Richtervorbehalt bei Blutprobe: Keine Dokumentationspflicht, kein Eildiensterfordernis, kein Anrufversuch während der Nacht erforderlich, keine Vorlage an den BGH

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 25.10.2010

Das OLG Zweibrücken hat sich einmal mehr mit dem Dauerbrenner "Richtervorbehalt bei Blutprobenentnahme" befassen müssen. Es hat sich offen in Widerspruch zum OLG Hamm gesetzt, eine Vorlage an den BGH aber nicht für erforderlich gehalten. Aus OLG Zweibrücken: Beschluss vom 23.09.2010 - 1 SsBs 6/10 = BeckRS 2010, 24167:

"....Im Landgerichtsbezirk Frankenthal (Pfalz) ist der richterliche Bereitschaftsdienst derart geregelt, dass ein Richter, sei es der Ermittlungsrichter oder der Bereitschaftsrichter, zwischen 6:00 Uhr morgens und 21:00 Uhr abends er-reichbar sein muss. Es liefe daher auf eine bloße Förmelei hinaus, würde man von den Ermittlungsbehörden in jedem konkreten Einzelfall die Überprüfung verlangen, ob ein Richter - entgegen den grundsätzlichen zeitlichen Vorgaben - ausnahmsweise doch in der Zeit zwischen 21:00 und 6:00 Uhr erreichbar ist. Die Erreichbarkeit des richterlichen Bereitschaftsdienstes ist den Ermittlungsbehörden bekannt und wird – gerichtsbekannt – entsprechend genutzt....

...Die Gründe für die Annahme von Gefahr im Verzug mussten auch nicht gesondert dokumentiert werden. Zwar muss die drohende Gefährdung des Untersuchungserfolgs grundsätzlich mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sein müssen und in den Ermittlungsakten niederzulegen sind. Dies gilt allerdings nicht bei evidenter Dringlichkeit (BVerfG Kammerbeschluss vom 12. Februar 2007,2 BvR 273/06; Kammerbeschluss vom 28. Juli 2008, 2 BvR 784/08). Ein schriftlicher Hinweis auf die im Falle eines Abwartens fünfstündige Abbauzeit in den Akten würde ebenfalls einer bloßen Förmelei gleichkommen....

...Die Gründe dafür, dass aus dem Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO nach Ansicht des Senats – unabhängig von der Anzahl der nächtlich auftretenden Fälle – keine Verpflichtung der Justizverwaltung erwächst, hierfür einen richterlichen Notdienst auch zur Nachtzeit einzurichten, liegen darin, dass der Eingriff nach § 81a StPO zum einen von relativ geringer Natur ist. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber durch die Regelung der - wenn auch nachrangigen - Anordnungskompetenz von Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden zu erkennen gegeben hat, dass er dem Richtervorbehalt nach § 81 a Abs. 2 StPO aus objektiver Sicht eine geringere Bedeutung beigemessen hat. Beides spiegelt sich in der (nur) einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Vorbehalts wieder. Der Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO dürfte insoweit nicht zum rechtsstaatlichen Mindeststandard zählen (BVerfG Kammerbeschluss vom 28. Juli 2008, 2 BvR 784/08). Die fehlende Erreichbarkeit eines Richters bei Anordnung der Blutprobe berührte daher nicht den Rechtskreis des Betroffenen....

...Der Senat erachtet es nicht für geboten, die Sache gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Zwar hält der 3. Strafsenat des OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 22. Dezember 2009 (3 Ss 497/09) an seiner im Urteil vom 18. August 2008 (3 Ss 293/08) dargelegten Rechtsauffassung fest, dass die Anzahl der Ermittlungsmaßnahmen nach § 81a StPO den (verfassungsrechtlichen) Bedarf nach einem richterlichenDienst zur Nachtzeit begründen kann. Erforderlich für eine Vorlage ist allerdings nicht nur eine in der Begründung, sondern eine auch im Ergebnis abweichende Entscheidung (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1999, 5 AR (VS) 2/99, NStZ 2000, 222). In dem Beschluss vom 22. Dezember 2009 nimmt der 3. Strafsenat des OLG Hamm in einem ähnlich gelagerten Fall, wie dem vorliegendem, zwar einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt an, kommt aber ebenfalls zu dem Ergebnis, darin kein Beweisverwertungsverbot zu sehen..."

Zu allem was hiermit zusammenhängt: Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis und Akohol, 5. Aufl. 2010.

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9 Kommentare

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Tenor:

 

Der Richtervorbehalt in § 81a StPO ist nicht so wichtig, es handelt sich ja "nur" um ein einfaches Gesetz, ebenso wie § 31 Abs. 1 BVerfGG. Reine Förmeleien sozusagen.

 

Ich gehe davon aus, daß der Senat den Angeklagten freigesprochen hat. Schließlich hat er nur gegen ein einfaches Gesetz verstoßen... Es ist irgendwie bezeichnet, daß die Stimmen für die Abschaffung des Richtervorbehalts fast ausschließlich aus den Reihen derjenigen kommt, die damit Arbeit haben, nämlich Polizei, Richterschaft und Staatsanwaltschaften. Haben sich diese Personenkreise den alten Spontispruch "Macht kaputt, was uns kaputt macht" auf die Fahnen geschrieben?

 

 

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Vielleicht ist auch bezeichnend, dass nach jahrzehntelanger Gleichgültigkeit der Anwaltschaft (und nach jahrzehntelanger Überzeugung in der Fachliteratur, dass bei Trunkenheitsfahrten aufgrund BAK-Abbaus regelmäßig GiV bejaht wird) erst dann die Richtervorbehaltsdiskussion anfängt, als

- das BVerfG zunächst festgestellt hat, dass für Wohnungsdurchsuchungen jedenfalls bei Großstadtgerichten ein richterlicher Eildienst eingerichtet werden muss.

- dieser Eildienst dann eingerichtet wird

- und daraus dann im Anschluss abgeleitet wird, wo nun der Eildienst schon da ist, muss natürlich auch für BEs (für die, es wiederholt sich: im Gegensatz zu Art. 13 kein Richtervorbehalt im GG steht, deshalb ist Ihr Vergleich mit 31 BVerfGG, werter Holger, auch daneben) kontaktiert werden.

Wenn Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte so verfolgungs- und/bzw.  verurteilungswütig wären, wie sie häufig von interessierten Kreisen und/oder uninformierten Zeitungslesern dargestellt werden, hätten sie sicher kein Problem mit einem generellen, mit ausreichend Personal ausgestatteten Bereitschaftsdienst. Dass die Anwaltschaft den Richtervorbehalt in 81a als nunmehr unabdingbare zivilisatorische Errungenschaft ansieht, nachdem sie durch Karlsruhe erst einmal mit der Nase auf die Frage eines Beweiserhebungs- und eventuellen BVV gestoßen werden musste, hat ja auch ein Gschmäckle.

 

In anderen Ländern mit etwas längerer ununterbrochener demokratischer und rechtsstaatlicher Tradition reicht übrigens die AAK aus. Da ist der BGH sehr skrupulös.

Und den BKat mit den Kleckerlesbeträgen an Bußgeldern findet man in Frankreich und den USA richtig niedlich.

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dort definiert man ja sein nationales Selbstwertgefühl ja auch nicht über die Autoindustrie ... (obwohl sie Grund hätten darauf stolz zu sein, schließlich sind Renault-Motoren in der Formel1 weit erfolgreicher als die von BMW, Porsche oder Mercedes und Ford lässt alle weit hinter sich - selbst Ferrari)

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@Klabauter

 

Natürlich... das BVerfG hat die Anwaltschaft auf den Richtervorbehalt gestoßen...  Wenn sie sich das Rubrum der einschlägigen Entscheidungen einmal ansehen, werden sie erkennen, daß Anwälte diese Fragen dem BVerfG - erfolgreich - zur Entscheidung vorgelegt und die Fachgerichte hieran gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden sind. Das BVerfG wird nämlich - wie überhaupt die wenigstens Richter - nicht ohne Antrag tätig und entscheidet nicht einfach mal spontan nach Lust und Laune über Sachverhalte und Rechtsfragen.

 

Und wenn Sie auch nur den Hauch einer Ahnung von Verfassungsprozeßrecht hätten (was Fachrichter offenbar nicht haben, denn die meisten Richtervorlagen nach Art. 100 GG werden wegen Nichtbeachtung der Formalien [!] als unzulässig zurückgewiesen), wäre Ihnen bekannt, daß eine Verfassungsbeschwerde nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn sich der Beschwerdeführer bzw. dessen Anwalt eingehend mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und der Fachgerichte sowie dem Meinungsstand in der Literatur auseinandersetzt, anderenfalls die Beschwerde bereits unzulässig ist.

 

Man mag ja über die Sinnhaftigkeit des Richtervorbehalts in § 81a StPO rechtspolitisch streiten können. Aber solange er im Gesetz steht und das BVerfG dazu eine Meinung vorgibt, hat sich der kleine Amtsrichter daran zu halten, statt sein eigenes rechtspolitisches Süppchen zu kochen. Es wäre schön, wenn die von den Bürgern geforderte Gesetzestreue von Richter vorgelebt würde.

 

Im übrigen: ich habe kein Problem mit einem entsprechend ausgestatteten richterlichen Bereitschaftsdienst. Im Gegenteil: ich frage mich, weshalb sich die meisten Amtsgerichten seit fast einem Jahrzehnt derart anstellen. Dienstwagen, Diensthandy, Dienstlaptop, kann doch alles gestellt werden. Was in jedem anderen Bereich selbstverständlich ist, artet bei Richtern immer in einem furchtbaren Drama aus und wird als Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit und das richterliche Selbstverständnis begriffen.  Selbst wenn dieser Eindruck trügt, sollte es Richtern zu denken geben, daß dieser Eindruck entsteht.

 

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Gerd schrieb:

 

Man mag ja über die Sinnhaftigkeit des Richtervorbehalts in § 81a StPO rechtspolitisch streiten können. Aber solange er im Gesetz steht und das BVerfG dazu eine Meinung vorgibt, hat sich der kleine Amtsrichter daran zu halten, statt sein eigenes rechtspolitisches Süppchen zu kochen. Es wäre schön, wenn die von den Bürgern geforderte Gesetzestreue von Richter vorgelebt würde.

Wo hat denn irgendein "kleiner Amtsrichter" § 81a StPO nicht beachtet? Ich sehe da den Zusammenhang nicht. Es geht doch um richterlichen Eildienst zur Nachtzeit. Wenn kein entsprechender Geschäftsverteilungsplan existiert, hat auch niemand nachts Dienst und kann auch nicht gegen eine Vorschrift verstoßen.

 

Gerd schrieb:

Was in jedem anderen Bereich selbstverständlich ist, artet bei Richtern immer in einem furchtbaren Drama aus und wird als Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit und das richterliche Selbstverständnis begriffen.  Selbst wenn dieser Eindruck trügt, sollte es Richtern zu denken geben, daß dieser Eindruck entsteht.

Das Problem ist doch, dass mit der gleichen Anzahl von Richtern der Bereitschaftsdienst immer weiter ausgeweitet wird. So steigt die Arbeitsbelastung für jeden einzelnen Richter.

 

Die "kleinen Amtsrichter" würden sich aber bestimmt über Unterstützung im Eildienst durch die Land- und Oberlandesgerichte freuen.

 

Oder würde da jemandem ein Zacken aus der Krone brechen?

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wozu Dienstwagen, wenn man den zu Begutachtenden sich - in welchem Zustand auch immer - auf den zentralen Platz einer Großstadt herkutschieren lassen kann, um ihn öffentlich zu begutachten? http://www.mittelbayerische.de/index.cfm?pid=10071&pk=592165&p=1

Es kann von einem Richter schließlich nicht verlangt werden, seine eigene nächtliche (Sauf?)Tour - trotz Bereitschaftsdienstes - für die 5 Minuten zu unterbrechen, die es dauert, um in die nächstgelegene Polizeiinspektion zu gehen.

Ich schlage für München den Odeonsplatz vor, für Frankfurt die Alte Oper, für Berlin den Alex -- so viel öffentliche Kontrolle muss schon sein, wenn diese Canaillen so sehr auf ihren Richtervorbehalt pochen. Der Schutz der Privatsphäre ist da ein zu vernachlässigendes Rechtsgut ... Liberalitas Justitia Bavariae sei Dank!

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@Kleiner Amtsrichter

 

Natürlich kostet ein Bereitschaftsdienst zusätzliche Ressourcen. Streng genommen greift es auch in die richterliche Unabhängigkeit ein, wenn man einem Richter vorgibt, wann und wie er seinen Dienst zu versehen hat, ggf. noch fordert, er habe sich, sofern möglich, selbst auf die Polizeiwache zu begeben. Diese Defizite und Streitfragen können doch aber nicht immer auf dem Rücken des Rechtsstaats und seiner Bürger ausgetragen werden.  Fast in allen Berufen gibt es Not-, Schicht-, Bereitschaftsdienste. Da dürfen sich Richter im 21. Jahrhundert nicht mit einer königlich-hoheitlichen Berufsauffassung aus dem 19.  Jahrhundert ausklammern.

 

Die Idee, Richter aller Instanzen (vielleicht sogar Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsrichter? - lieber nicht...) in den Dienst mit einzubeziehen, hat durchaus etwas für sich, dürfte aber aber Zuständigkeitsfragen scheitern. Ohne Gesetzesänderung dürfte das kaum möglich sein.

 

Ein Bereitsschaftsrichter muß in Strafsachen erfahren und fit in der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG und "seines" OLG sein. Es nützt überhaupt nichts, Richter einzubeziehen, die seit Jahrzehnten nur Miet- oder Familienrecht machen und das letzte mal als Proberichter ansatzweise mit Strafrecht in Berührung gekommen sind. Die wissen nun wirklich meist nicht, was sie tun und so sehen die Beschlüsse auch aus ("wird angeordnet, weil Tatverdacht besteht. Angewendete Vorschriften: ?? RiAG Schulze"). Selbstverständlich muß ein Ausgleich für diese Zusatzbelastung geschaffen werden. Es kann aber doch nicht sein, daß wir seit nunmehr fast einem Jahrzehnt über die Frage diskutieren, ob und wie ein Bereitsschaftsdienst eingerichtet wird und manche Amtsgerichte es immer noch nicht geschafft haben oder diesen zu völlig unsinnigen Zeiten einrichten (18.00 bis 21.00 und 6.00 bis 8.00 Uhr).

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