Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts erst nach Scheitern einer Umgangspflegschaft

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 12.12.2011

 

Zwischen den Eltern gab es massiven Streit um das Umgangsrecht. Die Mutter verweigerte beharrlich Kontakte des Kindes zum Vater. Vollstreckungsversuche einer Umgangsregelung scheiterten am massiven Widerstand der Mutter.

Das AG beschloss die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erziehungsfähigkeit der Mutter

Die abschließende Anhörung des Kindes konnte nicht erfolgen, da die Großmutter dem Richter das Kind entzog

Mit Beschluss vom 21.09.2010 entzog das Amtsgericht - Familiengericht - Zerbst der alleinsorgeberechtigten Kindesmutter daraufhin die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Stellung von Anträgen auf Gewährung von Sozialleistungen und übertrug diese Teilbereiche dem Jugendamt A. als Ergänzungspfleger.

 

Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass die permanente Vereitelung des Umgangsrechts der Tochter mit ihrem Vater durch die Kindesmutter, bei V., die eine emotionale Beziehung zum Vater habe, einen manifesten Interessenkonflikt verursacht habe, dessen ungehinderter Fortbestand zu einer seelischen und auch ggfs. körperlichen Kindeswohlgefährdung führen könne. Da die Kindesmutter wenig Initiative zeige, dieser Gefährdung entgegenzutreten, bisherige Hilfsangebote des Jugendamtes und der Beratungsstellen nicht wahrgenommen worden seien, sich nach den Feststellungen des Jugendamtes sogar bereits Störungen im Bindungsverhalten des Kindes zeigen würden, das Kind sich nach den Ermittlungen des Verfahrensbeistandes aber nicht dem jeglichen Kontakt zum Kindesvater ablehnenden Willen ihrer Mutter widersetzen könne und mit dieser Situation massiv überfordert sei, rechtfertige sich, auch vor dem Hintergrund des besonderen Schutzes der Familie aus Art. 6 GG, nach den §§ 1666, 1666 a BGB wegen der drohenden Kindeswohlgefährdung die Entziehung der vorgenannten Teilbereiche der elterlichen Sorge, sei doch anders die Gefährdung des Kindes nicht mehr abzuwenden. 

 

Seitdem ist das Kind in einem Heim untergebracht.

 

Das OLG Naumburg wies mit Beschluss vom 07.12.2010 die Beschwerde (3 UF 178/10) der Mutter ab.

Auf die (nur wegen des Streits Ergänzungspflegschaft oder Verfahrensbeistand zugelassene und zum Zeipunkt der Entscheidung bereits überholte Frage) Rechtsbeschwerde hat der BGH den Naumburger Beschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:

 

  1. Zur Beseitigung einer Gefährdung des Kindeswohls (hier: Umgangsvereitelung und massive Beeinflussung des Kindes durch die allein sorgeberechtigte Mutter gegen den Vater) darf nur das mildeste Mittel gewählt werden. Vor Entziehung des - gesamten - Aufenthaltsbestimmungsrechts wegen Umgangsvereitelung ist eine Umgangspflegschaft einzurichten. Davon kann nur bei offensichtlicher Aussichts- losigkeit abgesehen werden. 
  2. Auch bei Wahl des mildesten Mittels hat ein Eingriff in das Sorgerecht (hier: Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zum Zweck der Heimunterbringung) zu unterbleiben, wenn dieser mit anderweitigen Beeinträchtigungen des Kindeswohls einhergeht und bei einer Gesamtbetrachtung zu keiner Verbesserung der Situation des gefährdeten Kindes führt.

BGH v. 26.10.2011 - XII ZB 247/11

 

PS:

1. Ob das Kind während der nun schon zehnmonatigen Heimunterbringung Kontakte zum Vater (und der Mutter) hatte, ergibt sich aus dem Beschluss des BGH nicht, ist jedoch anzunehmen/ zu hoffen.

2. Der BGH stellt in Anschluss an BGHZ 184, 323 fest,  dass die Regelung in § 18 FamFG verfassungskonform dahin auszulegen ist, dass die Frist zur Nachholung der Begründung der Rechtsbeschwerde nicht zwei Wochen, sondern einen Monat beträgt 

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4 Kommentare

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Jetzt auf auf der BGH-Seite kompletter Beschluss mit Begründung: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bi...ame=4&.pdf

 

Quote:
1. Ob das Kind während der nun schon zehnmonatigen Heimunterbringung Kontakte zum Vater (und der Mutter) hatte, ergibt sich aus dem Beschluss des BGH nicht, ist jedoch anzunehmen/ zu hoffen.

 

In Rn 16, 17 schlug das OLG dem Kind vor, weiter im Heim zu bleiben und am Wochenende bei der Mutter. Das fand das Kind sehr gut. Ausserdem wollte es "ihm alsbald die von ihm gewünschten Umgangskontakte mit dem Vater zu ermöglichen."

 

Das Urteil wird offenbar sehr kritisch rezipiert, z.B. von Anwalt Wille: http://www.anwalt-wille.de/it/pubblicazioni/consigliere/unterhaltsrecht/details/bgh-umgangsvereitelung-und-sorgerechtsentzug.html

 

Nicht das beste, zielführendste oder wirksamste Mittel ist laut BGH zu wählen, um das nachweislich stark gefährdete Kindeswohl zu schützen, sondern das Mildeste.

