EuGH: Entschädigung für überlange Arbeitszeiten

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 26.11.2010

Ein verbeamteter Feuerwehrmann, namens Fuß, aus Halle hat vor dem EuGH in Luxemburg im Kampf gegen überlange Arbeitszeiten einen bemerkenswert Sieg errungen (EuGH 25.11.2010 - Rechtssache C-429/09). Bis zum  Januar 2007 wurde Herr Fuß im Einsatzdienst „abwehrender Brandschutz“ der Feuerwehr der Stadt Halle als Fahrzeugführer verwendet. Seine wöchentliche Dienstzeit betrug durchschnittlich 54 Stunden; sie umfasste im 24-Stunden-Dienst abzuleistende Schichten. Jede dieser Schichten, während deren der Beamte auf der Feuerwache anwesend sein muss, setzt sich aus aktivem Dienst und Bereitschaftsdienst zusammen, der fallweise durch Einsatztätigkeit unterbrochen wird. Die Arbeitszeitrichtlinie der EU hingegen schreibt vor, dass die Arbeitszeit in einem Zeitraum von sieben Tagen einschließlich Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft und Überstunden im Schnitt nicht über 48 Stunden liegen darf.  Wegen dieses Verstoßes steht Herrn Fuß eine Entschädigung zu.  Auch wenn der Dienstherr eine längere Arbeitszeit festsetze, könne sich der Kläger auf EU-Recht berufen, „um die Haftung der Behörden auszulösen und Ersatz des Schadens zu erlangen, der ihm durch den Verstoß gegen diese Bestimmung entstanden ist“, heißt es in dem Urteil. Die Form der Entschädigung sei Sache des Mitgliedstaats und müsse „dem erlittenen Schaden angemessen sein“. Sowohl Freizeitausgleich als auch finanzielle Zahlungen seien möglich. Das Urteil ist nicht nur für Beamte von großer Bedeutung, sondern auch für alle Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes.

Wörtlich lautet die Antwort des EuGH auf die erste ihm zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage:

Ein Arbeitnehmer, der, wie im Ausgangsverfahren Herr Fuß, als Feuerwehrmann in einem zum öffentlichen Sektor gehörenden Einsatzdienst beschäftigt ist und als solcher eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit abgeleistet hat, die die in Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vorgesehene wöchentliche Höchstarbeitszeit überschreitet, kann sich auf das Unionsrecht berufen, um die Haftung der Behörden des betreffenden Mitgliedstaats auszulösen und Ersatz des Schadens zu erlangen, der ihm durch den Verstoß gegen diese Bestimmung entstanden ist.

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11 Kommentare

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Und was heißt das jetzt? Ich nehme an, ein deutscher Beamter, der 54 Stunden arbeitet, ist auch nicht nur für 40 oder 48 Stunden, sondern für 54 Stunden bezahlt worden. Wenn er also nur 48 Stunden gearbeitet hätte, hätte er erst einmal weniger verdient, so dass er durch seinen unzulässigen Einsatz erst einmal einen finanziellen Vorteil hatte. Da stellt sich doch die Frage, wie man eine Schaden feststellt und berechnet.

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*andenkopfgreif*

Für das Abstellen von eigenem rechtswidrigen Verhalten (6 Arbeitsstunden zu viel pro Woche zu verlangen) Schadensersatz zu verlangen, ist wirklich "kreativ".

Schlagen Sie doch gleich vor, dass ein Arbeitgeber, der den gesetzlichen oder tariflichen Mindestlohn unterschreitet, die illegal gesparte Differenz nur ausgleichen muss, wenn die bereits ausgebeuteten Arbeitnehmer die Differenz durch kostenlose Mehrarbeit ausgleichen müssen... geht's noch?

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ah - sorry, Missverständnis

steht doch oben: "Sowohl Freizeitausgleich als auch finanzielle Zahlungen seien möglich.", siehe auch die Entscheidung selbst

Rdnr 23 "Mit Schreiben vom 13. Dezember 2006 beantragte Herr Fuß unter Berufung auf den Beschluss des Gerichtshofs vom 14. Juli 2005, Personalrat der Feuerwehr Hamburg (C‑52/04, Slg. 2005, I‑7111), dass seine wöchentliche Arbeitszeit künftig nicht die in Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 vorgesehene Höchstgrenze von durchschnittlich 48 Stunden überschreitet. In diesem Schreiben machte er außerdem Ausgleichsansprüche für die von ihm in der Zeit von 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2006 geleistete rechtswidrige Mehrarbeit geltend; der Ausgleich könne entweder in Form von Freizeitausgleich oder als Mehrarbeitsvergütung gewährt werden."

Also Freizeitausgleich oder Überstundenzuschlag ...

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Das Wesentliche an dem Urteil ist  ja, dass hier die EU-Richtlinie als unmittelbar geltendes Recht festgelegt wurde - in Kraft getreten 2. August 2004, in nationales Recht in diesem Fall aber erst umgesetzt am 1. Januar 2008 durch die Gültigkeit einer neuen ArbZVO-FW. Muss nun der Feuerwehrmann erst gegen seinen Dienstherrn oder die BRD klagen, weil die Richtlinie für seinen Berufszweig nicht fristgerecht umgesetzt wurde und kann danach erst seinen Anspruch geltend machen? 

Nein, sagt der EuGH.  Aus der Richtlinie ergibt sich direkt ein Anspruch auf Schadenersatz.

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@ Mein Name

Schon klar, aber im Fall des Freizeitausgleichs stellt sich doch die Frage, ob der Feuerwehrmann eine für die unzulässige Überarbeit erhaltene Vergütung im Wege einer Vorteilsausgleichung irgendwie zurückerstatten/sich anrechnen lassen muss, da die unzulässige Arbeitszeit sonst doppelt bezahlt würde (eimal laufende Bezahlung für unzulässige Arbeitszeit 49.- 56. Stunde=8 Stundenlöhne und einmal Entgeltzahlung für 8 Stunden Freizeitausgleich/Nichtarbeit, also 8 h unzulässige Arbeit und dafür 16 h Bezahlung).

Man kann das natürlich mit dem Argument "Strafe muss sein" abtun, aber dann käme man zu einer Art Strafschadensersatz, der in unserem Recht grundsätzlich nicht vorgesehen ist und der EuGH weist ja darauf hin, dass der Schadensausgleich nach dem Schadensersatzrecht des jeweiligen Staates zu behandeln ist.

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nochmals: nachlesen! Die "Überstunden" sind keine, sondern wurden von der ArbZVO-FW als "regelmäßige" Arbeitszeit vorgeschrieben! Eine "Überzahlung" gibt es also nicht. Rdnr. 16.

 Nationales Recht

16      § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten im feuerwehrtechnischen Dienst der Städte und Gemeinden des Landes Sachsen-Anhalt vom 7. Oktober 1998 (im Folgenden: ArbZVO-FW 1998), der bis zum 31. Dezember 2007 galt, sah vor:

„Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt für im Schichtdienst eingesetzte Beamtinnen und Beamte, deren wöchentliche Arbeitszeit überwiegend in Bereitschaft abgeleistet wird, im Durchschnitt 54 Stunden. …“

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Na, ja. Wenn es zur regelmäßigen Arbeitszeit gehört, bedeutet das erst einmal nur, dass es keinen Überstundenzuschlag gibt, nicht jedoch, dass für die unzulässigen Stunden keine Grundvergütung gewährt wurde. Wie eingangs gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass die hohe Regelarbeitszeit der ArbZVO-FW keine Auswirkung auf die Vergütung hat. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass - entgegen dem von den Presseberichten geweckten Eindruck, auf den ich wahrscheinlich reingefallen bin  - Freizeitausgleich dann allenfalls in Höhe der Wertes der nichtgezahlten Zuschläge, nicht jedoch in Höhe des gesamten unzulässig abgeforderten Arbeitsvolumens gewährt werden kann.

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ArbZG §7 (2a) In einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann abweichend von den §§ 35 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 zugelassen werden, die werktägliche Arbeitszeit auch ohne Ausgleich über acht Stunden zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird.

§7 (7) Auf Grund einer Regelung nach Absatz 2a oder den Absätzen 3 bis 5 jeweils in Verbindung mit Absatz 2a darf die Arbeitszeit nur verlängert werden, wenn der Arbeitnehmer schriftlich eingewilligt hat. Der Arbeitnehmer kann die Einwilligung mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich widerrufen. Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, weil dieser die Einwilligung zur Verlängerung der Arbeitszeit nicht erklärt oder die Einwilligung widerrufen hat.

