Kündigung eines Chefarztes einer katholischen Klinik wegen Wiederverheiratung

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 09.09.2011
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungKircheBAG2|4851 Aufrufe

 

Das BAG (Urteil vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - Pressemitteilung 69/11, zur Vorinstanz vgl. den Blog-Beitrag vom 10.8.2010) eine bedeutsame Entscheidung zur Kündigung eines kirchlichen Mitarbeiters wegen Wiederverheiratung gefällt. Die Stellungnahme des BAG war mit großer Spannung erwartet worden, hatte doch der EGMR vergangenes Jahr in den Entscheidungen Schüth und Obst (hierzu der Blog-Beitrag vom 23.9.2010) (vgl. ferner EGMR 03.02.2011 - Beschwerde Nr. 18136/02 Rechtssache Siebenhaar) das Recht auf Achtung der Privatsphäre betont und eine sorgfältigere Berücksichtigung der Interessen des kirchlichen Mitarbeiters angemahnt. Auf der anderen Seite steht immer noch das strenge Diktum des BVerfG aus dem Jahre 1985 (NJW 1986, 367), das den hohen Stellenwert des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts betont. Demnach steht es dem kirchlichen Arbeitgeber zu, „die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium“ nach eigenem Verständnis auszugestalten und „in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach [seinem] Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen.“ Im Rahmen des garantierten Selbstbestimmungsrechts sei es dabei den Kirchen überlassen, den Umfang der Pflichten der kirchlichen Mitarbeiter festzulegen.

In der jetzt bekannt gegebenen Entscheidung ging es um einen Chefarzt an einem katholischen Krankenhaus, dem wegen Wiederverheiratung ordentlich gekündigt worden war. Das BAG betont, dass dieser Sachverhalt nicht in jedem Fall eine ordentliche Kündigung rechtfertige. Zwar hätten Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen das verfassungsmäßige Recht, von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können. Als Loyalitätsverstoß komme auch der Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe in Betracht. Eine Kündigung sei aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Loyalitätsverstoß auch bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall ein hinreichend schweres Gewicht hat. Im konkreten Fall hält das BAG die Kündigung für sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG. Zwar habe sich der Kläger einen Loyalitätsverstoß zuschulden kommen lassen, dem mit Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beträchtliches Gewicht zukommt. Insgesamt habe jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwogen. Dabei falle in die Waagschale, dass die Beklagte selbst sowohl in ihrer Grundordnung als auch in ihrer Praxis auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichte. Das zeige sich sowohl an der Beschäftigung nichtkatholischer, wiederverheirateter Ärzte als auch an der Hinnahme des nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft über zwei Jahre. Zu berücksichtigen gewesen sei ferner, dass der Kläger zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nach wie vor stehe und an ihren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstand scheiterte. Bei dieser Lage sei auch der ebenfalls grundrechtlich geschützte Wunsch des Klägers und seiner jetzigen Ehefrau zu achten, in einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammenleben zu dürfen.

Damit hält das BAG hält zwar an dem tradierten Verständnis im Grundsatz fest, spricht sich aber doch für stärkere Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen des Arbeitnehmers aus. Von daher wird man schon von einer deutlichen Akzentverschiebung sprechen könne. 

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2 Kommentare

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Es ist unfassbar, dass es dieses Kirchenprivileg noch immer gibt. Schön, dass die Gerichte langsam aufweichen.

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Schön wäre es gewesen, aber das BAG hat gerade in einem krassen Fehlurteil bei laufendem Motor den Rückwärtsgang reingedrückt - dementsprechend knirscht und kracht es an allen Ecken und Enden: aus den Caritas-Richtlinen zu Arbeitsverträgen wird eine Mitgliedspflicht in der kath. Kirche konstruiert, obwohl dort auch ausdrücklich von nicht katholischen Mitarbeitern die Rede ist.

