Richtervorbehalt bei Blutprobenentnahme: Weg damit!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 17.10.2010

...so lautete vor 1 1/2 Jahren mein (oft kritisierter) Aufsatz in ZRP 2009, 71. Nun wird z.B. hier, hier und hier von der geplanten Neuregelung berichtet. Geplant ist u.a. § 81a Abs. 2 StPO wie folgt zu ergänzen:

Einer richterlichen Anordnung bedarf es nicht in den Fällen der §§ 315a und 315c bis 316 des Strafgesetzbuchs, wenn eine Blutprobenentnahme dem Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut dienen soll. § 98 Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

M.E. hätte man die Anordnungskompetenz für Blutprobenentnahmen gleich komplett freigeben sollen, da nur neue Probleme zu erwarten sind. Was, wenn der anordnende Beamte sich zunächst nur eine andere Straftat vorstellt.  Gibt es dann ein Beweisverwertungsverbot - ganz oder nur teilweise (im Hinblick auf die nicht im Gesetz erwähnten Straftaten)?

Zudem ist der Vollrausch in dem Straftatenkatalog nicht enthalten...

Und dann ist mir nicht klar: Warum sollte etwa nach einer gefährlichen Körperverletzung unter Alkoholeinfluss oder einem Kapitaldelikt eine richterliche Anordnung für die Blutprobenentnahme i.d.R. erforderlich sein, nach § 316 StGB jedoch nicht?

 

 

Nachtrag: Blogleser Thomas Berthold (Danke!!!) hat mir kurz nochmals den Gesetzesantrag zugemailt, aus dem ich eine Sequenz einfüge:

 


"...Die Sicherstellung effektiver Strafverfolgung ist ein wichtiger verfassungsrechtlicher Grundsatz. Eine effektive Strafverfolgung insbesondere von alkoholisierten oder unter Betäubungsmitteleinfluss stehenden Fahrzeugführern erfordert eine möglichst umgehende Entscheidung über die Entnahme einer Blutprobe. Verzögerungen bei der Blutentnahme vermindern wegen des schnellen Abbaus der Alkohol- bzw. Wirkstoffkonzentration im Blut die Genauigkeit der Feststellung. Zeitliche Verzögerungen bei der Blutentnahme können auch durch Rückrechnung nicht kompensiert werden, denn bei jeder Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den Tatzeitpunkt muss zugunsten des Beschuldigten von zwar theoretisch vorkommenden, aber der Realität regelmäßig nicht entsprechenden Abbauwerten ausgegangen werden. Mit der Einholung einer richterlichen Anordnung ist stets eine gewisse zeitliche Verzögerung verbunden, selbst wenn der Richter - was bei Blutprobenentnahmen regelmäßig der Fall ist - ohne Vorlage der Ermittlungsakten allein aufgrund der ihm telefonisch mitgeteilter Informationen des Polizeibeamten vor Ort und des entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft entscheidet. Die derzeitige Rechtslage kann mithin dazu führen, dass eine Blutalkoholkonzentration angenommen werden muss, die den Straftäter einer Sanktionierung entzieht, oder eine Straftat folgenlos bleibt, weil die Blutalkohol- oder Wirkstoffkonzentration zum Tatzeitpunkt nicht mehr festgestellt werden kann. Die Beurteilung der Frage, wann und durch wen die Entnahme einer Blutprobe unter dem Gesichtspunkt der Gefahr im Verzug angeordnet werden darf, ist zudem mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Unterschiedliche Auslegungen des Gesetzes haben hier zu Unschärfen und Anwendungsschwierigkeiten geführt, die zur Folge haben können, dass angesichts der Rechtsunsicherheiten von der erforderlichen Anordnung einer Blutprobenentnahme abgesehen wird. Von unter Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluss stehenden Fahrzeugführern gehen erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und andere Verkehrsteilnehmer aus. Der Einfluss von berauschenden Mitteln in Form von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten stellt im Straßenverkehr eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schweren Folgen dar. Fahrten unter Alkohol- Betäubungsmittel- oder Medikamenteneinfluss müssen deshalb im Interesse der Verkehrssicherheit effektiv geahndet werden können. Das ist nach derzeitiger Rechtslage aus den dargestellten Gründen nicht sicher gewährleistet. Durch die derzeitige Rechtslage wird – das zentrale Anliegen des Strafverfahrens - in rechtsstaatlich nicht gebotener Weise erschwert...."

 

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15 Kommentare

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1) Bei §98 muss wohl "StPO" stehen

2) Ihr letzter Absatz wäre eigentlich ein Argument dafür, den (leider in der Praxis nur symbolischen) Richtervorbehalt generell beizubehalten.

Leute mit "falscher" Hautfarbe in östlichen Bundesländern werden sonst sehr, sehr, sehr oft zu Blutentnahmen herangezogen werden. DWB nennt man ein ähnliches Phänomen in den USA. Die wenigsten werden das Geld haben, eine gerichtliche Überprüfung zu beantragen.

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1. Die Gesetzesbegründung zeitg m.E. eindeutig, wie absurd das Vorhaben aus Niedersachsen ist. Denn die Argumente sprechen gerade dafür, den Richtervorbehalt beizubehalten. Den Unterschied kann niemand - auch nicht Herr Busemann - vernünftig erklären.

Man sollte vielmehr deutlich sagen, worum es geht: Nämlich um Kostenersparnis, weil man die Gerichte nicht so ausstatten will/kann, dass ein richterlicher Eildienst - entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG - auch nachts - gewährleistet ist. Da versteckt man sich hinter dem Argument: Stärkung des Rechtsstaates. Auf die Idee können auch nur Politiker kommen.

2. Wehret den Anfängen!! Wer sagt eigentlich, dass Herr Busemann nicht demnächst auf die Idee kommt, dass GG auch zu ändern und sich auch den Artikel 13 GG vorzunehmen. Alles zur Stärkung des Rechtsstaates. Denn, wenn ich keinen Richtervorbehalt mehr habe, dann kann ich ihn ja auch nicht verletzen/negieren und das hilft dem Rechtsstaat. Absurd, aber so machen wir heute (Rechts)Politik.

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Herr Burhoff findet jetzt nur noch "absurd", womit seit Menschengedenken niemand (ihn selbst in seiner aktiven Zeit als Richter eingeschlossen) ein Problem hatte, nämlich dass nachts in der Regel kein Richter da ist, den man fragen könnte. Und dass damit seit Menschengedenken keiner ein Problem hatte, liegt eben schlicht daran, dass dem Richter hier nichts Wesentliches zu prüfen bleibt und er nur vertrauensvoll den Antrag der Polizei absegnen kann  -  erst recht, wenn dieser ihn nur per Handy erreicht (wenn irgendetwas "absurd" ist, dann doch wohl der auf einen per Handy gestellten Antrag erfolgte per Handy übermittelte Gerichtsbeschluss).

Die Behauptung, das BVerfG fordere für die Blutproben den 24/7-Eildienst, ist eindeutig falsch und wird auch durch 100fache Wiederholung nicht richtiger.

Die Beschränkung auf bestimmte Straftatbestände, die der aktuelle Entwurf vorsieht, ist allerdings in der Tat bedenklich und sollte aufgegeben werden (genauso wie man sich mit der Entwurfsbegründung durchaus etwas mehr Mühe hätte geben können).

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1. Wo bitte steht in meinem Post, dass das BVerfG den 24-Stunden-Eildienst für die Blutproben fordert? Es fordert m.E. aber nächtlichen Eildienst für die Zwangsmaßnahme Durchsuchung, so dass ich, wenn ich die Forderung erfülle, auch einen Eildienst für die Blutproben hätte. So sieht es m.E. richtig der 3. Strafsenat des OLG Hamm.
2. Ich glaube nicht, dass Sie beurteilen können, womit ich in meiner aktiven Zeit als Richter ein Problem hatte. Jedenfalls nicht mit dem Eildienst, denn sonst hätte ich nicht Richter werden dürfen/sollen.

Im Übrigen: Ich mag keine Diskussionen mit "No Names" führen. Wenn schon, denn schon = Klarnamen.

