Arbeitsrechtler zum Fall Sarrazin

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 05.09.2010

Der Antrag der Bundesbank auf Entlassung ihres Vorstandsmitglieds Sarrazin, der jetzt dem Bundespräsidenten zur Entscheidung vorliegt, hat in den Medien und in der Öffentlichkeit ein gemischtes Echo hervorgerufen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie namhafte Arbeitsrechtler über den Fall denken. Zwar wird man Herrn Sarrazin im Hinblick auf seine Position als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank nicht als Arbeitnehmer einstufen  können. Gleichwohl gibt es hier einige Parallelen und einige bewährte Grundsätze des Arbeitsrechts, über deren Übertragung auf den Fall Sarrazin man schon nachdenken könnte. Dies haben jetzt auch einige Arbeitsrechtler getan. So kommt beispielsweise der Fachanwalt für Arbeitsrecht Christian Oberwetter unter Hinweis auf den hohen Rang der Meinungsfreiheit zu dem Ergebnis, dass nach rechtsstaatlichen Grundsätzen wenig Aussichten bestehen, Sarrazin seines Postens zu entheben. Ähnlich äußert sich Ulrich Fischer, ebenfalls Fachanwalt für Arbeitsrecht: Sarrazin bewege sich bislang "verfassungsrechtlich im grünen Bereich". Auch Volker Rieble, Professor für Arbeitsrecht an der Uni München, sagt, rechtlich könne man es nicht einmal als Rassismus bewerten, wenn Sarrazin Juden ein "bestimmtes Gen" attestiere. "Er hat damit ja keine bestimmte, negative Eigenschaft verbunden", sagt Rieble. Und so lange sich Sarrazin nicht strafrechtlich schuldig mache, könne er in seiner Freizeit machen, was er will. Auch das Argument, Sarrazin habe den Betriebsfrieden ernsthaft beeinträchtigt, lässt Rieble nicht gelten. In einer Fabrik könnte man schauen, wie gut die Fließbandarbeit noch funktioniert, wenn ein umstrittener Kollege Schicht hat. In der Bundesbank ist das schwieriger. Indiz für einen gestörten Betriebsfrieden wäre zum Beispiel, wenn nun Betriebsversammlungen zum Thema Sarrazin abgehalten würden, meint Rieble. Oder kritische Äußerungen von Arbeitnehmervertretern. Doch das Problem ist: Die Chefetage darf den Tumult um eine Person auf keinen Fall selbst provozieren. Weil sich Vorgesetzte "zunächst schützend vor den Arbeitnehmer" zu stellen haben, um den es geht, wie Rieble betont. Sollte also bislang der interne Aufruhr in der Bundesbank ausgeblieben sein, werde es schwierig.
Quellen: Spiegel Online vom 1.9.2010 und Legal Tribune Online vom 5.9.2010.

 

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19 Kommentare

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Zu unterscheiden ist ja auch nach dem Bundesbankgesetz zwischen der Berufung zum Vorstand als Amt und zwischen dem zivilrechtlichen Verhältnis unterscheiden, das das Salär regelt, vgl. § 7 Abs. 4 BBankG. Für den zivilrechtlichen Teil gilt mangels abweichender bzw. speziellerer Regelungen nur § 626 BGB. Eine ordentliche Kündigung ist m.E. aufgrund der Befristung (§ 7 Abs. 3 BBankG) nicht möglich. Ob ein Verstoß gegen den internen Verhaltenskodex nun eine solche außerordentliche Kündigung rechtfertigt, ist dann Tatfrage.
Problematisch ist m.E. die Abberufung vom Amt des Vorstandes. Im BBankG ist hierzu nichts zu finden, so dass mangels speziellerer Regelungen wohl das Bundesdisziplinargesetz Anwendung findet. Hierzu müsste zunächst dessen persönlicher sowie sachlicher Anwendungsbereich eröffnet sein. Bzgl. des persönlichen ist dies der Fall, da Herr Sarazin in einem öffentlich - rechtlichen Amtsverhältnis zur Bundesbank steht. Der sachliche Anwendungsbereich ist bei Beamten im Dienstverhältnis eröffnet, wenn ein Dienstvergehen gegeben ist, vgl. § 2 BDG. Ob ein solches vorliegt richtet sich nach § 77 BBG, speziell § 77 Abs. 1 S. 2 BBG ( "Außerhalb des Dienstes ist dieses nur dann ein Dienstvergehen, wenn die Pflichtverletzung nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.") Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, wage ich - auch nach obigen Ausführungen - stark anzuzweifeln. Vor allem ist fraglich, ob bei einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wurde, da schon § 5 BDG zeigt, dass die Entfernung aus dem Dienstverhältnis die härteste Maßnahme darstellt! Darüber hinaus ist fraglich, ob die formellen Voraussetzungen des Verfahrens eingehalten wurden, da § 34 BDG vorsieht, dass für eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis Disziplinarklage vor dem zuständigen VerwaltungsG zu erheben ist. Herr Wulff ist zwar studierter Jurist und Bundespräsident, aber noch nicht Verwaltungsgericht in Personalunion.
Man könnte natürlich daran denken, dass die Entfernung eines Bundesbankers entsprechend dem "actus contrarius" - Gedanken genauso ablaufen muss wie die Ernennung. Dies kann jedoch nur angenommen werden, soweit keine spezielleren Regelungen greifen. Dies ist mit dem BBG jedoch eindeutig der Fall - soweit dies für den vorliegenden Fall sachlich anwendbar ist. Sollte das nicht der Fall sein, so ist es rechtsdogmatisch mehr als fraglich und wohl negativ zu beantworten, ob man dann in einem solchen Fall auf allgemeinere Regelungen zurückgreifen kann.

