So sieht Verzweiflung aus: Ein Trucker sieht rot

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 13.01.2011

Eine echte Verzweiflungstat, oder?!

Der Angeklagte wollte am 29.09.2009 auf seiner Tour nach T. an der holländischen Grenze eine große Pause von rund 40 Minuten machen. Im Vorfeld hatte er sich nicht ausreichend um geeignete Parkplätze für seine gesetzlich vorgeschriebenen Pausen gekümmert.

Als er auf dem Parkplatz B. keinen Parkplatz fand, stellte er sich gegen 21.26 Uhr demonstrativ und verkehrswidrig mit seinem Lkw mit Anhänger, amtliches Kennzeichen ... auf die Ausfahrt des Parkplatzes B. auf der BAB 44 in Fahrtrichtung Dortmund und beschloss dort stehen zu bleiben und die Ausfahrt für alle Kraftfahrer so lange zu blockieren, bis er seine vorgeschriebene Pause vollständig erfüllte hatte. Dass er auf diese Weise andere Kraftfahrer, die auf den Parkplatz gefahren waren, an der Weiterfahrt hinderte, nahm er zumindest billigend in Kauf. Durch das Verhalten des Angeklagten wurden die Fahrzeuge der ... und ... gegen ihren Willen gezwungen, zwischen 25 und 40 Minuten auf dem Parkplatz zu verweilen. Darüber hinaus wurden weitere, namentlich nicht bekannte, Kraftfahrer durch den Angeklagten an der Weiterfahrt gehindert. Da die Zufahrt auf den Parkplatz in einer Kurve lag, war die Situation für die Verkehrsteilnehmer von weitem nicht erkennbar, sodass immer weiter Fahrzeuge auf den Parkplatz auffuhren und festsaßen. Einige Kraftfahrer setzten ihre Fahrzeuge rückwärts wieder auf die Autobahn, um nicht festzusitzen. Glücklicherweise kam es hierbei zu keinen Verkehrsunfällen. Gegen 22.27 Uhr gab der Angeklagte auf Geheiß der Polizei endlich den Weg frei.

 

Das AG Kassel: Urteil vom 15.09.2010 - 281 Cs - 2631 Js 39636/09 = BeckRS 2010, 29100 hat wegen Nötigung (§ 240 StGB) verurteilt und insbesondere das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen ausführlich begründet abgelehnt:

Rechtfertigungsgründe stehen dem Angeklagten nicht zur Seite.

Einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff i. S. d. § 32 StGB sah sich der Angeklagte nicht gegenüber. Die vom Angeklagten behauptete Angriffssituation war nach seinen eigenen Behauptungen beendet.

Auf ein etwaiges Festnahmerecht gemäß § 127 Abs. 1 StPO oder ein Selbsthilferecht gemäß § 229 BGB kann sich der Angeklagte nicht berufen.

Nach § 127 Abs. 1 StPO ist jedermann gerechtfertigt, der einen auf frischer Tat Betroffenen auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festnimmt, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann.

Zunächst einmal ist zur Überzeugung des Gerichts nicht dargetan, dass gegen ihn eine rechtswidrige Tat verübt wurde. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Beweisaufnahme Bezug genommen.

Zum anderen sind derartige Maßnahmen nur dann gerechtfertigt, wenn sie sich gegen den wirklichen Täter richten. Der Angeklagte hat aber eine Vielzahl von Menschen an der Weiterfahrt gehindert, nicht nur seinen vermeintlichen Angreifer.

Schließlich fehlt es am subjektiven Rechtfertigungselement. Der Angeklagte handelte nicht, um einen vermeintlichen Angreifer dingfest zu machen, sondern um seine vorgeschriebene Pause zu machen. Keiner der Zeugen bekundete, dass der Angeklagte gegenüber dem Polizeibeamten eine Anzeige machen wollte. Im Gegenteil die Zeugen Schönecker und Müller bekundeten, der Angeklagte habe gegenüber den Lkw-Fahrern geäußert, wenn sie nicht die Polizei gerufen hätten, wäre es schon weiter gegangen. Im Übrigen hat der Angeklagte nicht selbst die Polizei gerufen oder den Schaden in irgendeiner Art und Weise zeitnah dokumentierte oder zur Anzeige gebracht.

Der Rechtfertigungsgrund der Selbsthilfe gemäß § 229 BGB steht dem Angeklagten nicht zur Seite. Hiernach handelt nicht widerrechtlich, wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt, sofern obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder erschwert wird. Vorliegend fehlt es an einem Verpflichteten, weil eine rechtswidrige Tat zum Nachteil des Angeklagten aus den o. g. Gründen bereits nicht erwiesen ist. Außerdem wäre es dem Angeklagten sehr wohl möglich gewesen, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass ihm diese verweigert wurde, ist nicht erwiesen. Vielmehr rief er nicht bei der Polizei an und erstattete auch später keine Anzeige. Weiter durfte sich die Selbsthilfe nicht gegen unbeteiligte Verkehrsteilnehmer richten und schließlich fehlt wie auch beim Festnahmerecht das subjektive Rechtfertigungselement, da der Angeklagte aus ganz anderen Beweggründen handelte.