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So lange in medizinisch wirklich relevanten Bereichen wie im Rettungsdienst die Sanitäter und Rettungsassistenten de facto mit einem Bein im Knast stehen, wenn sie bei Nichtverfügbarkeit eines (Not-) Arztes nach eigenem fachmännischem Ermessen einen Zugang (für Laien: eine Infusion) legen, so lange wäre es ein Hohn, den Richtervorbehalt bei der Blutprobenentnahme abzuschaffen.

Wenn es nur darum geht, "die Handhabung" zu erleichtern, könnte man analog dazu ja gleich die Vergabe von Medikamenten und den Wechsel von Infusionen im Krankenhaus komplett den Pflegern überlassen -- die kennen ihre Patienten nämlich besser als der Stationsarzt. Das wird de facto wegen Personalmangel auch gemacht, dennoch ist es illegal, und das aus gutem Grund: um das Recht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit zu wahren und zu schützen. Und so muss es bei anderen Körperverletzungen auch sein. Sonst könnte man "zur Stärkung des Gesundheitswesens" demnächst den Notarzt nachts und am Wochenende auch abschaffen.

und übrigens -- wo steht das bitte im Grundgesetz: "die Sicherstellung effektiver Strafverfolgung ist ein wichtiger verfassungsrechtlicher Grundsatz" ??? Ich kann bei den Grundrechten nur etwas von Freiheit der Person und körperlicher Unversehrtheit lesen... es muss ja armselig um die fachliche Grundlage bestellt sein, wenn derartig verfälschende Propaganda einen Gesetzesvorschlag einleiten muss :-(

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übrigens steht in §81a (2) bereits:

Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu.

damit ist das, was der Gesetzentwurf vorgeblich regeln will, bereits gesetzlich geregelt! De facto geht es also darum, dass statt zu Ermittlungsbeamten ernannten, besonders qualifizierten Polizisten dann jeder "Hilfssherriff" eine Blutentnahme anordnen darf!

P.S. zur Frage des Beweisverwertungsverbots hilft auch einem Dr. amaz. ;-P ein Blick in das Gesetz:

(3) Dem Beschuldigten entnommene Blutproben oder sonstige Körperzellen dürfen nur für Zwecke des der Entnahme zugrundeliegenden oder eines anderen anhängigen Strafverfahrens verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind.

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@Burhoff: Ich will gar nicht mit Ihnen diskutieren. Es geht nur darum, der Weltöffentlichkeit klarzumachen, dass und warum bestimmte Argumente falsch sind.

[P.S.: Diskutieren Sie vielleicht gleich mit sich selber. Z.B. mit

  1. Detlef Burhoff sagt:
    Mittwoch 6. Januar 2010 um 17:44

    Sie haben Recht: Es ist mir unerklärlich und auch peinlich, warum eigeentlich niemand, auch ich nicht, auf den Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO geachtet hat. Erst die Entscheidung des BVerfG v. 12. 2. 2007 hat ihn in das juristische Rampenlicht gebracht. Und nun: Diskussionen und Bestrebungen, wie man ihn “umgehen” kann. Da fände ich es ehrlicher, man würde ihn gelich abschaffen. Allerdings weiß ich nicht, wie das gehen soll? Für alle Verfahren?
    (Quelle: http://blog.strafrecht-online.de/2010/01/blutentnahme-ich-brauche-meinen...)]

[P.S.2: "Die anonyme Nutzung ist dem Internet immanent.. ... Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde ... die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden."
(Quelle: BGH, Urteil v. 23.6.2009 - VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328, sub II.1.c.cc. (6))]

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Nachtrag zur Sache:

"Das Fehlen eines richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit begegnet vorliegend keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Allerdings folgt aus der Regelzuständigkeit des Richters gem. Art. 13 II Halbs. 1 GG  die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters gegebenenfalls auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu sichern (...). Nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats zur Erreichbarkeit des Haftrichters bedeutet dies jedoch nicht, dass auch zur Nachtzeit i.S. des § 104 III StPO unabhängig vom konkreten Bedarf stets ein richterlicher Eildienst zur Verfügung stehen müsste (vgl. BVerfG, NJW 2002, 3161, 3162, unter Hinweis auf BVerfGE 103, 142, 146). Vielmehr ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. Kommt es dagegen, wie im Land Brandenburg, nur ganz vereinzelt zu nächtlichen Durchsuchungsanordnungen, so gefährdet das Fehlen eines - gleichwohl wünschenswerten - richterlichen Nachtdienstes die Regelzuständigkeit des Art. 13 II GG nicht."
(Quelle: BVerfG NJW 2004, 1442)

