfalle wurde aber im Wesentlichen 'nur' wegen ihrer in Bezug auf die Personenströme geografisch so gefährlichen Lage zum Verhängnis. 

 

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Der Abbruch der Veranstaltung war laut SBauVO durchgängig geboten > SBauVO § 38 (4). Beim Durchführen der Veranstaltung lagen massive Ordnungswidrigkeiten vor gemäß SBauVO § 46 (1), (2), (3), (5), (13), (17), (19). Diese massiven und dauerhaften Ordnungswidrigkeiten erzwangen ein Eingreifen der Polizei wie auch des Ordnungsamtes von der ersten Minute an. Es war ersichtlich, dass diese massiven Verstöße eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Besucher darstellten. Das fehlende bzw. das zu späte Eingreifen gegen das rechtswidrige Handeln des Veranstalters bgreife ich als grobe Fahrlässigkeit.

Der Text der SBauVO NRW findet sich z.B. auf:

http://www.dthg.de/service/mvstaettv/nrw.php

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Meister fuer Veranstaltungstechnik schrieb:
Diese massiven und dauerhaften Ordnungswidrigkeiten erzwangen ein Eingreifen der Polizei wie auch des Ordnungsamtes von der ersten Minute an. Es war ersichtlich, dass diese massiven Verstöße eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Besucher darstellten. Das fehlende bzw. das zu späte Eingreifen gegen das rechtswidrige Handeln des Veranstalters bgreife ich als grobe Fahrlässigkeit.
Hallo Meister d.V.

das Thema "gegenwärtige Gefahr" wurde hier doch schon mal breit diskutiert. Die Polizei hat innerhalb einer geschlossenen Veranstaltung keine Befugnis, es sei denn bei der sogenannten "gegenwärtiger Gefahr". Wie die zu umreißen ist, ist sicher nicht ganmz einfach. aber nicht beachtete Vorschriften und dadurch erkennabre Gefahren gehören nicht dazu. Ich weiß jetzt auf Anhieb nicht den Thread.

 

Die grobe Fahrlässigkeit bezüglich der Ordnungswidrigkeiten betrifft den Veranstalter und wohl auch das Ordnungsamt, aber nicht die Polizei. Ich habe mich damals auch erst dagegen gewehrt, aber inzwischen sehe ich, dass das schon seinen guten Grund hat. Die Polizei ist nicht der Wächter über die Einhaltung von SBauVO etc.

Ich finde inzwischen viel fragwürdiger, dass Lopavent die Polizei quasi in Dienst genommen hat und dass die sich haben so seltam in Dienst nehmen lassen, im Grund ja über den Tisch ziehen lassen. Da besteht doch ein, ... wie sagt man dazu.... Dienstkonflikt? 

Gruß

Blue

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@Blue #114,115,117,118

 

Also was "Ein Polizist" da so geschrieben hat, kann man auch teilweise vergessen.

Nach seinem Verstädnis hatte der CM die Verantwortung für die Polizeimaßnahmen. Er wurde aber gar nicht gefragt. Im Polizeibericht steht die Hierachie-Kette: Zugführer --> Hundertschaftsführer --> EA/F (--> Polizeiführer)

Der CM hatte damit nix zu tun und ist auch für das negative Ergebnis der Polizeiketten nicht verantwortlich zu machen.

Ab 15:40 war die Polizei alleinverantwortlich für die Besucher im Tunnel-/Rampensystem, denn sie hat in "führender Position" Taktiken benutzt, mit denen weder der Veranstalter, noch die Feuerwehr einverstanden waren. Diese Taktiken (insb. PK3) waren unnütz, unüberlegt, nicht zu Ende gedacht und führten direkt in eine künstlich produzierte Katastrophe, welche es ohne diese Taktiken nicht gegeben hätte. Die Polizeiführung war ab 15:40 also m.E. jederzeit berechtigt und verpflichtet, diese eigenen unsäglichen Maßnahmen sowie die gesamte Veranstaltung wegen "akuter (selbstverursachter) Gefahr" sofort abzubrechen.

 

 

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@ Lopachron # 119

Entschuldige Lopachron, aber die beiden entscheidenden polizeilichen Maßnahmen, um die es mir ging, auseinander zu halten, sollte für dich doch auch kein Problem sein. Mit dem immer wieder neu falsch betonen, wird das auch nicht richtiger. Warum wirfst du sie ständig in einen Pott?

Die zwei Maßnahmen sind zwei sehr verschiedene Paar Schuhe:

1) den Veranstalter unterstützende Maßnahmen wie die Sperren etc. zur "Vorbeugung von Gefahr" in der Zeit ab 15:40.

2) Totalübernahme der Steuerung durch die Polzei und Abriegelung des gesamten Besucherzuflusses  wegen "gegenwärtiger Gefahr" ab 16:40

 

In Punkt 2) hat die Polizei ganz richtig gehandelt. Mit der ersten Meldung gegen 16:40 von Stürzen etc., also "gegenwärtiger Gefahr" hat sie Maßnahmen zur Abriegelung und Totalübernahme ergriffen.

 

In Punkt 1) ist die Vorbeugung zunächst grundsätzlich Sache des Veranstalters und des Ordnungsamtes. Die Polizei sollte hier nur unterstützen. Was sie dagegen tatsächlich gemacht hat, also ob eigenmächtig oder in Absprache mit dem CM/ bzw. Krisenstab können wir hier nicht wissen. Ich weiß nicht, ob es Videos und Gesprächsmitschnitte vom  Krisenstab während der entscheidenden Stunde gibt. Das wäre wohl am aufschlussreichsten. Nur die STA wird wohl wirklich urteilen können, weil nur sie auch solche Unterlagen und die Verhörergebnisse hat, denn anhand der bloßen Gesetze, Regeln und Vorschriften und in diesem Kontext begangenen Fehler alleine wird sie die Wahrheit nicht herausfinden und urteilen können.

Und auch du kannst hier ohne solche Infos nicht einfach sagen, die Polizei hätte können. Meinst du nicht, dass das ein bisschen anmaßend und vorverurteilend ist???

Die Maßnahmen, die die Polizei bei Punkt 1) ergriffen hat, sind, wenn man sie auf das Unglück, also den unteren Rampenbereich/Tunnel bezieht, falsch, eben wahrscheinlich ursächlich für das Unglück. Bezieht man sie aber allein auf die Rampenkopfproblematik, müssen sie nicht unbedingt falsch gewesen sein. Der Auftrag an die Kräfte galt aber eben der Rampenkopfproblematik, wenn ich den Polizeibericht richtig lese.

Das macht die Zwickmühle deutlich, in der die Polizei war und in der jetzt wohl auch die STA bei der Beurteilung ist.

Die gesamte örtliche Vorabplanung mit Niemandsland etc. hat diese Zwickmühle vorprogrammiert.

Du schreibst:

Quote:
Der CM hatte damit nix zu tun und ist auch für das negative Ergebnis der Polizeiketten nicht verantwortlich zu machen. - Ab 15:40 war die Polizei alleinverantwortlich für die Besucher im Tunnel-/Rampensystem, denn sie hat in "führender Position" Taktiken benutzt, mit denen weder der Veranstalter, noch die Feuerwehr einverstanden waren.

Aber ja hat der CM >Veranstalter>Krisenstab damit was zu tun.

Es heißt in den Unterlagen immer im Einvernehmen mit dem CM/Veranstalter/Krisenstab. Entscheidend wird aber sein, ob und wenn ja, wie eigenmächtig die Polizei tatsächlich gehandelt hat. Das können wir hier aber nicht herausfinden. Wenn du trotzdem so gerichtet urteilst, ist das nicht mehr der Wahrheit dienend.

Du schreibst weiter:

Quote:
Diese Taktiken (insb. PK3) waren unnütz, unüberlegt, nicht zu Ende gedacht und führten direkt in eine künstlich produzierte Katastrophe, welche es ohne diese Taktiken nicht gegeben hätte. Die Polizeiführung war ab 15:40 also m.E. jederzeit berechtigt und verpflichtet, diese eigenen unsäglichen Maßnahmen sowie die gesamte Veranstaltung wegen "akuter (selbstverursachter) Gefahr" sofort abzubrechen

Angesichts der Zwickmühle in der die operative Polizei durch den Veranstalter und Stadt und vielleicht auch durch die höhere Polizeiführung/ bzw. IM geraten war, ist es für die operativen Kräfte vor Ort wahrlich nicht verwunderlich, wenn sie für die nachträglich schlauen Beobachter "unnütz, unüberlegt, nicht zu Ende gedacht" handelten.

Diese "eigenen unsäglichen Maßnahmen" konnte sie theoretisch natürlich abbrechen, aber  dass diese "eigenen  Maßnahmen unsäglich" waren, wird sie wohl auch erst mit Ausbruch des Unglücks registriert haben. So gesehen lief das ja alles sehr rasant ab. Und ab da hat sie richtig gehandelt, hat sie die eigenen unsäglichen Maßnahmen beendet und eben wegen  "akuter  Gefahr" sofort abgebrochen. Zu dem Zeitpunkt spielte es keine Rolle mehr ob "selbstverursacht" oder nicht. Der Zug war abgefahren.

Fahrlässig war das angesichts der Gesamtlage m. E. aber eben nicht.

Der Knackpunkt ist nun aber, dass just diese ganze Zwickmühle gerade auch für eine Absicht hervorragend geeignet war. Das aber kann nur ein Verhör etc. herausfinden. Wir hier und du mit deiner 'nackten Mathematik' können uns wohl kaum anmaßen, das zu beurteilen.

Wenn es aber 'nur' eine Zwickmühle war, ist fraglich, ob die Polizei unten im 'Schlachtfeld' anders hätte handeln können.

Anders der Krisenstab, der hätte mit seinem Überblick anders gekonnt, würde ich mal sagen..... Die wollten aber unbedingt die Pressekonferenz über die Bühne bekommen............

Einen Film über das, was da ablief, würde ich gerne mal sehen. Denn just in dieser kritischen Entscheidungszeit lief da ja demnach ein störender Besuch des IM mit Anhang ab und während des Unglücks war er dann auf der Pressebühne. Gab es bei ihm und im IM auch schon eine Hausdurchsuchung?............... 

 

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Schön, dass der Experte nun offiziell bestätigt, was ich vor einiger Zeit schon ausführlicher und detailierter dargelegt habe.

 

Eine Anmerkung zur Person des Gutachters: Keith Still ist Planer. Er kennt die Polizei- und Feuerwehrarbeit natürlich, aber nur weil er mit Polizei und Feuerwehr bei seiner Arbeit in Kontakt ist. Er selbst hat nie in diesen Reihen gedient. Es ist daher absolut natürlich, dass er die wie Herr Müller es in #104 nennt "globale Sichtweise" ich nenne es "planerische Perspektive" einnimmt, bzw. die Arbeit derer, die unter dieser arbeiten, unter die Lupe nimmt und daher ebenfalls natürlicherweise vor allem dort fehlertechnisch fündig wird. Böse gesprochen könnte man sagen, dass der Gutachter auf einem Auge unfreiwillig blind ist. Was er dadurch nicht sieht, kann es durchaus geben, nämlich Fehler und Schuld bei jenen, die mit der "detailierten Sichtweise" bzw. mit "operativer Perspektive" arbeiten, d.h. in diesem Fall vor allem bei der Polizei.

 

Ich bin sogar der Meinung, dass implizit die Polizei belastet wird, wenn Still daraufhinweist, dass diverse Absperrungselemente nicht in den CAD-Plänen eingetragen seien (übrigens: wer sich wie ich das Fluchtgutachten heruntergeladen hat, kann dort sehen, dass auch dort von einer unverbauten Rampe ausgegangen wird) und dies offenbar auch als relevante Verfehlung erachtet. Hinter diesen Absperrungen findet man: Polizei. Wurde der Polizei dieser Raum zugewiesen? Glaube ich eher nicht. Hat die Polizei sich diesen Platz ausbedungen? Dann würde Still zwar wie gesagt nur implizit, aber dennoch sehr deutlich auf die Polizei zeigen. Aber das ist nur meine Interpretation.

 

Insgesamt wird meine ebenfalls zuvor schon gegebene Einschätzung dem tatsächlichen Geschehen nahe kommen: Die Planung war schlecht. Die Veranstaltung war nicht genehmigungsfähig. Die Polizei wurde daher in einefür sie schwierige bis aussichtslose Position geworfen. Aber selbst in einer aussichtslosen Position kann man bessere oder schlechtere Arbeit abliefern und - ohne einen wasserdichten Beweis liefern zu können - es sieht auf Seiten der Polizei eher nach schlechter Arbeit aus. Die Gründe für die schlechte Arbeit liegen teilweise zumindest jedoch außerhalb des Einflusses der Polizei: da wäre zum einen die veraltete Funktechnologie, hier versagt diePolitik insgesamt in Deutschland seit Jahren, zum anderen die Sache mit dem Innenminister, der die Polizei aus Eitelkeit von der Arbeit abhält. Ein Wulff im Jäger-Pelz könnte man fast sagen. Das soll aber nicht heißen, dass es ausgeschlossen ist, dass die Staatsanwaltschaft einzelnen Polizsiten konkret persönliches Fehlverhalten nachweisen können wird.

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Es wird nie jemand beweisen können, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass bei allen Fehlern, Murks, Gier, und sonstigem Übel alle 21 Menschen noch leben könnten, wenn die Polizei mit ihrer Funktechnologie auf dem Stand der Technik wäre. Das hätte die möglicherweise begangenen Straftaten nicht aber die Katastrophe schon verhindert. Es wäre nie ermittelt worden. Wäre dann aber z.B. nach Losverfahren dennoch ermittelt worden, wäre man ggf. auf die gleichen strafbaren Handlungen (bzw. Verdacht dazu) gestoßen, wie jetzt auch. Evtl. gibt es noch weitere solcher Punkte, bei denen man vermuten könnte, dass ein anderer Zustand am Tag des Geschehens das gesamte Desaster verhindert hätte.

 

Wir haben es symbolisch also eher nicht mit einer Kette zu tun, bei der die Katastrophe (Absturz) eintritt, wenn ein Glied versagt, sondern eher mit einer Reihe Dominosteine bei der die Katastrophe das Kippen des letzten Steines ist: ein einziger Stein unterwegs muss stehen bleiben, damit der letzte Stein nicht umgestoßen wird. Jeder umgefallene Stein könnte auf alle anderen verweisen. Wären sie standhaft geblieben, wäre die Katastrophe nicht passiert.

 

Leicht anders geartetes Beispiel: zwei Artisten tragen einen dritten. Einer der beiden knickt ein, der dritte fällt und verletzt sich. Spielt es für die Schuld des ersten eine Rolle, ob der zweite den dritten im Prinzip auch alleine hätte tragen können?

 

Ich habe die Frage schonmal gestellt, stelle sie nun aber wieder, anschließend an Herrn Müllers Antwort in #72 an lopachron: wie ist der rechtliche Stand von Dominosteinen im Vergleich zu Kettengliedern oder von allein-starken im Vergleich zu nur-zu-zweit-starken Artisten? Wird bestraft, wer allein-verursachend versagt? Dann wird es in diesem Fall keine Verurteilungen geben? Oder wird verurteilt, wer versagt? Dann muss es sehr, sehr viele Verurteilungen geben. Dazu gleich mehr

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Meiner Ansicht nach gab es wenigstens zwei klare "Neins" zur Veranstaltung, die in der Vorbereitung verfügbar waren und hätten berücksichtigt werde. Das erste war sehr früh und erzeugt in der einen der vorgenannten Verurteilungsparadigmen sehr viele Schuldige. Das zweite kam sehr spät, wirft jedoch ein unglaublich erschreckendes Licht auf die Fundamente dieser Katastrophe und was man für die Zukunft befürchten muss.

 

Das erste Nein kam von Herrn Cebin. Es gab von keiner Seite Argumente dagegen, nur persönliche Angriffe. Hervorzuheben wäre der unsägliche Brief des Herrn Mahlberg, der mir in der ganzen Sache bislang unter viel Versagem die einzige erwiesene Boshaftigkeit ist. Dass Frau Merkel zur Trauerfeier kam, ohne ein Parteiausschlussverfahren gegen diesen ihren unsäglichen Parteifreund anzustrengen, ist beschämend. Meine Erschütterung begrenzt sich jedoch nicht auf Herrn Mahlberg, sondern schließt alle mit ein, die Herrn Cebin und seine Expertise der Stadt Duisburg kannten und sich dazu entschieden haben sie zu ignorieren oder Herrn Cebin sogar anzugehen. Das sind alle der viel diskutierten Personen, aber z.B. auch die Herren Pleitgen, Wolf und Rüttgers und letztlich auch allerdings mit nur wenig Zeit zum handeln Herr Jäger und Frau Kraft. Zuletzt muss man auch sagen, dass es bei den Mediendes Ruhrgebietes sicherlich eine Reihe von Leuten gibt, die die entsprechende Einsicht wie auch die publizistischen Hebel gehabt haben und nichts getan haben, weil sie Teil dieser verdammten Party sein wollten. Manche von diesen sind nun vielleicht auf Seiten der Ankläger.

 

Mit dem Brief des Herrn Mahlberg hat  meiner Ansicht nach eine Auto-Suggestion auf sozialer Ebene begonnen, die zu Realitätsverlust und der Unfähigkeit ein eigentlich klar erkennbares gewaltiges Risiko tatsächlich zu erkennen, führte, und die im Umgang mit dem zweiten Nein am deutlichsten und erschreckendsten sichtbar wurde und am tiefsten blicken lässt.

 

Dieses zweite Nein ist das Nein, das das Ergebnis der Flucht-Simulation, ich nenne sie ab jetzt kürzer "Orakel", absolut glasklar darstellte. Frappierend ist, dass die Antwort "Nein" des Orakels auf die Frage "Kann die Loveparade stattfinden?" nicht - wie man in Trivialtheorien von den bösen Großkopferten der Gesellschaft erwarten würde - wegdiskutiert oder in einer Schublade weggeschlossen wurde, sondern, dass alle, die das Nein eigentlich hören konnten begeistert "es hat ja gesagt" riefen und dass sogar jetzt noch in #36 ein Meister der Veranstaltungstechnik das Hauptproblem mit dem Orakel eher in der Qualität der Aussage als in der Qualität der Interpretation sieht, wenn ich "pseudowissenschaftliche Computermodelle" so interpretieren darf. D.h. trotz aller stattgefundenen Diskussion sagt auch ein Meister der Veranstaltungstechnik immer noch "es hat ja gesagt". Das Orakel hat jedoch "nein" gesagt. Dieses Werkzeug hatte recht, ob zufällig oder begründet, weiß ich nicht, aber es hatte recht. Sein Spruch kam nur nicht an.

 

Aber warum war die Antwort so glasklar "Nein"? Herr Müller schreibt wiederholt, Herr Klüpfel hätte die Flüsse des Orakels mit der Tabelle der erwarteten Besucherströme vergleichen müssen. Es ist aber noch viel simpler. Das Orakel hat gesagt "es dauert vier Stunden bis alle das Geländeverlassen haben". Von sieben Milliarden Menschen können vielleicht sechs Milliarden sprechen. Fragt man sie, ob es für sie akzeptabel ist bei einem Geschehen wegen dessen das GESAMTE Gelände geräumt werden muss (das macht man nicht, wenn irgendwo nur ein Grill brennt) schlimmstenfalls vier Stunden warten zu müssen, bis siedas Gelände verlassen können, wird man also sechs Milliarden mal die Antwort "nein", "no", "njet", "non", oder "hömma!" bekommen. Und wenn man fragt, ob es in Ordnung geht am Ende einer Veranstaltung, sei es eine Opernaufführung oder sei es die Loveparade ganz ohne Notfall vier Stunden auf Auslass warten zu müssen, wird das Ergebnis gleich lauten. Herr Klüpfel, Herr Schreckenberg, Herr Schaller, Herr Dressler und noch eine ganze Reihe weiterer Herren, die den Orakelspruch in der Hand hatten, sie alle gehen selbst ins Theater oder Kino. Deswegen, nicht wegen irgendwelcher Berufserfahrung, hätten auch sie "nein" sagen können und müssen. Und hier haben wir den Dominostein-Vergleich in Reinkultur: alle sind gefallen. Wäre nur einer stehen geblieben. Sogar: weil man aus den vier Stunden als Mensch das Nein folgern kann und keine speziellen Experten-Kenntnisse braucht, ist keinem dieser Steine eine besondere Schuld zuzuweisen. Es sind tatsächlich alle Steine gleich.

 

Ich kann mir all das nur so erklären, dass es in der Vorbereitung immer wieder Runden gab, in denen Menschen sich getroffen haben, die eigentlich überzeugt waren, dass es nicht gehen kann, die aber gleichzeitig den Gedanken "schön wäre es schon" verbunden mit dem Gedanken an eine Beförderung, einen schmeichelnden Artikel in der WAZ, eine Zeile im Lebenslauf oder auf einer Vertriebs-Power-Point-Folie hatten. In diesen Runden muss dann irgendwann jemand ein mühsam konstruiertes Argument pro Durchführung ausgesprochen haben von dem er selbst nicht überzeugt war, er aber hoffte durch positive Reaktionen der anderen selbst überzeugt werden zu können. Die anderen warennun erleichtert ob des ausgesprochenen Pro-Argumentes und zeigten bereitwillig die Zustimmung. Das muss sich dann irgendwie aufgeschaukelt haben. Hundert Mäuse reden eine halbe Stunde aufgeregt durcheinander und sind dann überzeugt, dass sie den Elefanten erlegen können, der Fleisch für Jahrtausende zu liefern verspricht. Der Beginn dieses fatalen Prozesses ist wie gesagt am Brief des Herrn Mahlberg zu erkennen, der Höhepunkt im freudigen "es hat ja gesagt" auf das "nein" des Orakels.

 

Man sieht nun also ein Weizenkorn und ein giftiger Schimmelpilz. Daneben viel Spreu bei den Oberbürgermeistern, Dezernenten, Referenten, Projektmanagern, Professoren, Experten, Gutachtern. Spreu, das in der Sonne glänzt und sich so fotografiert für Xing oder Linkedin, um bei der nächsten aufregenden Party auf jeden Fall dabei zu sein. Bei der Loveparade hat die Spreu selbst jedoch Wind gemacht, der sie weggefegt hat - oder auch nicht. Ich hoffe es wird nie einen Wind geben, der sich über unser ganzes Land ausbreitet. Er wäre schon bei geringer Stärke tödlich.

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Guten Tag & hallo:

 

kurz zum Grundsätzlichen: da möchte ich als Nicht/Anti-Jurist/Linkswissenschaftler Herrn Müllers bisherigen Beiträgen zustimmen:

 

Was da jetzt in den letzten Eineinvierteljahren zum Sachstand wesentlich neu sein soll erschließt sich mir nicht. Nach OB S.s Abwahl dürfte freilich die Wahrscheinlichkeit öffentlicher Anklageerhebung wegen irgendwas Fahrlässigem gestiegen sein. Das Gutachten des hochgelobten internationalen Experten kann die (jur.) "Schuldfrage" nicht klären. Und ob diese auch wenns zum Gerichtsverfahren käme dort geklärt werden könnte ... kann keiner der Diskutanden jetzt und hier wissen.

 

Achja: Die Eröffnung dieser Diskussionsfaden unterm Stichwort (was ist nötig zur) Anklageerhebung

find ich unterm Doppelgesichtspunkt i) Geschehenes/Vergangenheit/Opfer/Verantwortlichkeiten und ii) Zukunft/ Prävention/Mindesterfordernisse zur Genehmigung künftiger Massenveranstaltungen wichtig und richtig.

 

Freundliche Grüße

 

Richard Albrecht, 030312

http://wissenschaftsakademie.net

 

 

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Prof.Still macht in seinem Gutachten sehr interessante Ausführungen zu den Pflichten von Personen, die Veranstaltungen organisieren und durchführen. Dies trifft in der allgemeinen Formulierung nicht nur den Veranstalter, sondern auch die genehmigenden Behörden wie auch alle anderen aktiv Beteiligten wie Ordnungsdienst, technische Dienstleister, Rettungsdienste und auch die Polizei. Pflichtverletzungen sind immer strafrechtlich relevant. Dies gilt auch für die Polizei. Und die Polizei hat eklatant selber gegen die SBauVO und gegen UVV´s verstoßen (u.a. Blockade von Rettungswegen) so dass ich von einer Verurteilung auch von Polizeibeamten ausgehe. Man wird sehen.