Weitere Meinungen?

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In Anbetracht der Verhetzung, die trotz seiner wahrheitsgemäßen Aussagen gegen Sarrazin betrieben wird, ist es nicht verwunderlich, dass sich immer mehr Menschen von den etablierten Parteien abwenden und auf nationalkonservative, wie z. B. REPs oder NPD umsteigen.
Das bleibt doch nicht aus!

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und auf nationalkonservative, wie z. B. REPs oder NPD umsteigen.

die NPD ist keine nationalkonservative, sondern eine rechtsradikale Partei

Daneben möchte ich bemerken, dass es hier nicht um die Bewertung des Wahrheitsgehalts der Thesen von Herrn Dr. Sarrazin geht, sondern um die juristische Bewertungen der gegen ihn eingeleiteten Schritte, namentlich die Kündigung des Dienstverhältnisses und die Entfernung aus seinem Amt.

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Als "Praktiker" würde mich zunächst einmal interessieren, vor welchem Gericht oder welcher sonstigen Institution ich als Anwalt des Herrn Sarrazin welche rechtlichen Schritte (Klage, Beschwerde oder sonstwas ganz "spezielles"?) einleiten müsste, falls der Bundespräsident tatsächlich die Entlassung des Herrn Sarrazin aussprechen sollte. Es wird sich doch einer der "Experten" hier im Experten-beck-blog dazu abschliessend äussern können, oder liebe Kolleginnen und Kollegen?

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Es kommt wohl darauf an, gegen welche Entlassung Herr Dr. Sarrazin vorgehen will. Gegen die Beendigung seines Anstellungsvertrages oder die Entfernung aus dem Dienstverhältnis. Gegen die Beendigung seines Anstellungsvertrages müsste er wohl vor dem örtlich zuständigen Landgericht (Streitwert wird hier wohl über 5.000 € liegen) Feststellungsklage erheben.
Bzgl. seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis müsste er wohl vor dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht Anfechtungsklage erheben, da wohl aufgrund der Außenwirkung ein Verwaltungsakt liegen wird. Hier ist fraglich, ob angesicht meiner obigen Ausführungen, überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Entfernung gegeben ist bzw. ob der sachliche Anwendungsbereich des BDG eröffnet ist. Darüber hinaus ist fraglich, falls letzteres der Fall ist, ob das ordnungsgemäße Verfahren eingehalten wurde. Hierzu hat bei einer Entfernung aus dem Dienstverhältnis der Dienstherr - wohl die Bundesrepublik Deutschland - vor dem zuständigen Disziplinargericht Disziplinarklage zu erheben. Dieses Verfahren ist nach den einschlägigen Medienberichten wohl bisher nicht eingehalten worden, so dass die Chancen für Herrn Dr. Sarrazin sehr gut stehen auch auf der öffentlich - rechtlichen Schiene einen juristischen Erfolg für sich verbuchen zu können.

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Vielen Dank, lieber Kant! Aber sicher sind Sie sich auch nicht, oder? Sonst hätten Sie nicht dermassen oft das verdächtige "wohl" verwendet.

Und seit wie lange existieren im Beamtenrecht zusätzliche "Anstellungsverträge", deren Verletzung (bspw. Nicht-Zahlung der Bezüge) den Zivilrechtsweg begründen?

Da steh ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor...

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Nein, sicher bin ich mir natürlich nicht. Das ist momentan wohl keiner wirklich und wenn meine Ausführungen zutreffen, auch nicht der Bundespräsident bzw. die Bundesbank, da sie einen vollkommen anderen Weg gewählt haben.

Die Differenzierung zwischen Anstellung und Berufung ergibt sich aus dem Bundesbankgesetz, wonach zwischen dem Beamtenverhältnis und dem privatrechtlichen Vertrag zu unterscheiden ist, der die Bezüge des Vorstandsmitglieds regelt.

Es wäre aber super, wenn Prof. Dr. Stoffels als Ersteller des Themas - wenn möglich - ein wenig Licht ins Dunkel bringen könnte.

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Auszug aus BBankG

§ 7 Vorstand

(2) Der Vorstand besteht aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern usw.

(5) Der Vorstand berät unter dem Vorsitz des Präsidenten oder des Vizepräsidenten usw.

