Geschwindigkeitsmessungen durch Private: Ein Blick hinter die Kulissen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 05.05.2010

Schon interessant, was das AG Bruchsal, Beschluss vom 12.03.2010 - 5 OWi 410 Js 13889/08 so zu Geschwindigkeitsmessungen durch Private schreibt. Das AG zitiert nämlich u.a. aus den Vertragsbedingungen. Aus den Gründen der Entscheidung:

"...Nach der Anhörung des Betroffenen am 3.12.2007 erging am 19.2.2008 ein Bußgeldbescheid, der mit Einspruch vom 28.2.2008 angegriffen wurde. Am 30.4.2008 wurde Hauptverhandlungstermin auf den 17.7.2008 anberaumt, in dessen Verlauf die Messbeamtin des Landratsamtes als Zeugin vernommen wurde.

Die Vernehmung der Zeugin R. hat ergeben, dass diese nicht alleine, sondern mit einem Mitarbeiter eines Privatunternehmens, nämlich einer „Firma D. GmbH“ die Messung durchgeführt hat. Die Zeugin musste einräumen, dass, obwohl sowohl der von vorne wie auch von hinten kommende Verkehr gemessen wurde, die Messanlage auf „Automatikbetrieb“ eingestellt war. Auf Vorhalt des Verteidigers, dass nach seiner Kenntnis dies nach der Bedienungsanleitung des verwendeten Messgerätes nicht zulässig sei, da bei einer Messung durch nur einen Beamten entweder die Front- oder die Heckanlage auf Manuellbetrieb zu schalten sei, wurde deutlich, dass der Zeugin diese Problematik nicht bekannt war.

Auf einen Beweisermittlungsantrag des Verteidigers wurde die Hauptverhandlung vertagt und bei der Behörde die Bedienungsanleitung für das Messgerät angefordert.

Am 30.7.2008 übersandte das Landratsamt eine DIN A4-Seite mit laienhaft selbst gefertigten „Checklisten“ zur Einstellung von drei völlig verschiedenen Geschwindigkeitsmessgeräten. Diese „Checklisten“ - auf AS 99 wird verwiesen - sind weit davon entfernt, auch nur annähernd als Bedienungsanleitung bezeichnet werden zu können.

Mit Verfügung vom 8.8.2008 wies das erkennende Gericht das Landratsamt darauf hin, dass es nicht wirklich vorstellbar ist, dass es für das Verkehrsradarmessgerät „speedophot“ keine umfassendere Bedienungsanleitung als die übersandte Checkliste gibt und bat nochmals um Übersendung einer Kopie der vollständigen Gebrauchs- oder Bedienungsanleitung

des verfahrensgegenständlichen Messgerätes, an die Übersendung musste am 9.9. erinnert werden.

Am 17.9.2008 teilte die Behörde telefonisch mit, die Bedienungsanleitung sei ein recht umfangreiches Werk, es sei sachgerecht, wenn die Zeugin R. diese zum neuen Hauptverhandlungstermin mitbringe, worauf noch am selben Tag ein neuer Hauptverhandlungstermin auf den 11.12.2008 anberaumt wurde.

Zu diesem Termin brachte die Zeugin R. dann Kopien der vom Verteidiger gewünschten Bedienungsanleitung mit, ebenso legte sie Zertifikate vor, aus denen sich ergibt, dass sie von genau dem Unternehmen ausgebildet wurde, das für das Landratsamt die Geschwindigkeitsmessungen durchführt.

Daraufhin vermutete der Verteidiger nachvollziehbar, dass die verfahrensgegenständliche Messung unter Beteiligung eines Privatunternehmens letztlich keine behördliche Messung des Landratsamtes mehr, sondern eine private Messung unter Beteiligung eines „Alibi“-Beamten sei und hat beantragt, den der Beteiligung des Privatunternehmens zugrunde liegenden Vertrag mit dem Landratsamt über Durchführung und Vergütung der Messung beizuziehen.

Mit Verfügung vom 2.4.2009 wurde das Landratsamt daher um Vorlage des gesamten Vertrages mit dem Vermieter des Messfahrzeuges einschließlich der Vergütungsregelung gebeten. Nachdem am 7.5.2009 hieran erinnert werden musste, teilte das Landratsamt am 19.6.2009 telefonisch mit, das Ersuchen müsse über den Amtsleiter erledigt werden.

Nachdem wiederum ein Monat ohne Reaktion verstrichen war, hat das Gericht mit Verfügung vom 23.7.2009 erneut Hauptverhandlungstermin, nunmehr auf den 1.10.2009, bestimmt und unter Hinweis auf § 95 StPO an die Herausgabepflicht der Behörde erinnert.

