Blutprobenentnahme ohne Richter: "Fehler im System" auch beim OLG Köln

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 13.09.2011

Die  "Fehler im System"-Entscheidung des OLG Hamm, NZV 2009, 302 war bereits Gegenstand des Blogs. Jetzt hat auch das OLG Köln in einer Bußgeldsache ein Beweisverwertungsverbot nach Blutprobenentnahme ohne richterliche Anordnung bejaht, OLG Köln, Beschluss vom 26.08.2011 - III-1 RBs 201/11, 1 RBs 201/11    BeckRS 2011, 22019:

 

Die Rüge der Verletzung des Richtervorbehalts gemäß § 81 a Abs. II StPO ist auf Grundlage der amtsgerichtlichen Feststellungen auch begründet.

a. Danach hat der Polizeibeamte seine Eilkompetenz aus § 81 a Abs. 2 StPO wegen „einer Gefährdung des Untersuchungserfolges“ schon deswegen zu Unrecht in Anspruch genommen, weil er sich aufgrund einer allgemeinen Dienstanweisung entsprechend verpflichtet fühlte und deswegen keine selbständige Prüfung vorgenommen hat.

Eine solche generalisierende Betrachtungsweise verkennt den Schutzzweck des Richtervorbehalts (vgl. insoweit schon SenE v. 15.01.201 - 83 Ss 100/09 -279 - = ZfS 2010, 224 = StV 2010, 622). Hierzu hat der Senat in der vorstehend zitierten Entscheidung ausgeführt:

„Denn zum einen kann die Gefährdung des Untersuchungserfolgs nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen (BVerfGE 103, 142 [156] = NJW 2001, 1121 = NStZ 2001, 382; BVerfG, NJW 2007, 1444; BGHSt 51, 285 [293] = NJW 2007, 2269 = NStZ 2007, 601). Zum anderen kann bei Straftaten im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen die typischerweise bestehende abstrakte - und damit gerade nicht einzelfallbezogene - Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis der Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, allein noch nicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs ausreichen (SenE v. 26.09.2008 - 83 Ss 69/08 - = zfs 2009, 48 [49] = NStZ 2009, 406; OLG Hamm NJW 2009, 242 [243]; OLG Jena, B. v. 25.11. 2008 -1 Ss 230/08, BeckRS 2009, 4235; OLG Hamburg NJW 2008, 2597 [2598]). Anderenfalls würden die konkreten Umstände des Einzelfalls, etwa im Hinblick auf die jeweilige Tages- oder Nachtzeit, die jeweiligen Besonderheiten am Ort der Kontrolle, die Entfernung zur Dienststelle bzw. zum Krankenhaus mit Erreichbarkeit eines Arztes oder den Grad der Alkoholisierung und seine Nähe zu rechtlich relevanten Grenzwerten, völlig außer Betracht gelassen. Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss vielmehr auf Tatsachen gestützt werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist. Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (BVerfG NJW 2008, 3053 [3054]; BVerfG NJW 2007, 1345 [1346]; BVerfGE 103, 142 [156] = NJW 2001, 1121= NStZ 2001, 382; OLG Hamburg NJW 2008, 2597 [2598]; OLG Hamm NJW 2009, 242 [243]; OLG Jena, B. v. 25. 11. 2008 - 1 Ss 230/08, BeckRS 2009, 4235).

Somit ist im Rahmen des § 81a Abs. 2 StPO für die im konkreten Einzelfall zu beurteilende Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig hätten erreichen können, der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Staatsanwaltschaft bzw. - wie hier - ihre Ermittlungspersonen eine Eingriffsmaßnahme in Form der Blutentnahme für erforderlich hielten (BGHSt 51, 285 [289] = NJW 2007, 2269 = NStZ 2007, 601). Die mit der Sache befasste Ermittlungsperson muss zu diesem Zeitpunkt eine eigene Prognoseentscheidung zur mutmaßlichen zeitlichen Verzögerung treffen. Dabei sind in diese Abwägung neben der wahrscheinlichen Dauer bis zum Eintreffen eines Arztes auf der Dienststelle bzw. bis zum Erreichen eines Krankenhauses und damit bis zur tatsächlichen Möglichkeit zur Entnahme der Blutprobe beim Beschuldigten sowohl die eintretende zeitliche Verzögerung mit oder ohne Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung als auch vor allem die bisher festgestellten konkreten Tatumstände am Ort der Kontrolle - insbesondere der durch eine Atemalkoholmessung bereits ermittelte oder durch Ausfallerscheinungen erkennbare Grad der Alkoholisierung und seine Nähe zu relevanten Grenzwerten - sowie das Verhalten des Beschuldigten einzubeziehen. Während bei einer höhergradigen Alkoholisierung eine kurzfristige Verzögerung ohne Gefährdung des Untersuchungserfolgs hinzunehmen ist, wird diese bei einer nur knappen Grenzwertüberschreitung eher zu bejahen sein. Vor allem ein unklares Ermittlungsbild oder ein komplexer Sachverhalt mit der Notwendigkeit einer genauen Ermittlung des BAK-Werts wird als ein Indiz für die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden herangezogen werden können (OLG Hamburg NJW 2008, 2597 [2598]; OLG Hamm NJW 2009, 242 [243]; OLG Jena, B. v. 25. 11. 2008 - 1 Ss 230/08, BeckRS 2009, 4235; OLG Bamberg NJW 2009, 2146). Eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch eine Verzögerung tritt im Einzelfall dann ein, wenn die praktische Durchführung der Blutentnahme unter Berücksichtigung der dargestellten Kriterien zu einem Zeitpunkt für notwendig erachtet wird, der erheblich von dem abweicht, zu dem mit einer richterlichen Entscheidung gerechnet werden kann (OLG Bamberg NJW 2009, 2146).“

