Beschlagnahme von Interviewprotokollen nach „Internal Investigations“

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 17.03.2011

 

In jüngerer Zeit ist es im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen üblich geworden, dass die betroffenen Unternehmen die Aufklärung selbst in die Hand nehmen, die Staatsanwaltschaft also – absprachegemäß - zunächst außen vor bleibt. Die Durchführung solcher „internal investigations“ wird dabei regelmäßig größeren Anwaltskanzleien übertragen. Diese sichten dann die Akten, „vernehmen“ die Mitarbeiter und legen hierüber „Interviewprotokolle“ an. Vorreiter in Deutschland war die Siemens AG, die auf Druck der amerikanischen Börsenaufsicht die amerikanische Kanzlei Debevoise&Plimpton beauftragte. Diese Verlagerung originär staatsanwaltlicher Aufgaben auf die betroffenen Unternehmen und von ihnen engagierte Ermittler ist problematisch und wirft zahlreiche Rechtsfragen auf. Vor allem geht es um die Schutzrechte der von den Ermittlungen betroffenen Mitarbeiter, die u.U. Gefahr laufen, sich selbst bezichtigen zu müssen. Das LG Hamburg (Beschluss vom 15.10.2010, BeckRS 2011, 01653) hat nun in einem kürzlich ergangenen und jetzt in den Entscheidungsgründen vorliegenden Beschluss diese Art der Aufklärung durchkreuzt. Die Richter billigten nämlich die Beschlagnahme von Interviewprotokollen, welche im Zuge der Vernehmung von Mitarbeitern der HSH Nordbank durch Anwälte der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer erstellt worden waren. Zu dieser internen Untersuchung war die Kanzlei vom Aufsichtsrat des Geldinstituts beauftragt worden. Den Beschäftigten gegenüber war von der Kanzlei zuvor ausdrücklich die Vertraulichkeit ihrer Aussagen zugesichert worden. Das LG Hamburg vermochte hingegen kein Beschlagnahmeverbot zu erkennen. Wörtlich heißt es in dem rechtskräftigen Beschluss: „Die Annahme eines solchen mandatsähnlichen Vertrauensverhältnisses (scil. im Sinne des § 97 StPO) zu den Beschuldigten liegt vorliegend aufgrund der Zielrichtung des Mandats fern. Der Zweck der Inanspruchnahme der Sozietät F. durch die H. N.-bank AG bestand darin, die Interessen der Bank gegenüber den an der Transaktion „O. ...“ beteiligten Vorstandsmitgliedern - mithin gegenüber den Beschuldigten - im Hinblick auf etwaige Schadensersatz- oder sonstige Ansprüche zu vertreten, weshalb das Mandat auch in Vertretung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat (§ 112 AktG) erteilt wurde. Nach der Natur des Mandats befanden sich die Beschuldigten gegenüber der Sozietät F. gerade nicht in einer dem Auftraggeber vergleichbaren, „ratsuchenden“ Stellung. Vielmehr waren sie selbst im Hinblick auf mögliches Fehlverhalten Gegenstand der Untersuchung. (…) Im Übrigen reicht entgegen der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung allein die Zusicherung einer vertraulichen Behandlung der Interviewinhalte nach außen hin für den Aufbau eines den Schutz vor strafprozessualem Zugriff nach § 97 StPO gebietenden mandatsähnlichen Verhältnisses zu den Befragten nicht aus. Eine „mandatsähnliche“ Vertrauensbeziehung, deren Gegenstand das von § 97 StPO geschützte Interesse der Beschuldigten sein müsste, sich ohne Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung anwaltlichen Beistandes zu bedienen, konnte allein hierdurch offensichtlich nicht entstehen. Im Übrigen kommt auch eine privatrechtliche Disposition über die Zulässigkeit strafprozessualer Maßnahmen im Wege von „Zusagen“ abseits der gesetzlichen Regelungen ersichtlich nicht in Frage. (…) Eher fernliegend erscheint schließlich die Auffassung, aus dem bei den befragten Interviewpartnern potentiell bestehenden Konflikt zwischen arbeitsvertraglicher Auskunftspflicht gegenüber der von der H. N.-bank AG beauftragten Sozietät F. und dem Grundsatz „Nemo tenetur se ipsum accusare“ könne sich in Anwendung des in § 97 Abs. 1 InsO (vgl. hierzu auch § 393 AO) zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens ein Verwertungsverbot und im Vorgriff auf dieses ein Beschlagnahmeverbot hinsichtlich der Dokumentation der entsprechenden Auskünfte ergeben. Der Gedanke, dass die Staatsgewalt den Gesetzesunterworfenen nicht durch sanktionsbewehrte Mitwirkungs- und Auskunftspflichten zur Selbstbelastung zwingen und deren Inhalt anschließend strafrechtlich gegen ihn verwenden darf, ist auf den vorliegenden Fall, in dem sich Privatpersonen in (arbeits-)vertragliche Bindungen begeben haben, die sie zur Offenbarung möglicherweise auch strafbaren Verhaltens verpflichten, ersichtlich nicht anwendbar. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass auch der Einhaltung arbeitsvertraglicher Pflichten für den Betroffenen durchaus erhebliche, mitunter existenzielle Bedeutung zukommen kann, sondern vielmehr darauf, dass die entstehende Konfliktlage in diesen Fällen nicht von einer im Widerspruch zum „nemo tenetur“-Grundsatz stehenden gesetzlichen Auskunftsverpflichtung, sondern von einer vom Betroffenen freiwillig eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zur möglichen Selbstbelastung ausgeht.“ Sollte sich diese Rechtsansicht allgemein durchsetzen, sind „internal investigation“ in ihrer jetzigen Form weitgehend entwertet.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen