Vier Jahre Unterbrechung führen nicht zwingend zum Erlöschen des Ausbildungsunterhalts

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 23.08.2011

Die 1986 geborene Tochter schaffte 2004 den Hauptschulabschluss. Anschließend begann sie ein  freiwilliges soziales Jahr, brach dies aber ab, um von Oktober 2004 bis Februar 2005 ein Praktikum in einem Kindergarten zu absolvieren und in dem Zeitraum von März 2005 bis Oktober 2005 an einem berufsvorbereitenden Lehrgang der Deutschen Angestellten Akademie teilzunehmen. Im Anschluss daran sie bis Juli 2008 als Zimmermädchen in einem Hotel tätig. In der Zeit von August 2008 bis Juli 2009 holte sie ihren Realschulabschluss nach und begann mit der Ausbildung zur Sozialhelferin an einemBerufskolleg. Die Ausbildung wird - das Bestehen der Abschlussprüfung vorausgesetzt - im Juli 2011 beendet sein.

 

Für die Zeit ab Januar 2010 erhielt die Tochter Bafög als Vorausleistung in Höhe von 455 € monatlich. Die Kindesmutter ist nicht leistungsfähig. Das Bafög-Amt macht gegen den Vater für die Zeit von Januar 2010 bis Juli 2010 3.150 € geltend - und gewann durch 2 Instanzen.

 

Allerdings wird in der Rechtsprechung teilweise angenommen, dass der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt wegen Verletzung des dem § 1610 BGB inne wohnenden Gegenseitigkeitsverhältnisses entfällt, wenn sich der Auszubildende nach Beendigung der allgemeinen Schulausbildung nicht innerhalb einer angemessenen Orientierungsphase um die Aufnahme einer seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Berufsausbildung bemüht; den Eltern könne nicht zugemutet werden, sich gegebenenfalls nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und den bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Aufnahme einer Ausbildung rechnen mussten, einem Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen. In Anwendung dieser Grundsätze wäre im vorliegenden Fall der Unterhaltsanspruch zu versagen, weil zwischen dem Hauptschulabschluss im Juni 2004 und dem Beginn der Nachholung des Realschulabschlusses im August 2008 ein Zeitraum von vier Jahren liegt und das den Antrag stellende Land auch nicht dargetan hat, dass die Verzögerung in der Ausbildung des Kindes nur auf ein leichteres vorübergehendes Versagen des Kindes zurückzuführen ist, etwa deshalb, weil dieses im Unterbrechungszeitraum krank oder in seiner geistigen und/oder seelischen Entwicklung erheblich verzögert war.

Tatsächlich kann nach Auffassung des Senats jedoch der Unterhaltsanspruch trotz einer nicht unerheblichen Verzögerung bei der Ausbildung im Einzelfall noch fortbestehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn in den Fällen der Erstausbildung der Unterhaltspflichtige durch die Zuerkennung des Unterhaltsanspruchs wirtschaftlich nicht übermäßig belastet wird, die Versagung des Unterhaltsanspruchs für das Kind jedoch gravierende Folgen für dessen Lebensstellung haben würde. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt vorliegend zu der Annahme, dass der Unterhaltsanspruch von Frau ...[A] nicht entfallen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Der Antragsgegner hatte seine Unterhaltszahlungen für Frau ...[A] im Oktober 2005, also mit dem Abschluss des berufsvorbereitenden Lehrganges bei der Deutschen Angestelltenakademie eingestellt. Demgegenüber hat Frau ...[A] mit der Nachholung des Realschulabschlusses zwar bereits im August 2008 begonnen; ihre Ausbildung zur Sozialhelferin wird voraussichtlich im Juli 2011, also innerhalb eines Gesamtzeitraums von drei Jahren beendet sein. Tatsächlich wird der Antragsgegner jedoch nur für den Unterhaltszeitraum ab Januar 2010, also für einen Zeitraum von voraussichtlich nur 1 1/2 Jahren auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch genommen. Der Antragsgegner mag sich demgegenüber faktisch darauf eingestellt haben, auf Zahlung von Kindesunterhalt nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Er hat allerdings nicht dargetan, dass er etwa im Vertrauen darauf, zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht mehr verpflichtet zu sein, Vermögensdispositionen irgendwelcher Art vorgenommen hat, die es ihm nunmehr tatsächlich erschweren würden, den geforderten Kindesunterhalt zu zahlen. Demgegenüber musste er nach Absolvierung des Hauptschulabschlusses noch über einen längeren Zeitraum damit rechnen, dass seine Tochter noch eine Ausbildung absolviert; dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frau ...[A] allein mit dem Hauptschulabschluss erkennbar keine Erwerbstätigkeit finden konnte, die sie in die Lage versetzen würde, ein einigermaßen auskömmliches Einkommen zu erzielen. Die Versagung des Unterhaltsanspruchs hätte demgegenüber - sofern nicht der Antragsteller Zahlungen leisten würde - gravierende Folgen für die wirtschaftliche Lebensstellung von Frau ...[A]. Die vor der Fortsetzung der Ausbildung ausgeübte Tätigkeit als Zimmermädchen in einem Hotel, die regelmäßig mit Nettoeinkünften von circa 800 - 900 € monatlich verbunden ist, belegt, dass die Tochter des Antragsgegners auch mit einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit ihren notwendigen Lebensbedarf dauerhaft kaum sicherstellen konnte. Schließlich bleibt festzustellen, dass Frau ...[A] ihre Berufsausbildung seit dem Jahre 2005 offensichtlich mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit fortsetzt.

OLG Koblenz v. 06.04.2011 - 13 UF 88/11

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