Ausblick 2011 (II): Muss ein Moslem Regale mit alkoholischen Getränken auffüllen?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.12.2010

Das Bundesarbeitsgericht verhandelt am 24.02.2011 über die Frage, in welchem Umfang der Glauben eines Arbeitnehmers diesen berechtigt, ihm zugewiesene Arbeit zu verweigern (2 AZR 636/09).

Der Kläger ist muslimischen Glaubens und seit 1994 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er verrichtete zunächst mehrere Jahre die Tätigkeit eines Helfers in der Waschstraße. Ab 2003 arbeitete er in der Getränkeabteilung des Bereichs "Allgemeine Lebensmittel" und wurde dort u.a. mit Auffüllarbeiten beschäftigt. Nach einem zwischenzeitlichen Einsatz in der Frischwarenabteilung ab März 2007 und mehreren Erkrankungen des Klägers wies die Beklagte den Kläger im Februar 2008 an, künftig wieder in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Der Kläger weigerte sich strikt, dieser Anordnung Folge zu leisten. Er berief sich auf seinen muslimischen Glauben, nach welchem ihm jeglicher Umgang mit Alkohol verboten sei. Nach weiteren erfolglosen Aufforderungen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 01.03.2008 außerordentlich fristlos sowie mit weiterem Schreiben vom 05.03.2008 vorsorglich ordentlich unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Ihm müsse der Grundrechtsschutz des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG (Religionsfreiheit) zu Gute kommen. Nach dem Koran sei ihm jeglicher Umgang mit Alkohol verboten. Bis ins Jahr 2006 sei er nicht mit dem Alkoholverkauf in Berührung gekommen und habe daher nicht damit rechnen müssen, für derartige Arbeiten herangezogen zu werden. Eine Kündigung könne erst dann in Betracht kommen, wenn die Beklagte darlege, dass er die seinerseits geschuldete Arbeitsleistung keinesfalls anders erbringen könne, als gerade in der von ihm aus Gewissensgründen abgelehnten Weise. Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe auch schon früher mit dem Verkauf alkoholischer Getränke zu tun gehabt. Ihre Umsetzungsentscheidung sei wegen der hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in der Frischeabteilung gerechtfertigt gewesen. Ein Abwägungsfehler hinsichtlich der Bewertung der kollidierenden Grundrechtsinteressen liege nicht vor.

Das Arbeitsgericht Kiel hat die Klage abgewiesen (Urt. vom 16.06.2008 - 2 Ca 455 c/08). Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat auf die Berufung des Klägers die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen, die ordentliche Kündigung der Arbeitgeberin also bestätigt (Urteil vom 20.01.2009 - 5 Sa 270/08, BeckRS 2009, 58812). Mit der Revision begehrt der Kläger die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist.

Vergleichbare Fälle finden sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nur selten. 1984 hatte der Zweite Senat des BAG darüber zu entscheiden, ob ein Drucker aus Gewissensgründen den Druck von Werbebroschüren für ein kriegsverharmlosendes Buch verweigern darf (Urt. vom 20.12.1984 - 2 AZR 436/83, NZA 1986, 21: Er durfte), 1989, ob ein Mitarbeiter in der Forschungsabteilung eines Pharmaunternehmens an der Entwicklung eines – auch – kriegsdienlichen Medikaments gegen Strahlenerkrankungen mitwirken muss (Urt. vom 24.05.1989 - 2 AZR 285/88, NZA 1990, 144: Er muss nicht). In beiden Fällen hat das Gericht (auch) darauf abgestellt, dass es dem Arbeitgeber zumutbar gewesen wäre, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuzuweisen, bei der dieser sich keinen Gewissenskonflikten ausgesetzt sieht (siehe heute § 106 Satz 1 GewO: "billiges Ermessen"). Eine Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung komme nur in Betracht, wenn andere Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb nicht bestünden.

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7 Kommentare

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Der Koran scheint in dieser Szene jedenfalls recht unterschiedlich ausgelegt zu werden, was Alkohol betrifft. In den türkischen Kebab-Läden in meiner Nähe bekommt man jedenfalls Bier. Im türkischen Supermarkt jedoch nicht.

Spätestens am 1.1.2010 werden viele Muslime ohnehin sehr flexibel denken müssen: da kommt nämlich 10% Ethanol in den Benzintank (E10).

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Auch in vielen Spätverkaufsgeschäften (haben in den Szenevierteln oft die ganze Nacht auf) die von Moslems betrieben werden gibt es etwa in Berlin vielfältigste Alkoholangebote. Kürzlich war einer in seinem Bierangebot weit besser sortiert, als so manches deutsche Geschäft und sogar Supermärkte, denn es gab Augustiner, Tegernseer, Tannzäpfle uvm.

