Betriebliche Übung auch im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.08.2011

Das Rechtsinstitut der "betrieblichen Übung" ist - trotz unklarer dogmatischer Grundlage - seit langem anerkannt. Bislang kannte zumindest ich es aber nur als Anspruchsgrundlage gegenüber dem Arbeitgeber. Ein jetzt veröffentlichtes Urteil des LAG Köln (vom 13.01.2011 - 6 Sa 942/10) geht darüber jedoch ohne nähere Begründung hinaus und erklärt eine "betriebliche Übung" auch im Verhältnis von Arbeitskollegen untereinander für anwendbar.

Oberarzt verlangt Beteiligung aus dem Privatliquidationspool des Chefarztes

Der Kläger ist als Oberarzt in einem Krankenhaus beschäftigt. An den Privatliquidationserlösen seines Chefarztes wurde er von 2002 bis 2007 stets mit 1025 Euro monatlich beteiligt. Mit Schreiben vom 16.11.2007 wurde ihm mitgeteilt, dass er ab Dezember 2007 nur noch 500 Euro monatlich erhalte. Dagegen wehrt er sich mit einer Klage gegen den Chefarzt und den Krankenhausträger.

LAG Köln: Anspruch besteht (nur) unmittelbar gegen den Chefarzt

Das LAG Köln hat der Klage gegen den Chefarzt stattgegeben, weil zugunsten des Oberarztes eine "betriebliche Übung" entstanden sei. Diese könne nicht einseitig (ohne Änderungskündigung oder dgl.) beseitigt werden. Dagegen hält das Gericht das Krankenhaus nicht gesamtschuldnerisch zur Zahlung für verpflichtet. Der Krankenhausträger habe selbst keinen Vertrauenstatbestand gesetzt und dementsprechend auch keine betriebliche Übung begründet.

Ich frage mich: Können Ansprüche aus betrieblicher Übung tatsächlich auch im Verhältnis von Kollegen untereinander entstehen? Wenn ich zB bislang die Kaffeekasse meines Lehrstuhls allein finanziert habe, muss ich das auch für alle Zukunft tun? Und wenn ich das nicht mehr will: Muss ich (obwohl ich gar nicht Arbeitgeber bin) meinen Mitarbeitern dann eine Änderungskündigung schicken? Können die dagegen klagen? Vor dem Arbeitsgericht? Gegen mich?

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4 Kommentare

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Naja, das LAG bejaht ja keinen Anspruch aus "betrieblicher Übung", sondern "aus einer vertraglichen Bindung aus der langjährigen praktischen Handhabung ähnlich einer betrieblichen Übung". Das halte ich nicht für so abwegig. Das Verträge - auch Dauerschuldverhältnisse - stillschweigend bzw. konkludent geschlossen werden können, ist ja nichts Neues.

Solche Bindungen kann man auch beenden, dafür dürfte dann wohl § 314 BGB gelten - eine Änderungskündigung wäre wohl weder möglich noch notwendig.

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Sehr geehrter Herr Matthiessen,

das überzeugt mich nicht:

1. Außerhalb der Beziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer sehe ich nicht, dass durch ein regelmäßiges, gleichförmiges und vorbehaltloses Verhalten der Eindruck erweckt werden könnte, eine rechtsgeschäftliche Bindung sei auch für die Zukunft beabsichtigt. Wenn ich beispielsweise seit vielen Jahren immer im Mai und November - regelmäßig, gleichförmig und ohne ausdrücklichen Vorbehalt - bei demselben Zaharzt meine Zähne untersuchen lasse, erwirbt der noch lange keinen Anspruch darauf, dass ich auch im nächsten Jahr wiederkomme.

2. Wenn Sie als Lösungsmöglichkeit § 314 BGB nennen, dann betrifft das nur die außerordentliche Kündigung, für die man einen wichtigen Grund braucht. Kann ich denn nicht auch ordentlich kündigen? Der Arbeitgeber könnte das, und er bräuchte, wenn er klein genug ist (§ 23 Abs. 1 KSchG), für eine solche Änderungskündigung nicht einmal eine soziale Rechtfertigung. Ist die Vertragsbeziehung der Kollegen untereinander wirklich schwieriger zu beenden als das Arbeitsverhältnis?

Mit freundlichen Grüßen

Rolfs

Besonders - sagen wir - interessant finde ich, dass das LAG Köln die Revision nicht zugelassen hat. Richterrecht zu setzen dürfte durchaus von grundsätzlicher Bedeutung sein.

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Ja, das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Andererseits gebe ich zu bedenken, dass zwischen regelmäßigen Zahnarztbesuchen und dem hier fraglichen Sachverhalt einige Unterschiede bestehen dürften.

Immerhin geht es hier um regelmäßige finanzielle Beteiligungen der nachgeordneten Ärzte an den Liqudiationseinnahmen des Chefarztes. Dass auf diese Zahlungen dem Grunde nach ein Anspruch bestand, halte ich nach dem Tatbestand des Urteils für klar. Insofern dürfte die im Urteil teilweise zitierte Vereinbarung im Chefarztvertrag wohl als Regelung zugunsten Dritter (der nachgeordneten Ärzte) einzustufen sein. Es geht also letztlich nur um die Höhe des Anspruchs. Angesichts dessen finde ich es jedenfalls nicht ganz abwegig, dass man bei einer jahrelangen Zahlung in bestimmter Höhe eine stillschweigende Einigung eben über diese Höhe der Beteiligung ausgehen kann.

Zur Beendigung: Ihr Hinweis, dass § 314 BGB nur die fristlose Kündigung regelt, ist natürlich richtig. Allerdings werden bei Dauerschuldverhältnissen, für die es kein normiertes ordentliches Kündigungsrecht gibt, §§ 624, 723 entsprechend angewendet (BGH, X ZR 79/92). Eine ordentliche Kündigung wäre danach möglich. Wenn man allerdings die Vereinbarung im Chefarztvertrag als Vertrag zugunsten Dritter ansieht, dann wäre erst einmal anhand von § 328 II BGB zu prüfen, ob die Zahlungspflicht überhaupt einseitig (ohne Zustimmung des Dritten) beendet werden kann.

Andererseits enthält die Regelung im Chefarztvertrag aber auch den Passus, wonach über den Beteiligungsumfang eine Regelung zwischen Chefarzt und dessen Vorgestzten getroffen werden sollte. Das ist offenbar nicht geschehen, jedenfalls steht dazu nichts in der Entscheidung. Das könnte man auch als einer stillschweigenden Einigung zwischen Chefarzt und nachgeordnetem Arzt entgegenstehend ansehen.

 

In jedem Fall wirft die Entscheidung spannende Fragen auf, die leider aber nicht thematisiert werden.

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