BGH mal wieder zu § 64 StGB ("Unterbringung in einer Entziehungsanstalt")

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 13.11.2011
Rechtsgebiete: BGHEntziehungsanstaltStrafrechtVerkehrsrecht|7554 Aufrufe

§ 64 StGB ist eigentlich ständiges Revisionsthema - hier einmal mehr der BGH zu einem Fall, bei dem die Prüfung des § 64 StGB erforderlich gewesen wäre:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch hat kei-nen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte, der über keine legale Einnahmequelle verfügte und mit Drogen handelte, seit mehreren Jahren regelmäßig Haschisch, Rohypnol und Kokain (UA S. 7). Vor der Anlasstat war er zuletzt mit Urteil vom 19. Juli 2008 wegen Trunkenheit im Verkehr infolge berauschender Mittel und mit Urteil vom 13. August 2009 wegen fahrlässigen Vollrauschs und Körperverletzung „im Zustand verminderter Schuldfähigkeit“ zu jeweils kurzen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die ihm im Rahmen der ge-währten Strafaussetzung zur Bewährung auferlegte ambulante Drogentherapie hatte er nicht absolviert. Durch den abgeurteilten Raubüberfall erbeutete der Angeklagte – wie geplant – Geld, werthaltige Gegenstände und Drogen. Bei der anlässlich seiner späteren Festnahme erfolgten Aufnahmeuntersuchung wurde der Konsum von Kokain, THC und Benzodiazepinen nachgewiesen und ein Diazepam-Entzug diagnostiziert (UA S. 13).
b) Angesichts dieser Feststellungen musste die Kammer darlegen, warum sie von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat; der pauschale Hinweis, die gesetzlichen Voraussetzungen des § 64 StGB lägen nicht vor, genügt dem nicht.
Der Annahme eines Hanges steht nicht entgegen, dass die Kammer das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit rechtsfehlerfrei ver-neint hat (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 - Hang 2; BGH NStZ-RR 2001, 12), ebenso wenig, dass die Kammer die vom Angeklagten konsumierten Drogen mengenmäßig nicht bestimmen konnte. Daher kommt es nicht darauf an, dass die Kammer im Anschluss an den Sachverständigen die vom Angeklagten für die Wochen vor der Tat bis zu seiner Festnahme angegebenen Konsummengen von täglich fünf bis sechs Gramm Haschisch, zwei bis drei Gramm Kokain und vier bis zehn Tabletten Rohypnol sowie am Wochenende zusätzlich zwei bis drei Flaschen Whisky (UA S. 9 f.) als überzogen erachtet hat. Auch ihre insoweit erfolgte Begründung, der Angeklagte habe diese Konsummengen "salopp" formuliert sowie von seinen Launen abhängig dargestellt, er habe ein damit nicht zu vereinbarendes, reges Sexualleben geschildert und keine erheblichen Entzugserscheinungen gezeigt (UA S. 20), schließt das Vorliegen eines Hanges nicht aus. Erforderlich ist keine chronische, auf körperlicher Sucht be-ruhende Abhängigkeit. Es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen, wobei auch das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz dem nicht entgegen stehen (BGH NStZ-RR 2010, 216; Fischer StGB 58. Aufl. § 64 Rn. 9 mwN).
Nach den Feststellungen liegt es nahe, dass es sich bei der abgeurteilten Tat auch um eine Symptomtat handelte. Nach ständiger Rechtsprechung ist hierfür nicht Voraussetzung, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Ein symptomatischer Zusammenhang ist vielmehr auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche Taten begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGH NStZ 2010, 83, 84; NStZ-RR 2004, 78, 79 jeweils mwN). Da der Angeklagte nach den Feststel-lungen der Kammer über keine legale Einnahmequelle verfügte, mit Drogen dealte und vorliegend sowohl Geld und werthaltige Gegenständige als auch Drogen erbeutete, liegt sowohl die Annahme nahe, dass die Tat ihre Ursache auch in dem Drogenkonsum des Angeklagten hatte, als auch, dass bei unver-ändertem Drogenkonsum die Begehung entsprechender Taten zu erwarten ist.
Dass außer dem Hang weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen, steht dem erforderlichen symptomati-schen Zusammenhang nicht entgegen (BGHR StGB § 64 Zusammenhang symptomatischer 1; BGHR StGB § 64 Abs. 1 - Hang 5). Auch der Umstand, dass der Angeklagte zuvor vergleichbare Taten noch nicht begangen hat, son-dern die Betäubungsmittel auf andere - allerdings ebenfalls strafbare - Weise finanziert hat, beseitigt den symptomatischen Zusammenhang nicht.
Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich schließlich auch nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB).

BGH, Beschl. vom 3.8.2011 - 2 StR 317/11 

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