Die Polizei war eben nicht in einer schwierigen Lage. Die sicherheitsrelevanten Rechtsverstöße waren sowohl in der Planung als auch am Veranstaltungstag klar erkennbar. Ein Blick in die SBauVO hätte genügt - und es war klar, dass die Veranstaltung sofort abgebrochen werden muss. Die Polizei hat ganz klar Beihilfe zur Durchführung einer illegalen Veranstaltung geleistet. In diese Situation will garantiert kein Einsatzleiter der Polizei jemals wieder kommen. In der Zukunft müssen da Entscheidungen anders laufen. Änderungen sind aber nur möglich, wenn man sich eingesteht, vorher etwas falsch gemacht zu haben. Das ist derzeit prozesstaktisch vermutlich ungünstig - so erkläre ich mir einige Versuche, die Kompetenz und die Verantwortung der Polizei  wegzudiskutieren. Ich denke, hier spielt das eigene Entsetzen der Polizei über das Geschehene eine große Rolle.

Dass die betroffenen Polizeibeamten sowohl in der Planung als auch am Veranstaltungstag vermutlich unter hohem politischen Druck standen, die Loveparade wie gewünscht stattfinden zu lassen, ist klar. Das wird vor Gericht sicherlich eine Rolle spielen. Nicht ohne Grund haben wohl einige Polizeibeamte massiv remonstriert. Die Entscheidungsträger, die trotz Remonstration ihre Befehle aufrecht erhalten haben, müssen sich aber strafrechtlich verantworten.

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Meister fuer Veranstaltungstechnik schrieb:
(...) Die sicherheitsrelevanten Rechtsverstöße waren sowohl in der Planung als auch am Veranstaltungstag klar erkennbar. Ein Blick in die SBauVO hätte genügt - und es war klar, dass die Veranstaltung sofort abgebrochen werden muss.

......aber eben nicht durch die Polizei. Für die galt am Tag selber nur die "gegenwärtige Gefahr".

Quote:
Die Polizei hat ganz klar Beihilfe zur Durchführung einer illegalen Veranstaltung geleistet.

.....das schon eher, ja, das ist ein Punkt.

 

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Sehr geehrtes Flusspferd,

Ihre Ausführungen sind sehr aufschlussreich und verweisen deutlich auf eben die Probleme einer strafrechtlichen Erfassung arbeitsteiliger hintereinandergeschalteter Prozesse, bei denen auf mehreren Ebenen Fahrlässigkeiten begangen werden (können); auch Ihre "Symbolik" halte ich grds. für einen interessanten Zugang, Sie schreiben:

Wir haben es symbolisch also eher nicht mit einer Kette zu tun, bei der die Katastrophe (Absturz) eintritt, wenn ein Glied versagt, sondern eher mit einer Reihe Dominosteine bei der die Katastrophe das Kippen des letzten Steines ist: ein einziger Stein unterwegs muss stehen bleiben, damit der letzte Stein nicht umgestoßen wird. Jeder umgefallene Stein könnte auf alle anderen verweisen. Wären sie standhaft geblieben, wäre die Katastrophe nicht passiert.

Betrachtet man Planung, Genehmigung und Maßnahmen am Tag der LoPa als eine solche Reihe von Dominosteinen, dann zeigt sich, dass das erste Kippen eines Steins (Planung) auch schon kausale Bedingung ist für das Kippen des letzten Steins. Kann man auch eine Risiko-"Verbindung" nachweisen - jedes Kippen eines vorherigen Steins erhöht das Risiko des Kippens des letzten - dann entspricht dies auch einer strafrechtlichen Zurechnungskette . Allerdings ist es deshalb schwieriger, weil wir es eben nicht mit Dominos zu tun haben, sondern mit Menschen, die jeweils über Handlungsalternativen  verfügen und in ihrem eigenen Handeln jeweils zusätzlich fahrlässig handeln können oder eben nicht fahrlässig (und dann entweder trotzdem umkippen oder aber standhaft bleiben und den Fehler des vorherigen kompensieren).

Leicht anders geartetes Beispiel: zwei Artisten tragen einen dritten. Einer der beiden knickt ein, der dritte fällt und verletzt sich. Spielt es für die Schuld des ersten eine Rolle, ob der zweite den dritten im Prinzip auch alleine hätte tragen können? Ich habe die Frage schonmal gestellt, stelle sie nun aber wieder, anschließend an Herrn Müllers Antwort in #72 an lopachron: wie ist der rechtliche Stand von Dominosteinen im Vergleich zu Kettengliedern oder von allein-starken im Vergleich zu nur-zu-zweit-starken Artisten? Wird bestraft, wer allein-verursachend versagt? Dann wird es in diesem Fall keine Verurteilungen geben? Oder wird verurteilt, wer versagt?

Nun wird es komplizierter: Für die Zurechnung genügt es, wenn das (vorwerfbare) Einknicken des Ersten vorhersehbar das Risiko des Einknickens des Zweiten erhöht hat und damit die Verletzung des Dritten. Im Grundsatz gilt im arbeitsteiligen Zusammenwirken: Wer selbst keinen Fehler macht, darf darauf vertrauen, dass auch die anderen (vor oder hinter ihm in der Kette) alles richtig gemacht haben, sofern ihm nichts Gegenteiliges bekannt ist (Vertrauensgrundsatz). Wer aber selbst fahrlässig handelt, den entlastet grds. nicht das (vorhersehbar) fahrlässige Handeln eines anderen. Wenn das fahrlässige Einknicken des ersten das Risiko erhöht hat, dass der zweite auch einknickt, dann kann ihm der Sturz des Dritten zugerechnet werden, zusätzlich auch dem zweiten, wenn dieser ebenfalls fahrlässig handelte. Aber es gibt ein großes ABER: Nach herrschender Auffassung im Strafrecht genügt nicht der Nachweis der Risikoerhöhung des ersten für den Erfolg, es muss nachgewiesen werden, dass gerade die Pflichtwidrigkeit des ersten für den so eingetretenen Erfolg verantwortlich zu machen ist. Das heißt, wir brauchen eine nachweisbare Verknüpfung zwischen den Fahrlässigkeiten und dem tatsächlich eingetretenen Erfolg. Im Dominosteinbeispiel: Wir müssen nachweisen, dass die ersten Steine in die Richtung der zweiten gekippt sind und für den Stoß dieser weiteren verantworltich sind, und dass die zweiten nicht etwa auch von allein umgekippt sein könnten und den Erfolg dann allein herbeigeführt hätten – das ist die „Verbindung“ von der ich schon öfter geschrieben habe.

Herr Müller schreibt wiederholt, Herr Klüpfel hätte die Flüsse des Orakels mit der Tabelle der erwarteten Besucherströme vergleichen müssen. Es ist aber noch viel simpler. Das Orakel hat gesagt "es dauert vier Stunden bis alle das Geländeverlassen haben". Von sieben Milliarden Menschen können vielleicht sechs Milliarden sprechen. Fragt man sie, ob es für sie akzeptabel ist bei einem Geschehen wegen dessen das GESAMTE Gelände geräumt werden muss (das macht man nicht, wenn irgendwo nur ein Grill brennt) schlimmstenfalls vier Stunden warten zu müssen, bis siedas Gelände verlassen können, wird man also sechs Milliarden mal die Antwort "nein", "no", "njet", "non", oder "hömma!" bekommen. Und wenn man fragt, ob es in Ordnung geht am Ende einer Veranstaltung, sei es eine Opernaufführung oder sei es die Loveparade ganz ohne Notfall vier Stunden auf Auslass warten zu müssen, wird das Ergebnis gleich lauten. Herr Klüpfel, Herr Schreckenberg, Herr Schaller, Herr Dressler und noch eine ganze Reihe weiterer Herren, die den Orakelspruch in der Hand hatten, sie alle gehen selbst ins Theater oder Kino. Deswegen, nicht wegen irgendwelcher Berufserfahrung, hätten auch sie "nein" sagen können und müssen. Und hier haben wir den Dominostein-Vergleich in Reinkultur: alle sind gefallen. Wäre nur einer stehen geblieben. Sogar: weil man aus den vier Stunden als Mensch das Nein folgern kann und keine speziellen Experten-Kenntnisse braucht, ist keinem dieser Steine eine besondere Schuld zuzuweisen. Es sind tatsächlich alle Steine gleich.

Leider ist es nicht ganz so einfach - die vier-Stunden-Entfluchtung galt tatsächlich nur für das normale Verlassen des Geländes am Ende der Veranstaltung, also ohne Notausgänge. Dass man hier Menschen zumuten wollte, vier Stunden zu warten, ist in der Tat ziemlich fragwürdig (die vollen vier Stunden hätte natürlich nur die letzten betroffen, nicht etwa alle). Auch wenn es heftig klingt: Dieses "Ja" bei vier Stunden Verlassensdauer für die letzten Besucher ist m.E. nicht fahrlässig und selbst wenn es das wäre, führte es weder im Virtuellen noch im Realen zur Katastrophe, war also nicht der erste relevante Dominosteine.

Ich bleibe also bei in der von Ihnen erwähnten Verknüpfung: Von der Verlassensdauer vier Stunden in einer Richtung musste man  auf einen viel zu eng geplanten Zu- und Abgangsbereich für die projektierten gegenströmigen Besucherzahlen schließen und dass man dies nicht getan hat, darin lag eine  Fahrlässigkeit im Planungs-/Genehmigungsprozess. Ich gehe noch etwas weiter, weil ich meine erkennen zu können, dass man auch schon den Rampenkopf anhand der TraffGo-Simulation als Problem hätte identifizieren können (in umgekehrter Richtung und zuzüglich der breiten Floatstrecke, die ja bei der TraffGo-Simulation nicht mehr störte). Diese Planung war tatsächlich fahrlässig und für mich der erste Dominostein, der kippte. Nun vergessen wir mal eine Reihe weiterer Dominosteine, die aber alle relativ unabhängig sind von der Genehmigung selbst, aber selbst kippende Steine sein könnten (fehlende ELA, Funkgeräte, Bauzäune, Gulli) und kommen direkt zu den Polizeiketten. Ich interpretiere lopachron so: Die PK, insbes. die PK3 haben das konkrete Unglück allein verursacht, praktisch unabhängig von der Genehmigung. Er sagt also: Dies sind Dominosteine, die von allein gekippt sind, sie sind unabhängig von der fahrlässigen Genehmigung. Dies trifft m.E. nicht zu, denn ich denke, dass die Polizei zwar entscheidende Fehler gemacht hat, aber nicht unabhängig von der fehlerhaften Planung/Genehmigung, die genau deshalb fehlerhaft war, weil sie die zu enge Eingangssituation an der Floatstrecke missachtet hat. Der drohende Rückstau war vorhersehbar und es war genau dieser, der die Polizei zu ihrer verhängnisvollen Fehlentscheidung mit den PK veranlasste. Da hier alle drei (Lopavent, Stadt, Polizei) versagt haben, können auch alle drei verantwortlich gemacht werden. Aber es wird nicht leicht.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Ja, die Ausführungen von 'Flusspferd' ( ...wie kommt man auf ein solches Pseudo,. ;.) ) und die Ergänzungen von Prof. Müller sind sehr hilfreich.

Mir ist gestern plötzlich noch ein Gedanke gekommen, wie die PK 3 auch entstanden sein könnte. Der ist eigentlich recht logisch und simpel, sodass ich mich wundere, warum der mir nicht eher einfiel. Wahrscheinlich aber, weil es keinen konkreten Beleg dafür gibt.

In dem Video einer relativ kleinen Pressekonferenz von kurz vor der Lopa mit Schaller, Sauerland, Pocher und noch wer, fragt ein Journalist (sinngemäß) was denn wäre, wenn das Gelände voll ist und noch viele drauf wollten. Darauf sagte Schaller (auch sinngemäß), dass man damit rechne, den Rest auszusperren. So nach dem Motto "wer zu spät kommt, hat Pech gehabt".

Ich meine, danach sah die PK3 aus. Und dann war es auch egal, ob sie oben oder unten an der Rampe gezogen wurde.

Fragt sich dann nur, wer genau sie veranlasst hat.

Das Gelände war allerdings nicht wirklich voll, es gab 'nur' das ernste Zugangsproblem und wohl auch die fehlende Information für die operativen Kräfte, dass das Gelände noch Platz hat, ....den zu ereichen für die Besucher aber praktisch unmöglich war, ...außer über Container, Lichtmast, Treppe Böschung ......  
 

..ob solche Kletterei als das Besondere des Events einkalkuliert war? :-(((   

 

2

@Blue,

Nein, nach einer Taktik, die Veranstaltung zu schließen, sah die PK3 nicht aus: Die Besucher an dieser Stelle anzuhalten und  "auszusperren" machte keinen Sinn, denn immerhin waren sie doch schon einige hundert Meter auf das Gelände der Veranstaltung vorgedrungen und es wäre kompliziert, sie von dort wieder zurück durch den Tunnel zu schicken. Um die Veranstaltung für neu Ankommende zu schließen, musste man vielmehr so vorgehen, wie man es später ja auch gemacht hat, nämlich die Besucher an den Kreuzungen vor den Vereinzelungsanlagen bzw. an diesen selbst abweisen.

Als man die Polizeiketten einrichtete, hatte man nach allem was wir wissen, noch nicht den Gedanken gefasst, die Veranstaltung für Neubesucher zu schließen, sondern man wollte damit ein (vermeintlich) lokal und zeitlich begrenztes Problem am Rampenkopf in den Griff bekommen.

Gruß

Henning Ernst Müller

@ Prof. Mueller

Ja stimmt, richtig, war zeitlich noch zu früh und nicht der richtige Ort.

Möchte aber trotzdem mein Zitat vom Video in # 128 der Korrektheit halber korrigieren:

Habe das mypott Video jetzt noch mal gesucht und genauer angehört und muss meine Erinnerung etwas korrigieren:

1. Reporter: (Diese Frage des Reporters habe ich nicht verstanden. )

Schaller: wir rechnen weit über eine Million Zuschauer

Pocher:".... es wird diesmal nur etwas weniger werden, aufgrund des Platzes d.h.man muss dann notfalls auch dicht machen, wenn zu viele kommen. Dann heißt das also auch, wer zuerst kommt, feiert komplett mit." ( Ich habe da beim ersten Ansehen im Herbst 2010 anderes gehört, eben auch den Satz: "wer zu spät kommt, hat Pech gehabt. An "wer zuerst kommt, feiert komplett mit" kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Habe damals leider nicht herunter geladen, d.h. ich hatte noch keine Möglichkeit. Ob Pocher etwas mehr Ehrlichkeit da rein bringen wollte?)

 

Schaller sagt das also nicht selber, er bestätigt das nur nickend mit "Ja" 

2. Reporter: "Sie sagten, man wird das Gelände notfalls dicht machen müssen. Wann wird das denn sein, d.h. wieviele Menschen können denn gleichzeitig auf das Gelände drauf?"

Im Hintergrund (nicht im Bild) erklärt jemand etwas länger offenbar Maßnahmen, um die Million zu bewältigen, was ich aber nicht deutlich genug verstehen kann. Nur den letzten Satz: "wir gehen davon aus, dass wir eigentlich dem Durchlauf entsprechend nicht dicht machen müssen."

Heute erkenne ich an der Stimme, dass das Dezernent Rabe gewesen sein muss. Auch höre ich heute, dass OB Sauerland an einer anderen Stelle den Rechtsdezernenten um eine Stellungnahme bittet, der dann auch von hinten spricht, ohne ins Bild geholt zu werden. Mithin war er auf jeden Fall dabei.

Vorne auch noch mit anwesend neben Schaller, Pocher, Sauerland war Dr. Scheidt von der "Ruhr 2010" und der Musiker, der das Loveparade Lied komponiert hat.

Im ersten Teil der Vorstellung spricht Schaller u.a. von der größten Bühne der Welt wegen des riesigen Gebäudes des alten Güterbahnhofs.
Sauerland spricht hier von den Hindernissen, die noch da waren, nun aber von ein paar wenigen aus dem Weg geräumt wurden, man hoffe, dass das mit der Genehmigung nun durchgeht. Und er sagt, dass ohne das Land NRW die Loveparade nicht möglich gewesen wäre. Der VideoUpload ist vom  17. Juni 2010.

 

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PS:

na ja, dennoch,  um kurz nach 16.00 Uhr fing das Gelände an vollzulaufen und eben besonders im Tunnel-Rampenbereich. Wenn etwa die Polizei den grundsätzlichen Befehl hatte, dicht zu machen, sobald das Gelände voll wird, könnte das aus der Perspektive der Operativen unten auf der Rampe m.E. auch eine Kurzschlussreaktion gewesen sein, weil man ja eben an den Schleusen die Lage nicht mehr im Griff hatte. Die Rampe war dann der letzte 'Anker' zu stoppen, egal was dadurch im Tunnel passieren würde???

 

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@Prof. Müller #127

### Ich interpretiere lopachron so: Die PK, insbes. die PK3 haben das konkrete Unglück allein verursacht, praktisch unabhängig von der Genehmigung. Er sagt also: Dies sind Dominosteine, die von allein gekippt sind, sie sind unabhängig von der fahrlässigen Genehmigung. Dies trifft m.E. nicht zu ... ###

 

Mal angenommen der EA/F bzw. die Polizeiführung hätten um 16:25 bemerkt, dass sie mit ihrer undurchdachten 3-Richtungssperre (PK3) eine lebensgefährliche Situation produziert haben und ein erneut halbgarer Vorschlag eines Zugführers wird "im Eifer des Gefechtes" genehmigt:

Auftrag an alle ehemaligen Polizeiketten: Aufgrund der fehlenden ELA sollen die Besucher per Pistolenschüsse aufmerksam gemacht und geleitet werden. Dabei stolpert ein Polizist über einen unsachgemäß abgedeckten Gulli und erschießt 3 Besucher.

 

Wäre alles natürlich erstmal eine kausale Folge der fehlerhaften Planung und Genehmigung, da die Polizei ja bei ordnungsgemäßer Planung nie in diese Situation gekommen wäre.

Aber sind die Planer und Genehmiger auch für solche Polizeitaktiken verantwortlich ? Oder ist der Polizist verantwortlich, der gestolpert ist ? Oder doch eher der EA/F bzw. die Polizeiführung, welche für diese "undurchdachte und viel zu gefährliche" Taktikmaßnahme alleine verantwortlich gewesen wären ?

 

Sicherlich kann man die "PK3-Taktik" nicht ganz mit der "Pistolen-Taktik" vergleichen - aber ganz so abwegig ist es m.E. auch nicht...  ;-) - es wird wohl tatsächlich schwierig: Alle potentiellen "Schuld-Parteien" können sich notfalls hervorragend verteidigen...

 

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Danke, I.D., für den Link zum WAZ-Artikel.

Naja, so richtig neu ist die Erkenntnis ja nicht, dass Schaller die Schuld der Polizei zuschreiben wollte. Ich würde sagen, diese Erkenntnis hatte ich, wie Millionen andere Fernsehzuschauer, schon am 25.07.2010 nach der Pressekonferenz. Ebenso wie die Erkenntnis, dass die Stadt die Schuld allein bei Lopavent und Polizei verortete und dass die Polizei selbstverständlich "überhaupt nicht zuständig" war und da wo sie es war, auch nichts passiert ist. Am Tag der Katastrophe wollten ALLE die Schuld noch allein den Besuchern zuschieben. Wäre ja auch für alle drei Seiten das bequemste gewesen: Die Toten und Verletzten sind selbst schuld - unser Sicherheitskonzept hat wunderbar funktioniert, das Gelände war nicht überfüllt, die haben alle nur gedrängelt.

Kampagnenform hat das dann wenig später angenommen, Schallers Website (inzwischen vom Netz) mit den Ü-Kameras und den schönen grafischen Animationen und mit Sauerlands Gefälligkeitsgutachten.

Übrigens ist es auch die älteste Erkenntnis der Welt, dass mehrere Beschuldigte in einem Strafprozess jeweils die Hauptverantwortung bei den anderen sehen und ihr jeweiliges Lager auf diese Sichtweise einschwören. Das entlastet Staatsanwaltschaft und Gericht nicht davon, in diesem Verwirrspiel der aufeinander zeigenden Lager die Wahrheit herauszufiltern, denn ob die Polizei tatsächlich schuld hat oder nicht, ist ja ganz unabhängig von der Behauptung des Schaller-Lagers.

Aber dennoch ist es natürlich wichtig und richtig, immer mal wieder darüber zu berichten. Wir hier im Blog (und drüben bei loveprade2010doku) wir wiederholen uns ja auch.

 

auch meinerseits Danke I.D. für den WAZ-Artikel, den es aber ähnlich schon am 08.02.auf der Westen.de gab.

....na ja, stimmt zwar, Herr Prof.Müller, dass:

"so richtig neu ist die Erkenntnis ja nicht, dass Schaller die Schuld der Polizei zuschreiben wollte.

aber dieser Artikel hat, wenn man etwas mehr Hintergrund kennt und zwischen den Zeilen lesen kann, entscheidend mehr Kaliber und Informationen als das, was Sie

"wie Millionen andere Fernsehzuschauer, schon am 25.07.2010 nach der Pressekonferenz

an Erkenntnis hatten. Und was Sie mit dem Satz:

Übrigens ist es auch die älteste Erkenntnis der Welt, dass mehrere Beschuldigte in einem Strafprozess jeweils die Hauptverantwortung bei den anderen sehen und ihr jeweiliges Lager auf diese Sichtweise einschwören.

....zum Ausdruck bringen. Mit solch üblichem, menschlichem Verhalten hat der Hintergrund dieses Artikels m.E. nicht mehr viel zu tun. Deshalb ist er auch eher keine Wiederholung, wie Sie andeuten:

Aber dennoch ist es natürlich wichtig und richtig, immer mal wieder darüber zu berichten. Wir hier im Blog (und drüben bei loveprade2010doku) wir wiederholen uns ja auch.

Ich bin mir zwar noch nicht sicher, wie einige Passagen zu deuten sind, aber diese Darstellung/Info hat neue Qualität.

 

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Sehr geehrter Gast,

ich habe mir den Artikel nochmal durchgelesen. Sie haben Recht, es sind nicht nur Wiederholungen und olle Kamellen. Es stecken schon ein paar neue Behauptungen über Details drin, die wir bisher so noch nicht kannten und die ich beim ersten Lesen überlesen habe.

Leider sagen Sie nicht, welche Dinge für Sie "neue Qualität" hatten, so dass ich spekulieren muss.

Aber für mich drängen sich auch Zweifel auf:

Wie aus Zeugenbefragungen hervorgeht, die dieser Zeitung vorliegen, versuchten Schallers Leute Carsten W. zu überreden, bei dieser Anti-Polizei-Kampagne mitzuhelfen.

Das kann schon sein, es war aber auch für Carsten W. allein eine gangbare Strategie, die Schuld auf die Polizei zu schieben und damit von sich abzuwenden.

Am Freitag nach der Katastrophe kam es nach einer Aussage von Carsten W. zu einem persönlichen Gespräch mit Schaller. Den Angaben zufolge traf sich Schaller mit Carsten W. in der Alfred-Schütte-Allee in Köln direkt am Rhein.

Schaller soll demnach moralisch-theologische Fragen angesprochen haben. Drei Leibwächter schützten ihn. Schaller sagte laut Carsten W., er müsse stark sein für seine Leute. Es war „strange“, also seltsam, was Schaller da redete, sagte Carsten W. aus. Schaller habe ihn in sein Team holen wollen, dann sei er stets für W. da. Schon vorher sei klar gewesen, dass Schaller ihn für eine Anti-Polizei-Kampagne gewinnen wollte.

Das "persönliche Gespräch" zwischen Carsten W. und Schaller: Ich zweifle nicht daran, dass ein solches  stattgefunden hat, aber was ist mit dem Inhalt? Der ist offenbar nur von Carsten W. bezeugt. Die Detailbemerkung zur Straße, in der das Treffen stattfand (eigentlich völlig belanglos), soll wohl eine gewisse Glaubhaftigkeit erzeugen, die sich dann auf den Inhalt übertragen soll. Natürlich kann es so gewesen sein; Schaller erscheint mir auch in seinen mir bekannten Stellungnahmen einen Sinn für moralisch-theologische Fragen zu haben. Der eine findet das gut und richtig, der andere "strange". Aber es ist m. E. nichts, woran man Schlussfolgerungen knüpfen könnte.

Carsten W. sagte, er sei nicht in Schallers Team gewechselt. Das kann man glauben, muss es nicht. Carsten W. gab nach der Katastrophe mehrere Interviews, in denen er die Polizei schwer belastete. W. sagte, die Journalisten hätten ihn angerufen, und er sei so überrascht gewesen, dass er sein Herz ausgeschüttet habe.