 

Sehr geehrter Herr Burschel,

der zweite einleitende Satz beschreibt die Ausgangslage ausreichend, den ersten bedarf es nicht, denn um Streit anzuzetteln bedarf es nicht zweier Menschen, es reicht hierzu ein Mensch.

Schön aber, dass der BGH bereits gemachte Erfahrungen hinsichtlich Vorrang- und Beschleunigungsgebot bestätigt. Das tolle neue FamFG bietet Kindern und von Entsorgung betroffenen Elternteilen nicht mehr als weitere inhaltsleere Worthülsen.

Der erste Termin erfüllt allein den Anspruch einer ausufernden Helferindustrie sich unverzüglich dorthin zu begeben, nicht mehr, denn der Rest der Sachen zieht sich regelmäßig über Jahre hin, bis die Entfremdung erfolgreich abgeschlossen ist.

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Job wie der des Familienrichters unter solchen Bedingungen noch erfüllend sein kann.

 

Mit freundlichem Gruß

Ralph Steinfeldt (VAfK, LK Harburg)

Comment70 schrieb:

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Job wie der des Familienrichters unter solchen Bedingungen noch erfüllend sein kann.

 

An die Richter denke ich dabei weniger, deren Gewissenszustand ist mir angesichts des praktizierten Familienrechts ohnehin komplett verschlossen.

 

Fragen sollte man sich, wie es mit dem nun elfjährigen Kind weitergeht. Es wird nun zur Grossmutter und Mutter zurückgeschickt, die das volle alleinige Sorgerecht behält, dort wird es dem bekannten (aus Sicht der Mutter erfolgreichen) Programm ausgesetzt. Danach folgen Monate mit dem vom BGH geforderten ausgreifenden Gutachten, weitere Entscheidungen. Gesamtverfahrensdauer somit über zwei Jahre. Der Kontakt mit dem Vater bleibt unterbrochen. Der nie ins Sorgerecht einbezogen war, auch in das Verfahren nicht, während gleichzeitig der BGH das Schwergewicht des grundgesetzlichen Elternrechts hervorzieht - das nur der Mutter zukommt, eine reine Sache zwischen Mutter und Kind.

 

In Frankreich wäre das Verfahren nach wenigen Wochen beim ersten Richter bereits zu Ende gewesen. Die Mutter wäre als Störerin bezeichnet worden und für die Dauer des Umgangs in Arrest genommen worden, um eine Vereitelung zu verunmöglichen. Die Reaktion französischer Juristen angesichts des BGH-Urteils wäre purer Unglauben. Nebenbei, beide Eltern hätten natürlich das gemeinsame Sorgerecht gehabt - automatisch, mit Anerkennung der Vater/Mutterschaft. Seit vielen Jahren. Der hochpeinliche Stand dieser Angelegenheit in Deutschland dürfte bekannt sein.

 

Die Öffentlichkeit versteht das ebenfalls schon seit vielen Jahren nicht mehr. Die Menschen reagieren auf ihre Weise und verweigern, den "Betriebsstoff" für die Instanzen- und Juristenpaläste zu produzieren. Ich kann es ihnen nicht verdenken.

Sehr geehrter Herr Untermann,

„Fragen sollte man sich, wie es mit dem nun elfjährigen Kind weitergeht. „

Hierzu haben sich Gutachter und OLG im behandelten Beschluss umfänglich und zutreffend geäußert.

Aus Erfahrungen in der Gruppenarbeit und nach Akteneinsicht  zu sogenannten tragischen Einzelfällen kann ich diese düstere Prognose für das Kind nachvollziehen.

Wer allerdings einen allseits bekannten Rechtswissenschaftler aus Ffm zu Rate zieht (Rn.42), kommt zu anderen Ergebnissen.

Wenn man denn dem BGH noch wohlgesonnen sein mag ;-), kann man aus dem Beschluss allenfalls noch einen Hilferuf in Richtung Gesetzgebung entnehmen, hier Abhilfe zu schaffen.

Leider hat sich aber auch die derzeitige Bundesjustizministerin nicht gerade ein Bein zugunsten eines modernen Familienrechtes ausgerissen.

So warte z.B. auch ich, seit dem 17.06.2009, auf eine Antwort von ihr, bei abgeordnetenwatch.de.

Und der letzte der auf genanntem Portal noch eine Antwort von ihr erhielt, bekam auf seine Frage zum gemeinsamen Sorgerecht für nichteheliche Kinder eine zweizeilige und generelle Absage vor die Füße geworfen.

Heute liest man dort: „Die Fragefunktion wurde inzwischen geschlossen.“

Tja, in Frankreich…, in Belgien…, in Norwegen…, in usw.

Leider haben wir arglos Kinder in deutschsprachiges Territorium gezeugt und dort gelten Kinderseelen nicht sonderlich viel, allenfalls als Humankapital zählt deren körperliche Existenz.

Und Kapital bedeuten sie, für das jeweils mildeste Mittel, zum Zweck der Erhaltung einer 110.000.000.000€ schweren Helferindustrie.

Für meinen Teil soll´s mit der Vaterschaft einmalig bleiben, denn ich handle generell fürsorglich und verantwortungsbewusst, wenn ich denn gelassen werde, was ich nicht werde.

MfG

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