 

Zudem sollten Sie einmal die tagsüber friedlichen Feste zum 1. Mai in Kreuberg erleben. Da räumen unzählige kleine Ladeninhaber und Privatpersonen offensichtlich muslimischen Glaubens einfach einen Tisch vor ihr Haus in die Menschenmassen und bieten günstigst etwa Biere an.

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Die Kernfrage des Konflikts lautet, ob aus religiösen Geboten, bestimmte Handlungen vorzunehmen bzw. zu unterlassen, ein Anspruch des Grundrechtssubjekts gegenüber Dritten (Drittwirkung der Grundrechte?!) erwachsen kann, vertragsrechtlich von konfligierenden Weisungen verschont zu bleiben. Im Arbeits- und Dienstvertragsrecht muten bereits solche Ansprüche befremdlich an, weil bei Vertragsabschluss der Kern der Dienstleistung feststeht bzw. konkretisiert wird. Indes kann, wie der zu entscheidenden Fall zeigt, durch das Direktionsrecht des Arbeitgeber ein Konkretisierungsspielraum entstehen, der zu einer Weisung führen kann, die erst die religionswidrige Handlungspflicht des Arbeitnehmers bewirken soll. Man kann und muss bei der Ausübung des Direktionsrechts verlangen, dass auf religiöses Empfinden wie auch das Gewissen des Arbeitnehmers Rücksicht genommen wird.

Der Arbeitgeber kommt hier in Dilemmata: Nach dem AGG wird er eine säkulare Einstellung nicht zum Einstellungskriterium machen dürfen (schon die Frage nach der Religion wäre als unzulässig zu werten), andererseits können ihn anschließende Zwänge zur religionsgerechten Ausübung des Direktionsrechts in seiner Flexibilität im Rahmen der Personaleinsatzplanung empfindlich beschränken.

Sollte das BAG eine weitgehende Einschränkung des Direktionsrechts für verfassungsrechtlich geboten erachten (Direktionsrecht „im Lichte“ der Religionsfreiheit) sind negative Folgen zu gegenwärtigen: Welcher Betreiber einer Supermarktkette würde z.B. noch eine muslimische Kopftuchträgerin einstellen, kann er doch kaum einschätzen, wie viel Säkularität ihre Trägerin verträgt.

Noch schwieriger wird es, wenn aus religiösen geboten im Arbeitsverhältnis auch Ansprüche im Rahmen der betrieblichen Ordnung oder Gestaltung von Sozialeinrichtungen abgeleitet werden. Kann der (aschkenasische) Jude verlangen, dass für Milch- und Fleischgerichte unterschiedliches Geschirr gereicht wird, kann der Moslem geschächtetes Fleisch fordern, sind Zeiten für Gebete zu ermöglichen?

Die Problemkonstellationen ließen sich mehren. Ihnen ausweichen kann nur, wer sich eine Paralleluniversum schafft, das konsequent nach religiösen Normen organisiert wird. Vorstellbar ist ja, der Lebensmittelladen, der konsequent nur geschächtetes Fleisch anbietet und der auf Alkohol verzichtet. Schwierig wird es, wenn ein konsequent auf der Basis einer Religion geführtes Geschäft oder ein derart konsequent organisierter und lebender Verein ihrerseits Personal einstellen und die verpflichtende Anerkennung von religiösen Normen fordern. Der geschieden Mitarbeiter im katholischen Kindergarten ist eines dieser bekannten, alteuropäischen Probleme.

Das Problem wachsender, funktionaler Organisationen besteht immer darin, dass ihr Proprium unter Druck gerät, wenn formale, rechtsförmige Strukturen zur Stabilisierung benötigt werden. Der Dienst- und Arbeitsvertrag markieren dann gewissermaßen den Beginn vom Ende der nur emphatisch getragenen Organisation.

Unsere säkulare, nicht religiös begründete und legitimierte Rechtsordnung stellt kein Instrument zur Bewahrung eines religiös durchwirkten Lebens dar. Sie eröffnet aber den Raum für kleine Inseln des selbstbestimmten religiösen Lebens. Der Kläger des Ausgangsfalles kann sich auf eine solche zurückziehen. Er kann eben nicht als Ladenhilfe arbeiten.

Sozialrechtliche Weiterungen sind zu erwarten: Welche Arbeitsumfelder hat ein Moslem zu akzeptieren, soll ihm nicht der Anspruch auf Arbeitslosengeld etc. verwehrt werden….?

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Auf jeden Fall sorgen diese ganzen Klagen nach Sonderbehandlung dafür, dass man nur noch ungern Muslime einstellt, weil man sich offenbar früher oder später auf Forderungen nach Extra-Würsten oder verklagt-werden einzustellen hat.

