Wenn der Anwalt keine Ahnung hat, muss er haften

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 26.07.2010

Ein Ehepaar will sich scheiden lassen. Sie hat es eilig, denn sie ist von einem anderen Mann schwanger und möchte nicht, dass das Kind während der bestehenden Ehe zur Welt kommt. Mit ihrem Ehemann ist sie sich einig, dass Zugewinn und Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden sollen.

Ihr Anwalt erklärt, die notarielle Vereinbarung des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs nach § 1408 II 2 BG a.F. verzögere die Scheidung um ein Jahr. Auf die naheliegende Möglichkeit des § 1587 o II 3,4 BGB a.F. weißt er aus Unkenntnis nicht hin.

Für die Ehefrau ergibt sich durch diese Falschberatung ein in Wirklichkeit nicht bestehender Zielkonflikt (schnelle Scheidung oder Ausschluss des Versorgungsausgleichs). Sie entscheidet sich für die schnelle Scheidung, im Versorgungsausgleich werden Rentenanwartschaften in Höhe von 134,37 € monatlich von ihrem Konto auf das ihres Ehemannes übertragen. Der Anwalt unternimmt nichts

Der BGH hat den Anwalt letztinstanzlich zur Zahlung von 29.385,11 € auf das Rentenversicherungskonto der Frau, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche auf Zugewinnausgleich, verurteilt. Die 29.385, 11 € entsprechen einer Rente von 134,37 €. Die abzutretenden Zugewinnausgleichsansprüche sind wertlos, da verjährt.

BGH Urteil vom 15.04.10 - IX ZR 223/07, FamRZ 2010, 1154 = NJW 2010, 1961

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5 Kommentare

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Wer als Anwalt zu Schadensersatz verurteilt wird, hat nicht nur schlecht beraten, sondern sich im Schadensersatzprozeß auch schlecht verteidigt und es der Ex-Mandantin durch allerlei geschriebenen Unsinn wahrscheinlich leicht gemacht, den Beweis zu führen.

Aber dafür hat der Anwalt ja eine Haftpflichtversicherung.

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Mmh... aber wo ist denn da die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden? Dann müßte man ja unterstellen - vielleicht ist es auch unstreitig geblieben -, daß die Mandantin, wenn sie zutreffend belehrt worden wäre, diesen Weg gegangen wäre UND der Ehemann, der von dem Versorgungsausgleich ja profitiert und von dem Anwalt nicht mitvertreten werden konnte, dieser Vorgehensweise zugestimmt hätte.

 

Und wie verhält es sich mit einem anspruchsmindernden Mitverschulden der Mandantin? In anderen Fällen werden dem Mandanten alle möglichen eigenen Sorgfaltspflichten auferlegt, insbesondere die Pflicht, entsprechende Nachfragen auf Erläuterungen des Anwalts zu stellen. Vorliegend wurde, nachdem man sich offenbar einvernehmlich - wenn auch nicht vollständig beraten - darauf verständigt hatte, die "schnelle Scheidung" durchzuziehen und auf einen Ausschluß des Versorgungsausgleichs zu verzichten, der Versorgungsausgleich von Amts wegen durchgeführt. Hieran haben die Eheleute offenbar mitgewirkt, ohne daß von einem der Ehepartner gegenüber dem Gericht zur Sprache kam, daß man auf den Versorgungsausgleich verzichten wolle. Insbesondere hat der nicht anwaltlich vertretene Ehemann offenbar keine Anstalten gemacht, auf den Versorgungsausgleich zu verzichten, was bereits gegen seine Bereitschaft spricht, an einer entsprechenden notariellen Vereinbarung mitzuwirken.

 

Falls das alles unstreitig geblieben ist, hätte sich der Anwalt schlecht verteidigt. Anderenfalls greifen die Erwägungen des BGH meines Erachtens etwas kurz. Einfach zu unterstellen, die Mandantin und der Ehemann hätten sich bei zutreffender Beratung der Mandantin (nicht des Ehemannes!) einvernehmlich auf die nicht von dem Anwalt vorgeschlagene Lösung geeinigt und es wäre die gewünschte "schnelle Scheidung" zustande gekommen, ist sehr spekulativ. Aber wie gesagt: vielleicht hat der verklagte Anwalt das auch alles unstreitig werden lassen, was wiederum seine Inkompetenz unterstriche.

