BVerfG zur Eurorettung

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 07.09.2011
Rechtsgebiete: Öffentliches RechtStaatsrecht9|7434 Aufrufe

Bahn frei für Ihre Kommentare aus juristischer Sicht zum heutigen wegweisenden BVerfG-Urteil hier im Blog. Im neuesten FAZ-Kommentar hießt es kritisch:

„Niemand solle dereinst sagen können, so lautete offenbar die Devise hinter der verschlossenen Tür des Beratungszimmers, die Verfassungsrichter trügen irgendeine Mitschuld an einer etwaigen Verschärfung der Finanz- und Schuldenkrise. So hat der Zweite Senat die Verantwortung der Politik für alle Fehlentwicklungen unterstrichen – sich zugleich aber geweigert, selbst Verantwortung zu übernehmen.“ 

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9 Kommentare

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Daß die Verfassungsbeschwerden überwiegend unzulässig sind, ergibt sich auf den ersten Blick, nämlich aus den Anträgen. Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig waren, hat das BVerfG nur längst geklärte Selbstverständlichkeiten wiederholt. Aus juristischer Sicht alles andere als spannend. Das BVerfG hat zwar nicht politisch entschieden, aber politisch gehandelt. Da wurden Stellungnahmen der Bundesregierung und des Bundestages eingeholt, durften sich die Bundesbank und die EZB sachverständig äußern, wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt und das Urteil öffentlich verkündet - und das alles für Verfassungsbeschwerden, die ganz offensichtlich überwiegend unzulässig sind und für die sich der Normalbürger allenfalls eine Mißbrauchsgebühr eingefangen hätte.

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Daß sich das Bundesverfassungsgericht für so einen juristischen Klamauk instrumentalisieren läßt und die offensichtlich unzulässigen und unbegründeten Verfassungsbeschwerden durch eine mündliche Verhandlung aufwertet, wirft ein schlechtes Licht auf "Karlsruhe".

 

Man führe sich den Verfahrensablauf noch einmal vor Augen.  Fünf Professoren, allesamt nicht mehr die Jüngsten und anscheinend ein wenig profilierungssüchtig, reichen Verfassungsbeschwerde ein. Nicht etwa gegen Gerichtsentscheidungen oder ein Gesetz, sondern überwiegend gegen die Eurorettungspolitik im allgemeinen und die damit einhergehenden politischen Entscheidungen und Rechtsakte. Jeder Jurastudent im zweiten Semester weiß, daß Verfassungsbeschwerden gegen politische Entscheidungen unzulässig sind. Der Verfahrensbevollmächtigte der fünf Professoren, selbst einer der Kläger, wußte das  als Staatsrechtler selbstverständlich auch.

 

Nun genügte es den Herren nicht, diese juristisch alleinfalls peinliche Verfassungsbeschwerde per Post einzureichen, nein, man mußte sich natürlich in Begleitung von Kameras persönlich nach Karlsruhe begeben und sich vor den Toren des Bundesverfassungsgerichts mit dem Pamphlet in der Hand ablichten lassen. Daß sich ebenso willige wie ahnungslose Journalisten finden würden, die die "Klage gegen die Griechenlandhilfe" mit Kameras begleiteten, überraschte nicht.

 

Kaum nachvollziehbar ist indessen, daß das BVerfG die Beschwerden mit einer mündlichen Verhandlung adelte, obgleich inhaltlich überhaupt nichts Neues zu entscheiden war. Überwiegend waren die Beschwerden offensichtlich unzulässig, wie bereits der Vorprüfungsausschuß hätte feststellen können. Soweit sie zulässig waren, waren sie im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BVerfG offensichtlich unbegründet.   Sie passierten aber nicht nur den Vorprüfungsausschuß, sondern umschifften auch die Klippen einer einfachen Kammerentscheidungen, um aufgrund einer mündlichen Verhandlung durch einen achtköpfigen Senat beschieden zu werden.

 

In der mündlichen Verhandlung betonte Herr Voßkuhle, man habe ja nicht über politische Fragen zu entscheiden. Wenn dem so ist, so fragt sich der Verfassungsrechtler, weshalb versammelte sich dann der 2. Senat im großen Verhandlungssaal, lud zahlreiche Politiker sowie die Presse und forderte Stellungnahmen von allen möglichen Institutionen an? Die Beschwerden hätten erst einmal ein AR-Aktenzeichen erhalten können, verbunden mit einem Schreiben an die Beschwerdeführer, daß die Verfassungsbeschwerden keine Aussicht auf Erfolg haben, überwiegend unzulässig sind und ihre Zurücknahme anheim gestellt werde.

 

Nicht minder peinlich berührt fühlte man sich von der gestrigen Stellungnahme der Bundeskanzlerin, die sich - anscheinend bar jeder Rechtskenntnis - durch das BVerfG in ihrer Politik "absolut bestätigt" sah. Hauptsache wir waren mal wieder alle im Fernsehen.

 

 

 

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Aber was wäre denn, hätte das BVerfG die Hilfen für unzulässig erklärt? Rein politisch betrachtet wäre das für den Euro ein schwerer Schlag gewesen. Als Juristen betrachten wir den Sachverhalt aber nicht politisch, sondern rechtlich.

Wie also hätte sich eine Ablehnung der Verfassungsbeschwerden mit dem Einschätzungsspielraum des BT vertragen? Ein eindeutiges "Nein" zum "Rettungsschirm" hätte m.E. den Gewaltenteilungsgrundsatz erheblich verletzt. Insofern stellt sich das Urteil als Kompromiss dar. Außerdem hat das BVerfG klargestellt, dass sich die BReg ebensowenig über die Entscheidung des Haushaltsausschusses hinwegsetzen kann wie das BVerfG und fordert eine ausdrückliche Zustimmung des Haushaltsausschusses.

Wieso sollten die Richter die Finanzlage besser einschätzen als dieser?

Schließlich waren Gegenstand der Ausführungen verfassungsrechtliche -  und eben keine politischen - Erwägungen. Die zuvor geäußerte Kritik kann ich deswegen in dieser Form nicht nachvollziehen.

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@Benno:

Wenn ich das richtig beurteile, dann hätte das BVerfG aus juristischer Sicht garkeine Chance haben dürfen ein "Nein" zum Rettungsschirm zu sagen, von der Warte her, alles überflüssig.

@ Michael:

Das wurde von den vorhergehenden Kommentatoren auch behauptet, aber nicht begründet. Ich habe mir die Prüfung der Zulässigkeit nicht genauer angeschaut, aber ich bezweifle, dass das BVerfG offensichtlich unzulässige VBen zur Entscheidung annimmt, weil es mit Bußgeldern in der Vergangenheit nicht zimperlich umgegangen ist und diese Praxis in Zukunft noch verschärfen will.

 

 

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@Benno: Also um festzustellen, dass eine Klag unzulässig ist, bedarf es im Normalfall keiner mündlichen Verhandlung. Und schon garnicht in dem Umfang, wie diese vollzogen worden sind. Soweit ich das URteil überfolgen habe sind diverse Klagen unzulässig gewesen.

 

Hier ein Link auf die zum Thema ESM inzwischen ergangene BVergGE vom 18. März 2014:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20140318_2bvr139...

Das BVerfG machte dem Gesetzgeber Auflagen. Insbesondere müsse der Gesetzgeber (Bundestag) haushaltsrechtlich durchgehend sicherstellen, dass die Bundesrepublik Deutschland Kapitalabrufen nach dem ESM-Vertrag fristgerecht und vollständig nachkommen kann. Das ist entscheidend, weil säumige Zahler in den ESM-Gremien das Stimmrecht verlieren und in diesem Fall die Rückkopplung aller Entscheidungen im ESM an die deutschen Vertreter und über sie vermittelt an den Bundestag und letztlich die Wähler verloren ginge. Weil im ESM-Vertrag kurze Fristen von 3 und 2 Monaten, sowie im Einzelfall nur 2 Wochen für Zahlungen vorgesehen sind, könnten die Mechanismen des Grundgesetzes für einen Nachtragshaushalt unter Umständen nicht ausreichen. Ein Nothaushalt nach Art. 112 GG käme nicht in Betracht, wenn die Zahlungsverpflichtung schon als möglich absehbar gewesen war. Deshalb müsse der Bundestag zu erwartende Verpflichtungen an den ESM bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes berücksichtigen und in den Haushaltsplan einstellen

Ein Hinweis auf die Deutschland betreffenden Risiken der aktuellen EZB-Geldpolitk findet sich am heutigen 01.06.2017 auch auf der von Heise-Online betriebenen Internetseite von Telepolis ("EZB-Geldpolitik-kann-Deutschland-viele-Milliarden-kosten").

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Das Bundesverfasungsgericht urteilte jüngst (bezüglich der Klima- und Umweltpolitik), Regierung und Gesetzgeber dürften keine solche Politik zu Lasten künftiger Generatonen machen, welche künftige Generationen derart belasten würde, daß künftige Generatonen dann in der Folge faktisch keine ausreichenden Kapazitäten oder keine Entscheidungsspielräume mehr hätten.

Dieser Rechtsgedanke lässt sich wohl auch auf die Fiskalpolitik übertragen.

Ausufernde Staatsverschuldung oder ausufernde faktische Risikio-Bürgschaften schränken die Volkssouveränität und die Freiheit und die Selbstbestimmung künftiger Generationen faktisch ein. Das Ausmaß von Staatsverschuldung und Staats-Bürgschaften sollte unter diesen Gesichtspunkten also auf ein vertretbares Ausmaß begrenzt bleiben.

Wenn Regierung und Gesetzgeber (in der Praxis die die Regierung stützenden Bundestagsfraktionen) sich daran nicht halten, dann wird das Bundesverfassungsgericht solche Verstöße nun wohl feststellen. Das steht wohl auch in Einklang mit dem Grundgesetz und dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz.

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Die Problematik entwickelt sich weiter,

siehe unter anderem hier

https://community.beck.de/2020/05/11/dont-mess-with-the-bverfg

und hier:

https://www.welt.de/politik/deutschland/plus232722423/EU-und-Deutschland-EU-masst-sich-Kompetenzen-an-die-Mitgliedstaaten-zustehen.html

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