Mit Schreiben vom 10.8.2009 teilte das Landratsamt mit, dass die angeforderten Unterlagen Betriebsgeheimnisse enthielten, die Prüfung bedürfe weitere sechs Wochen.

Nachdem auch innerhalb der gewährten Prüfungsfrist die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt wurden, hat das erkennende Gericht mit Verfügung vom 23.9.2009 angekündigt, am 1.10.2009 um 13.30 Uhr abschließend über dieses Verfahren zu entscheiden und angekündigt, das Verfahren aufgrund eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Dem Landratsamt wurde Gelegenheit gegeben, sich gem. § 76 Abs. 1 OWiG an der Hauptverhandlung zu beteiligen.

Am 30.9.2009 - also am Tag vor der Hauptverhandlung! - erschien ein Mitarbeiter des Landratsamtes persönlich und übergab - endlich - den vom Gericht angeforderten Vertrag mit der Bitte, diesen dem Verteidiger nicht zur Kenntnis zu bringen, da darin Geschäftsgeheimnisse - insbesondere das Angebotskalkulationsgeheimnis des Vertragspartners - enthalten seien.

Nachdem eine rechtliche Überprüfung des Vertrages und der Geheimhaltungsproblematik einen Tag vor der Hauptverhandlung nicht mehr möglich war, wurde der Hauptverhandlungstermin vom 1.10.2009 aufgehoben.

Eine anschließende Überprüfung des umfangreichen Vertragswerkes zwischen dem Landratsamt K. und der Firma D. GmbH war nunmehr aber bis zum Eintritt der absoluten Verjährung nicht mehr möglich, weshalb das Verfahren aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Verfolgungsverjährung einzustellen war.

Ergänzend weist das Gericht - nachdem das Vertragswerk ausgewertet wurde - auf folgendes hin:

Wäre bis zur erfolgten Auswertung keine Verfolgungsverjährung eingetreten, wäre das Verfahren ebenfalls einzustellen gewesen:

Die Messung unter Beteiligung des Privatunternehmens war rechtswidrig und somit nicht verwertbar. Die Beweisfotos sind unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen erstellte von der Behörde gekaufte Beweismittel.

Die Vereinbarung zwischen dem Landratsamt K. und der Firma D. GmbH verstößt gegen den Erlass des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg vom 16.12.1993 (23-3859.1/126). Dort heißt es:

„der Erwerb von Beweismitteln ist gesetzlich jedoch nicht vorgesehen. Beweismittel sind den Verfolgungsbehörden vielmehr grundsätzlich unentgeltlich zur Verfügung zu stellen und können sogar beschlagnahmt werden.

Darüber hinaus ist es auch nicht zulässig, Private an der Abwicklung von Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz zu beteiligen. Die Verfolgungsbehörde hat vielmehr sämtliche Verfahrensschritte - dazu gehört insbesondere auch die Anlegung von Akten sowie die erforderliche Erfassung von Daten - selbst durchzuführen, denn das Ordnungswidrigkeitenrecht ist seinem materiellen Gehalt nach Strafrecht und Strafprozess“.

Hiergegen verstößt die Vereinbarung zwischen dem Landratsamt und dem privaten Messunternehmen mehrfach: Im Vertrag heißt es unter 2.1:

„Die fotografisch gefertigten Beweisfotos einschließlich der beiden Ausschnittsvergrößerungen sind digital nach Zuordnung eines Aktenzeichens zu speichern und auf CD-ROM zu liefern. (...) Preis für ein mit einem Aktenzeichen versehenes digitalisiertes Beweisfotoblatt (einschließlich 16% Mehrwertsteuer): 0,25 Euro.“

Weiter heißt es:

„POS. 3 Auswertung, Datenerfassung und Verarbeitung der Ergebnisse aus der Geschwindigkeitsüberwachung.

3.1 Verwarnungsbereich (...) Auswertung der Messergebnisse und Fertigung einer Sammelanzeige aufgrund des Beweismaterials.“

„Herstellung einer Akte (System O., Fa. F. GmbH, F., bestehend aus dem ausgedruckten Beweisfotoblatt und einer Kopie des Messprotokolls, Aufbringung des Aktenzeichens auf dem Aktenheft (...)). Die Aktenanlage schließt das Anbringen der systemeigenen Aufkleber ein.“

Unter 3.5 heißt es:

„Der Auftragnehmer fertigt eine Monatsstatistik entsprechend dem beigefügten Muster A. Für jedes Quartal ist zusätzlich eine nach Gemeinden gegliederte Statistik nach dem Muster B zu erstellen. Die jeweiligen Werte sind zu saldieren.“

Dass diese administrativen Handlungen wesentlicher Bestandteil des Vertrages sind, wird schon daraus deutlich, dass das Landratsamt monatlich pauschal 2.000,00 Euro dafür bezahlt!

