Keine PKH für Bagatellforderungen?

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 28.06.2010

Aus meiner Sicht bedenklich ist die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg – Beschluss vom 10.06.2010 – L 5 AS 610/10 B ER – ,wonach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu versagen sei, wenn der Rechtsstreit eine wirtschaftliche Bedeutung nur im Bagatellbereich habe. Im konkreten Fall ging es um 42 €. Obwohl das Gericht hinreichende Erfolgsausichten der Rechtsverfolgung bejahte, wurde gleichwohl Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Anwalts versagt, da der Rechtsstreit eine wirtschaftliche Bedeutung nur im Bagatellebereich habe. Abgesehen davon, dass mehr als fraglich ist, ob man bei einer Forderung von 42 € ohne weiteres nur von Bagatelle sprechen kann, schafft diese Entscheidung einen gerichtlicher Kontrolle entzogenen Bereich, in dem die Durchsetzung von „Gerechtigkeit“ ausschließlich von den wirtschaftlichen Fähigkeiten des Betroffenen abhängt.


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6 Kommentare

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Richter am Landessozialgericht könnten sicher besser bezahlt werden. Aber solange sie 42,- Euro für einen Bagatellbetrag halten, scheinen Sie immer noch hinreichend  zu verdienen. Anders ist nicht erklärlich, weshalb sie sich soweit von den finanziellen Nöten der Rechtsuchenden entfernen.

 

Als Anwalt bin ich auch nicht glücklich über "ebay"- oder Abofallen-Fälle mit Streitwerten von 50,- Euro. Aber soll ich die Mandanten, für die diese Beträge vielleicht viel Geld sind, gleich mit der Begründung abweisen, daß ich so einen Kleinkram nicht vertrete?

 

 

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Nö, aber vor dem Amtsgericht herrscht ja auch kein Anwaltszwang und ob und welche Mandate Sie übernehmen, steht ihnen frei; die Gerichte müssen sich wohl oder übel mit den eingereichten Klagen befassen. Bei Ihnen ist es eine Frage der Rentabilität und des Einkommens, bei der PKH eine Frage, ob der Steuerzahler das Rechtsanwaltseinkommen auch im Bagatellfall subventionieren muss.

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Umgekehrt müsste man mit gleicher Argumentation dem Beklagten das Rechtsschutzbedürfnis für seine Rechtsverteidigung absprechen.

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Sah das Gericht tatsächlich hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder erschien ihm die Einschaltung eines Anwaltes unabhängig davon mit Blick auf den in Streit stehenden Betrag mutwillig. Führt man sich vor Augen, dass das Verfahren für den Kläger gerichtskostenfrei ist und macht man sich mit den Pflichten des Sozialgerichts vertraut, mag die Entscheidung verständlicher erscheinen - http://www.justiz.nrw.de/BS/Gerichte/Sozialgericht/Einzelverfahren/Sozialgericht_5/index.php, http://www.justiz.nrw.de/WebPortal/BS/Gerichte/Sozialgericht/Grundsaetze/gerichtskosten_7/index.php, http://www.sozialgericht-bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen86.c.1873.de.

Das Gericht hat dem Kläger nicht das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen. Es bleibt ihm unbenommen, seine Ansprüche ohne Rechtsanwalt zu verfolgen. Diese ihm offenstehende Möglichkeit sichert auch zugleich, dass unterhalb einer Beschwer von 42 € kein rechtsfreier Raum geschaffen wird.

Bekanntlich herrscht vor dem Sozialgericht der Untersuchungsgrundsatz. Die materielle Berechtigung des Bescheids, aber auch die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe, werden auch ohne substantiierte Angriffe gegen den Bescheid geprüft, Sachverhaltsermittlungen werden im Hauptsacheverfahren von Amts wegen durchgeführt. Insoweit liegt es ganz anders als im Zivilprozess. Obendrein müssen die Sozialrichter oft sogar den Rechtsanwälten "unter die Arme greifen", damit sachdienliche Anträge zustande kommen. Diese ruhen sich nämlich nur allzu häufig auf dem Untersuchungsgrundsatz aus und müssen sich fragen lassen, was eigentlich ihr Beitrag zu dem Verfahren war. Bei dieser Sachlage ist es gerechtfertigt, dort die die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu versagen, wo nur niedrige Beträge im Streit sind und auch die wohlbetuchte Partei einen Prozess gar nicht erst angestrengt hätte oder diesen jedenfalls ohne Rechtsanwalt geführt hat. Die Verfahrensordnung ist per se sozial und trägt Sorge dafür, dass der Kläger auch ohne Rechtsanwalt nicht alleine gelassen wird. Sein Anliegen sollte der Kläger auch ohne Anwalt so in Worte fassen können, dass seine Begehr vom Gericht erkannt wird (rechtlich begründen muss er sich nicht). Wo dies nicht der Fall ist, spricht dies in besonderem Maße für einen "blinden Angriff" und die Unbegründetheit seiner Klage. Wo es um kleine Beträge geht, hört man oft, dass es dem Käger um das "Prinzip" geht und der Beklagte/die Behörde "damit nicht durchkommen dürfe". Die Gerichtskostenfreiheit leistet solchen Motiven Vorschub. Sie sind aber nicht von Sinn und Zweck der PKH gedeckt. Um das Prinzip darf der streiten, der seinen Rechtsanwalt selbst bezahlen kann, nicht jedoch der, der ihn sich vom Staat bezahlen lässt.  Letzterer muss sich das Verhalten eines vernünftig handelnden bemittelte Bürgers entgegengehalten lassen. Ein solcher ist der "Prinzipienreiter", der ohne Abwägung von Risiko und Vorteil ein Gerichtsverfahren rein um des Prinzips willen führt, nicht. 

Allerdings muss stets bedacht werden: Es geht nicht an, danach zu fragen, ob ein vernünftig handelnder bemittelter Bürger für den jeweiligen Betrag klagen bzw. sich eines Rechtsanwalts bedienen würde, ohne dabei zu beachten, dass im konkreten Fall gerade eine Minderbemittlung vorliegt und damit für den konkreten Kläger 42 € mehr wert sind als für den bemittelten Kläger. Der Wert des Gegenstandes gerade für den konkreten Kläger muss also stets im Auge behalten werden. Ich will damit nicht sagen, dass die Grenze von 42 € falsch angesetzt ist. Allerdings reicht es nicht, darauf zu verweisen, dass der Bemittelte für diesen Betrag keinen Rechtsanwalt einschalten würde. Man muss schon die Perspektive des Minderbemittelten einnehmen. Allerdings wird auch dieser die Madatierung eines Anwalts für unvernünftig halten, wenn durch diese die Relation zwischen Streitwert und Kostenrisiko nicht mehr gewahrt ist. Er wird in diesem Fall das Klageverfahren zwar durchführen, aber eben ohne Anwalt.

Wie gesagt, eine Beschneidung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz sehe ich nicht. Der Kläger kann ohne einen Rechtsanwalt klagen. Wenn er dann mit dem erstinstanzilchen Urteil nicht zufrieden ist, sollte allerdings für die Berufungsinstanz der Wert des Streitgegenstandes in Sachen PKH-Bewilligung keine Rolle mehr spielen. Hier zieht das Argument "zur Not kann das Gericht dem Kläger bei der Fassung seiner Anträge und Formulierung seiner Begehr behilflich sein" nicht mehr. Denn das erstinstanzliche Gericht hat ihm gerade nicht geholfen. Es kann für die Berufungsinstanz nur noch auf die Erfolgsaussichten ankommen.

MfG

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