Fristlose Kündigung wegen Erstellung fiktiver Pfandbons

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 14.02.2011

Noch in der vergangenen Woche habe ich an dieser Stelle darüber berichtet, dass die Instanzgerichte im Gefolge des "Emmely"-Urteils bei langjähriger Betriebszugehörigkeit dazu tendieren, auch bei schwerer wiegenden Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers eine (außerordentliche) Kündigung nicht ohne vorherige Abmahnung für zulässig zu erachten.

Dies darf nun allerdings nicht so verstanden werden, dass Arbeitnehmer nach einiger Zeit im Betrieb Narrenfreiheit genießen, wie das Arbeitsgericht Berlin klarstellt:

Der Kläger war als Kassierer in einem Supermarkt beschäftigt. Die Rücknahme von Leergut erfolgt durch einen Automaten, der entsprechende Gutschrift-Bons ausdruckt. Die Kassierer können aber auch manuelle Gutschrift-Bons erzeugen, wenn beispielsweise der Automat defekt ist oder das Leergut nicht erkennt. Der Zentrale fiel auf, dass der Kläger ungewöhnlich häufig solche manuellen Leergut-Bons erzeugt. Durch eine Videoüberwachung erhärtete sich der Verdacht, er habe wiederholt - jedenfalls in zwei Fällen mit Bons über 2,00 Euro und 4,06 Euro - manuell Pfandbons ohne dahinter stehenden Kassiervorgang erstellt und Geld in dieser Höhe selbst an sich genommen. Die Arbeitgeberin kündigte fristlos. Die dagegen gerichtete Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg (ArbG Berlin, Urteil vom 28.09.2010 - 1 Ca 5421/10, BB 2011, 382 mit Anmerkung Schröder = BeckRS 2010, 74731):

Besteht der dringende Verdacht, ein Kassierer habe manuell Pfandbons erstellt, ohne dass dem ein tatsächlicher Kassiervorgang gegenübergestanden hätte, und den Gegenwert an sich genommen, so dass die Kasse bei Kassenabschluss kein Plussaldo aufwies, so ist dies „an sich” ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung i. S. von § 626 Abs. 1 BGB.

Auch eine 17-jährige beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit und ein in Frage stehender Schaden von lediglich 6,06 Euro können im Einzelfall angesichts des Umstands, dass sich der Verdacht auf eine Straftat im Kernbereich der Tätigkeit als Kassierer sowie auf eine erst durch eine gezielte Manipulation geschaffene Möglichkeit zur Schädigung des Arbeitgebers richtet, die Interessenabwägung nicht zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen lassen.

 

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1 Kommentar

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Da bin ja mal gespannt, ob der Kassierer einen ähnlich langen Atem wie "Emmely" hat. Im Vergleich mit den jüngsten Entscheidungen (Emmely, 13 Monate andauernde Unterschlagung und 160 Euro Betrug einer Nicht-Kassiererin) liegt dieser Fall wohl "dazwischen" - zum Einen die besondere Vertrauensstellung als Kassierer (wobei man besonders im [L]EH mal die Frage stellen muss, ob das "Vertrauen" auch tatsächlich entsprechend honoriert wird, wenn die "Vertrauensleute" anfangen, derartige Bagatellbeträge zu unterschlagen oder ob das mit dem "Vertrauen" nicht nur eine hohle Phrase ist), zum Anderen der geringe Betrag, die lange Betriebszugehörigkeit (Durchschnitt ist  - je nach Quelle etwa 10, manchmal auch nur 6 Jahre: http://www.innovations-report.de/html/berichte/gesellschaftswissenschaften/bericht-51768.html - nur die Manager machen sich noch schneller vom Acker: http://www.welt.de/welt_print/article889966/Schneller_Abgang_deutscher_Chefs.html ) und die Tatsache, dass bei einem Fehler auch durch eine Abmahnung eine Verhaltensänderung bewirkt werden kann (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Eventuell spielt auch eine Rolle, ob der Arbeitnehmer auf einer anderen Position im gleichen Betrieb beschäftigt werden könnte, wo er keine Kassenverantwortung hat - und sozusagen keinen weiteren Schaden anrichten kann (siehe die Zugabfertigerin, die gleich um 160 Euro betrogen hat). Falls ja, halte ich die Kündigung für überzogen - falls nicht, würde ich nicht auf den gleichen Ausgang wie bei "Emmely" setzen ...

 

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