Viel Inhalt in einer Entscheidung

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 03.06.2011

Zu einer ganzen Reihe von interessanten Fragen rund um den Kindesunterhalt hat der BGH in seinem Urteil vom 04.05.11 (XII ZR 70/09) Stellung genommen:

 

Sie war 16, als 1996 ihr erstes Kind auf die Welt kam. 1998 kam dann das zweite Kind. 1999 heirate sie den Kindesvater, 2005 wurde die Ehe geschieden. Einen Beruf hatte sie nicht erlernt, sondern schlug sich als Taxifahrerin für Krankentransporte durch.

 

Das ältere Kind lebt beim Vater, das jüngere ist schwerbehindert und hält sich in einem Kinderheim auf.

 

Durch Jugendamtsurkunden von 2004 verpflichtete sie sich zunächst an die Kinder unter Berücksichtigung von § 1612 b V BGB aF 100% des jeweiligen Regelbetrages zu zahlen.

 

Seit Januar 2009 absolviert sie eine zweijährige Ausbildung zur Bürokauffrau.

 

In einem Abänderungsverfahren setzte das OLG Braunschweig die Unterhaltspflicht für das ältere Kind für die Zeit von Februar 2008 bis Januar 2009 auf 144 € herab. Ab Februar 2009 muss die Mutter für das ältere Kind keinen Unterhalt mehr zahlen, für das jüngere (behinderte) Kind bereits ab Februar 2008 nicht mehr.

 

Die (nur teilweise zugelassenen) Revisionen blieben ohne Erfolg.

 

1. Bei einer einseitig errichteten Jugendamtsurkunde ist zu differenzieren: Begehrt der Berechtigte Abänderung nach oben ist die Urkunde mangels Bindung des Berechtigten frei abänderbar. Da die Jugendamtsurkunde zugleich ein Schuldanerkenntnis ist, kann der Verpflichtete Abänderung nach unten nur bei Änderung der Verhältnisse verlangen. Eine solche Änderung liege hier vor. Die Mutter habe 2004 noch davon ausgehen können, dass sie als Ungelernte eine Tätigkeit finden würde, die ihr die Zahlung des vollen Unterhalts ermöglichen würde. Erst später habe sich herausgestellt, dass dem nicht so und eine Erstausbildung besser sei.

 

2. Bei einer gesteigerten Unterhaltspflicht sei § 3 ArbZG zu berücksichtigen, wonach die werktägliche Arbeitszeit 8 Stunden nicht überschreiten dürfe. Die wöchentliche Arbeitszeit sei daher auf 48 Stunden (8 x 6) begrenzt.

 

3. Die Aufgabe der Tätigkeit als Taxifahrerin und die Aufnahme einer Ausbildung sei unterhaltsrechtlich nicht leichtfertig. Dabei sei im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu berücksichtigen, dass die Mutter den Hauptschulabschluss erst nach der Geburt des ersten Kindes erlangt habe und bei der Geburt erst 16 bzw. 18 Jahre alt gewesen sei.

 

4. Der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gelte nicht uneingeschränkt, insbesondere dann nicht, wenn die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des betreuenden Elternteils deutlich günstiger sind als die des anderen Elternteils. Die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils könne entfallen oder sich ermäßigen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre, während der andere Elternteil neben der Betreuung des Kindes auch den Barunterhalt leisten könnte, ohne dass dadurch sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet würde. 

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1 Kommentar

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"Dabei sei im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu berücksichtigen,..."

 

Na, da bin ich aber froh.

Nicht dass womöglich noch ein unterhaltspflichtiger Vater auf die Idee käme, diese Maßstäbe etwa auch auf sich anwenden zu wollen.

 

Z.B. die völlig neue und überraschende Erkenntnis, dass eine Ausbildung die Erwerbschancen erhöht.

Das stellt natürlich eine erhebliche Änderung der Umstände dar.

Jedenfalls bei unterhaltspflichtigen Frauen.

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