Nun kommt doch noch kritische Distanz David Schravens zu Carsten W.; er nimmt ihm nicht ab, nicht auf Schallers Seite gewechselt zu sein. Aber alles andere glaubt er ihm? W. habe Journalisten "sein Herz ausgeschüttet" und dabei (aus Versehen?) die Polizei schwer belastet. Auch das könnte man "strange" finden.

Selbst beim Sicherheitspersonal gab es Probleme: Vielleicht hätte die Katastrophe gemildert werden können, wenn alle getan hätten, was sie tun sollten.

Also: "es gab Probleme", "vielleicht" "gemildert" (nicht besonders aussagekräftig, finde ich, milde ausgedrückt)

Nach Aussagen der Verantwortlichen an der Zugangsschleuse vor dem Osttunnel sei die Schleuse auf Anordnung von W. zunächst abgesperrt worden. Verantwortlich dafür war Sebastian S. Doch dann wurde der Druck vor den Sperren immer größer. Sebastian S. berichtet von tobenden Menschen, Kindern und junge Frauen in Not. Sebastian S. sagt, er habe befürchtet, dass es vor den Schleusen Tote gibt.

Soweit ich weiß, fehlen uns Video-Aufnahmen von der Ostschleuse, die das bestätigen, aber es erscheint mir nachvollziehbar, dass hier wegen des Gedrängels geöffnet werden musste. Vielleicht musste die Schleuse auch einfach dem Druck weichen.

Sebastian S. sagt, er habe die kritische Situation Carsten W. gemeldet. Und Carsten W. habe ihm Polizeiunterstützung versprochen. Doch die sei nicht gekommen. Schließlich habe W. gar nicht mehr reagiert, obwohl der Funk der Ordner nicht ausgefallen sei.

Kann sein. Aber ist dies nun ein Beleg für die Schuld von Carsten W., Beleg dafür, dass auch S. die Schuld verschieben will (was ja verständlich wäre) oder einfach ein Beleg dafür, dass ab 16.00 Uhr ein allgemeines Chaos herrschte, das niemand mehr so richtig überblickte?

Dann sagt Sebastian S., er habe die Schleusen kurze Zeit später mehrfach aus eigenem Entschluss geöffnet. Weil er nicht mehr wusste, wie er mit den Massen draußen vor den gesperrten Schleusen umgehen sollte. Sebastian S. sagt, er habe von den Polizeiketten im Tunnel nichts mitbekommen. Der Damm war gebrochen. Die Polizeiketten rissen. (Alle bisherigen Zitate aus dem Artikel von David Schraven, von hier)

Ich finde, hier hätte David Schraven einhaken sollen: Was sollten eigentlich nochmal diese Polizeiketten IN den Tunneln? Warum wurden die Polizisten nicht an den Schleusen eingesetzt, sondern (an wesentlich ungünstigerer Stelle) im Tunnel? Und ist die Info neu? Nicht wirklich:

Interview mit einer Augenzeugin (xtranews) im Dezember 2010:

Gegen circa 15.40 Uhr, so sagen Sie, geschah etwas Ihnen völlig Unverständliches. Was war das?

Cornelia Hesse: Die komplette Polizei rückte ab! Es waren dann nur noch die völlig überforderten Ordner da. Aber auch schon davor fuhren die ersten Polizisten mit ihrem Mannschaftswagen, einem Polizeibus weg. Dieser Wagen stand direkt unter meinem Fenster. Die Polizisten hatten darauf gesessen, hinter dem Zaun.

Sahen Sie, wohin die Polizisten fuhren und gingen?

Cornelia Hesse: Richtung Tunnel. Wohin der Wagen fuhr, konnte ich nicht sehen.

 

Kommentar vom 4.11.2010  zu einem WAZ-Artikel

Die Situation an den östlichen Schleusen (ebenfalls der Kripo Köln bekannt): Hier verhielt es sich andersrum. Gegen 16.40 Uhr (wahrscheinlich ist 15.40 Uhr oder 16.00 Uhr gemeint, H.E.M.)  ließen alle Polizisten sämtliche Ordner allein. Zu diesem Zeitpunkt explodierte dieser Bereich vor Menschen. Die Ordner konnten die Schleusen nur noch öffnen, anderes war völlig unmöglich. Warum gingen die Polizisten? So zum Beispiel ein

Das klingt polizeikritischer und hätte nicht mehr in die Tendenz des neuen Artikels gepasst (Polizei als Opfer einer "Anti-Polizei-Kampagne"). Auch wer Opfer einer Kampagne ist, kann trotzdem schuldig sein.

Ich will den Artikel gar nicht schlecht machen, aber ich will sagen: Es gibt bei diesem komplexen Geschehen immer mehrere Perspektiven und wenn man (mögliche) Beschuldigte fragt (sei es Carsten W. oder Sebastian S. oder Schaller oder Polizeivertreter) muss man immer mit berücksichtigen, dass diese eigene Interessen haben und verfolgen. Das ist auch kein Vorwurf, denn ein Beschuldigter darf sich grds. verteidigen und es ist völlig menschlich, sich aus einem Vorwurf zu befreien, indem man nicht ganz bei der Wahrheit bleibt. Aber wer an der Aufklärung interessiert ist, sollte diese Spielchen nicht mitmachen, zumindest sich selbstkritisch hinterfragen.

Frage: Können Sie bitte noch sagen, welche Details Sie für neu (und glaubhaft) halten?

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Mueller,

Zu # 137:

Besten Dank für Ihre 'spekulierende', analysierende Nachfrage.

Zwar muss man, wie Sie, bezüglich des "persönlichen Gesprächs" zwischen Carsten W. und Schaller tatsächlich zuerst fragen:"aber was ist mit dem Inhalt?" Denn dass der  wahrheitsgemäß ist, dafür gibt es ja keinen Beleg. Man müsste also, wie Sie schon versucht haben, den Text analysieren, um der Wahrheit näher zu kommen. Aber grundsätzlich wirkt das Interview tatsächlich selber auch "strange", wie Sie andeuten. 

"Strange" sind m.E. jedoch alle bisherigen Interviews mit Schaller.

 

Neu sind drei Punkte:

1) die Aussagen über ein sogenanntes Team, von dem Schaller gesprochen haben soll. Die Tatsache, dass es ein solches Team um Schaller herum geben soll und hier erstmals erwähnt wird, ist neu. Bislang waren Schallers Aussagen, insbesondere die moralischen, immer auf ihn persönlich bezogen, hier beziehen sie sich erstmals auf ein Team.

2) die Tatsache, dass jetzt Carsten W. auch so ein "strange" Interview gibt, nur diesmal er über Schaller, ist nicht minder "strange" und neu. Dem entnehme ich, dass Carsten W. entgegen seiner Aussage zu dem Team dazu gehört. Mag sein, dass er das Interview nur im Kontext eines Deals gegeben hat, aber in irgendeiner Form dem Team verpflichtet. Sein Für und Wider bezüglich Schaller ist ziemlich widersprüchlich.

3) Alle Schallerinterviews und jetzt auch dieses von Carsten W. sind im Grunde eine verschlüsselte Botschaft, die man folglich nur mit einem bestimmten Schlüssel in den Blick bekommt. Ohne diesen wirken sie zwar "strange", aber auch wieder nicht komplett unglaubwürdig, wie Ihr Bemühen, die Infos unverschlüsselt zu sehen, veranschaulicht. Schon beim ersten Lesen des Carsten W. Interviews wurde ich den Eindruck nicht los, dass etwas daran nicht stimmt.

Wenn nun das geheimnisvolle Team und seine Ziele Anlass zu solcher Verschlüsselung sind, dann ist außerdem klar, dass es zwischen diesem und der Katastrophe eine noch ungeklärte Beziehung geben muss.

 

zu 1)

1.1) Wer ist mit dem Team gemeint? Welche Leute verbergen sich dahinter? Es ist nicht davon auszugehen, dass die Mitarbeiter seiner McFit - Kette gemeint sind. Anderthalb Jahre danach können es die Loveparade Mitarbeiter auch kaum sein, da er die Loveparade ja ganz abgesagt hat. Aber jetzt erst wird von einem Team gesprochen.

1.2) Welche sind "seine Leute" für die Schaller "jetzt stark sein muss"? 

1.3) für welches Team "ist Schaller stets da"?

1.4) signalisieren die drei Leibwächter eine Machtposition Schallers oder wird er kontrolliert? Auf mich wirkten seine Interviews, wie wenn er präpariert worden war. Wenn man, wie in seinem Job, viel von Beratern abhängig ist, engagiert man diese Berater natürlich aus freien Stücken. Aber doch kann man zu ihrem Gefangenen werden. Wenn etwa der Auftraggeber ab einem bestimmten Punkt merkt, dass die Beratungstendenz nicht mehr seinen Vorstellungen entspricht, ja sich sogar konträr dazu entwickelt, kann die Beratung zur Diktatur werden, wenn er dann keine Möglichkeit sieht, sich von der Beratung zu trennen. Ab da kann in seinem Verhalten etwas ähnliches stattfinden wie bei einem Drogensüchtigen: er lügt sich selber was in die Tasche und redet sich ein, dass alles OK sei, er die Dinge sehr wohl noch im Griff hat. Eine solche Wendung kann ich mir bei Schaller und Sauerland vorstellen. Oder aber derjenige bemerkt die Diktatur erst gar nicht.

1.5) was hat dieses Team mit der Lopa 2010 zu tun, da es jetzt erst, aber doch deutlich in diesem Zusammenhang erwähnt wird.

1.6) war es nur unwesentlich an den Vorbereitungen beteiligt, sodass die ursprünglichen Pläne dieses Teams nun aufgrund der schlechten Planung Anderer durch das Unglück vermasselt wurden und man jetzt "stark" bleiben muss, um trotz des Unglücks nun auf andere Weise doch noch das Ziel zu erreichen, was auch immer konkret mit diesem "stark" gemeint sein mag und welches Ziel man hatte und nicht aufgeben wird?

1.7) war es aktiv an der Planung beteiligt oder gar eine nicht zu umgehende Steuerungskraft, so dass das Unglück auf diese Steuerung zurück zu führen ist, was nun unter keinen Umständen publik werden darf und in diesem Fall, es zu verhindern, der Stärke bedarf? Für eine solche 'Stärke' Moral einzufordern wäre eine unmissverständliche Aussage über die unmoralische Vorgehensweise und Verhaltensweise des Teams.

 

zu 2)

2.1) Einerseits sieht es aus, als wolle Carsten W. Schaller bloßstellen, aber im Grunde  macht er eine gelungen seltsame Werbung für ihn.

Nimmt man an, dass Carsten W. gegen Lopavent gerichtet 'flüstert', dann stellt sich zwar die Frage, wie Sie sie auch gestellt haben:

Das kann schon sein, es war aber auch für Carsten W. allein eine gangbare Strategie, die Schuld auf die Polizei zu schieben und damit von sich abzuwenden

...aber wie will er als kleiner Croowdmanager eine solche Kampagne mit Erfolg auch z.B. gegenüber der STA durchziehen, so sehr er auch unter den Operativen am Tag eine Schlüsselstellung hatte? Im Verbund mit einer Kampagne von Lopavent haut das schon eher hin, dass sie sich gemeinsam hinter der Polizei verstecken können. Aber warum außerdem sollte er dann wiederum so negativ von Lopavent ausplaudern? Die STA wird auch das kaum beeindrucken.

2.2) Nimmt man degegen an, dass Carsten W. sehr wohl zum Team gehört, dann wird hier etwas inszeniert und dann muss man die Aussagen über die Polizeikampagne auf jeden Fall sehr anders bewerten. Denn wer derlei Geheimnisse aus eigenen Reihen 'flüstert', der tut dies nicht, um sich selber zu schaden. Damit wird dann vermutlich anderes verschlüsselt. Oder auch einfach nur nach dem Motto vorgegangen: "am besten die Wahrheit sagen, denn die glaubt keiner".

2.3)  Die Chance, dass Carsten W. eher ehrlich ist und Zivilcourage zeigt, ist m.E. gering. Nein, das ganze Interview hat anderen, eben "strange" Charakter, der deutlich wird, wenn man einmal den Journalisten mit dazu nimmt. Sie glauben wie ich, dass das Interview stattgefunden hat,

Das "persönliche Gespräch" zwischen Carsten W. und Schaller. Ich zweifle nicht daran, dass ein solches stattgefunden hat,(...). Die Detailbemerkung zur Straße, in der das Treffen stattfand (eigentlich völlig belanglos , soll wohl eine gewisse Glaubhaftigkeit erzeugen, die sich dann auf den Inhalt übertragen soll. Natürlich kann es so gewesen sein;(...)

