Private Videoaufzeichnung darf in einem Gewaltschutzverfahren verwertet werden

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 24.11.2010

Die Antragsteller sind die Eltern des M. B., der während bestimmter Zeiten seiner Drogenabhängigkeit Kontakte zum Antragsgegner pflegte. Die Antragsteller und auch deren Sohn, der jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung bei den Antragstellern wohnte, untersagten dem Antragsgegner jegliche Kontaktaufnahme.

Ferner haben die Antragsteller glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner sie jedenfalls ab März 2010 als dem Zeitpunkt, den das Familiengericht seinen tragenden Feststellungen zu Grunde gelegt hat, belästigt hat, indem er die Scheibenwischer am Fahrzeug der Antragsteller respektive der Antragstellerin zu 2. hochgeklappt hat. In Übereinstimmung mit dem Familiengericht hat der Senat keine Zweifel, dass es sich bei der auf den Video- und Bildaufzeichnungen erkennbaren Person um den Antragsgegner handelt. Unzweifelhaft ist der Antragsgegner auf den von den Antragstellern zu den Akten gereichten, auf einem digitalen Medium (USB-Stick) gespeicherten Bildern und Videoaufzeichnungen, so insbesondere auf den Aufzeichnungen vom 14. März 2010, zu erkennen, wie er sich an den Scheibenwischern eines Fahrzeugs zu schaffen macht. Dass es sich hierbei um das vor dem Hausanwesen der Antragsteller abgestellte Fahrzeug der Antragstellerin zu 2. handelt, wird von dem Antragsgegner nicht bestritten.

Der Antragsgegner vermag sich insoweit nicht mit Erfolg auf ein Beweisverwertungsverbot betreffend die von den Antragstellern gefertigten Bildnisse, auch nicht in Form von Videoaufzeichnungen, zu stützen. Grundsätzlich kann niemand allgemein Schutz davor verlangen, außerhalb seines befriedeten Besitztums, insbesondere auf öffentlichen Wegen, durch andere beobachtet zu werden. Andererseits muss der einzelne auch in diesem Bereich keineswegs generell dulden, dass jedermann von ihm Bildnisse, insbesondere Filmaufnahmen mittels einer Videokamera, fertigt. Die spezialgesetzliche, der Gewährleistung des Rechts am eigenen Bild dienende Regelung des § 22 KUG gewährt keinen Schutz gegen die Herstellung von Abbildungen, sondern nur gegen ihre unzulässige Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung. Indes kann die Herstellung eines Bildnisses ohne Einwilligung des Abgebildeten einen unzulässigen Eingriff in dessen nach § 823 Abs. 1 BGB geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht bedeuten. Dabei wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht nur im Fall einer "Bildniserschleichung" verletzt, indem etwa Abbildungen einer Person in deren privatem Bereich gefertigt werden in der Absicht, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vielmehr kann auch die Herstellung von Bildnissen einer Person, insbesondere die Filmaufzeichnung mittels Videogerät, in der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen und ohne Verbreitungsabsicht einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellen. Ob und in welchem Umfang bereits die Fertigung derartiger Bilder rechtswidrig und unzulässig ist oder aber vom Betroffenen hinzunehmen ist, kann nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer unter Berücksichtigung aller rechtlich, insbesondere auch verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten durchgeführten Güter- und Interessenabwägung ermittelt werden.

Nach Maßgabe dessen ist, entgegen der Auffassung der Beschwerde, das Familiengericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die von den Antragstellern nach ihren Möglichkeiten durchgeführte Überwachung des Bereichs der Straße vor ihrem Hausanwesen, auf dem das Fahrzeug der Antragstellerin zu 2. in der Regel abgestellt wird, mittels Videoaufzeichnungen nicht zu einer den Antragsgegner in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzenden Herstellung von Bildaufnahmen führt. Die Rechte des Antragsgegners treten insoweit in Konflikt mit dem berechtigten Interesse der Antragsteller an einem Schutz vor weiteren Belästigungen in Form des Nachstellens, in dem hier relevanten Zeitraum auch durch wiederholtes Hochklappen der Scheibenwischer am Fahrzeug der Antragstellerin zu 2., sowie ihrem anerkennenswerten Bestreben, den Verantwortlichen für diese Belästigungen ausfindig zu machen. Diese Belange sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Antragsteller gegeneinander abzuwägen. Der Senat tritt hierbei der Wertung des Familiengerichts bei, dass das Recht des Antragsgegners hinter den Rechten der Antragsteller, die seit geraumer Zeit durch Nachstellungen in ihren grundrechtlich geschützten Rechtspositionen, namentlich ihrem Persönlichkeitsrecht, beeinträchtigt werden und denen ein erhebliches berechtigtes Interesse an einer Beweissicherung, Klärung der Täterschaft und Überführung des Täters nicht abgesprochen werden kann, unter den obwaltenden Umständen zurückzutreten hat. In diesem Zusammenhang vermag der Senat dem Einwand des Antragsgegners, die Antragsteller zielten mit der Überwachung auf eine Identifizierung der von dem Antragsgegner bemühten – indes zu keinem Zeitpunkt benannten - Kontaktperson in der <Straße>, die er aufsuche, ab, nicht zu folgen. Auf eine solche Intention lassen weder, worauf der Antragsgegner insbesondere abhebt, der aus den Aufnahmen erkennbare Ausschnitt des Straßenabschnitts noch sonstige Umstände schließen.