-> Tarifvertrag oder BV? (vermutlich ja)

-> schriftlich eingewilligt? (vermutlich ja)

-> Kündigungsfrist 6 Monate

im o.g. Fall lag keine schriftliche Einwilligung des Arbeitnehmers vor für den Zeitraum, in dem die EU-Richtlinie eine solche vorgeschrieben hatte! 


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Zur Berechnung des Schadens gibt es eine ausführliche Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte ausgehnde vom OVG Saarland. Danach wird der Schaden in Form von Freizeit ausgeglichen. Dieser Freizeitausgleich wird stark pauschaliert. Das Argument, die Feuerwehrbeamten hätten keinen Schaden, weil sie ja schließlich auch für 54 Stunden bezahlt worden seien, greift nicht, weil Beamtenbesoldung kein Äquivalent für Arbeistzeit ist. Die Beamten erhalten nach dem Alimentationsprinzip ihre Besoldung unabhängig von der Arbeitszeit. Das Urteil ist eigentlich nur insoweit interessant als es feststellt die Richtlinie der EU zur Höchstarbeitszeit bildet für sich eine Anspruchsgrundlage wenn gegen sie verstoßen wird. eine Antrag auf Einhaltung der Arbeitszeitrichtlinie muss der Betroffen nicht gestellt haben und für die Frage der Entschädigung gilt das nationale Recht - einschließlich also der Verjährungsvorschriften.      

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Das Kernproblem ist, dass den Beamten eben kein "Vorteil" gleich welcher Art auch immer aus der 54h-Woche entstanden ist. Vielmehr war diese Arbeitszeit als "gewachsene Struktur" seit Jahrzehnten bei den Feuerwehren üblich. Erst durch die Rechtsprechung des EuGH kam dann die Obergrenze von 48h ins Spiel.

Nachdem die Länder diese Rechtsprechung aber nicht in geltendes Recht in Form von Arbeitszeitverordnungen überführt wurden, wurde durch eine 54h-Woche lt. AZVO die EU-Rechtsprechung bzw. die gültigen Richtlinien objektiv nicht umgesetzt. Aus diesem Umstand ergibt sich eine wöchentliche Mehrarbeit in Höhe von 6h/Woche, für die dem Beamten nur das ihm nach dem Alimentationsprinzip zustehende Grundgehalt sowie die einschlägigen Zuschläge für den Einsatzdienst der Feuerwehr gezahlt wurden.

Aktuell ist problematisch, dass in NRW in der neuen AZVO-Feu eine Wochenarbeitszeit von 48h festgelegt wurde. Dies wurde durch eine OPT-Out-Klausel ergänzt, die mit Zustimmung des einzelnen Beamten diese Höchstgrenze auf 54h festzulegen erlaubt.

Politisch ergab sich das Problem, dass nunmehr die einzelnen Feuerwehrbeamten durch Zustimmung oder Ablehnung ihre Dienstherren in erheblichen Zugzwang hinsichtlich der Personalplanung der Feuerwehren bringen konnten. In diesem Zusammenhang entstand vielerorts eine Drohkulisse, bei denen die kommunalen Arbeitgeben offen damit gedroht haben, eine 48h-Woche nur in Form von sozial unverträglicheren Dienstplänen umzusetzen.

Landesrechtlich ist vorgesehen, für die OptOut-Erklärung und damit die 54h-Woche eine Zulage von 20€ pro geleisteter Dienstschicht von 24h Länge zu zahlen. Das bedeutet bei 9-10 Schichten im Monat einen Bruttozuschlag von 180-200€ für 24h Arbeit.

Aufgrund des o.g. Urteils ist nun auch fraglich, inwiefern dieser Ausgleich objektiv ausreichend für die geforderte Mehrarbeit ist. Desweiteren ist unklar, wie der Zeitraum zu bewerten ist, in dem die FWmänner 54h pro Woche gearbeitet haben, obwohl die EU-Richtlinie 48h vorgab und nach AZVO der Länder KEINE Zulage gezahlt wurde.

Zusätzlich prekär: Den Kommunen fehlen sowohl finanziell als auch dinglich die Mittel, um zusätzliches Personal für die Umsetzung einer 48h-Woche einzustellen bzw. auszubilden, bis die derzeitigen AZVOen auslaufen.

Diese wurden erst zum 30.12.2010 verlängert.

Man wird sehen...

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