Weigerung des Angeklagten, seinen Anwalt von der Schweigepflicht zu entbinden = Teilschweigen?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.11.2010

Das Teilgeständnis kennt man: Der Angeklagte lässt sich geständig ein, mauert aber bei einzelnen Fragen/Tatkomplexen. Das kann dann auch zu seinen Ungunsten wirken. Bei der Wahrnehmung prozessualer Rechte eines ansonsten sich einlassenden Angeklagten ist dies allerdings anders, vgl. BGH, Beschluss vom 5.10.2010 - 3 StR 370/10:


"...Die Beweiswürdigung weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Die Strafkammer hat aus der Weigerung des Angeklagten, seinen damaligen Verteidiger von der Schweigepflicht zu entbinden, den Schluss gezogen, die Einlassung des Angeklagten, sein damaliger Verteidiger habe die von diesem im Ermittlungsverfahren abgegebene schriftliche Erklärung, es könne sein, dass sein Mandant - der Angeklagte - auch jemanden getreten habe, in seine Äußerungen hineininterpretiert und er habe die schriftliche Stellungnahme seines damaligen Verteidigers nie erhalten und auch nie mit diesem besprochen, sei unwahr. Damit hat die Strafkammer gegen den Grundsatz, dass aus dem prozessualen Verhalten der Verweigerung an der Mit-wirkung an der Sachaufklärung kein belastendes Indiz zum Nachteil des Angeklagten hergeleitet werden darf, und damit gegen ein Beweisverwertungsverbot verstoßen. ...

Schweigt ein Angeklagter nicht umfassend, sondern macht er zu einem bestimmten Sachverhalt eines einheitlichen Geschehens Angaben zur Sache und unterlässt insoweit lediglich die Beantwortung bestimmter Fragen, so kann dieses Schweigen (sog. Teilschweigen) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von indizieller Bedeutung sein (BGHSt 38, 302, 307). Diese Grundsätze über die Verwertbarkeit des Teilschweigens können aber nicht unbeschränkt auf die Bewertung des sonstigen prozessualen Verhaltens eines Angeklagten, der sich zur Sache einlässt, übertragen werden. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2000 (BGHSt 45, 367, 369) dürfen nachteilige Schlüsse aus der Wahrnehmung prozessualer Rechte durch einen Angeklagten jedenfalls dann nicht gezogen werden, wenn dieses Prozessverhalten nicht in einem engen und einem einer isolierten Bewertung unzugänglichen Sachzusammenhang mit dem Inhalt seiner Einlassung steht. ...

Nach diesen Grundsätzen war die Verwertung der Nichtentbindung von der Schweigepflicht hier unzulässig. Die schriftliche Stellungnahme des ehemaligen Verteidigers im Ermittlungsverfahren hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht zu eigen gemacht. Sie ist deshalb nicht als Einlassung des Angeklagten zu werten. Er hat sich auch nicht auf den Inhalt des mit seinem ehemaligen Verteidiger geführten Gesprächs und die von dem ehemaligen Verteidiger abgegebene Erklärung als ein Entlastungsmoment berufen, das geeignet gewesen wäre, eine ihm ungünstige Überzeugungsbildung zu erschüttern. Nur in diesem Fall wäre es ihm aber verwehrt gewesen zu verlangen, dass seine Weigerung, den Verteidiger von der Schweigepflicht zu entbinden, unberücksichtigt bleibt. Insoweit liegt der Fall hier anders als in BGHSt 20, 298.

Da das Beweisthema, hinsichtlich dessen der ehemalige Verteidiger von seiner Schweigepflicht entbunden werden sollte, ein vertrauliches, potentiell tatrelevantes Gespräch zwischen ihnen betraf, verstößt die nachteilige Wertung der Weigerung des Angeklagten, seinen Verteidiger von der Schweigepflicht zu entbinden, auch gegen das durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK und das Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verbürgte Recht des Angeklagten auf Beiziehung eines Verteidigers (BGHSt 45, 367, 370).

Es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer ohne den Beweiswürdigungsfehler zum gleichen Ergebnis gelangt wäre...."

 

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