....doch dann ist der Journalist immer auch aktiver Teil des Interviews. Als solcher kann er in diesem Fall sehr wohl auch bereits zu diesem myteriösen Team gehören. Wie sonst käme das Interview, wenn es eine Inszenierung ist, zustande? Dann hätten wir mithin schon drei im Bunde. Dass Sie z.B. über dessen Ungereimtheiten stolpern:

Nun kommt doch noch kritische Distanz des Journalisten zu Carsten W.; er nimmt ihm jetzt nicht ab, nicht auf Schallers Seite gewechselt zu sein. Aber alles andere glaubt er ihm? W. habe Journalisten "sein Herz ausgeschüttet" und dabei (aus Versehen?) die Polizei belastet.

...ist vielleicht nicht nur schlechtes journalistisches Handwerk, sondern ein Symptom für kompetente  Zugehörigkeit, denn

Auch das könnte man "strange" finden.

.und kommt eben von Seiten des Journalisten. Wenn nun auch er Teil dieser "strange" Symptomatik, bzw. Verschlüsselung ist, dann ist unwahrscheinlich, dass Carsten W. als einziger in der Runde anders gelagert wäre. Dann ist hier tatsächlich schlicht etwas inszeniert worden, wie auch mit dem Satz

"Schon vorher sei klar gewesen, dass Schaller ihn für eine Anti-Polizei-Kampagne gewinnen wollte.

zum Ausdruck kommt. Das wiederum kann dann auch ohne Schaller stattgefunden haben, aber natürlich mit seinem Einverständnis.

Von wem die Beschreibung 'theologisch' stammt, ist außerdem nicht eindeutig. M.E. kommt sie vom Journalisten. Ich halte den Begriff hier für missbräuchlich, irreführend verwandt, eben auch als ein Instrument der Verschlüsselung. Das Team soll in gutem Licht erscheinen. 

 

zu 3)

Glaubhaft ist an solchen Verschlüsselungen logischerweise nur das Verschlüsselte, insofern man es zutage fördert. Das dürfte hier nicht ganz so einfach sein. Man könnte aber nicht einfachhin sagen, weil es "strange" klingt, sei das nicht glaubhaft. Denn das Verschlüsselte braucht eben die vorgeschaltete "strange" Sprache. Man muss aus dieser das Glaubhafte dann erst mal mühsam 'ausgraben'. Diese Methode ist natürlich alles andere als menschenfreundlich und sozial. Einerseits will sie eine Information geben, wozu sonst Interviews, andererseits etwas, Entscheidendes (die Schuld?) durch die Verschlüsselung verbergen, ein Spagat.

 

Eine weitere Verschlüsselung ist die Werbung mit dem eigenen Negativimage.  Man versucht auf diese Weise beide Seiten, Freund und Feind, selber, aus einer Hand zu steuern und im Griff zu haben. Den Eindruck habe ich hier. Dabei übersehen solche Methoden, dass das um den Preis einer skrupellosen Zerstörung ehrlichen, zwischenmenschlichen Miteinanders geschieht. Wenn ein Team mit solcher Mentalität beteiligt war, wundert es nicht, dass es zu einer Katastrophe kam.

 

Mein 'Ausgrabungsfund' ist also auf Seiten von Schaller die neuerliche Erwähnung eines Teams, bei gleichzeitiger Verschlüsselung seiner Beziehung zur Katastrophe. Die juristische Ausbeute ist zwar gering aber auf anderer Ebene sind die neuen Infos m.E.  vielsagend.

Ich bin mit meinen 'Entschlüsselungsüberlegungen' aber noch keineswegs fertig und kann mich im Moment leider nicht weiter damit befassen, wollte Sie nur nicht im Regen stehen lassen. Ich hoffe, ich konnte Ihnen helfen.

 

 

3

PS zu # 139 in Reaktion auf # 140

Wenn so ein handfestes Stück Papier zur Pflichtenübertragung mit Unterschrift vorhanden ist, dann mag die rechtliche Relevanz glasklar sein. Es gibt in diesem Fall aber möglicherweise noch eine seltenere andere Variante. Wie in # 140 beschrieben wären die fehlende ELA und die unterbesetzten Ordner übliche menschliche Nachlässigkeit zum Zwecke des Profits, die in dem Fall kombiniert mit der katastrophalen örtlichen Zugangssituation und der mangelhaften Personenstromsteuerung zur groben Fahrlässigkeit avancieren würde. 

 

Der mögliche Einfluss eines unbekannten Teams auf die Lopaentscheidungen bringt mich auf folgenden Gedanken:

Was passiert, wenn etwa alle drei: der Unternehmer, Herr Schaller, sein technischer Leiter, der Crowdmanager, Carsten W. und eventuell auch ein Entscheidungsträger bei der Stadt nicht einfach aus der Haltung heraus: "Et hätt noch immer jot jejange..." so fahrlässig gehandelt haben, sondern, weil sie alle zu diesem Team gehören und dessen leitende Autorität, eine oder gar mehrere unbekannte dritte Personen, in Wirklichkeit die Entscheidungen verursacht haben? Unterschrieben haben die dann natürlich nichts.

Ist klar, auf dem Papier steht, wer die Verantwortung trägt und klar, schuldfähig sind nur Individuen. Und klar, der auf dem Papier Verantwortliche, kann sich nicht rausreden, wenn er die Verantwortung so fahrlässig abgegeben hat. Aber was, wenn es ihm aus dem Selbstverständnis des Teams heraus unmöglich war, anders zu handeln. Hätte das nicht eine deutlich andere Qualität, als wenn, wie in # 140 beschrieben:  

 ....in der Veranstaltungstechnik gibt es großen persönlichen Druck auf Verantwortliche, nicht alles "so genau" zu nehmen, "Unmögliches moglich zu machen" und vorsätzlich gegen Gesetze zu verstoßen, wenn es denn die Kosten klein hält.      

In dem Fall des Zitats weiß man um die rechtlichen Konsequenzen und setzt sich dennoch um des Vorteils willen leichtfertig darüber hinweg, missachtet sie. Eine Missachtung ist ja gleichwohl dennoch eine Anerkennung des Gesetzes. In dem Fall des Teams aber nähme man sich ja bewusst heraus, geltendes Recht zu beugen. Durch intern gesetzwidrige Entscheidungspraktiken setzt man es regulär außer Kraft, stellt sich drüber und macht sich gleichzeitig unangreifbar.

Und wenn man dann wiederum die Sätze bedenkt:

"Schaller sagte laut Carsten W., er müsse stark sein für seine Leute." und "Schaller habe ihn in sein Team holen wollen, dann sei er stets für W. da."

Dann hat das einen so starken Zusammengehörigkeits-charakter, dass man sich kaum vorstellen kann, dass dann eigene Leute fallen gelassen würden, wenn Recht und Gesetz sie auf dem gemeinsam beschrittenen rechtswidrigen Wege einholen würden. Mit der möglichen Konsequenz, dass man zu deren Rettung noch mehr Recht und Gesetz beugen und unschuldige Andere, die nicht zum Team gehören, locker opfern würde? Bedenkt man dann weiterhin, dass solche Teams ja auch Juristen zu ihresgleichen zählen können, dann kann man sich ausmalen, wie in solchen Fällen Recht und Gesetz zum Instrument des Unrechts werden können.

 

Pflege von Zusammengehörigkeit ist ja im Grunde etwas sehr Gutes. Um so übler ist es, wenn sie dermaßen missbraucht wird. Wer möchte nicht, dass jemand "stets für ihn da ist" Da hier aber - vorausgesetzt dieses Team war der eigentliche  Entscheidungsträger -  ein äußerst negatives Ergebnis dieser Zusammengehörigkeit vorliegt, nämlich nachgewiesene Gesetzwidrigkeiten und in deren Folge 21 Tote etc. wirft dies kein gutes Licht auf die dahinter stehende Zusammengehörigkeit. 

Muss man dann nicht vielmehr von regulärer, vorsätzlicher Rechtsbeugung ausgehen? Untermauert durch die Tatsache, dass nach der Katastrophe das gesamte Verhalten der veranstaltenden Parteien genau dafür einen Beleg darstellt. Außerdem könnte dann die neuerliche Vorgehensweise gegen die Polizei ein Indiz dafür sein, dass es auf ihrer Seite niemanden gibt, der in diese Zusammengehörigkeit mit hinein gehörte. Oder es gab jemanden, der jetzt aber Zivilcourage zeigt?

 

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Bei den Handlungen und Entscheidungen während der Loveparade halte ich es für aussichtslos, nach einer Logik zu suchen. Das gesamte Veranstaltungskonzept war illegal, unseriös und fadenscheinig. Es fehlte eine klare Kommandostruktur und es ist offensichtlich, dass viele Beteiligte fachlich und sachlich ihren Aufgaben nicht gewachsen waren. Alle Beteiligten haben gemeint, man habe die Lage im Griff und könne die Veranstaltung durchführen. Der Gutachter Prof. Still hat nachgewiesen, dass für alle Verantwortlichen erkennbar sein musste, dass dieses Veranstaltungskonzept nicht funktionieren konnte.

Die Berichterstattung zum verunglückten Kreuzfahrtschiff ist interessant in Bezug auf die Schadensersatzsummen. Während die AXA und die Stadt Duisburg einen Todesfall mit 1500 € taxieren, sieht das italienische Recht wesentlich höhere Schadensersatzsummen vor. Zitat: "Die Tabellen des Landgerichtes Mailand von 2011, die auch von anderen italienischen Gerichten herangezogen werden, sehen für jeden Elternteil beim Verlust eines Kindes eine Schadenssumme bis zu EUR 308.700,00 vor." Link zum kompletten Artikel: http://www.presseportal.de/pm/104076/2188924/costa-concordia-hohe-schade... Die Diskrepanz zu den deutschen Beträgen ist so hoch, dass sich hier eventuell ein Ansatz für eine Korrektur der deutschen Rechtsprechung ergibt.

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Rainer Schaller ist sicherlich ganz hervorragend anwaltlich beraten. Und die Statements sind garantiert sowohl juristisch wie auch von medialen Wirkung her wohl überlegt. Da ist schon eher aufschlussreich, was nicht erwähnt wird. Sowohl die fehlenden Ordner wie auch die fehlende Lautsprecheranlage (ELA) wirkten sich ja kaufmännisch günstig auf die Höhe der Kosten aus. Was nicht da ist, kostet auch nichts. Und genau hier wird es dann strafrechtlich interessant: Wer hat das entschieden? Und wer hat das geduldet, obwohl er aufgrund seiner beruflichen Position verpflichtet war, auf der Einhaltung der gesetzlichen Regeln zu bestehen? Hat der technische Leiter mit der Berufsqualifikation Meister für Veranstaltungstechnik korrekt gehandelt? Oder hat er diese Zustände geduldet in der Hoffnung, es ginge schon gut? Hat er schriftlich, also beweisbar, seinen Auftraggeber auf die eklatante Verletzung der gesetzlichen Regelungen hingewiesen und den Unternehmer aufgefordet, sofort Abhilfe zu schaffen? (Vermutlich nicht) Hat er vor Beginn der Veranstaltung den Unternehmer aufgefordert, gemäß SBauVO den Betrieb der Versammlungsstätte sofort einzustellen? (Vermutlich nicht) Hatte er die Kompetenz hierzu selber? Gibt es die vorgeschriebene schriftliche Übertragung von Unternehmerpflichten? Diese musste vorhanden sein, da der Unternehmer (Hr. Schaller) nicht die notwendige berufliche Qualifikation hatte. Diese Frage ist strafrechtlich extrem wichtig. Gab es diese Pflichtenübertragung, dann sind die Unternehmerpflichten zur sicheren Planung und Durchführung tatsächlich an den technischen Leiter übertragen worden. Dies hieße, er hatte formal die notwendigen Weisungsbefugnisse gegenüber dem Personal sowie die notwendige Verfügungsgewalt über finanzielle Mittel. Diese hätten dann auch von ihm genutzt werden müssen - was nicht der Fall gewesen ist (z.B. keine ELA). Derzeit gehe ich von einer tatsächlich vorhandenen Pflichtenübertragung aus; ansonsten müsste der Unternehmer Hr. Schaller automatisch zu den Beschuldigten gehören, was nicht der Fall ist.