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@Burhoff #2

Zu dem Satz: "Wehret den Anfängen":

Ich meine, dass dieses Argument nicht greift , denn bei Art. 13 ist immerhin eine verfassungsändernde 2/3-Mehrheit erforderlich, die zudem die Grenzen des Art. 79 III GG (das berühmte Dürigsche "verfassungswidrige Verfassungsrecht", vgl. auch die Entscheidung zum großen Lauschangriff) zu berücksichtigen hat.

Für den körperlichen Eingriff der Blutentnahme gilt eben "nur" Art. 2 II mit einfachem Gesetzesvorbehalt. Offenbar hatten jahrzehntelang weder Gerichte noch Beschuldigte oder Strafverteidiger ein Problem damit, wenn eine GiV-Anordnung durch Polizeibeamte erfolgte. Rechtlich ist dieses Argument natürlich eher schwach, aber eine gewisse Indizwirkung hat es mE dafür, dass offenbar kaum jemand den Eindruck hatte, es sei ein schwerwiegender Eingriff in seine verfassungsmäßigen Rechte erfolgt, der dann auch noch unter Umständen zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnte und daher der Richtervorbehalt nicht aufgrund eines von der Allgemeinheit subjektiv als gravierend empfundenen Eingriffs geboten erscheint (dass es bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung auf die "Gefühle" der Allgemeinheit ankommen könnte, ist nicht meine Erfindung, sondern steht so in der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung, wo das BVerfG ein "diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins" konstatiert hat).

und @ #4:Der 3. Strafsenat des OLG Hamm scheint zumindest unter den Oberlandesgerichten recht alleine auf weiter Flur zu stehen, was den Umfang eines Eildienstes angeht.

 

und #5 ("mein Name").

Der Grundsatz effektiver Strafverfolgung lässt sich Art. 20, 2 und 1 GG entnehmen. Zuletzt können Sie hierzu etwas lesen in der BVerfG-Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung. Denn es dient u.a. dem Schutz der nichtkriminellen Bevölkerung (z.B. bei der Frage der BE bei Verkehrsdelikten :dem Schutz von Leib und Leben der nichtalkoholisierten Verkehrsteilnehmer), Straftäter unter Einhaltung eines rechtsstaatlich ablaufenden Verfahrens bei hinreichender (hinreichend jetzt nicht i.S.d. § 112 StPO) Überzeugung von der Schuld in angemessener Zeit abzuurteilen.

Dass der Staat zum Schutz von Rechtsgütern auch durch Schaffung von Strafnormen (und in der Kosequenz durch deren Anwendung und Durchsetzung in Strafverfahren) verpflichtet sein kann, stand so schon in den §218a- Enscheidungen des BVerfG ("Untermaßverbot").

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es lohnt sich durchaus, den viel zitierten Beschluss genauer zu lesen:

Quote:
Rn 21: Nach § 81 a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Der Richtervorbehalt - auch der einfachgesetzliche - zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 96, 44 [51 ff.]; - 103, 142 [151] m. w. N.). Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen (vgl. BVerfGE 103, 142 [155 f.]; BVerfGK 2, 254 [257]). Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerfGE 103, 142 [160]; BVerfGK 2, 310 [315 f.]; 5, 74 [79]). Das Vorliegen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerfGE 103, 142 [156 f.]).
 
Rn22: b) Hier haben sich die Fachgerichte zur Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft nicht geäußert, obwohl der Beschwerdeführer diesen Gesichtspunkt mit seiner Beschwerde ausdrücklich gerügt hat. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründende einzelfallbezogene Tatsachen wurden von der die Blutentnahme anordnenden Staatsanwaltschaft nicht in den Ermittlungsakten vermerkt. Da der Zweck der Maßnahme - die Überprüfung, ob der Beschwerdeführer Umgang mit Betäubungsmitteln hatte, was für das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes mittelbar von Bedeutung sein konnte - auch nach Einholung einer richterlichen Anordnung noch erreichbar war und im Übrigen durch nichts belegt ist, dass diese - um 9: 00 Uhr morgens - nicht hätte erlangt werden können, lagen die Voraussetzungen einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs objektiv nicht vor. Dies hat das Landgericht in nicht vertretbarer Weise missachtet, indem es die Frage der Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft nicht erörtert und die Anordnung als rechtmäßig erachtet hat. Damit hat es dem Beschwerdeführer effektiven Rechtsschutz durch eine eigene Sachprüfung versagt.

also ist klar, wohin die Reise gehen soll: es geht nicht darum, dass nachts Richter geweckt werden müssen, sondern um die komplette Abschaffung der Einzelfallprüfung -- statt dessen "Gefahr im Verzug" für alle. Die Argumente, die bisher vorgebracht wurden (Gefährdung des Untersuchungserfolgs, Organisatorisches) laufen ins Leere, denn all dies ist bereits gesetzlich geregelt: Anordnung durch Ermittlungsbeamte, Dokumentation der einzelfallbezogenen Tatsachen und nachträgliche richterliche Überprüfung: alles bereits möglich. Nimmt man jedoch die im Zitat von mir hervorgehobenen Sätze als Maßstab, dann hat der Gesetzentwurf von vornherein keine Chance, weil er genauso verfassungswidrig ist wie die bereits gescheiterte Vorratsdatenspeicherung.

@ #9 Klabauter: möglich, dass sich das so herleiten lässt. Dumm nur, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit genauso wie das der Freiheit der Person ein Grundrecht ist, das in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden darf. Und das wäre bei der geplanten Änderung der Fall. Sonst könnte man ja mit der gleichen Argumentation das Versammlungsgesetz so abändern, dass Demonstrationsverbote nicht mehr richterlich überprüft werden können! So gesehen ist es nicht zu hoch gegriffen, wenn man schreibt: "Wehret den Anfängen"

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@mein Name:

Der Wesensgehalt ist angetastet, wenn kein Richter entscheidet? Hmm, ich glaube nicht, dass dieses Argument durchgreift. Ob der Wesensgehalt verletzt ist, hängt doch nicht von der Art und Weise des Anordnungsverfahrens ab, sondern von der Tiefe des Eingriffs (hier also: Kanüle).

Und Ihr Vergleich mit dem Versammlungsrecht hinkt: Die Rechtmäßigkeit der Anordnung der BE kann natürlich auch dann nachträglich überprüft werden, wenn kein Richter entschieden hat. Sie verwechseln hier die Frage, wer die Anordnungskompetenz für bestimmte Maßnahmen hat mit der Frage nach dem nachträglichen Rechtsschutz gegen Entscheidungen (gegen eine richterlich angeordnete Blutentnahme hätte eine Beschwerde im Übrigen  ohnehin keine aufschiebende Wirkung). Und gegen eine BE soll der Rechtsweg nach 98 II 2 StPO eröffnet werden (s. Ausgangsbeitrag), mithin ist der effektive nachträgliche Rechtsschutz gewährleistet,.

Bei Demonstrationsverboten entscheidet zunächst auch "nur " eine Verwaltungsbehörde, hiergegen hätten Sie (abweichend von strafprozessualen Eilmaßnahmen; ein Beweismittelverlust ist bei der BE nämlich endgültig wegen BAK-Abbau, eine Demo kann in der Regel problemlos auch an anderen Tagen stattfinden) die Möglichkeiten einstweiligen (präventiven) Rechtsschutzes. Bzw.  heute schon bei Versammlungsauflösungen durch die Polizei auch nur die Möglichkeit nachträglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit.  

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@ #11 klabauter

bitte richtig lesen und die Zusammenhänge erkennen: der Richter muss auch bisher nicht vorher entscheiden bzw. anordnen: §81a (2) 

Quote:
bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu

aber BVerfG v. 12. 2. 2007:

Quote:
Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerfGE 103, 142 [160]; BVerfGK 2, 310 [315 f.]; 5, 74 [79]). Das Vorliegen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerfGE 103, 142 [156 f.]).

