Streikrecht für Beamte

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.12.2010
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtLehrerEGMRStreikBeamteStreikrecht4|6850 Aufrufe

Auch Beamte dürfen streiken. Das hat bereits im vergangenen Jahr in einer von der Fachöffentlichkeit weitgehend unbemerkt gebliebenen Entscheidung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden (EGMR vom 21.04.2009 - 68959/01, NZA 2010, 1423). Zwar sei das Streikrecht durch Artikel 11 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht absolut geschützt und könne beschränkt werden. Es sei daher mit der Konvention vereinbar, Streiks von Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu verbieten, die im Namen des Staates Hoheitsgewalt ausüben (also zB Polizeibeamte oder Richter). Ein allgemeines Streikverbot für Angehörige des öffentlichen Dienstes (also zB auch für Lehrer und andere Beamte ohne hoheitliche Aufgaben) sei demgegenüber unverhältnismäßig und entspreche keinem dringenden sozialen Bedürfnis.

Auf dieser Basis hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 15.12.2010 (31 K 3904/10.O) eine Geldbuße gegen eine beamtete Realschullehrerin aufgehoben. Die Bezirksregierung Köln hatte gegen die Klägerin im Rahmen einer Disziplinarverfügung eine Buße in Höhe 1500 Euro verhängt, weil sie im Januar und Februar 2009 an drei Tagen an Warnstreiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft teilgenommen hatte.

Zur Begründung führte der Vorsitzende in seiner mündlichen Urteilsbegründung aus: Bei der Teilnahme an den Warnstreiks handele es sich zwar um ein Dienstvergehen, weil es zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehöre, dass Beamte nicht streiken dürften (Art. 33 Abs. 5 GG). Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg verstoße die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen bestimmte Beamtengruppen, insbesondere Lehrer, wegen Teilnahme an Streiks jedoch gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Koalitionsfreiheit. Diese Rechtsprechung sei im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Disziplinarrechts zu berücksichtigen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat die Kammer die Berufung gegen das Urteil beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zugelassen.

Siehe dazu auch die Presseberichte.

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4 Kommentare

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Sehr interessant, das ging an mir vorbei, vom EGMR kommen mitunter interessante Entscheidungen, neben 68959/01 auch 19359/04, jetzt brauchen wir nur noch ein politisches Streikrecht.

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Da gibt es aber noch einige Fragen:

1. Üben Lehrer tatsächlich keine Hoheitsgewalt aus? Zumindest als Schüler habe ich das anders empfunden. So manche Beurteilung der eigenen Leistung trifft den Schüler härter als später den Arbeitnehmer der Steuerbescheid.

2. Wenn sie nicht hoheitlich tätig sind, warum sind Lehrer dann überhaupt Beamte? Normale Arbeit kann doch auch von normalen Arbeitnehmern erledigt werden.

 

Die neuere Rechtsprechung des EGMR kann für die Länder allerdings böse Folgen haben. So wollte Hamburg zuletzt die Aufsicht im Elbtunnel wieder in die Hände von Beamten legen, "weil die nicht streiken (dürfen)". Dürften sie nun doch! Das würde die Republik ins Mark treffen, ganz ohne hoheitliche (Un-)Tätigkeit. Und wenn die Beamten mehr Besoldung wollen, schicken sie zumindest in den Ländern die Lehrer vor. Das würde vielleicht den durch die Föderalismusreform ermöglichten "Schäbigkeitswettlauf nach unten" (bei der Beamtenbesoldung) - so Knopp in LKV 2010, 306 - verhindern.

In Schleswig-Holstein wird das Düsseldorfer Urteil jedenfalls dem VG viel Arbeit bescheren. Denn hier haben die Lehrer kürzlich auch gestreikt.

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DrFB schrieb:
Wenn sie nicht hoheitlich tätig sind, warum sind Lehrer dann überhaupt Beamte? Normale Arbeit kann doch auch von normalen Arbeitnehmern erledigt werden.
1. weil sie - bisher - nicht streiken dürfen.

2. weil mit dem Argument "Arbeitsplatzsicherheit" Anfangsgehälter an der Grenze des Existenzminimums möglich sind.

3. weil das Modell der sozialen Absicherung über Beihilfe und private Krankenversicherung sowie die Altersversorgung über zu versteuernde Pension den Staat insgesamt billiger kommt als das Zahlen von Sozialbeiträgen zur gesetzlichen KV und in die Rentenversicherung. 

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Ein Hinweis:

die Hamburger Wahlen zeigen gerade mal wieder auf, welche Beamte keine hoheitlichen Aufgaben haben, weil nur diese Beamten Mandate in der Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen annehmen dürfen. Das wären dann ganz schön viele Beamte. Ich weiß von einem Mitarbeiter der Innenbehörde, der in der BV Altona saß / sitzt. Der (und seine Kollegen) dürfte dann ja wohl auch streiken. Interessante Aussichten.

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