Wikileaks-Depesche zum Fall El-Masri - belügt uns "Der Spiegel"?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 09.12.2010

Der Spiegel ist eine der ausgewählten journalistischen Institutionen (neben u.a. der New York Times und dem Guardian) , denen wikileaks schon vorab einen Blick auf "cablegate" gestattete. Wir, die Öffentlichkeit, erwarten von diesen journalistischen  Institutionen, dass sie aus dem riesigen Datenbestand die wichtigen und entscheidenden Depeschen heraussuchen und uns deren möglicherweise skandalösen Inhalt vermitteln, niemand kann schließlich hundertausende Diplomatendepeschen lesen. In der ersten Woche durften wir alle lachen über Teflon-Merkel und den außenpolitischen Anfänger Westerwelle. Aber wirklich investigativer Journalismus war das nicht.

Nun werden einige weitere interessante Details aufgedeckt. Heute berichten die beiden Journalisten Matthias Gebauer und John Goetz empört über eine angeblich die deutsche Politik und Justiz beschämende Angelegenheit: "Deutschland beugte sich Druck aus Washington" (hier). Im Artikel geht es um den Fall El-Masri. Wir erinnern uns: El-Masri war in Mazedonien vom CIA entführt worden, in Afghanistan misshandelt und Monate später, als man erkannte, dass man ihn verwechselt hatte, in Albanien ausgesetzt worden. Ein Verbrechen des CIA, damals auch von deutschen Journalisten aufgedeckt und bestens dokumentiert.  Als auch der CIA nicht mehr leugnen konnte und überdies die Entführer namentlich bekannt wurden, ergriffen Münchner Ermittler den rechtsstaatlich zutreffenden Weg, Haftbefehle zu erlassen. Natürlich gefiel dies unserer verbündeten Weltmacht nicht, will sie doch angeblich überall auf der Welt die Menschenrechte verwirklichen. Aber, so wollte man diesen Fall wohl eingestuft wissen: Wo gegen die Terroristen gehobelt wird, da fallen halt Späne; El-Masri hat einfach Pech gehabt mit seinem Namen. Natürlich wollte man seitens der USA verhindern, dass die CIA- Mitarbeiter nun mittels internationaler Haftbefehle verfolgt werden. Deshalb wurde beim Bündnispartner diplomatisch Druck gemacht. Dies geschah 2007.

Drei Jahre später findet der Spiegel laut eigenen Angaben, aber ohne Link, auch die entsprechenden Depeschen.
Nun, wenn man die Depesche vom 6.2.2007 liest (hier), reicht es nicht ganz für einen Skandal. Vielmehr hat sich der darin zitierte deutsche Diplomat völlig korrekt verhalten. Die Spiegel Journalisten schreiben noch von einer Depesche vom 1. Februar - die aber weder verlinkt wird noch bei wikileaks zu finden ist - und pimpen das Ganze auf: In der  Überschrift heißt es: Deutschland "beugte sich dem Druck". Und im Artikel selbst wird die entscheidende Information geschickt verschwiegen.

Zitat: "Entscheidend für die USA war damals die Frage, inwieweit die Haftbefehle aus München international gültig werden könnten. Zwar waren auf den Fluglisten der CIA-Firma Aero Contractors noch Tarnnamen wie "Kirk James Bird" vermerkt, doch durch Recherchen konnte man auf die echten Namen der CIA-Kidnapper kommen. Ein internationaler Haftbefehl hätte sie in Gefahr gebracht, in den USA oder bei einer Auslandsreise, privat oder dienstlich, für die staatlich organisierte Verschleppung von Masri vor Gericht zu landen. Ein solches Tribunal war der Alptraum der CIA. Folglich kontaktierte die US-Botschaft das Bundesjustizministerium und wurde dort recht fürsorglich beraten. Internationale Haftbefehle könnten erst ausgestellt werden, so ein Beamter, wenn das Ministerium individuell die Stichhaltigkeit und "die außenpolitischen Folgen" eingeschätzt hätte. Vorsorglich warnte er, eine zu heftige politische Einmischung Washingtons könne hierzulande "als Eingeständnis der Beteiligung" der CIA-Agenten bewertet werden. Ein Kollege versicherte, die 13 Fälle würden "nicht als Routine" bearbeitet. Jeder Schritt brauche grünes Licht aus Berlin."