Durch den Vertrag hat das Landratsamt K. somit nicht nur wesentliche Teile des Verwaltungsverfahrens, wie z. B. die Anlage von Akten, die Erfassung von Daten und sogar deren statistische Auswertung an das Privatunternehmen übertragen, sondern bezahlt darüber hinaus für jedes Beweisfoto einen Betrag, der deutlich höher liegt, als man allgemeinkundig in einem durchschnittlichen Drogeriemarkt für einen Abzug eines Fotos zu zahlen hat.

Nicht ohne Grund hat in den letzten Tagen die Diskussion um den Ankauf von Beweismitteln - allerdings auf anderer Ebene - eine neue Dynamik erfahren und wird mit ernstzunehmender Begründung als unzulässig angesehen.

Hinzu kommt folgendes:

Aus - auf Anregung des Verteidigers - hinzugezogenen anderen Bußgeldakten des Amtsgerichts Bruchsal hat das erkennende Gericht darüber hinaus die Überzeugung gewonnen, dass die Beteiligung des privaten Messunternehmens an der Messung über den im Vertrag geregelten Umfang sogar noch hinaus geht. Im Verfahren 5 OWi AK 388/09 hat der Zeuge R. - ebenfalls beim Landratsamt als Messmitarbeiter angestellt - angegeben:

„Bei der Messung gab es keine Besonderheiten, Messbeamter bin ich allein, der Fahrer hat mitgemessen, dies darf er auch nach dem Gesetz. Die Messungen waren in Ordnung. (...) Ja, es gibt zwei Kameras, der Fahrer stellt die eine ein, ich stelle die andere ein. Ich habe die Frontanlage bedient, der Fahrer hat die Heckanlage bedient.“

Der Zeuge hat hierbei ebenso glaubhaft wie freimütig eingeräumt, dass es für ihn üblich sei und „dem Gesetz entspreche“, dass der in keiner Weise öffentlich-rechtlich tätige oder entsprechend verpflichtete „Fahrer“ ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fremde Autofahrer fotografiert. Die Angaben des Zeugen R. im vorgenannten Verfahren haben nunmehr gerichtskundig belegt, was viele vermutet haben und nach Aktenlage auch wahrscheinlich erscheint: Es ist kaum zu erwarten, dass die Mitarbeiter jenes Unternehmens, das Eigentümer der kostspieligen Messanlagen ist, das im Besitz der Originalbedienungsanleitungen ist, das sogar die „Messbeamten des Landratsamtes“ an diesen Geräten ausbildet, bei der konkreten Messung selbst dann nur subalterne Fahrdienste übernehmen, während der Mitarbeiter des Landratsamtes, der zunächst nur eine wenig überzeugende „Checkliste“ über die Bedienung des Gerätes vorlegen konnte, die Messgeschwindigkeitsmessung selbständig verantwortlich vornimmt.

Aus der Gesamtschau der vorstehend beschriebenen Umstände ergibt sich, dass im vorliegenden Fall - und darüber hinaus in vielen anderen sicher auch - die Geschwindigkeitsmessung nicht als eine hoheitliche Messung des Landratsamtes, sondern als eine privat veranstaltete Messung zu qualifizieren ist, deren rechtswidrig erlangte Ergebnisse nicht als Beweismittel gegen den Betroffenen verwertbar sind.

Das Gericht hat - nachdem zwischenzeitlich Verfolgungsverjährung eingetreten war und somit eine vollständige Auswertung des Vertrages zwischen dem Landratsamt und dem privaten Messunternehmen nicht mehr erforderlich war - davon abgesehen, diesen Vertrag durch Fertigung von Kopien als Beweismittel zu beschlagnahmen, nachdem das Landratsamt auf die durchaus berechtigten Geheimhaltungsinteressen seines Vertragspartners hingewiesen hat. Die im vorliegenden Verfahren aufgedeckte Problematik der übermäßigen Beteiligung eines Privatunternehmens an Geschwindigkeitsmessungen des Landratsamtes dürfte jedoch in künftigen Verfahren eine Rolle spielen...."

 

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Hier rasen Tag und Nacht PKW und LKW mit Geschwindigkeiten bis zu 100kmh durch das Dorf. 50kmh und 40kmh für LKW sind erlaubt, angemessen in Anbetracht der verschmälerten Bürgersteige und Unübersichtlichkeit wären 30kmh.