Aufgrund meiner Berufserfahrung vermute ich , dass der technische Leiter wie auch der Crowd Manager Verträge und Pflichtenübertragungen unterschrieben haben, ohne sich über die Rechtsfolgen wirklich im Klaren zu sein. Anschließend sind vermutlich mit "Et hätt noch immer jot jejange..." Mentalität Risiken verdrängt worden und fachwidrig gehandelt worden. Gerade in der Veranstaltungstechnik gibt es großen persönlichen Druck auf Verantwortliche, nicht alles "so genau" zu nehmen, "Unmögliches moglich zu machen" und vorsätzlich gegen Gesetze zu verstoßen, wenn es denn die Kosten klein hält. Wer hier Paroli bietet, ist schnell unbeliebt - riskiert aber keine Haftstrafe.

5

 

 

@ Blogger

 

Guten Tag,

Prof. Müller, MdVT, Jolie, Gast et.al.:

 

Den (Doppel-) Dümmstsinn des amtierenden rheinland-pfälzischen Justizministers (SPD), den ich heute im Rahmen der duckhome JustizKritik-Serie -> http://duckhome.de/tb/plugin/tag/richard+albrechts+justizkritik kurz kommentierte -> http://duckhome.de/tb/archives/9944-STAATSANWALTSCHAFTLICHES.html , zum Anlaß nehmend, sah ich nochmal die drei höchstmaterialvollen Müller-Blogs 2010/12, welche sich mit dem „Event“ der letzten Love Parade Duisburg beschäftigten, durch und möchte ich nun, Mitte März 2012, die These vertreten: juristisch zu brav und politisch zu naiv.

 

Genauer: wenn die „zuständige“ Staatsanwaltschaft auch „nur" (ich sag das bewußt ironisch) das hier verarbeitete, wenn auch kaum systematisch-kritisch strukturierte, Material (nebst Quellen und Links) durchgesehn haben würde, dann hätte lange schon - und unabhängig vom „Fachgutachten“, das hier zuletzt angesprochen wurde - fürs “zuständige“ Landgericht eine Anklageschrift gegen namentlich bekannte Verantwortliche dreier Tätergruppen und ihres bekanntlich mehr als drei Personen erfordernden Zusammenspiels iSd. StGBs fertig sein müssen.

 

Das bedeutet: Die „Staatsanwaltschaft“ genannte Exekutivbehörde kann nicht und/oder will nicht oder/und darf nicht. Bei den erstbeiden Varianten wäre "nur" der NRW-Justizminster MdL Kutschat/SPD dienstlichaufsichtlich "zuständig", im letztgenannten Fall wären außer diesem NRW-Innenminster MdL Jäger/SPD und „in letzter Konsequenz“ Frau Ministerpräsidentin MdL Kraft/SPD   p o l i t i s c h  verantwortlich für die bisher nicht erfolgte justizielle Aufarbeitung.

 

Mit freundlichem Gruß

 

Dr. Richard Albrecht, 140312

http://wissenschaftsakademie.net

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@Richard Albrecht:

wegen des heute eingeleiteten Neuwahl-Verfahrens in NRW kann man diese politische Verantwortung derzeit nicht einklagen - bleibt leider doch nur die Hoffnung auf eine unbestechliche unabhängige Staatsanwaltschaft...

Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

# 138 MdVT

Das ist juristisch wichtig:

"vorsätzlich gegen Gesetze zu verstoßen, wenn es denn die Kosten klein hält".

Wär´s so kann auch´s bekannte "machen wir immer so" weder schuld- noch strafmindernd sein.

 

# 143 Prof. Müller

Neben meiner - auch erfahrungsgesättigten - Skepsis als Richter h.c. und Justizkritiker h.c - jeweils in den ganzdeutschen Nullerjahren -, die mich am prospektiven Tatbestand "Anklageerhebung" zweifeln läßt (sollte ich irren: umso besser) müßte es m.E. auch um den Gesichtspunkt organisierten Unrechts gehn, der soweit ich weiß als "Bildung einer kriminellen Vereinigung" - auch bei den Love Parade Veranstaltern vor, während und nach dem „Event“ - strafbewehrt sein soll ...

 

Maßnahmen in dieser Richtung setzen freilich voraus, daß staatsanwaltliche Exekutivbeamte BIS DREI ZÄHLEN KÖNNEN … q.e.d./was zu beweisen wäre …

 

freundliche Grüße

Richard Albrecht/170312 

http://wissenschaftsakademie.net

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Sehr geehrter Herr Albrecht,

schon verschiedentlich wurde hier im Blog die Frage aufgeworfen, ob nicht - wegen der eklatant erscheinenden Sicherheitsmängel, die offenbar in Kauf genommen wurden, um das Event stattfinden zu lassen - nicht schon ein Vorsatzvorwurf gegen die Veranstalter berechtigt wäre.

Meines Erachtens ist das nicht der Fall. Ein Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung setzt eine Vereinigung zum Zweck der  Begehung von Straftaten voraus - der Zweck der Veranstaltung von "Events" wie die Loveparade würde ich als nicht davon erfasst ansehen, selbst wenn man um Kosten zu sparen, an der Sicherheit spart.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

# 145

 

Danke, Herr Prof. Müller,

 

selbstverständlich kriegen Sie (von mir) auf der Ebene der (rechtspraktischen) "hard-core" Faktizität keinen Widerspruch, gleichwohl halte ich die auch o. angesprochene Ebene "should have" mit erweiterter Möglichkeitskategorie für wissenschaftlich produktiv ...

 

besten Rückgruß Richard Albrecht

http://www.duckhome.de/tb/plugin/tag/Richard+Albrechts+JustizKritik

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@ Prof.Müller

Herr Albrecht schreibt

"müßte es m.E. auch um den Gesichtspunkt organisierten Unrechts gehn, der soweit ich weiß als "Bildung einer kriminellen Vereinigung" - auch bei den Love Parade Veranstaltern vor, während und nach dem „Event“ - strafbewehrt sein soll"

Prof. Müller antwortet

"Ein Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung setzt eine Vereinigung zum Zweck der  Begehung von Straftaten voraus - der Zweck der Veranstaltung von "Events" wie die Loveparade würde ich als nicht davon erfasst ansehen, selbst wenn man um Kosten zu sparen, an der Sicherheit spart."

 

Ich finde, dass Sie den von Herrn Albrecht angesprochenen Sachverhalt unpräzise aufgreifen und dadurch unangemessen verharmlosen. Er hat m.E. ganz etwas anderes gesagt, als Ihre Reaktion aufgreift. Er spricht von "organisiertem Unrecht" und fragt dann, was als juristischer Ausdruck dafür gelten kann, ob etwa "Bildung einer kriminellen Vereinigung" hierfür zutrifft und eventuell auch bei der Loveparade gelten muss.

 

Er hat sich also nicht auf den Begriff "Bildung einer kriminellen Vereinigung" festgelegt. Ihm ging es um das "organisierte Unrecht". Es macht doch einen großen Unterschied, ob Einzelne im alltäglichen Miteinander etwa aus Trägheit, übler Laune, Hass oder was auch immer einander Unrecht tun oder aber ob Unrecht von Gruppen systematisch und organisiert und mit neuesten technischen wie psychologischen Mitteln verübt wird und dann - zwar ungewollt aber doch - 21 Tote und 500 Verletzte dabei rauskommen. Das kann man doch nicht in einen Topf werfen.

Wegen der rasanten wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in allen Bereichen: insbesondere Informatik, Psychologie, Massenpsychologie, Technik, Statistik, und vieles mehr gelangt unsere Zivilisation allmählich an einen Punkt, an dem viele bisherige Rechtsnormen die neuen Praktiken krimineller Realität nicht mehr zu greifen vermögen.

Das ist eine Situation, die vermutlich für alle die Juristen unbequem wird, die bescheiden innerhalb des Erlernten einfach nur ihren Job gut erledigen wollen. Solange die vorhandenen Gesetze und Rechtsvorstellungen greifen, geht das gut. Wenn aber nicht, rührt das  Rechtsempfinden an seine tieferen, menschenrechtlichen Fundamente. Wenn die dann nicht mehr stimmen, oder wenn man neue Fälle dennoch mit alten, nicht mehr greifenden Gesetzen abhandeln will, entstehen unrechte Gesetze und Praktiken.

 

Es ist auch im Rechtsstaat eine Illusion, zu meinen die Gesetze könnten immer alles regeln. Streng genommen regeln sie ja ohnehin immer nur im Nachhinein. Denn schließlich entstehen neue Gesetze ja erst dann, wenn unrechtes - oder muss man juristisch sagen gemeinwohlschädigendes, -  gesellschaftliches Verhalten noch nicht per Gesetz erfasst und geregelt werden konnte.

Oder kennt die Rechtsprechung das Wort "Unrecht" nicht?

Des Weiteren hat auch niemand behauptet, dass die Loveparade von den drei hauptveranstaltenden Parteien: Lopavent, Stadt, Land zum Zweck der Begehung einer Straftat veranstaltet wurde.

Aber dieses Event ist zu groß und der beteiligten Macher sind zu viele, als dass es nicht auch von unerkannten Dritten zusätzlich dazu missbraucht werden konnte. Wer das bestreitet  ist naiv. Stattdessen käme es darauf an, diese Pfade Dritter aufdecken zu können.

Wie weit greift eigentlich juristisch der Begriff "eine kriminelle Vereinigung zum Zweck der Begehung von Straftaten", wie wird das definiert?

Muss es gleich ein geplanter Mord sein, ehe man juristisch tätig wird oder Volksverhetzung? Und welche anerkannten Straftaten gibt es hier im wirtschaftlichen Bereich? Es wird doch sicher auch bei Wirtschaftskriminalität eine juristisch beschriebene Grenze geben, ab der der Umgang etwa mit der Planung eines solchen Events als kriminell eingestuft werden muss. Sollte es solche Definitionen noch nicht geben, wird es höchste Zeit, dass man sie erarbeitet.

Die Planung eines Massenevents wird doch ab einem Punkt allein deshalb schon kriminell, weil ihre schlechte Qualität Menschenleben in Kauf nimmt, auch wenn niemand dies explizit wollte. Ab da muss das doch strafbewehrt sein.

 

Jedenfalls mit solch grobklotzigen Umschreibungen wird man die neuen kriminalistischen Pfade unserer Tage, wie sie eventuell auch bei der Loveparade angewandt wurden, nicht erfassen können. Stattdessen fällt man auf ein Spiel der Täter rein und verfolgt ahnungslose, unschuldige Opfer dieses Spiels als mögliche Straftäter.

 

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Sehr geehrter wachsamer Laie,

Sie schreiben

Ich finde, dass Sie den von Herrn Albrecht angesprochenen Sachverhalt unpräzise aufgreifen und dadurch unangemessen verharmlosen.

Wer meine bisherigen postings und Stellungnahmen gelesen hat, weiß, dass ich der allerletzte bin, der irgendetwas an der Loveparade verharmlost. Meine Position ist (seit dem 25.07.1010) diejenige, dass ich die strafjuristische Aufarbeitung kommentiere und begleite, wobei ich realistischerweise  vom geltenden Strafrecht ausgehe.

Er spricht von "organisiertem Unrecht" und fragt dann, was als juristischer Ausdruck dafür gelten kann, ob etwa "Bildung einer kriminellen Vereinigung" hierfür zutrifft und eventuell auch bei der Loveparade gelten muss.

Es gibt keinen Straftatbestand "organisiertes Unrecht", § 129 StGb kommt dem am nächsten, deshalb mein Kommentar.

Es macht doch einen großen Unterschied, ob Einzelne im alltäglichen Miteinander etwa aus Trägheit, übler Laune, Hass oder was auch immer einander Unrecht tun oder aber ob Unrecht von Gruppen systematisch und organisiert und mit neuesten technischen wie psychologischen Mitteln verübt wird und dann - zwar ungewollt aber doch - 21 Tote und 500 Verletzte dabei rauskommen. Das kann man doch nicht in einen Topf werfen.

Ich werfe nichts in einen Topf, aber das geltende Strafrecht stellt momentan nur die §§ 222, 229 StGB für diese Sachverhalte zur Verfügung. Ob andere Normen (in der Zukunft) besser geeignet wären, ist eine andere Diskussion. Aber solche Normen würden aufgrund des Rückwirkungsverbots (Menschenrecht!) für die Lopa-Veranstalter ohnehin nicht gelten. Hier (in dieser Diskussion) geht es aber um die konkrete Loveparade 2010 und um die strafrechtliche Verantwortlichkeit dafür.

