Die Thesenflut zur Netzpolitik ... bringt auch einige innovative rechtliche Ansätze

von Dr. Michael Karger, veröffentlicht am 20.07.2010

Im Juni 2010 hat Bundesinnenminster Thomas de Maizière 14 Thesen für einen Online-Dialog ins Netz gestellt, jetzt zieht der Chaos Computer Club (CCC) nach und stellt "11 Forderungen für ein lebenswertes Netz" auf. Anders als vielleicht von manchen erwartet, geht der CCC nicht auf vollen Kollisonskurs zum BMI, vielmehr gibt es in vielen Punkten sogar Einigkeit. So glaubt das BMI an die "Selbstregulierungskräfte" des Internet, während der CCC auf dessen "Selbstheilungskräfte" vertraut. Auffallend liberal daher eine der zentralen Aussagen des Bundesinnenministers in seiner Rede zu den Perspektiven deutscher Netzpolitik vom 22. Juni 2010: "Selbstregulierung hat Vorrang vor neuer Rechtsetzung." 

Sämtliche Thesen, ob nun vom BMI oder vom CCC, haben rechtliche Implikationen. Kann das Recht auf die fortschreitende technische Innovation auch innovative Antworten geben? Auf den ersten Blick bieten die Thesenpapiere viele Allgemeinplätze und Altbekanntes. Den großen Wurf in Gestalt eines "Netzgesetzbuches", so hat der Bundesinnenminister klargestellt, wird es nicht geben. Bei der Querschnittsmaterie Internetrecht wäre dies auch kaum zu bewerkstelligen.

Einige interessante Ansätze lassen sich aber finden - weniger in den verkürzten Thesen, als im Redemanuskript des Ministers. Da wären z.B.:

  • das "Recht auf Vergessen", bzw. das "Recht auf Nichtwiederfinden" (Manuskript Seite 8): Der Einzelne soll einen "digitalen Radiergummi" an die Hand bekommen bzw. seine Daten mit einem Verfallsdatum versehen können. Allerdings kann es dieses Recht kaum geben, solange es technisch nicht zu realisieren ist. Aushilfsweise könnte es allerdings ein "Indexierungsverbot" geben, das es Suchmaschinenbetreibern untersagt, bestimmte markierte Einträge bei den Suchergebnissen wiederzugeben.
  • Das Recht auf eine Internet-Gegendarstellung (Manuskript Seite 9): Der Betroffene soll ein "privates Darstellungsrecht" (was immer das auch sein mag) bekommen. Dieses Recht soll - und jetzt wird es interessant - mit dem Anspruch gegen Betreiber von Suchmaschinen verbunden werden, die eigene Darstellung auf Platz 1 der Trefferliste zu setzen.
  • Die Sicherung der "Verfügungsgewalt über den virtuellen Hausrat" (Manuskript Seite 12): Dazu soll gehören, dass erworbene Dateien unabhängig von bestimmten Plattformen oder Geräten genutzt werden können oder dass der Nutzer bei Wechsel des sozialen Netzwerks seinen gesamten Datenbestand (analog zu seiner Telefonnummer bei Providerwechsel) mitnehmen darf.
  • Für Provider soll es "für bestimmte gefahrgeneigte Angebote" eine Gefährdungshaftung oder eine Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens geben. Das soll aber nicht für die unterlassene Kontrolle von Inhalten gelten, sondern für eher technische Themen wie Viren, Schadsoftware und Datenverlust (Manuskript Seite 19).

Die Thesen des CCC gehen in manchen Punkten über das Thema Netzpolitik hinaus:

  • Gefordert wird u.a. eine Änderung der Vergabepolitik bei IT-Großprojekten, um "Rohrkrepierer" wie die Gesundheitskarte zu verhindern (These 3).
  • Interessant ist der Ansatz, keinen Patentschutz auf Ergebnisse zu gewähren, deren Erarbeitung mit Steuergeldern finanziert wurde. Es scheint einerseits einleuchtend, dass entsprechende Ergebnisse der Allgemeinheit zustehen sollen. Andererseits gäbe es wohl auch ein Problem u.a. für Start-Ups, die aus dem universitären Umfeld kommen (These 4).

Wer an der Online-Konsultation des BMI zur Netzpolitik aktiv teilnehmen will, muss sich übrigens beeilen: Am 23. Juli wird das Forum geschlossen.

 

 

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1 Kommentar

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"Gefährdungshaftung oder eine Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens [...] für eher technische Themen wie Viren, Schadsoftware und Datenverlust"

Die Schwierigkeit besteht ja für Hersteller von Schutzsoftware gerade darin, Viren, Würmer und andere Schadsoftware als solche zu erkennen. Das ist leider nicht trivial. Nicht umsonst wird deren Virendatenbank täglich oder gar stündlich aktualisiert - und kann dann auch nur bereits bekannte Schädlinge enthalten. Die verhaltensbasierte Schädlingserkennung befindet sich immer noch in der Entwicklung.

Wie schnell eine Vielzahl von Rechnern befallen werden kann, zeigte z.B. der sog. Conficker-Wurm; die gerade aktuell bekannt gewordene Windows-LNK-Lücke hat leider auch ein erhebliches Gefährdungspotential. Andererseits gibt es auch genügend Beispiele, in denen Schutzsoftware "zuviel des Guten" tat, sprich irrtümlich Schadsoftsoftware erkannt, deshalb wichtige Systemdateien "bereinigt" und damit ein instabiles System zurückgelassen hat.

Aber falls Herr de Maizière eine Möglichkeit kennt, bekannte wie noch unbekannte Schadsoftware sicher zu identifizieren, dann ist diese Idee sicher berechtigt.

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