Sind Sie wirklich sicher, dass der harmlos klingende Satz "§ 98 Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend." bedeutet, dass "Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen."  beibehalten wird? Oder nicht vielmehr, dass dieses Recht wegfällt, was wiederum ein klarer Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 ist? Wieso 

Schließlich ist auch schon nach der jetzigen Gesetzeslage kein Richter notwendig, um eine BE anzuordnen. Was sollte also der ganze Aufwand, wenn bisher schon Rechtssicherheit besteht? Daseinsberechtigung für die Juristen der Ministerialbürokratie?

Oder soll einfach die Dokumentationspflicht abgschafft werden ("Wenn keine schlüssige Begründung für eine ausnahmsweise Eilkompetenz der Polizeibeamten zur Anordnung der Blutentnahme dokumentiert sei, erklärten einige Gerichte die Blutprobe als Beweismittel für unzulässig."). Auch dann sehr fraglich, ob -- angesichts der in anderen Bereichen geltenden Maßstäbe für medizinische Eingriffe (zum Nutzen des zu Verletzenden, nicht zur Strafverfolgung!) -- dies Bestand haben wird. Es kann nicht angehen, dass die Strafverfolgungsbehörden aus Bequemlichkeit nichts mehr dokumentieren müssen und dadurch die Verteidigungsrechte und -möglichkeiten von Verdächtigen beschnitten werden. Dies kann man durchaus als Angriff auf den Wesensgehalt der Unschuldsvermutung ansehen.

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Jetzt ist es also ein Angriff auf den Wesensgehalt der Unschuldsvermutung, vorhin unter #10 ging es um den Wesensgehalt des Freiheitsgrundrechts und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit. Ihre Argumentationsstränge sind etwas verworren. Die "Zusammenhänge erkennen" wird dadurch nicht erleichtert.

Dass nach bisheriger Rechtslage der Richter nicht zwingend entscheiden muß (wenn GiV vorliegt), ist mir sonnenklar, gerade um die Frage geht es ja in diesem und anderen blogs. Und auch darum, ob nicht nur Ministerialbürokraten eine Daseinsberechtigung haben, sondern ob auch für die Einrichtung eines ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes (vom strittigen Umfang 24/7, Großstadtgericht oder "Land"gericht ganz abgesehen) ggf. zusätzliche Richter eingestellt werden. Oder ob angesichts der Geringfügigkeit des Eingriffs, der bisher jahrzehntelang offenbar weitgehend in der Praxis unproblematischen Handhabung, dass insbesondere bei Trunkenheitsfahrten eine GiV-Anordnung der Polizei oder StA ergeht, und anders als bei der Wohnungsdurchsuchung im Grundgesetz eben kein Richtervorbehalt für die Anordnung steht,  nicht generell auf das Erfordernis einer richterlichen Anordnung verzichtet werden kann und ein nachträglicher Rechtsschutz ausreichend ist.

Dass ein solcher Rechtsschutz, der von Verfassungs wegen geboten ist, durch ausdrückliche Verweisung auf 98 II 2 StPO vorgesehen ist, steht im Ausgangsbeitrag von Herrn Krumm. Weshalb Sie vermuten, dass dies nicht umgesetzt wird, bleibt Ihr Geheimnis.

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Die in die körperliche Unversehrtheit eingreifende Exekutive aus blossen pragmatischen Gründen nicht mehr kontrollieren zu wollen, sondern ermächtigt quasi selbstherrlich walten zu lassen, ist ein Armutszeugnis für eine "Demokratie" und das entsprechende eigene Verständnis von einer solchen.

 

 

 

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@ Beobachter

Sie haben von der Praxis keine Ahnung. Wie stellen Sie sich denn eine "demokratische" Blutprobenentnahme vor? Bei genauer Betrachtung erweist sich, dass der Richtervorbehalt insoweit unnützer Popanz, reines Symbol ist.

 Es wäre weit aufrichtiger, die Anordnung auch nur von dem unterschreiben zu lassen, der sie veranlasst, und nicht durch eine Instanz, die ihrer Entscheidung lediglich einen telefonischen Bericht zugrunde legen kann. 

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