Verspäteter Beweisantrag in OWi-Sachen?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 29.05.2010

§ 77 OWiG ist für mich eine der Zentralnormen des OWi-Verfahrens: Jeder Richter und Verteidiger, der Bußgeldsachen bearbeitet, sollte irgendwann einmal in einer ruhigen Minute die Kommentierung im Göhler zu dieser Vorschrift lesen. Wie ich darauf komme? Gerade habe ich OLG Hamm: Beschluss vom 04.05.2010 - III-2 RBs 35/10, 2 RBs 35/10 = BeckRS 2010, 12297 gelesen. Hier ein kleiner Ausschnitt, der sich mit § 77 OWiG befasst (die Kernsätze habe ich mal fett hervorgehoben):

"...Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG durch die Ablehnung des auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichteten Beweisantrags als verspätet ist unzulässig. Nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Weise erhoben, wenn „die den Mangel enthaltenen Tatsachen angegeben“ sind. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit und so genau und vollständig zu erfolgen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensverstoß vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (zu vgl. BGH, NStZ 2001, 425). Diesen Anforderungen wird die Rechtsbeschwerdebegründung nicht gerecht. Der Beschwerdeschrift lässt sich nämlich nicht entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die Einholung eines Sachverständigengutachtens möglich gewesen wäre. Es kann daher auf Grundlage des Beschwerdevorbringens nicht überprüft werden, ob das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Beweiserhebung zu einer Aussetzung der Verhandlung geführt hätte.

Ungeachtet dessen bleibt Folgendes anzumerken: Der Ablehnungsgrund der verspäteten Antragstellung gem. § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG setzt außerdem voraus, dass die beantragte Beweiserhebung zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung führen müsste. Darunter ist nur die Aussetzung nach § 228 StPO mit der Folge, dass die Hauptverhandlung neu durchgeführt werden muss, nicht aber auch eine Unterbrechung der Hauptverhandlung i. S. von § 229 StPO gemeint (zu vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflg., Rdnr. 20 zu § 77 m. w. N.). Der Richter muss sich deshalb vor der auf § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG gestützten Ablehnung eines Beweisantrages Gewissheit darüber verschaffen, ob die Hauptverhandlung mit der beantragten Beweiserhebung innerhalb der Frist des § 229 Abs. 1 StPO fortgeführt werden kann. Ohne eine solche Prüfung, die sich vorliegend weder aus dem Hauptverhandlungsprotokoll noch aus den Urteilsgründen ergibt, hätte der Beweisantrag des Betroffenen nicht gem. § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG zurückgewiesen werden dürfen (zu vgl. Senatsbeschluss in NZV 2008, 160)...."

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