Nun, der Leser soll wohl denken, die bundesdeutsche Regierung hätte sich dann dem Druck gebeugt, indem sie keine internationalen Haftbefehle ausstellte.  Der Leser soll das denken, was ich auch im ersten Moment gedacht habe: Hier wurde der USA zuliebe auf Haftbefehle verzichtet und die Unabhängigkeit der Justiz beschädigt. Und dies sei erst jetzt durch die wikileaks-Depeschen bekannt geworden. Aber das ist NICHT WAHR.

So berichtete damals ZEIT-Online (hier), dass die USA diplomatischen Druck machte, aber trotzdem internationale Haftbefehle ausgestellt wurden. Wikipedia weiß es auch besser (hier). Und auch der Spiegel selbst berichtete damals schon ganz anders (hier): Das Bundesjustizministerium stellte die internationalen Haftbefehle aus. Man beugte sich NICHT dem Druck aus den USA und habe sogar - ein bisschen - die Freundschaft riskiert. Erst später, als es um die Frage eines Auslieferungsantrags ging, setzten sich die "Atlantiker" der Union (v.a. Schäuble) gegen die Bundesjustizministerin Zypries durch. Aber der Auslieferungsantrag hätte ohnehin nichts mehr bewirken können, denn dass die USA ihre CIA-Leute nicht ausliefert, stand von vornherein fest. Dies ist alles seit 2007 bekannt: Der US-amerikanische "Druck", um die CIA-Verbrecher zu schützen, und die damaligen Reaktionen der Bundesregierung bzw. des Justizministeriums. Auch der Versuch El Masris, die Bundesregierung gerichtlich zum Stellen des Auslieferungsersuchens zu zwingen, ist im Spiegel bereits 2008 Thema gewesen (hier).
Den wirklich skandalösen Fall El-Masri kann und soll man durchaus noch einmal zum Thema machen, aber als Leser erwartet man auch, dass dies mit Sorgfalt geschieht.

Fazit: Die Spiegel-Journalisten, in dem Bestreben, einen bisher unbekannten "Skandal" aufzudecken, schreiben nur haarscharf an einer glatten Lüge vorbei, indem sie entscheidende Informationen verschweigen. Andere Zeitungen drucken das nach (hier). Eine Peinlichkeit.

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3 Kommentare

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"Eine Peinlichkeit."

Ja, es ist in der Tat eine Peinlichkeit, dass ein Deutscher Staatsbürger von den USA entführt und gefoltert wird und sich bis heute kein einziger der Verantwortlichen vor Gericht verantworten musste.

Es ist eine Farce.

Riecht nach die kleinen fängt man und die großen…

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Das, was die FR schreibt, scheint mir eine recht adäquate Übersetzung der entsprechenden <a href="http://wikileaks.de/cable/2007/02/07BERLIN242.html">Depesche</a> zu sein. Was genau stört Sie denn daran?

Natürlich war der Fall el Masri schon vorher ein Fall, und natürlich war zu vermuten, dass es hinter den Kulissen gehörigen Druck gab, der schlussendlich in der Nichtweiterleitung der Auslieferungsanträge mündete. Jedoch liegt dieser Druck nun quasi erster Hand vor. Man muss nicht mutmaßen, sondern kann selber nachlesen,  dass die USA unter Hinweis auf "the repercussions to U.S.-Italian bilateral relations in the wake of a similar move by Italian authorities" natürlich nicht " to threaten Germany, but rather to urge that the German Government weigh carefully at every step of the way the implications for relations with the U.S." wollten.

Wenn daraufhin der Gesprächspartner einwendet, der Fall sei schwierig und auch Bundestag und Medien machten Druck, man wolle aber so konstruktiv wie möglich damit umgehen, dann rettet ihn auch der generelle Hinweis auf  "our political differences about how the global war on terrorism should be waged, for example on the appropriateness of the Guantanamo facility and the alleged use of renditions" nicht mehr.