Der Lärm und die Bedrohung für Kinder, ältere und Radfahrer ist permanent. Die Bordsteinkanten sind abgesenkt, damit man auch den Bürgersteig als Autofahrer zum Ausweichen oder Parken nutzen kann. Die Rücksicht vieler Autofahrer zeigt sich, indem sie in Konfliktsituationen den Vogel zeigen oder die Hupe betätigen.

Alle Anfragen an die Gemeinde ergeben nur einen Verweis auf die Zuständigkeit des LRA. Das stellte dann ein Messgerät auf (ohne Foto). Es stand zwei Wochen da, und stellte nur 96 Raser fest, was als zuwenig erschien. Das Gerät hatte auch nur 1 Sunde lang gemessen, weil dann die Batterie versagte.

In einem Jahr wurde ich Zeuge von 16 Verkehrsunfällen nur vor unserem Haus. Aufffahrunfälle, Fussgänger angefahren und verletzt, Hausfronten angefahren und stark beschädigt.

Die Raser sind meist Auswärtige, auch Schweizer, die es eilig haben, das Verkehrshindernis Ortsdurchfahrt zu überwinden.Da im ganzen Landkreis weder Blitzer stehen noch Radarkontrollen durchgeführt werden, herrscht hier die Maxime Freie Fahrt für Freie Autofahrer. 

Es wundert mich nicht, dass sich nun auch Richter, Rechtsanwälte, Behörden, ADAC und Polizei für die Rechte der Schnellfahrer und Gewaltbereiten engagieren.Wer kein Auto hat, oder Kinder,oder Fahrrad fährt, darf eben den PS-Rittern nicht in die Quere kommen. 

Geschehen: Ein Jeepfahrer ärgert sich über einen vor ihm an einer Einmündung stehenden Fahrradfahrer, weil der abwartet (Querverkehr), gibt Vollgas und überrollt den Fahrradfahrer einfach, der unter den Jeep gerät. Dann stoppt er, sieht nach und fährt 5m rückwärts, wodurch der verletzte Radler und das zerknickte Rad wieder zum Vorschein kommt. Mit dem Handy ruft er dann zunächst einen Bekannten als "Zeugen" und dann die Polizei. Die kommt nach 1 Stunde und spricht zunächst mit dem Jeepfahrer und dem "Zeugen" . Dann wird dem inzwischen auf dem Trottoir liegenden Radler mitgeteilt, dass eine Strafanzeige wegen Verkehrsgefährdung gegen ihn gestellt wird. Er sei von hinten kommend schuldhaft vor den anfahrenden Jeep gefahren. Da der Radler benommen ist, zum Glück nur Abschürfungen und eine Zerrung/Prellung am Knie hat, wird kein Krankenwagen gerufen, die Polizei fährt weg. Nun, rechtlich abgesichert, bietet der Jeepfahrer dem Radler an, ihm freiwillig 100 Euro Schmerzensgeld zu zahlen (später, wenn er auf einen Einspruch verzichtet) und ihn samt  Rad nachhause zu fahren.

Einspruch wird später aufgrund der klaren "Ermittlungen" der Polizeibeamten abgelehnt, der Radler zu einer Geldstrafe verurteilt. Wir sind in Baden-Württemberg.

Der Schulweg meiner 5jährigen Tochter führt um eine Hausecke, wo der Bürgersteig 60 cm zur Hauswand breit ist.  Von vorn kommen LKW und PKW mit 50-80kmh, und schneiden die Kurve, oft auch über das abgesenkte Bordsteingebilde. Da kleine Kinder leider in diesem Alter gern hopsen, spielen und abgelenkt sind, vielleicht auch dem Wasserguss der undichten Dachrinne darüber ausweichen wollen, besteht hier eine extreme Gefahrenstelle. Aber kein Schild, keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Vom LRA Waldshut hört man dazu, es sei eine Landstrasse und Hauptsrasse, man könne wegen der Gesetzeslage da den Verkehrsfluss nicht behindern. Sicher, man kann einen Umweg von 1 km andersherum wählen, aber in der 30kmh Zone dort wird auch gerast.

So ist es eben. Schön, dass es Richter gibt, die den Zeitgeist erkennen und sich hier zu Worte melden, um auf Beweismittelargumente, waghalsige Gerichtsurteile und den in den Vordergrund zu rückenden Persönlichkeitsschutz der Delinquenten zu verweisen, so wird aus einer mangelhaften Gebrauchsanweisung eine schöne Anleitung, wie man das Auto als Waffe einsetzen kann, ohne Folgen befürchten zu müssen... Danke, Herr Richter

 

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