BVerfG: Mangold-Urteil des EuGH kein ausbrechender Rechtsakt

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 30.08.2010

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerde eines Autozulieferers gegen das Urteil des BAG in der Rechtssache Mangold zurückgewiesen (Beschluss vom 6.7.2010, 2 BvR 2661/06). Das BAG hatte in der angegriffenen Entscheidung die Vorgaben des EuGH in seinem viel diskutierten Mangold-Urteil umgesetzt. Die Entscheidung des BVerfG ist mit großer Spannung erwartet worden, hatten sich doch nicht wenige Kritiker nach dem Lissabon-Urteil des BVerfG eine Korrektur der mitunter weit ausgreifenden Rechtsprechung des EuGH erhofft. Einen "ausbrechenden Rechtsakt" (das BVerfG verwendet diesen Begriff in der jetzt veröffentlichten Entscheidung nicht) vermag das BVerfG in der Entscheidung des EuGH nicht zu erkennen.

In der Entscheidung heißt es auszugsweise wie folgt:

„Eine Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht kommt darüber hinaus nur in Betracht, wenn ersichtlich ist, dass Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen außerhalb der übertragenen Kompetenzen ergangen sind. Ersichtlich ist ein Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nur dann, wenn die europäischen Organe und Einrichtungen die Grenzen ihrer Kompetenzen in einer das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung spezifisch verletzenden Art überschritten haben (Art. 23 Abs. 1 GG), der Kompetenzverstoß mit anderen Worten hinreichend qualifiziert ist. Dies bedeutet, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fällt.“

Und weiter:  „Denn zu einem ersichtlichen Verstoß im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung würde auch eine unterstellte, rechtsmethodisch nicht mehr vertretbare Rechtsfortbildung des Gerichtshofs erst dann, wenn sie auch praktisch kompetenzbegründend wirkte. Mit dem in der Ableitung aus den gemeinsamen mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen umstrittenen allgemeinen Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung wurde aber weder ein neuer Kompetenzbereich für die Union zulasten der Mitgliedstaaten begründet noch eine bestehende Kompetenz mit dem Gewicht einer Neubegründung ausgedehnt.“

Auch die Versagung von Vertrauensschutz für den betroffenen Arbeitgeber durch das BAG verletzte den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten. Die Karlsruher Richter gaben allerdings zu bedenken, ob deutsche Gerichte in Fällen, in denen ein geltendes Gesetz infolge einer Entscheidung des EuGH rückwirkend nicht mehr angewendet werden dürfe, eine Entschädigung gewähren sollten.

Schließlich wird auch eine Verletzung des „gesetzlichen Richters“ abgelehnt, der vom Beschwerdeführer darin gesehen worden war, dass das BAG die Sache nicht zur (erneuten) Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt hatte. Das BVerfG nutzt die Gelegenheit sich von einem Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats (vom 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 -, NJW 2010, S. 1268) abzugrenzen, mit dem eine Entscheidung des BAG wegen Verletzung des Prinzips des gesetzlichen Richters aufgehoben worden war. Das BVerfG betont jetzt ausdrücklich, es sei kein „oberste Vorlagengericht“.

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1 Kommentar

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Hm, Ersatzansprüche gegen die Bundesrepublik. Ich sehe Dollarzeichen Eurozeichen :) Nein, im Ernst: Auch im Hinblick auf §622 II S. 2 BGB und die insoweit anstehende Entscheidung des BAG dürfte diese Entscheidung erhebliche Bedeutung erhalten.

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