Fristlose Kündigung ausnahmsweise auch ohne Verschulden möglich

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 21.06.2011

Dass auch schuldlose Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung darstellen können, hat das BAG bereits mehrfach, zuletzt im Jahre 1999, entschieden (BAG, Urt. vom 21.01.1999 - 2 AZR 665/98, NZA 1999, 863). Seinerzeit hatte der - wohl psychisch kranke - Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber und seinen Kollegen in einem Brief unter anderem vorgeworfen, er sei jahrelang täglich systematisch belogen, betrogen, gezwungen, erpresst, schikaniert, misshandelt, beleidigt, diskriminiert und bedroht worden; er werde wie der letzte Verbrecher, Sklave oder Diener behandelt und beabsichtige, seine Briefe an obere Organe, Presse, Organisationen usw. zu schicken. Daraufhin war er mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle (heute: Integrationsamt) fristlos entlassen worden.

Beleidigungen und Verleumdungen muss sich der Arbeitgeber auch von psychisch kranken (schuldunfähigen) Arbeitnehmern nicht gefallen lassen

An diese Rechtsprechung knüpft ein jetzt veröffentlichtes Urteil des LAG Schleswig-Holstein an: Der als Sachbearbeiter beschäftigte 52 Jahre alte Arbeitnehmer war nach der Scheidung von seiner Frau psychisch schwer erkrankt und über längere Zeit arbeitsunfähig. Trotz einer einschlägigen Abmahnung wollte er anschließend seine Vorgesetzte gezielt bloßstellen und vermeintliche Intimitäten in deren Anwesenheit Kollegen gegenüber preisgeben.

Zwar wurde während eines späteren Klinikaufenthalts festgestellt, dass der Mann manisch-depressiv und daher hinsichtlich seiner Beleidigungen und Verleumdungen schuldunfähig war. Nach Überzeugung der 5. Kammer des LAG Schleswig-Holstein war dies jedoch unerheblich. Es sei dem Arbeitgeber nicht zumutbar, weitere Beleidigungen und Störungen des Betriebsfriedens hinzunehmen (LAG Schleswig-Holstein, Urt. vom 09.06.2011 - 5 Sa 509/10).

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen