Ein Sachverhalt wie ein Kitschfilm

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 24.08.2011

Der Kinderwunsch der Eheleute blieb lange unerfüllt. Auch verschiedene Versuche einer In-Vitro-Fertilisation scheiterten. Schließlich wurde mit Einverständnis der Mutter ein Ei der Mutter in Kiew (!) mit dem Samen eines anonymen Spenders befruchtet und eingepflanzt. Ob auch der Ehemann damit einverstanden war, ist strittig.

Noch vor der Geburt der Zwillinge am 14.06.06 (eines der Kinder verstarb kurz nach der Geburt) erlitt der Ehemann am 02.06.06 eine Gehirnblutung, von der er sich nie wieder erholte.

Im Oktober verlies die Ehefrau samt Kind ihren Mann.

Er (vermutlich vertreten durch einen Betreuer) betrieb ab Januar 2007 ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren und ab November 2007 ein Scheidungsverfahren.

Beide Verfahren verzögerten sich  - warum ist streitig. Jedenfalls verstarb er am 27.08.09, ohne dass die beiden Verfahren zu Ende geführt worden wären.

 Die Eltern des Ehemannes beantragten nun vor dem LG Berlin festzustellen, dass der am 14. Juni 2006 geborene J. R. A. nicht Erbe des am 27. August 2009 verstorbenen R. A. ist.

Das Landgericht wies die Klage ab.

 

Die postmortale Anfechtung durch die Eltern des Vaters ist seit 1998 abgeschafft.

 

Einer inzidenten Anfechtung der Vaterschaft im Rahmen des Erbschaftsprozesses stehen §§ 1592 Nr. 1 BGB, 1599 I entgegen. Gemäß § 1599 Abs. 1 ZPO gilt die Rechtsfolge des § 1592 Nr. 1 BGB nur dann nicht, wenn aufgrund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Mann nicht der Vater des Kindes ist. Zu einem rechtskräftigen Abschluss des Anfechtungsverfahrens ist es aber nicht gekommen, weil der Sohn der Kläger vorher verstorben ist. § 1599 Abs. 1 BGB entfaltet damit eine so genannte Sperrwirkung: Die Vaterschaft im Rechtssinne gilt gegenüber jedermann, solange sie nicht rechtskräftig angefochten wurde.

 

Eine einschränkende Auslegung des klaren Wortlauts des § 1599 Abs. 1 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn es schlechthin untragbare Ergebnisse zu vermeiden gilt, die der Gesetzgeber offensichtlich nicht im Blick gehabt hat. Ein solches schlechthin untragbares Ergebnis liegt nicht schon dann vor, wenn der nach dem Gesetz feststehende Status des Kindes mit der Wahrheit offensichtlich nicht in Einklang steht, wenn also außer Frage steht, dass das Kind in Wahrheit biologisch nicht von dem Mann abstammt, mit dem seine Mutter zur Zeit der Geburt verheiratet war und der Mann auch nicht im Vorhinein einer heterologen Befruchtung zugestimmt hatte. Dass der Gesetzgeber es bewusst in Kauf genommen hat, dass die rechtliche Vaterschaftsstellung und die tatsächlichen Verhältnisse auseinander fallen können, erschließt sich schon aus dem bloßen Umstand, dass er die Anfechtung der Vaterschaft an die Einhaltung einer Frist geknüpft hat. Nach dem Ablauf der Anfechtungsfrist genießt der Kindschaftsstatus unabhängig von den wahren familienrechtlichen Verhältnissen Bestandskraft, und zwar ganz unabhängig davon, ob für das Kind mit einer verfristeten Anfechtung irgendwelche Nachteile verbunden wären. Im Übrigen beschränken sich die in die Abwägung einzubeziehenden Interessen des Kindes nicht auf den Schutz der persönlichen Beziehung zu seinem Vater sondern schließend selbstverständlich auch finanzielle Interessen mit ein, wie etwa das hier in Frage gestellte Erbrecht des Kindes. Diese Interessen des Kindes sind nicht weniger schutzwürdig als das hinter der Klage stehende Interesse der Kläger, selbst das Erbe des Verstorbenen anzutreten.

 

LG Berlin v. 15.02.2011 - 37 O 224/10

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1 Kommentar

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Für einen Kitschfilm ist das zu tragisch und endet nicht mit Happy-End, sondern mit vielen unangenehm bleibenden Geschmacksrichtungen im Mund.

 

"und der Mann auch nicht im Vorhinein einer heterologen Befruchtung zugestimmt hatte" - das bedeutet, eine Frau kann auch gegen den Willen des Mannes Kinder von Fremden gebären, für die er anschliessend voll mit Vaterschaft und Erbe einzustehen hat trotz sofortiger Trennung und laufender Vaterschaftsanfechtung?

Wenn der Vater das Pech hat, an eine Justiz zu geraten, die satte drei Jahre lang daran sitzt ("Beide Verfahren verzögerten sich") und krank ist?

Die Interessen des Kindes, von denen das Gericht allein finanzielle Interessen ausschlaggebend werden lässt (mit welcher Begründung eigentlich?) sind ganz offensichtlich die Interessen der Mutter.

 

Ein weiteres Beispiel zu den Problemen, die man hat, wenn man Vaterschaft zu einem fast beliebigen, disponablen Gut macht, das in Abhängigkeit von Mutterschaft steht. Das wurde auch ihrem Blogbeitrag "Die Väter des Paul" deutlich sichtbar.

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