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Martin schrieb:
Aber wie gesagt: vielleicht hat der verklagte Anwalt das auch alles unstreitig werden lassen, was wiederum seine Inkompetenz unterstriche.

Oder er gehört zu den Anwälten, die die prozessuale Wahrheitspflicht ernstnehmen

Wieso, man kann doch auch mit Nichtmehr-Wissen bestreiten. Was weiß denn ich, was ich vor Jahren Mandanten alles erzählt oder pflichtwidrig nicht erzählt habe...  Geben Sie mal  eine dienstliche Erklärung zu Vorgängen in einer Verhandlung ab, die vor vor fünf Jahren stattgefunden hat.

 

Was Mandanten manchmal nachträglich behaupten, was man gesagt oder nicht gesagt habe, ist schon der Hammer. Sie kennen sicher ähnliche Vorgänge aus Dienstaufsichtsbeschwerden und Befangenheitsgesuchen.  Glücklicherweise sind die meisten Tatrichter nicht so lebensfremd wie der BGH.

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Mit ihrem Ehemann ist sie sich einig, dass Zugewinn und Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden sollen. ... Ihr Anwalt erklärt, die notarielle Vereinbarung des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs nach § 1408 II 2 BG a.F. verzögere die Scheidung um ein Jahr. Auf die naheliegende Möglichkeit des § 1587 o II 3,4 BGB a.F. weißt er aus Unkenntnis nicht hin.

Es erstaunt schon, wie sich hier Kommentatoren schwer tun, offensichtlich unbestreitbare oder unbestrittene Tatsachen zu akzeptieren. Wer Mandanten schlecht vertritt, sollte demnach vorsorglich ebenso schlecht dokumentieren, mit Nichtwissen bestreiten oder sogar lügen. Wer das nicht kann oder will, ist also ein schlechter Anwalt?

"Was weiß ich denn, was ich vor Jahren Mandanten alles erzählt oder pflichtwidrig nicht erzählt habe" schreibt Georg und verweist auf ähnliche Probleme von Tatrichtern bei DA-Beschwerden oder Befangenheitsgesuchen.

Das ist eigentlich ganz einfach. Der Rechtsanwalt oder das Gericht wird wegen seiner Fachkompetenz aufgesucht. Die gesetzliche Anwaltspflicht und das gerichtliche Entscheidungsmonopol im Streitfall stellt auf die Fachkompetenz und Pflichterfüllung dieser Fachleute ab. Es gibt neben der Beratungspflicht u.a. auch Dokumentationspflichten, dazu eine Handakte bzw. eine Verfahrensakte. Wer sich mit Erinnerungslücken zu wesentlichen Verfahrensfragen und Sachverhalten einer tatsächlichen Prüfung auf Pflichtverletzungen entziehen will, muss die Last der Lücken in seiner Dokumentation tragen. Was nicht dokumentiert wurde, wurde im Zweifel auch nicht beraten oder im Verfahren erörtert. Was nicht sachlich anhand der objektiv vorliegenden Tatsachen begründet entschieden wurde, wurde willkürlich und pflichtwidrig entschieden. Eine konsequente Anwendung dieser logischen Regel würde dem "professionellen" Nichtmehrwissen der früher alles wissenden Professionellen einen Riegel vorschieben. Leider gelingt es Anwälten und auch Richter jedoch immer wieder, sich mit scheinheiligen Argumenten aus der Verantwortung zu stehlen. Vielleicht ist diese schlechte Praxis sogar ein wesentlicher Grund für die Oberflächlichkeit und zugleich die unnötige Komplexität der Rechtsprechung.

Um hier keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen. Fehler sind menschlich, die Übernahme von Verantwortung ist nicht immer leicht. Es ist noch keine Schande, sich dies einzugestehen und passiv auf Schonung zu hoffen. Nicht umsonst gibt es Haftpflichtschutz. Aber wer nachträglich manipuliert und die Vorteile der früheren Vertrauensstellung auszunutzen trachtet, sollte wegen arglistiger Täuschung oder sogar Prozessbetrug seine Zulassung als Mitglied eines Rechtsorgans verlieren. Analog gilt das also auch für Richter.          

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