Saarländisches OLG v. 27.10.2010 - 9 UF 73/10

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4 Kommentare

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Wie üblich:

 

Der Zweck heiligt mal wieder dir Mittel.

 

"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten"

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Gerhard Raden schrieb:
Der Zweck heiligt mal wieder die Mittel. 
was ist daran auszusetzen? Das ist das Prinzip einer jeden vollziehenden Gewalt und des Selbstschutzes. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass jeder Zweck jedes Mittel heiligt und welcher Zweck welches Mittel heiligt muss im Einzelfall entschieden werden - so wie es hier geschehen ist. Soll ein Stalker mit den o.g. Argumenten seine Strafverfolgung verhindern können?

Beim Zweck-Mittel-Verhältnis gibt's wirklich größere Baustellen im Rechtsstaat als diese Fall, z.B. http://www.stern.de/panorama/angst-vor-einem-anschlag-vorsorglicher-terrorverdacht-1513064.html - das erinnert doch fatal an die "Schutzhaft" im Dritten Reich ... und wenn Richter (!!!) jemanden wegsperren lassen, weil er über einen gemeinsamen Bekannten einen Dritten kennt, der zu Gewalttaten aufruft, fragt man sich, was der Richtervorbehalt wert sein soll (wenn die Drohung "und wenn doch was passiert, sind Sie schuld" so einfach verfängt).

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@Mein Name #2

Weil sich mit diesem "höheren" Zweck alle möglichen Grundsätze aushebeln lassen.

Z.B. in dem Fall des entführten Jungen, bei dem der Entführer durch "leichte Folter" dazu gebracht werden sollte, das Versteck zu verraten, um das Leben des Jungen zu retten.

 

Ich habe höchsten Respekt vor dem Beamten, der diesen verzweifelten Versuch unternahm um den Jungen zu retten und ich hoffe und wünsche ihm alles Gute.

Er hat das "Verbrechen" der Folter in bester Absicht und in vollem Bewustsein der Strafbarkeit begangen und ist das Risiko der Bestrafung als persönliches Opfer eingegangen.

Das verdient meinen höchsten Respekt.

Dennoch ist und bleibt es eine Straftat, die geahndet werden muss.

Auch wenn ich mich für ihn freue, wenn das in dem Fall mit dem niedrigst möglichen Strfamaß bedacht wird.

 

Wenn solche Grundprinzipien aufgegeben werden und auf dem Altar des "höheren" Interesses geopfert werden, kommen wir ganz schnell zu amerikanischen Verhältnissen oder diktatorischen Verhältnissen, wo individuelle Grundrechte zugunsten der "Nationalen Sicherheit" oder ähnlcihem geopfert werden.

 

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@ Gerhard Raden  #3:

Nicht alle Rechte sind gleichrangig oder absolut - also müssen Rechte gegeneinander abgewogen werden, das ist ja gerade Aufgabe der Gerichte.

Folter verletzt direkt ein durch die Verfassung garantiertes Grundrecht (und ein universelles Menschenrecht dazu) und ist darum ein Mittel, das keinen Zweck heiligen kann (darum auch die Verurteilung von Daschner), eine Videoaufzeichnung dagegen verletzt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nur mittelbar und nicht in einem absolut schützenswerten Umfang. Und dann muss abgewogen werden, wer derzeit die größere Beeinträchtigung seiner Grundrechte zu erleiden hat und der geringere Eingriff ist dann statthaft. Darum einfach nochmal oben nachlesen:

"Ob und in welchem Umfang bereits die Fertigung derartiger Bilder rechtswidrig und unzulässig ist oder aber vom Betroffenen hinzunehmen ist, kann nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer unter Berücksichtigung aller rechtlich, insbesondere auch verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten durchgeführten Güter- und Interessenabwägung ermittelt werden. ...  Die Rechte des Antragsgegners treten insoweit in Konflikt mit dem berechtigten Interesse der Antragsteller an einem Schutz vor weiteren Belästigungen in Form des Nachstellens ..., sowie ihrem anerkennenswerten Bestreben, den Verantwortlichen für diese Belästigungen ausfindig zu machen. Diese Belange sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Antragsteller gegeneinander abzuwägen. Der Senat tritt hierbei der Wertung des Familiengerichts bei, dass das Recht des Antragsgegners hinter den Rechten der Antragsteller, die seit geraumer Zeit durch Nachstellungen in ihren grundrechtlich geschützten Rechtspositionen, namentlich ihrem Persönlichkeitsrecht, beeinträchtigt werden und denen ein erhebliches berechtigtes Interesse an einer Beweissicherung, Klärung der Täterschaft und Überführung des Täters nicht abgesprochen werden kann, unter den obwaltenden Umständen zurückzutreten hat."

Kurz: der Stalker verletzt durch Stalking das grundgesetzlich geschütze Recht des Verfolgten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit stärker als der Verfolgte, der zum Abstellen der Verfolgung und Beweissicherung ebenfalls in das grundgesetzlich geschütze Recht des Verfolgers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingreift. Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass der Eingriff in das Recht des Stalkers eine Folge der Rechtsverletzung des Stalkers ist.

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