Sexueller Missbrauch von Kindern: Rückgang laut Dunkelfeld-Studie
von , veröffentlicht am 18.10.2011Die Häufigkeit sexuellen Missbrauchs lässt sich mit polizeilichen Statistiken nicht ermitteln, da die Statistik der Polizei allein auf Anzeigen beruht. Deshalb kann es gerade bei Sexualdelikten, die in jüngerer Zeit nicht mehr so stark tabuisiert werden und die daher häufiger angezeigt werden, dazu kommen, dass diese Delikte polizeistatistisch eine Entwicklung zeigen, die der Wirklichkeit überhaupt nicht oder nur wenig entspricht.
Umso wichtiger ist es, in diesem Bereich Dunkelfelderhebungen durchzuführen, d. h. durch Repräsentativbefragungen zu ermitteln, wie viele Personen tatsächlich von Missbrauch betroffen sind. Eine relativ große Stichprobe (11428 Personen von 16 bis 40 Jahren) haben Forscher des KFN in diesem Jahr befragt. Es wurde nach sexuellen Missbrauchserfahrungen gefragt, wobei zwischen solchen ohne Körperkontakt (insb. Konfrontation mit exhibitionischen Taten), solchen mit Körperkontakt und "anderen sexuellen Handlungen" unterschieden wurde. Die Ergebnisse wurden heute mitgeteilt (Presseinformation – pdf ; vollständige Studie – pdf )
5,0% der weiblichen und 1,0% der männlichen Befragten gaben an, bis einschließlich 13 Jahren zumindest einem sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt ausgesetzt gewesen zu sein. Die Quoten zum sexuellen Missbrauch mit Körperkontakt erhöhten sich auf 6,4% (weibliche Befragte) und auf 1,3% (männliche), wenn auch Erfahrungen im Alter von 14 und 15 einbezogen wurden.
Aus zwei Tatsachen schließen die Forscher, dass es einen deutlichen Rückgang dieser Taten gebe:
1. Eine ähnliche Studie im Jahr 1992 hatte erheblich höhere Quoten ergeben, nämlich 8,6 % (w) und 2,8 % (m).
2. Unter den jetzt Befragten schilderten die älteren Befragten über mehr solche Erfahrungen als die jüngeren: Die im Jahr 2011 weiblichen 31- bis 40-jährigen gaben an, bis zu ihrem 16. Lebensjahr zu 8,0% einem Missbrauch mit Körperkontakt ausgesetzt gewesen zu sein, bei den heute 21 bis 30-jährigen waren es 6,4%, während die heute 16 bis 20-jährigen sogar nur zu 2,4% angaben, einen sexuellen Missbrauch erlitten zu haben.
Auch zu den möglichen Ursachen eines solchen Rückgangs nimmt das KFN Stellung:
- die Anzeigebereitschaft habe sich erheblich erhöht, d. h. im Vergleich zu früher, bei denen nur jede 8. bis 10. Tat angezeigt wurde, werde heute mehr als jede dritte Tat angezeigt. Potentielle Täter würden dadurch abgeschreckt.
- die öffentliche Aufmerksamkeit habe zu einem deutlichen Anstieg der Prävention (etwa in Sportvereinen, Schulen etc.) geführt.
- innerfamiliäre Gewalt, die in einem Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch stehe, sei erheblich rückläufig
- das Gewaltschutzgesetz von 2002 habe bewirkt, dass gewalttätige und (häufiger auch) missbrauchende Väter effektiver von ihren Opfern getrennt werden könnten
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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1 Kommentar
Kommentare als Feed abonnierenProf. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Nun sind von einigen Seiten Einwände gegen die Studie und ihre Ergebnisse geäußert worden, mitgeteilt in diesem Bericht auf SPON. Auf einige Einwände möchte ich kurz eingehen.
Strafanzeige gegen einen Bekannten oder gar Verwandten zu erstatten ist allerdings ein viel größerer Schritt als in einer anonymen Befragung wenig konkretisiert anzugeben, dass man eine solche Erfahrung gemacht hat - genau aus diesem Grunde führt man ja eine anonyme Befragung durch. Richtig ist natürlich, dass auch in einer anonymen Befragung nicht alle Taten genannt werden. Allerdings trifft derselbe Einwand auch auf die Befragung von 1992 zu, so dass die positive Tendenz davon nicht betroffen wäre.
Siehe oben - jede Dunkelfelduntersuchung leidet natürlich darunter, dass auch anonym nicht alles gesagt wird bzw. möglicherweise sogar übertrieben wird. Dennoch kann man durch mehrfache Befragung eine gewisse Tendenz erkennen. Insbesondere wenn man allgemein eine gewisse Enttabuisierung feststellt (und ich glaube, dass man das kann), ist es implausibel anzunehmen, dass bei einer heutigen anonymen Befragung mehr verschwiegen wird als vor zwei Jahrzehnten.
Ich kann diese "Verärgerung" nicht ganz verstehen. Keine Tat wird doch dadurch verharmlost, dass die Gesamtzahl der Taten abnimmt. Auch kein Mord wird dadurch weniger schlimm, dass insgesamt weniger Morde begangen werden. Die "Verdrängung", die dazu führen kann, dass keine Angaben gemacht werden, hat aber schon frühere Studien beeinflusst, hätte damit also keinen Einfluss auf die festgestellte Tendenz.
Wenn es tatsächlich zu systematischen Verzerrungen bei der Auswahl gekommen ist (insb. im Vergleich zur früheren Untersuchung), dann ist dies tatsächlich ein methodisch zutreffender Einwand. Sind nämlich 1992 etwa psychisch Kranke befragt worden, diesmal aber nicht, dann wäre damit evtl. ein Teil des gemessenen Rückgangs erklärbar, d. h. dieser methodische Unterschied in den verglichenen Befragungsergebnissen würde eine ggf. nicht kontrollierte Störvariable enthalten. Man müsste dann diesen Anteil aus der früheren Befragung herausrechnen und die Gesamtstudie würde nur für die nicht psychisch Kranken gelten. Aber ich bin derzeit nicht darüber informiert, ob in der Studie 1992 überhaupt psychisch Kranke enthalten waren.
UPDATE 20.10.2011:
Wahrscheinlich erscheint mir Folgendes: Ob die Befragten psychisch krank sind oder nicht, wurde nicht gefragt, weder 1992 noch 2011, über ihren jeweiligen Anteil an der Stichprobe ist also nichts bekannt; man kann, jenseits von ggf. hinzu kommenden Störvariablen (psychisch Kranke geben möglicherweise in höheren Anteilen gar keine Auskunft) davon ausgehen, dass in der Studie ebenso viele (ambulant behandelte) psychisch Kranke sich befanden wie in der Gesamtbevölkerung. Allerdings fand wohl tatsächlich keine Befragung von Personen statt, die aktuell in einer Einrichtung (psychiatrisches Krankenhaus) leben bzw. behandelt werden - weder 1992 noch 2011. Allerdings ist der Anteil der psychisch Kranken, die stationär behandelt werden, an der Gesamtbevölkerung nicht besonders hoch - so steht in D etwa für jeweils 1000 Einwohner ein Bett in einer psychiatrischen Klinik zur Verfügung. Selbst wenn man also - gegen alle Vernunft - annähme, dass alle Patienten in einem psychiatrischen Krankenhaus als Kinder sexuell missbraucht wurden, würde sich die Prozentangabe kaum verschieben. Dass keine psychisch Kranken befragt wurden, kann m.E. also das Ergebnis der Dunkelfeldstudie nicht maßgeblich beeinträchtigen.