 

Übrigens, so verboten scheint Alkohol wohl nicht zu sein. Hab grad das hier gefunden:

"http://www.g26.ch/marokko_news_0801.html

Im Koran gibt es keinen Vers, der den Gläubigen den Genuss von Alkohol ausdrücklich verbietet. Gott lässt neben dem Getreide, den Ölbäumen, den Dattelpalmen auch Weinstöcke wachsen (Sure 16:10-11). Von den Früchten der Dattelpalmen und den Beeren einen Rauschtrank zu machen, ist ein Zeichen für Verstand (Sure 16:67), im Paradies warten Ströme von Wasser, Milch, Honig und Wein (Sure 47:15). Allerdings ist Alkohol, wenn man betrunken ist, hinderlich beim Gebet (Sure 4:43). Und in Sure 5:90-91 wird Wein als das Werk Satans bezeichnet, der nur Feindschaft und Hass aufkommen lässt.

So negativ Alkohol im Koran teilweise auch dargestellt wird, wirklich verboten (harâm) wird er dort nicht, wie dies bei Aas, Blut und Schweinefleisch der Fall ist (Sure 5:3). Dennoch hat sich im Laufe der Zeit bei der Mehrheit der islamischen Rechtsgelehrten die ablehnende Haltung bezüglich Alkohols durchgesetzt. Nach islamischem Recht (Scharia) wird Alkoholkonsum nun als Sünde betrachtet, obwohl es auch eine andere Auslegung geben könnte. Darauf beruft sich eine Reihe meiner muslimischen Freunde, um ihren Alkoholgenuss zu rechtfertigen – und mit ihnen wohl auch weltweit Millionen von Muslimen, die nach Feierabend auf ein Bier oder auch mehrere nicht verzichten wollen.

Gerne wird auch auf die Tradition der arabischen Weinpoesie verwiesen, die von einem toleranten Islam in vergangen Zeiten berichtet. Ein Vertreter davon ist der in der persischen Stadt Avhaz geborene Abu Nuwas (750-819). Der berühmt-berüchtigte Poet war gleichermassen von Wein und Knaben begeistert: «Für junge Knaben liess ich die Mädchen zurück/ Und alter Wein vertreibt den Gedanken von klarem Wasser aus meinem Kopf».

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Dann hoffen wir mal, dass der BGH sich auch mit dem Koran befasst und nicht einfach nur blind glaubt, wie unsere Politiker, was man ihnen auftischt.

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@ Anke Reindl (#4)

Das Problem könnte darin liegen, dass die staatlichen Gerichte nicht berechtigt sind, die Glaubens- und Gewissensentscheidung des Einzelnen anhand "objektiver" Kriterien zu überprüfen. Wie religiös jemand ist und wie streng oder großzügig er bestimmte Ge- und Verbote seines Glaubens - möglicherweise auch abweichend von der herrschenden Interpretation seitens der "Amtskirche" - für sich nimmt, ist m.E. nicht justiziabel. Es kommt also nicht darauf an, ob der Koran "objektiv" den Umgang mit Alkohol verbietet, sondern nur darauf, ob der Kläger für sich subjektiv davon überzeugt ist, dass ihm jeder Umgang mit Alkohol - auch in verschlossenen Flaschen - untersagt ist. Eine Auslegung des Korans durch das BAG wird es daher wohl nicht geben.

Christian.Rolfs schrieb:

 die staatlichen Gerichte nicht berechtigt sind, die Glaubens- und Gewissensentscheidung des Einzelnen anhand "objektiver" Kriterien zu überprüfen. 

nanu?

was mussten denn jahrzehntelang die Kriegsdienstverweigerer in Deutschland über sich ergehen lassen?

war die "Gewissensprüfung" bzw. die Vorschrift, den Antrag persönlich ausführlich zu begründen, etwa verfassungswidrig?

@ Mein Name (#6)

Da haben Sie mich missverstanden. Ob eine Gewissensentscheidung ernsthaft ist und der Betreffende sich tatsächlich innerlich entsprechend gebunden fühlt, kann zwar nicht im strengen Sinne bewiesen, aber immerhin anhand von Indizien festgestellt werden. Das gilt für Wehrdienstverweigerer genauso wie für muslimische Regalauffüller. Nicht in der Kompetenz der staatlichen Gerichte liegt dagegen die Entscheidung, ob der Glauben dieses Gebot tatsächlich beinhaltet - ob also das christliche "Du sollst nicht töten" auch den Wehrdienst mit der Waffe untersagt und ob der Koran das Befüllen von Supermarktregalen mit geistigen Getränken verbietet.

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