Das ist eine Situation, die vermutlich für alle die Juristen unbequem wird, die bescheiden innerhalb des Erlernten einfach nur ihren Job gut erledigen wollen. Solange die vorhandenen Gesetze und Rechtsvorstellungen greifen, geht das gut. Wenn aber nicht, rührt das  Rechtsempfinden an seine tieferen, menschenrechtlichen Fundamente. Wenn die dann nicht mehr stimmen, oder wenn man neue Fälle dennoch mit alten, nicht mehr greifenden Gesetzen abhandeln will, entstehen unrechte Gesetze und Praktiken.

Wenn Strafjuristen nicht innerhalb der vorhandenen Gesetze blieben, dann würden sie ihren Job nicht richtig machen ("nulla poena sine lege" ist DIE Grundnorm des Strafrechts, wie gesagt menschenrechtlich gesichert). Was sie darüber hinaus schildern, ist ein Versäumnis der Wähler und des Gesetzgebers, aber nicht ein Versäuminis "der Juristen". Überhaupt gibt es nicht "die Juristen". Ich erlaube mir als Jurist durchaus eine eigene Meinung. Ich bin auch für Gesetzesänderungen zu haben. Aber diese gelten eben nur für die Zukunft (s.o.). Und hier diskutieren wir über die Loveparade 2010, nicht über künftige Veranstaltungen.

Es ist auch im Rechtsstaat eine Illusion, zu meinen die Gesetze könnten immer alles regeln.

Da haben Sie völlig Recht. Ich habe diese Illusion nicht - ich kenne  auch keinen ernsthaften Juristen, der das denkt. Meist sind es Nichtjuristen, die dieses Vorurteil gegenüber Juristen hegen. Nein, Gesetze können nicht alles regeln. Auch das Strafrecht regelt eben nicht alles. Aber, das was strafrechtlich nicht geregelt ist, ist eben nicht strafbar (s.o.).

Oder kennt die Rechtsprechung das Wort "Unrecht" nicht?

Natürlich kennt die Rechtsprechung den Begriff Unrecht, aber dieser ist im Strafrecht begrenzt durch Strafgesetze (s.o.). Unrecht ist tatbestandsmäßiges  und rechtswidriges Verhalten.

Des Weiteren hat auch niemand behauptet, dass die Loveparade von den drei hauptveranstaltenden Parteien: Lopavent, Stadt, Land zum Zweck der Begehung einer Straftat veranstaltet wurde.

Wenn man sie aber nach § 129 StGB verurteilen wollte, dann müsste dies der Fall sein. Da es nicht der Fall ist, entfällt der Vorwurf des Verstoßes gegen § 129 StGB.

Aber dieses Event ist zu groß und der beteiligten Macher sind zu viele, als dass es nicht auch von unerkannten Dritten zusätzlich dazu missbraucht werden konnte. Wer das bestreitet  ist naiv. Stattdessen käme es darauf an, diese Pfade Dritter aufdecken zu können.

Ich halte es für naiv, ohne konkrete Tatsachen/Anhaltspunkte irgendwelche Hirngespinste an die Wand zu malen. Dafür ist im Strafrecht kein Platz. Solange es keine Anhaltspunkte gibt, kann niemand Ermittlungen aufnehmen. Nach fast zwei Jahren intensiver Ermittlungen  ist es auch unwahrscheinlich, dass noch gegen irgendwelche "Dritte" ermittelt wird.

Muss es gleich ein geplanter Mord sein, ehe man juristisch tätig wird oder Volksverhetzung? Und welche anerkannten Straftaten gibt es hier im wirtschaftlichen Bereich?

Haben Sie das Thema in den vergangenen Monaten verfolgt? Etliche Staatsanwälte und Polizeibeamte ermitteln doch intensiv gegen die Loveparade-Verantwortlichen. Ein Zweck dieses Blogs ist es, diese Ermittlungsarbeit zu verfolgen und zu kommentieren, und natürlich auch zu kritisieren. Aber, dass juristisch niemand tätig wird, das kann man nun wirklich nicht sagen. Der Vorwurf eines vorsätzlichen Tötungsdelikts hat keine realistische Grundlage. Die Gründe dafür habe ich hier im Blog oft genug angeführt.

Die Planung eines Massenevents wird doch ab einem Punkt allein deshalb schon kriminell, weil ihre schlechte Qualität Menschenleben in Kauf nimmt, auch wenn niemand dies explizit wollte. Ab da muss das doch strafbewehrt sein.

Ja, strafbewehrt als fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) oder fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB). Das ist die Basis der laufenden Ermittlungsverfahren. Ich hoffe wie Sie auf eine Anklageerhebung und ggf. Verurteilung.

Natürlich kann man sich auch über Ihren Vorschlag unterhalten, die Planung einer lebensgefährlichen Veranstaltung gesondert im StGB zu regeln, aber das wäre wie gesagt Zukunftsmusik und eine andere Diskussion.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

Ob andere Normen (in der Zukunft) besser geeignet wären, ist eine andere Diskussion. 

Ich meinte eigentlich nicht die Zukunft. Soweit ich weiß, bauen viele Gerichtsurteile auf sogenannten Präzendenzfällen auf (wie das jurisdisch korrekt heißt, weiß ich nicht), d.h. bei komplizierten Fällen greift man auf das Urteil eines ähnlichen Falles zurück, das sich bewährt hat und die man nachlesen kann. 

Will heißen, so glasklar sind die Gesetze ja nicht. Es hängt sehr viel von Deutung des Rechtsanwaltes und Gerichts, STA und von der Vorgehnsweise und Fragestellung der Ermittlungen etc ab, wie ein Urteil ausfällt. 

Somit ist die Ermittlungsarbeit doch auch eine recht 'schöpferische' Arbeit, will heißen, nicht erst in Zukunft kann man anders an die Sache heran gehen, sondern auch in einem aktuellen Fall kommt es auf die Vorgehensweise an, auf die Fragestellung und die Deutung des Recherchierten. 

Was z.B. muss man im Kontext der Lopa als fahrlässig oder vorsätzlich ansehen. Wie wird Vorsatz heutzutage von wem unkenntlich gemacht? Ist beispielsweise die gesamte Optik einer Riesenschlamperei eine gelungene Tarnung für illegale Forschunsgpraktiken? Oder anders: entspringt die Fahrlässigkeit einer menschenverachtenden Alltagspraxis? Wie kann man die wahren Schuldigen finden, anstatt ein paar ahnungsloser, unschuldiger Bauernopfer. Die Palette anderer, unüblicher Fragestellungen ist breit.

 

Wenn alles so klar wäre, bräuchte ja nicht dikutiert werden.  

 

Auch ein guter Jurist tut gut daran, für möglich zu halten, dass es Perspektiven der Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes gibt, die ihm noch nicht begegnet sind. Und wenn ja, dann bedeutet das, dass ihm auch noch keine Herangehensweise für diese Perspektive zur Verfügung steht. Er hat sie sich ja noch nicht erarbeitet. Er müsste also Neues wagen. Wenn ich die Lage richtig sehe, darf er das. Er müsste es nur auch tun.    

Aber solche Normen würden aufgrund des Rückwirkungsverbots (Menschenrecht!) für die Lopa-Veranstalter ohnehin nicht gelten.

Was meint das? Dass zukünftige neue Gesetze rückwirkend nicht gelten? Klar, eben drum, sollte man sich beeilen, einzuwirken solange man einwirken kann.

Wenn Strafjuristen nicht innerhalb der vorhandenen Gesetze blieben, dann würden sie ihren Job nicht richtig machen ("nulla poena sine lege" ist DIE Grundnorm des Strafrechts, wie gesagt menschenrechtlich gesichert). 

Wie gesagt, nicht zukünftige Gesetze, sondern aktuell die zutreffende Deutung der anzuwendenden, schon vorhandenen Gesetze.  

Nach fast zwei Jahren intensiver Ermittlungen  ist es auch unwahrscheinlich, dass noch gegen irgendwelche "Dritte" ermittelt wird.

was z.B.oben der "Gast" in #139,#141 schreibt, sind nicht "irgendwelche Dritte." Geht jemand dem nach, wer das ist und welchen Einfluss die hatten? Wahrscheinlich nicht.

"Laie": Muss es gleich ein geplanter Mord sein, ehe man juristisch tätig wird oder Volksverhetzung? 

"Prof.Müller": .... Aber, dass juristisch niemand tätig wird, das kann man nun wirklich nicht sagen.  

Nein, das meinte ich auch nicht. Mit meinem Satz wollte ich nicht bestreiten, dass man juristisch tätig wurde, sondern kritisieren wie man tätig wurde und was man beim Tätig werden unterlassen hat.

Natürlich kann man sich auch über Ihren Vorschlag unterhalten, die Planung einer lebensgefährlichen Veranstaltung gesondert im StGB zu regeln, aber das wäre wie gesagt Zukunftsmusik und eine andere Diskussion.

Wieso denn Zukunftsmusik, wenn es eine Frage der Ermittlungstechnik und Deutung hier und jetzt ist. Die ist doch die Achillesferse der Rechtssprechung. Wenn jemand die Rechtsprechung zur Unrechtsprechung missbrauchen will, dann doch vorrangig auf diesem Wege.

 

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# 149

 

Meiner (wie bekannt sowohl politisch unerheblichen wie juristisch scheinbar irrigen) Meinung nach benennen Sie in Ihrem Ausblick das rechts w i s s e n s c h a f t l i c h e Problem zutreffend als „Frage der Ermittlungstechnik und Deutung hier und jetzt [als] Achillesferse der Rechtssprechung. Wenn jemand die Rechtsprechung zur Unrechtsprechung missbrauchen will, dann doch vorrangig auf diesem Wege.“

 

Das war auch Radbruchs Anliegen (1946) nach den Erfahrungen mit als Recht getarntem faschistisch-nationalsozialistischen Unrecht, vgl. http://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/jur-zimmermann/LV_2010_2011/Koll_Radbruch_Aufsatz-SJZ_1946__105.pdf

Radbruch anschloß an Franz L. Neumanns politikwissenschaftliche NS-Systemanalyse Behemoth (1942; 1944²). Dort geht es insbesondere beim NS-Rechtssystem um „eine Technik der Massenmanipulation durch Terror“ (Behemoth 1984: 458): Abschaffung der Gewaltenteilung (Legislative: Gesetzgebung – Jurisdiktion: Rechtsprechung – Exekutive: Ausführung), Beseitigung des Laienrichtertums, Reduktion der deutschen Berufsrichterschaft „auf den Status des Polizeibeamten“, schließlich die Aushöhlung des Grundsatzes „nulla poena sine lege, nullum crimen sine lege“ („ohne Gesetz keine Strafe, ohne Gesetz kein Verbrechen“). In der deutschen Behemoth-Ausgabe ist Neumanns These von der NS-Massenmanipulation durch Terror in Rechtsform („mass manipulation by terror in form of law“: Behemoth ³1966: 453) so wiedergegeben: „Die Strafgerichte sind heute im Verein mit der Geheimen Staatspolizei, der Staatsanwaltschaft und den Henkern in erster Linie Praktiker der Gewalt, und die Zivilgerichte sind primär Vollzugsagenten der monopolistischen Wirtschaftsverbände“ (1984: 530), vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Behemoth_(Franz_Neumann)[und] http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Neumann_(Politikwissenschaftler)

 

Im Übrigen möchte ich über Radbruch & Neumann hinaus daran erinnern, daß auch das NS-System den Anschein des Rechts produzierte, vgl. http://duckhome.de/tb/archives/9235-DER-ANSCHEIN-DES-RECHTS.html und auch daran, daß der Große Zivilsenat des obersten (damals west-) deutschen Strafgerichts, des Bundesgerichtshofs (BHG), im Zusammenhang mit der (Wieder-) Beschäftigung von im nationalsozialistischen Faschismus „belasteten“ Staatsdienern, den nach Artikel 131 des Grundgesetzes sogenannten Hunderteinunddreißigern, rechtskräftig entschied, daß der nationalsozialistische Staat 1933-1945 „im Kern ein Rechtsstaat“ war (BGHZ 13: 265-319).

 

Freundliche Grüße

Dr. Richard Albrecht

http://www.duckhome.de/tb/plugin/tag/Richard+Albrechts+JustizKritik

 

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