LSG Sachsen-Anhalt: Keine Haftung des Betriebserwerbers für rückständige Sozialversicherungsbeiträge

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 21.06.2011

Mit dem LSG Sachsen-Anhalt hat jetzt zum wiederholten Male ein Landessozialgericht entschieden, dass ein Betriebserwerber weder nach § 613a BGB noch nach § 25 HGB die Sozialversicherungsbeiträge schuldet, die vom Betriebsveräußerer vor dem Betriebsübergang nicht abgeführt worden sind (Beschluss vom 11.01.2011 - L 1 R 51/10 B ER, ZIP 2011, 1121 - rechtskräftig). § 613a BGB betreffe nur Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber, nicht aber Ansprüche Dritter. Und § 25 HGB sei auf öffentlich-rechtliche Ansprüche unanwendbar. Die Einzugsstelle könne sich daher nur an den Betriebsveräußerer halten.

Zuvor hatten schon das LSG Rheinland Pfalz (Urt. vom 13.08.2008 - L 4 R 366/07, ZIP 2008, 3023; dazu BeckBlog vom 13.10.2008) und das Bayerische LSG (Beschluss vom 28.01.2011 - L 5 R 848/10 B ER, ArbRB 2011, 78) in demselben Sinne entschieden.

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Die Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt ging in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Im Rahmen der kursorischen Prüfung ließ das Gericht die tatsächlichen Voraussetzungen des § 25 HGB offen. Insoweit ist m. E. zu § 25 HGB nicht das letzte Wort gesprochen, während die Ausführungen des LSG zu § 613 a BGB überzeugen; lesenswert sind hier insbesondere europarechtlichen Ausführungen. Es gab einmal in der NJW einen Aufsatz von Prof. Junker, Göttingen, der für die Rspr. des EuGH in Arbeitssachen die sarkastische Überschrift fand "Die schwarze Serie geht weiter" (NJW 1994, 2527). Man muss also immer auf Überraschungen aus Luxemburg gefasst sein. Die einschlägige Betriebsübergangs-Richtlinie der EU spricht ja von Ansprüchen mit einem Bezug zu einem Arbeitsvertrag bzw. einem Arbeitsverhältnis, die beim Betriebsübergang übergehen. Dabei dürfen nach EuGH-Rspr. dann, wenn dieser "Bezug" da ist, die Ansprüche selbst auch auf staatlichen Akten fußen (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2002, Az: C-164/00). Das LSG war wohl guter Hoffnung, dass ein solches "Fußen" bei Sozialversicherungsbeiträgen nicht vorliegt; m. E. mit Recht. 

 

Die in Lit. und Rspr. herrschenden Aussagen zu § 25 HGB (deutlicher als beim LSG Sachsen-Anhalt in der von Prof. Rolfs zitierten Rheinland-Pfälzer Entscheidung), wonach diese Norm nicht auf öffentlich-rechtliche Ansprüche anwendbar sei, überzeugen mich dagegen nicht so recht. Hier heißt es stereotyp, für Sozialversicherungsbeiträge fehle es an einer Norm wie § 75 AO für die Haftung des Übernehmens für Steuerschulden des Veräußerers. Erstens ist § 75 AO, wie man in jedem Kommentar zur AO lesen kann, gänzlich anders ausgestaltet als § 25 HGB, so dass das nicht heißt, dass sich beide Normen ausschlössen und es den § 75 AO nur deshalb gäbe, weil das Finanzamt über § 25 HGB nicht an den Steuerschuldner "rankommt". Zweitens hätte nach dieser Logik auch der alte § 419 BGB nicht auf öffentlich-rechtliche Forderungen anwendbar sein dürfen. Das Gegenteil war der Fall (BFH, Urteil vom 31.05.1989 - III R 184/86, in: NJW 1990, 2581).

Aber was bedeutet das für den Betriebserwerber, der vom Arbeitnehmer auf rückständigen, vor dem Übergang fällig gewordenen Lohn in Anspruch genommen wird? Wenn er nicht für den bereits beim Veräußerer entstandenen Gesamtversicherungsbeitrag in Anspruch genommen werden kann, bräuchte er doch nur das Nettoentgelt zu zahlen und die Lohnsteuer abzuführen und eine Bruttoklage des Arbeitnehmers wäre von vornherein unschlüssig ...?

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