Und wenn dann die Geschichte zeigte, dass die Auslieferungsanträge nicht gestellt wurden, dann ist mir das sehr wohl <a href="http://fak-ju.blogspot.com/2010/12/wikileaks-und-der-fall-khaled-el-masr...">eine Nachricht</a> <a href"http://fak-ju.blogspot.com/2010/12/wikileaks-und-die-medien-ii.html">wert</a>. Mag ja sein, dass diese Anträge offensichtlich erfolglos wären. Wenn wir aber in China und anderen Ländern glaubwürdig gegen Menschenrechtsverletzungen protestieren wollen, dann sollten wir uns nach Kräften um die eigenen Staatsbürger bemühen, auch wenn sie von einem engen politischen Freund in ihren Rechten vergewaltigt wurden. Da reicht ein dünner Hinweis auf die Angemessenheit von Sonderlagern und gezielten Entführungen nicht aus.

Leider finde ich keinen Beleg für den zweiten Teil des Spiegel-Artikels.

Was mich aber interessiert: Wie lange bleiben denn die internationalen Haftbefehle bestehen? Besteht eine realistische Chance, die mutmaßlichen Täter irgendwann außerhalb der USA zu fassen?

 

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Sehr geehrter Pascal,

da ich selbst den Fall El-Masri empörend finde, habe ich überhaupt kein Problem damit, dass der Spiegel ihn jetzt nochmal auf die Tagesordnung bringt. Auch ist es völlig legitim die Details des damaligen diplomatischen Drucks auf Deutschland darzustellen: Hier schützen die USA ihre CIA-Leute, die im Auftrag der US-Regierung entführt und gefoltert haben - natürlich wissen wir längst, dass die USA dies tun, aber hier können wir nachlesen, auf welche Art und Weise dies geschieht. Ich finde es zudem richtig, dass Dokumente veröffentlicht werden, wenn sie den Mächtigen der Welt oder unseres Landes Lügen oder rechtswidrige Handlungen nachweisen.

In meinem Beitrag ging es um die Glaubwürdigkeit der Journalisten, die von wikileaks zwischengeschaltet wurden, gerade um eine objektive Auswahl und Darstellung zu erreichen. Und dies ist in diesem Fall misslungen.

Ich habe folgende Probleme mit dem Spiegel-Artikel:

1. Die Überschrift deutet etwas an, was im Artikkel dann ausgelassen wird. Nirgendwo im Artikel steht drin, inwieweit sich Deutschland, also Regierungsmitglieder oder Justizangehörige tatsächlich dem Druck "beugten".

2. Im Artikel wird richtig aus einer Depesche wiedergegeben, dass es den USA um die internationalen Haftbefehle ging. Diese wurden erlassen, d.h. Deutschland hat sich insofern nicht dem Druck gebeugt. Dass die Diplomaten es den US-Diplomaten nicht ins Gesicht schreien, sondern irgendwie "nett verpacken" - nun, das ist Diplomatie. Nicht einmal wikileaks kann doch aufdecken, mit welchen Hintergedanken der Diplomat das seinem US-Gegenüber sagte. Wir wissen zudem gar nicht, ob der deutsche Diplomat dies überhaupt so formuliert hat - es ist Hörensagen! Ihre Schlussfolgerung, diesen Diplomaten könne  "nichts mehr retten" halte ich daher für völlig irrelevant.

3. Es wird in dem Artikel so getan, als könne man den Depeschen etwas bisher Unbekanntes entnehmen. Das ist nicht der Fall. Alle Informationen waren bereits 2007 bekannt und wurden so (und objektiver) schon damals im Spiegel berichtet.

4. Es wird aus einer Depesche zitiert, die bislang nicht veröffentlicht wurde, d.h. der Leser kann nicht nachprüfen, ob überhaupt stimmt, was die beiden Journalisten berichten. Dies widerspricht dem wikileaks-Prinzip eklatant!

Schade finde ich, dass solcher Journalismus seine eigene Glaubwürdigkeit untergräbt. Hätte ich mich nicht früher schon mit dem Fall befasst, wäre es mir nicht aufgefallen. Nun muss ich leider annehmen, dass der Spiegel bei vielen anderen Ereignissen aus den Depeschen ähnlich schlecht recherchiert und zusammenfasst, auch in Fällen, in denen ich mich überhaupt nicht auskenne.

Zu Ihrer Frage: Solange die mutmaßlichen CIA-Verbrecher in den USA bleiben, besteht keine realistische Chance, sie zu verfolgen bzw. zu bestrafen. Wenn sie allerdings nach Europa reisen, könnte es eng werden. Allerdings kann ein Geheimdienst seine Leute ja auch mit einer Legende ausstatten...

 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

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