16 Jahre unausgesetzte Absonderung in der JVA Celle - Folter?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 29.03.2011

Schon im vergangenen Monat hat ein Bericht von Kai Schlieter in der taz mit dem Titel  "lebendig begraben" die Aufmerksamkeit auf ein sonst wenig wahrgenommenes Thema aus dem Strafvollzug gelenkt (vgl. auch schon Blog von RA Carsten Hoenig).

Im niedersächsischen Celle sitzt seit 1995, also seit 16 Jahren, ein Strafgefangener in  "unausgesetzter Absonderung" nach § 89 StVollzG (bzw. § 82 NJVollzG). Hintergrund der Anordnung ist eine Flucht, die dieser Gefangene zusammen mit einem Mitgefangenen im Jahr 1995 durchgeführt hat. Dabei nahmen sie laut taz-Bericht einen Vollzugsbediensteten mit einer Waffenattrappe als Geisel und erpressten Geld sowie ein Fluchtauto. Nach zwei Tagen wurde die Flucht durch ein SEK beendet, die beiden Gefangenen wieder inhaftiert. 

Absonderung bedeutet eine Isolierung des Strafgefangenen von Mitinhaftierten, um Gefahren für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt entgegenzuwirken, also Einzelhaft über Tag und Nacht, in Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit. Lediglich Freistunde ("Hofgang") und Gottesdienst bleiben möglich. Die "unausgesetzte" Absonderung darf nur dann angeordnet werden, wenn beim Gefangenen "nach seinem Verhalten oder aufgrund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht" (§ 81 NJVollzG)  und die Absonderung "unerlässlich" ist, d.h. keine anderen Mittel ausreichen, die Gefahr zu beheben.

Die Absonderung kann - im Ausnahmefall -  länger als drei Monate durchgeführt werden, die Unerlässlichkeit ist aber regelmäßig zu überprüfen und die langfristige Einzelhaft bedarf der jährlichen Zustimmung des Justizministeriums - in Niedersachsen haben die seit 1995 zuständigen Justizminister Heidrun Alm-Merk (SPD), Wolf Weber (SPD), Christian Pfeiffer (SPD), Elisabeth Heister-Neumann (CDU) und seit 2008 Bernd Busemann (CDU) die Isolation offenbar jeweils mehrfach gebilligt bzw. billigen lassen. Dass dabei die Anforderungen an die Maßnahme mit Zeitablauf immer höher wurden, blieb offenbar unbeachtet.

Auszüge aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 13. 4. 1999 - 2 BvR 827–98, NStZ 1999, 428), bei der es um effektiven Rechtsschutz gegen die unausgesetzte Absonderung nach ("nur") 2,5 Jahren ging:

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbietet es, eine besondere Sicherungsmaßnahme oder Einzelhaft länger aufrechtzuerhalten als es notwendig oder angemessen ist . Demnach sind solche Maßnahmen aufzuheben, wenn die gegebenen Anhaltspunkte die aktuelle Prognose einer Fluchtgefahr in erhöhtem Maße nicht mehr stützen können oder wenn nunmehr mildere Mittel in Betracht kommen. Außerdem werden die Beeinträchtigungen,die besondere Sicherungsmaßnahmen für die Grundrechte des Strafgefangenen bedeuten (Art. 2 II 1;  Art. 2 I   i.V. mit Art. 1 I GG; Art. 2 II i.V. mit Art. 20 III), mit zunehmender Dauer des Vollzugs immer schwerwiegender.(...)

Der Vollzug der Sicherungsmaßnahmen, vor allem der Einzelhaft, ist für den Bf. mit außerordentlichen Belastungen verbunden.Der Grundsatz der Verhältnismäßgkeit verlangt deswegen besonders strikte Beachtung. Es hätte deswegen eingehender gerichtlicher Überprüfung und Darlegung bedurft, ob alle in Betracht kommenden Möglichkeiten ausgenutzt und die gebotenen besonderen Anstrengungen unternommen worden sind, um der Gefährlichkeit des Bf. mit milderen Mitteln zu begegnen

Im Standardkommentar zum StVollzG von Calliess/Müller-Dietz (11. Aufl. 2008) heißt es, bei der Einzelhaft handele es sich deshalb um eine Maßnahme mit Ausnahmecharakter, weil "durch die Absonderung eine Isolation hervorgerufen wird, die mit einem hohen Grad an Reduktion der sämtlichen Umweltreize verbunden ist. Dadurch kann im Wege der sog. sensorischen Deprivation ein Verlust an menschlicher Sozialität entstehen."

Möglicherweise hat der betreffende Gefangene gegen diese Maßnahme keinen Rechtsschutz gesucht (jedenfalls deutet darauf im taz-Artikel nichts hin).

Dennoch, selbst wenn man die Aussage von Frau Frommel (Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Kiel), es handele sich um "Folter", nicht teilt,  die 16 Jahre andauernde äußerst belastende Isolation in Einzelhaft stellt einen Justiz-Skandal dar, zumal wegen der im November anstehenden Entlassung des Gefangenen, zu der  entgegen den gesetzlichen Vorschriften keine geeigneten Vorbereitungen getroffen wurden.

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2 Kommentare

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Da bleibt nur zu hoffen, dass diese überlange Isolierung nun beendet wird. So kann man sich ein Monster auch züchten. Diese überharten Vollzugsmaßnahmen nach "Supermax-Prison"-Art erscheinen mir (auf der Grundlage des Geschilderten) grundlos und völlig überzogen.

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Man ist einfach nur erschrocken. Elemtarer Grundrechtseingriff ohne Richtervorbehalt? Blutentnahme nur bei Richtervorbehalt, aber Isolationshaft als administrative Maßnahme?

 

Schon die Vorgänge in der JVA Aachen müssen jeden Bürger aufschrecken (JVA-Beamte, die nicht kontrolliert werden, quasi ihr "eigenes Gefangenen-Kiosk" betreiben können?).

 

 

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