Dem Angeklagten fehlte zur Überzeugung des Gerichts nicht gemäß § 17 StGB die Einsicht, Unrecht zu tun. Ihm war klar, dass sein Handeln nicht rechtens ist, wollte sich aber gleichwohl durchsetzen, um eine Geldbuße zu vermeiden. Der Angeklagte hat nicht behauptet, im Recht zu sein, sondern im ersten Verhandlungstag eingeräumt, nicht alles richtig gemacht zu haben.

Soweit der Angeklagte in der irrigen Annahme gewesen sein sollte, seine Tat sein gerechtfertigt bzw. nicht verwerflich, weil Lkw-Fahrern seiner Auffassung nach zu wenig Parkplätze zur Verfügung stehen, so hat sich der Angeklagte allenfalls in einem gemäß § 17 StGB vermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Bei gehöriger Anspannung hätte der Angeklagte mit seinen Fähigkeiten, Kenntnissen und seiner Lebenserfahrung erkennen können, dass er gegen die Rechtsordnung verstößt. Der Angeklagte ist ein 54 Jahre alter Unternehmer und Vater von drei Kindern mit jahrelanger Berufserfahrung als Kraftfahrer. Die vom Angeklagten beklagte Parkplatzsituation ist nicht von heute auf morgen eingetreten. Bei gehöriger Gewissensanspannung hätte der Angeklagte das Unrecht erkennen können. Ihm hätten in jedem Fall Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns kommen und zu Erkundigungen führen müssen. Wer als Berufskraftfahrer und wie der Angeklagte auch noch als Transportunternehmer tätig ist, muss sich über die insoweit geltenden Vorschriften informieren (vgl. allgemein: Fischer, Kommentar zum StGB, § 17 Rn. 9).

Das Verhalten des Angeklagten war verwerflich i. S. d. § 240 StGB. Gemäß § 240 Abs. 2 StGB ist die Tat rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Nach dieser Verwerflichkeitsklausel sind Nötigungsmittel und Nötigungszweck einer Gesamtwürdigung zu unterziehen. Verwerflichkeit i. S. d. Vorschrift ist als Sozialwidrigkeit des Handelns zu begreifen (Fischer, Kommentar zum StGB, § 240 Rn. 41). Der Angeklagte hat sich selbstherrlich über den Willen einer Vielzahl von Menschen hinweggesetzt und zur Durchsetzung seiner Belange die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs gefährdet. Eine derartige Handlungsweise ist nach Auffassung des Gerichts sozialwidrig. Das Chaos, das eintreten würde, wenn jeder seine persönlichen Bedürfnisse so rücksichtslos durchsetzte, wäre enorm und hätte individuell und gesamtgesellschaftlich negative Folgen.

 

 

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4 Kommentare

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"Der Angeklagte hat sich selbstherrlich über den Willen einer Vielzahl von Menschen hinweggesetzt "

 

In Zeiten, wo Brummi-Parkplätze mehr als knapp sind, halte ich den Satz für unpassend.


Klar, er hätte anders parken können, aber jemanden soo dafür abzustrafen, dass er die (ihm teils wohl selbst lästigen) Ruhepausen einhält...

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Dieser Trucker wurde bestimmt bereits wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Ruhepausen belangt.

Kann der Staat ein Verhalten bestrafen, wenn die für die Einhaltung der Bestimmungen notwendige Infrastruktur nicht angeboten wird?

 

Das Verhalten des Truckers im konkreten Fall mag vorwerfbar sein, hätte er es als happening deklariert, hätte er die Kunstfreiheit für sich in Anspruch nehmen können.

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@Hans W: Warum soll der Satz unpassend sein? Auch wenn es für die Einhaltung der (senr sinnvollen!) Ruhepausen zu wenig Infrastruktur gibt: " stellte er sich ... demonstrativ... auf die Ausfahrt des Parkplatzes ... und beschloss dort stehen zu bleiben und die Ausfahrt für alle Kraftfahrer so lange zu blockieren, bis er seine vorgeschriebene Pause vollständig erfüllte hatte." ist sicher kein Fall mehr von "klar, er hätte anders parken können". Das kann man vielleicht sagen, wenn jemand auf dem streifen zwischen Aus- und Auffahrt parkt.


Dennoch muss ich mich wohl in Bezug auf Sitzblockaden als zulässiges Mittel der Demonstration gegen das Urteil aussprechen. Ich kann schlecht Castorblockaden befürworten und Nazidemo-Verhinderungsaktionen zumindest sympathisch finden und mich hier dann genötigt fühlen.

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@ Pascal: der wesentliche Unterschied zwischen dem Trucker und Nazis liegt in der Einschätzung nach § 240 Abs. 2 , s. a letzter Absatz oben:

"Nach dieser Verwerflichkeitsklausel sind Nötigungsmittel und Nötigungszweck einer Gesamtwürdigung zu unterziehen. Verwerflichkeit i. S. d. Vorschrift ist als Sozialwidrigkeit des Handelns zu begreifen"

 

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