http://www.bundesarbeitsgericht.de/termine/apriltermine.html#25-1

H. (RAe. Hoppe ua., Mannheim) ./.
C. e. V. (RAe. Steinbrück ua., Mannheim)
- 2 AZR 579/12 -
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der Kläger ist seit dem 1. Januar 1992 als Sozialpädagoge bei dem beklagten Caritasverband teilzeitbeschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrags gelten für das Dienstverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) in ihrer jeweiligen Fassung. Sie sehen in § 4 Abs. 2 vor, dass "bei der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben … die allgemeinen und für einzelne Berufsgruppen erlassenen kirchlichen Gesetze und Vorschriften zu beachten (sind)". Nach § 4 Abs. 3 AVR "erfordert der Dienst in der katholischen Kirche … vom katholischen Mitarbeiter, dass er seine persönliche Lebensführung nach der Glaubens- und Sittenlehre sowie den übrigen Normen der katholischen Kirche einrichtet. ERGÄNZUNG SATZ 2: Die persönliche Lebensführung des nichtkatholischen Mitarbeiters darf dem kirchlichen Charakter der Einrichtung, in der er tätig ist, nicht widersprechen." Nach § 14 Abs. 5 AVR ist nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren bei demselben Dienstgeber eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen, soweit der Mitarbeiter das 40. Lebensjahr vollendet hat. Der Beklagte beschäftigt ca. 800 Arbeitnehmer. Die angestellten (Sozial-)Pädagogen sind ausnahmslos Mitglieder christlicher Kirchen. Der Kläger selbst gehörte der katholischen Kirche an. Seit September 2008 war er im "Sozialen Zentrum A." tätig. Das Zentrum ist ein Projekt der Erziehungshilfe, in dem Schulkinder im Alter bis zum 12. Lebensjahr nachmittags betreut werden. Die Religionszugehörigkeit der Kinder ist ohne Bedeutung. Religiöse Inhalte werden den Kindern auch nicht vermittelt. Ziel des Projekts ist es, die Kinder schulisch und in ihrem sozialen Verhalten zu fördern. Am 21. Februar 2011 trat der Kläger aus der katholischen Kirche aus. Darüber informierte er den Vorstand des Beklagten. In einem Gespräch mit einem Vorstandsmitglied nannte er auf Befragen als Beweggründe die zahlreichen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen, die Vorgänge um die "Piusbruderschaft" und die Karfreitagsliturgie. Darin drücke sich eine antijudaische Tradition der katholischen Kirche aus. Daraufhin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14. März 2011 außerordentlich zum 30. September 2011, nachdem er die Mitarbeitervertretung beteiligt hatte.

Der Kläger wehrt sich gegen die Kündigung. Er meint, das Selbstbestimmungsrecht der Kirche sei grundsätzlich anzuerkennen. Der Beklagte habe den Kirchenaustritt dennoch hinzunehmen. Sein Kirchenaustritt wirke sich auf seine Arbeit im Sozialen Zentrum nicht aus und stelle weder die Zielsetzung noch die Akzeptanz des Projekts in Frage. Im Übrigen habe er mit seiner Entscheidung, aus der katholischen Kirche auszutreten, lediglich von seinem Grundrecht auf Gewissensfreiheit Gebrauch gemacht. Der Beklagte beruft sich zur Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung auf sein Selbstbestimmungsrecht. Er meint, dass der Kläger als Sozialpädagoge unmittelbar in den Verkündigungsauftrag der katholischen Kirche einbezogen sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Kündigungsschutzantrag weiter.

LAG Baden-Württemberg - Kammern Mannheim -,
Urteil vom 9. März 2012 - 12 Sa 55/11 -

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?...

Aus einer Hausaufgaben- und Nachmittagsbetreuung einen "Verkündungsauftrag" herzuphantasieren ist eine derartige Verkennung der Realität, dass man sich die Richter allesamt mal für ein mehrwöchiges Praktikum an eine solche Institution wünscht.

Eine Verfehlung in der persönlichen Lebensführung des nun nicht mehr katholischen Soz-Päd. ist nicht festgestellt worden. Dem o.g. Text ist zu entnehmen, dass nicht nur katholische, sondern auch anderweitig "christliche" Soz.-Päd. angestellt sind, also ebenfalls nichtkatholische. Die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche - sei sie nun katholisch, orthodox, koptisch oder armenisch - ist aber kein Kriterium nach den Caritas-Richtlinien, diese unterscheiden nur katholisch oder nichtkatholisch. Ob ein Nichtkatholischer also evangelischem, muslimischem oder gar keinem Glauben angehört, macht keinen Unterschied! Es gibt demzufolge keine Rechtsgrundlage, aufgrund derer eine Kündigung und schon gar nicht eine fristlose gerechtfertigt wäre.

Es ist erschütternd, dass das BAG derart krasse Fehler macht. Auf die Urteilsbegründung bin ich mal gespannt, Orwell würde sich bestimmt sehr darüber freuen, denn ohne konsequentes Doppeldenk kann man diese Kündigung nicht durchgehenlassen. Bliebt zu hoffen, dass das BVerfG diesen Schandfleck korrigiert und den BAG-Richtern klarmacht, dass auch für sie Art. 20 Abs. 3 gilt.

Dazu auch http://hpd.de/node/15794 und http://www.humanistische-union.de/nc/presse/2013/pressedetail_2013/back/...

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