                                                                       __________

Ist der Abberufungsbeschluss ansich überhaupt gültig, weil m.E. der Beschluss nicht durch den Vorstand gefasst wurde, sondern - lediglich - durch Mitglieder des Vorstandes  (=soweit mir bekannt ist, war Herr S. nicht eingeladen)?

 

 

 

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@ GustavMahler / # 9:

Nach Medienberichten wurde Herr Dr. Sarrazin von Bundesbankvorstand angehört. Ob er an der Entscheidung über seine Entlassung / Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit entschieden habe, wage ich an dieser Stelle mal zu bezweifeln. Wäre m.E. auch ziemlich widersinnig.

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Ich glaube auch, daß man trennen muß. Die Abberufung durch den BP ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Verwaltungsakt. Analog zu den Verwaltungsakten der Oberstbehörden ist also die Klage beim Verwaltungsgericht das zulässige Rechtsmittel. Am Rande: Wird der BP förmlich zustellen und vor allem eine Rechstmittelbelehrung beifügen? Man darf gespannt sein. Was aber so zusätzlich ins Spiel käme, ist das Verwaltungsverfahrensgesetz mit seinen allgemeinen Vorschriften zum Verwaltungsakt.
Den Sprung meiner Vorredner zur Bundesdisziplinarordnung zur Füllung der planvollen Lücke (Ladeur in Legal Tribune v. 08.09.) kann ich nicht uneingeschränkt nachvollziehen. Wie schon Prof. Ladeur anmerkt, scheint auch mir die Analogie zum Richterrecht naheliegender. Sarrazin ist eben gerade kein Beamter und auch kein Arbeitnehmer, sondern hat eine, der Verwaltung (und -nota bene- der Politik!) absichtsvoll entzogene, extrem unabhängige Rechtsposition. Im Ergebnis müßte aber natürlich auch hier das Abberufungsverfahren dann analog zu den einschlägigen Vorschriften durchgeführt werden. Dazu hat man bisher nichts gehört.
Was den Vertrag anbetrifft, so halte ich es für unwahrscheinlich, daß dieser ex nunc mit der Abberufung vernichtet wird. Das würde zu unsinnigen Ergebnissen führen, insbesondere entfielen Versorgungsansprüche, was ja keineswegs selbstverständlich ist. Wenn sich die Parteien also nicht auf eine Abwicklung einigen können, wären die Zivilgerichte gefordert.

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Nachtrag:

Folgt man der actus-contrarius- Lehre so wäre, allem voran, ein Antrag des Bundesrates, im Einvernehmen mit der Bundesregierung, nötig. Die Bundesbank wäre insoweit nicht aktivlegitmiert. Wie man hört, sei dies nicht beabsichtigt.
Aber auch wenn man diesen Weg beschreitet, kommt man um die analoge Rechtsanwendung nicht herum, sei es nun Disziplinar- oder Richterrecht. Irgendwo muß man die Bewertungsmaßstäbe ja ableiten, die die Entscheidung tragen sollen. Der BP ist, wie schon angemerkt, ein kluger Mann, aber weder Verwaltungsgericht, noch Gesetzgeber.
Noch ein Wort zum Sachverhalt: Was wäre, wenn Sarrazin zu den Vorwürfen, die ja dann recht konkret formuliert sein müßten, Stück für Stück den Wahrheitsbeweis antreten würde, wobei ein non liquet ja zu seinen Gunsten stritte? Die ethischen Werturteile, wie sie vielleicht im Parteiausschlußverfahren denkbar sind, hätten in diesem Verfahren weit weniger Gewicht. Ich kann mir schwer vorstellen, daß man solcherart das Tribunal zur Szene machen möchte.

Angesichts all dieser Probleme scheint es mir wahrscheinlich, daß man alles versuchen wird, die Sache ohne eine förmliche Entlassung zu erledigen.

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Angesichts all dieser Probleme scheint es mir wahrscheinlich, daß man alles versuchen wird, die Sache ohne eine förmliche Entlassung zu erledigen.

 

Ging schneller als ich dachte.

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Ich bezweifel, dass Herr Sarrazin eine erhebliche Abfindung erhalten hat. Dies würde seine Glaubwürdigkeit mehr als einschränken.
Durch die rechtliche Brille gesehen finde ich es schade, dass die Sache nicht gerichtlich entschieden wurde. Aber der Verlauf des gestrigen Tages zeigt auch, dass es wohl wirklich keine rechtliche Handhabe gegen das "Verhalten" von Herrn Sarrazin gibt - wie ich oben bereits andeutete.

Beste Grüße,

 

Kant

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@ Kant

Ja, wirklich schade, das hätte eine Sternstunde der Rechtswissenschaft und - hoffentlich- kluger Richter werden können.
Was die finanzielle Seite des Deals anbetrifft, wird es nach dem üblichen Muster geregelt worden sein: Erfüllung des Vertrages, als sei nichts gewesen.

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