Hier hat der die Anordnung treffende Polizeibeamte im Hinblick auf die allgemeine Dienstanweisung überhaupt keine eigene Bewertung vorgenommen, sondern mit Rücksicht auf das generelle Vorgehen bei Alkohol- und Drogendelikten eine Blutprobe angeordnet. Der ermittelnde Polizeibeamte hielt sich generell für anordnungsbefugt. Er hat keine Überlegungen dazu angestellt, ob die Anordnung der Blutentnahme im konkreten Fall einem Richter vorbehalten war, welche Umstände im konkreten Einzelfall die von ihm pauschal unterstellte Gefahr im Verzug begründeten und wodurch seine Anordnungskompetenz ausnahmsweise eröffnet war. Die pauschale Annahme, bei Verdacht von Alkohol- und Drogendelikten stets zur Anordnung einer Blutprobe berechtigt zu sein, begründet die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts. Ein solches Vorgehen missachtet klar die Regelung des § 81 a StPO (vgl. auch OLG Oldenburg NJW 2009, 3591; OLG Dresden NStZ 2009, 526; OLG Brandenburg ZfS 2010,587; OLG Nürnberg DAR 2010, 217; OLG Hamm DAR 2009, 336; OLG Celle NJW 2009, 3524 ff.).

b. Allerdings gehen die Strafgerichte in gefestigter, vom Bundesverfassungsgericht gebilligter und vom Beschwerdeführer auch nicht angegriffener Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist und dass die Frage der Verwertbarkeit verbotswidrig erlangter Erkenntnisse jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug, die bewusste Umgehung oder Missachtung des Richtervorbehalts oder das Vorliegen eines besonders schwer wiegenden Fehlers können danach ein Verwertungsverbot begründen (BVerfG NJW 2008, 3053; BGHSt 51, 285 = NJW 2007, 2269 = NStZ 2007, 601; BGH, B. v. 15.05.2008 - 2 ARs 452/07 - Rz. 15 bei Juris; Sen E v. 15.01.2010 a. a. O.; speziell für den Fall der Blutentnahme: SenE v. 26.09.2008 - 83 Ss 69/08 - = NStZ 2009, 406 = ZfS 2009, 48; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238 = Blutalkohol 45 [2008], 76 = VRS 113, 365; OLG Karlsruhe VRR 2008, 243; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146; OLG Schleswig, Urt. v. 26.10.2009 -1 Ss OWi 92/09 = BeckRS 2009, 28618; OLG Celle NJW 2009, 3524; OLG Jena, B. v. 25.11.2008 -1 Ss 230/08 = BeckRS 2009 04235; jeweils mit weiteren Nachweisen).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend ein besonders schwerwiegender Fehler festzustellen, der einer Verwertung der Blutprobe entgegensteht. Dabei kann offen bleiben, ob dem die Blutprobe anordnenden Polizeibeamten ein grober Verstoß anzulasten ist oder ob diesem - wie das Amtsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Wertung ausgeführt hat - ein objektiv willkürliches Verhalten deswegen nicht vorgeworfen werden kann, weil er sich an die Vorgaben des Erlasses gebunden fühlte. Jedenfalls beinhaltet eine solche generelle Anweisung eine so „schweren Fehler im System“ (vgl. OLG Hamm DAR 2009, 339) und damit einen solch groben Verstoß der Dienstvorgesetzten, die nicht Sorge getragen haben, dass der Bedeutung des Richtervorbehalts auf der Ebene der Polizeibeamte vor Ort Rechnung getragen wurde (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 3591 f.), dass die Annahme eines Verwertungsvorbehaltes hier angezeigt ist, um zuverhindern, dass ansonsten der Richtervorbehalt umgangen und ausgehebelt werden könnte (vgl. OLG Dresden, NZV 2009, 464 f.; OLG Brandenburg ZfS 2010, 226 ff.)

Der - für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten - Rechtsfigur eines möglicherweise hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei solch bewusster Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zu (vgl. BGHSt 51, 285 ff. OLG Oldenburg, OLG Dresden jeweils a. a. O.).

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2 Kommentare

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Da sollte man auch die Hintergründe der Anweisung kennen. Es ist in Köln nämlich zumindest bei Teilen der Ermittlungsrichter Praxis, dass sie auf diese Anordnungen keine Lust mehr haben und die Polizisten dazu zwingen wollen, dass sie Gefahr im Verzug annehmen. Deswegen wird nur noch nach Vorlage eines schriftlichen Berichts und schriftlichen Antrags entschieden. Wenn es also wirklich ein Polizist wagen sollte, zu fragen, ob er eine Genehmigung erhält, ist die Antwort immer: Gerne, aber dann bitte schriftlich. Sollte jmd. wirklich diesen Weg gehen (einmal und dann nie wieder), braucht er 1-2 Stunden für die Zusammenstellung aller Unterlagen. Nach dieser Zeit wird der Antrag dann abgelehnt, da eine Blutentnahme nach dieser Zeit keinen Sinn mehr macht. 

Mit dieser Anweisung hat man sich lediglich dem Druck der Ermittlungsrichter gebeugt, um dem unwürdigen Schauspiel mit Pseudoanträgen, bei denen man die Antwort eh schon kennt, ein Ende zu bereiten.

 

 

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