Konsequenzen von "Emmely" - Rechtsprechung erhöht Anforderungen an Kündigungen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.02.2011

Markus Stoffels und ich haben in diesem Blog bereits mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Instanzgerichte das "Emmely"-Urteil des BAG vermehrt zum Anlass nehmen, Kündigungen auch wegen schwerwiegender Vertragsverstöße für unwirksam zu erklären, wenn die Arbeitnehmer eine längere Betriebszugehörigkeit aufwiesen. Erneut sind jetzt zwei Urteile veröffentlicht worden, die diesen Kurs bestätigen:

LAG Berlin-Brandenburg: Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt des Arbeitnehmers rechtfertigt bei langer Betriebszugehörigkeit ohne vorherige Abmahnung keine außerordentliche Kündigung

Mit Urteil vom 26.11.2010 (10 Sa 1823/10, BeckRS 2010, 65671) hat das LAG Berlin-Brandenburg der Klage einer Arbeitnehmerin stattgegeben, der nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit wegen eigenmächtigen Urlaubsantritts gekündigt worden war. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Gericht aus:

Das Arbeitsverhältnis wurde seit mehr als 31 Jahren beanstandungsfrei durchgeführt. Die Klägerin hatte mit der Ankündigung des Reha-Antrages am 5. Januar 2010 sowie der ärztlich bescheinigten Notwendigkeit einer weiteren Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes hinreichend deutlich gemacht, dass sie zum Zeitpunkt des eigenmächtigen Urlaubsantritts noch nicht wieder vollständig genesen war und sie jedenfalls subjektiv meinte, der Urlaubsreise „in den Süden“ zu bedürfen. Dieses lässt die Beharrlichkeit des eigenmächtigen Verhaltens der Klägerin in einem etwas milderen Licht erscheinen. Eine Verwertung der bisher von der Klägerin erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen in einem anderen Arbeitsverhältnis hielt die Kammer sowohl unter fachlichen Aspekten wie auch aufgrund des Alters der Klägerin für weitestgehend ausgeschlossen. Denn insoweit war die Klägerin in ihrem gesamten beruflichen Leben und auch bei dem vorgeschalteten Studium bereits völlig auf den sehr speziell tätigen Betrieb der Beklagten ausgerichtet. Etwaigen Aspekten der Betriebsdisziplin kann die Beklagte durch eine Umsetzung der Klägerin in einen anderen Bereich begegnen. Konkrete Betriebsablaufstörungen sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

Arbeitsgericht Düsseldorf: Keine fristlose Kündigung eines Betriebshofmitarbeiters, der mehrere Jahre lang systematisch PC-Schrott gesammelt hat

In die gleiche Richtung geht ein Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.11.2010 (6 Ca 4830/10). Auch hier verlangt das Gericht bei langjähriger Beschäftigung eine Abmahnung, bevor eine Kündigung ausgesprochen werden dürfe.

Der Arbeitnehmer war seit vielen Jahren auf dem städtischen Betriebshof beschäftigt. Dort werden u.a. Abfälle und PC-Schrott auf der Grundlage des Elektroschrott-Gesetzes gesammelt. Über mehrere Jahre hinweg nahm er PC-Bestandteile aus den allgemeinen Beständen des Betriebshofs mit nach Hause. Dies rechtfertigte nach Überzeugung des Arbeitsgerichts keine fristlose Kündigung ohne vorhergehende Abmahnung. Zugunsten des Arbeitnehmers fiel ins Gewicht, dass er den PC-Schrott nicht innerhalb der Arbeitszeit und auch nicht heimlich für sich aussortiert hatte, sondern sogar in Kenntnis seiner Vorgesetzten und Kollegen vorgegangen war. Zudem dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich aus Sicht der entsorgenden Bürger lediglich um Schrott, also Abfall handelt. Ob das Gericht erwogen hat, dass die "entsorgenden Bürger" im Hinblick auf die Rekronstruierbarkeit ihrer Daten möglicherweise ein gesteigertes Interesse daran hatten, dass die PC-Bauteile tatsächlich vernichtet werden, lässt sich den mitgeteilten Entscheidungsgründen nicht entnehmen.

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

4 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Richtig so.

 

Gut das die Emmely-Entscheidung dieses Sonnenstich-Urteil endlich aufgehoben hat. Hat ja 50jahre gedauert.... Aber jetzt regiert endlich wieder vermehrt der gesunde Menschenverstand.

0

Interessant ist für mich, dass der Vorsitzende Richter des Senats auf Veranstaltungen ausdrücklich betont, dass keine Änderung der Rechtsprechung erfolgt sei. Das BAG sei früher allenfalls missverstanden worden.

 

Richtig ist, dass die Grundsätze, anhand derer eine Kündigung überprüft wird (u.a. auch Interessenabwägung) gleich geblieben sind. Es ist jedoch tatsächlich zu erkennen, dass die Instanzgerichte vermehrt Kündigungen für unwirksam erachten und die Anforderungen höher schrauben.  Anscheinend sehen nicht nur die Anwälte, sondern auch die Gerichte eine "Änderung" der Rechtsprechung (jedenfalls hinsichtlich der Gewichtung).

0

Vielleicht hat der BAG die letzten 50 Jahre auf einen Fall Emmely gewartet. Er sah mit Schrecken wie sein Bienenstich-Urteil für Lappalien missbraucht wurde, traute sich nicht was zu sagen (durfte vielleicht nciht) und wartete verbissen auf einen Fall der noch drastischer ist als das Urteil der 60er. ;-)

0

Vielleicht entspricht das Nachfolgende nicht dem Mainstream. Und meine persönliche Erfahrung aus der "vordersten Front" ist sicher auch nicht repräsentativ. Aber für mich hält sich der Überraschungseffekt, was die Aufwertung der Betriebszugehörigkeit betrifft, in Grenzen: Ich habe als Anwalt auch schon in den Zeiten vor "Emmely" die Vorsitzenden (ob alte Schule oder ganz junger Richter) fast immer die Betriebszugehörigkeit als gewichtigen Grund gegen die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung ins Feld führen sehen, Bienenstich hin oder her. Das überzeugte in der Praxis auch und wurde von den Anwälten, die unter Berücksichtigung solcher Hinweise auf Vorschlag des Gerichts einen Vergleich schlossen, nicht als krasse Abweichung von der bisherigen BAG-Linie empfunden. So war es in einem Fall unerlaubter Mitnahme von zu verkaufenden Lebensmitteln ein, beim Vorwurf einer Selbstbeurlaubung usw.

 

Rechtsanw. u. Fachanw. f. Arbeitsrecht M. Bender, Karlsruhe

0

Kommentar hinzufügen