Der XII. Zivilsenat des BGH bleibt bei seiner Meinung zu § 15a RVG

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 27.03.2010

Der XII. Zivilsenat des BGH hat im Beschluss vom 3. Februar 2010 - XII ZB 177/09 seine zutreffende Auffassung nochmals unterstrichen, dass § 15a RVG auch auf sogenannte Altfälle anzuwenden ist. Es handele sich um eine bloße Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage, § 15a RVG finde auch dann Anwendung, wenn die Auftragserteilung des Erstattungsberechtigten an seinen Prozess - beziehungsweise Verfahrensbevollmächtigten vor dem 5. August 2009  erfolgt war. Mangels Änderung der Rechtslage habe es keiner Übergangsvorschrift bedurft; etwas anderes folge auch nicht aus der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 5. August 2009. Es bleibt zu hoffen, dass sich nunmehr auch die anderen mit vergleichbaren Verfahren befassten Senate des BGH den zutreffenden Argumenten des XII. Senats anschließen.

 

 

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7 Kommentare

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Ob es dem Beck-Verlag wohl recht ist, wenn dubiose "Experten" sich hier Unverschämtheiten wie "Bundesministerium gegen die Justiz" leisten??

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Nun zumindest hat der XII. Zivilsenat seine Rechtsansicht im Gegensatz zum II. Zivilsenat inhaltlich begründet.

 

An den Entscheidungen des XII. Zivilsenats irritiert mich, dass der Senat die Anrechnungfrage ohne Anrufung des Großen Senats in Zivilsachen in "Altfällen" als klargestellt ansieht, obwohl der Wortlaut der Anrechnung nach der Rechtsprechung des BGH zum RVG als eindeutig angesehen wird -vgl. z.B. Urteil vom 25.09.2008 in IX ZR 133/07:
"Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vermindert sich durch die anteilige Anrechnung nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren anfallende Verfahrensgebühr (BGH, Urt. v. 7. März 2007 - VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049, 2050 Rn. 11; Beschl. v. 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323, 1324 f Rn. 6 ff; v. 30. April 2008 - III ZB 8/08, FamRZ 2008, 1346 Rn. 4). Die Anrechnung hat zwingend zu erfolgen."

Setzte die Bewertung der "Gesetzesänderung" als rückwirkende Klarstellung für "Altfälle" nicht denklogisch die vorherige und bisher nicht erfolgte Revidierung des Wortlautverständnisses voraus?

 

Der XII. Zivilsenat sieht dies zweifelsfrei anders (und stößt dabei auch im eigenen Haus auf Widerspruch):

"Nachdem somit in § 15a RVG keine Gesetzesänderung gesehen werden kann, sondern nur eine vom Gesetzgeber gewollte Klarstellung der geltenden Rechtslage, hat der Senat von dieser Rechtslage auszugehen. Einer Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen bedarf es trotz der bisher abweichenden Auslegung der Anrechnungsregelung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG durch andere Senate des Bundesgerichtshofs deshalb nicht mehr (vgl. BGH Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07 - ZIP 2009, 1927, 1928). Eben so wenig liegt ein Fall der Rückwirkung vor."

 

Die "Altfall"- Rechtsprechung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit geht derweil gegenwärtig im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerwG zur Anrechnung andere Wege (vgl. z.B. VGH München, Beschl. v. 21.10.09, 19 C 09.2395, juris und B. v. 9.11.2009 in 19 C 09.2515; Hessischer VGH, B. v. 08.12.2009 in 1 E 2812/09, juris; OVG Bremen, B. v. 27.01.2010 in 1 S 367/09, juris; OVG Münster, B. v. 22.02.2010 in 12 E 1740/09, http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/12_E_1740_09beschluss20100222.html).

Aus BVerwG, Beschluss vom 22.07.2009 in 9 KSt 4/08:
"Angesichts des in § 162 Abs. 1 und 2 VwGO zum Ausdruck gekommenen Willens, die Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltsgebühren grundsätzlich auf die im Prozess entstandenen Gebühren zu beschränken, stellt es eine sachlich begründete und daher auch vor dem Gleichheitssatz zu rechtfertigende gesetzgeberische Entscheidung dar, durch die Anrechnung die Erstattungsfähigkeit auf den Gebührensatz zu begrenzen, der auf den Aufwand des Rechtsanwalts im Prozess zugeschnitten ist. Rechtspolitisch lassen sich Sachgründe freilich auch für eine abweichende Lösung anführen. Um ihnen Geltung zu verschaffen, bedarf es aber einer Entscheidung des Gesetzgebers (vgl. hierzu den Entwurf eines § 15a RVG, BTDrucks 16/12717 S. 55, 67 f.)."

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stammt aus der Zeit vor Inkrafttreten von § 15a RVG und kann daher derzeit wohl keine Orientierung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit mehr bieten. Für eine gesonderte "Altfall"- Rechtsprechung einer Gerichtsbarkeit sehe ich keine tragfähige Grundlage.

Die Entscheidung des BVerwG datiert in Kenntnis des Gesetzgebungsverfahrens 2 Wochen vor dem Inkrafttreten des § 15a RVG. Sie trifft eine Aussage über den Rechtszustand vor der Gesetzesänderung. Handelte es sich aus Sicht des BVerwG bei § 15a RVG lediglich um eine Klarstellung des bisherigen Rechtszustandes, wie vom XII. Zivilsenat des BGH angenommen, wäre die Entscheidung wohl anders ausgefallen. Die "Altfall"-Rechtsprechung des II. und des XII. Zivilsenats des BGH berücksichtigt die Entscheidung des BVerwG nicht. Sie weicht von dem bisherigen Wortlautverständnis mehrerer Senate des BGH und des BVerwG ab, ohne sich zuvor mit den Recht sprechenden Senaten ins Benehmen zu setzen. Die Begründung für diese Verfahrensweise  überrascht und muss nicht überzeugen.

Der IX. Zivilsenat hat sich der Rechtsauffassung des II. und XII. Zivilsenats angeschlossen.

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=51468&pos=8&anz=683

Beschluss des IX. Zivilsenats vom 11.3.2010 - IX ZB 82/08 -

Aus den Gründen:

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Nach Inkrafttreten des § 15a RVG, wonach sich ein Dritter nur unter bestimmten Voraussetzungen auf die Anrechnung berufen kann, ist in der Rechtsprechung der Instanzgerichte streitig geworden, ob diese Norm auch für die Beurteilung von so genannten Altfällen von Bedeutung ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. Oktober 2009 - 2 W 280/09, OLGR 2009, 930). Die bisher befassten Senate des Bundesgerichtshofs haben sich auf den Standpunkt gestellt, dass § 15a RVG die bisherige Rechtslage nicht geändert hat, sondern sie lediglich klarstellt (BGH, Beschl. v. 2. September 2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101; v. 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07, AGS 2010, 54). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die von ver-schiedenen Oberlandesgerichten angeführten Gegenargumente sind im Be-schluss des XII. Zivilsenats vom 9. Dezember 2009 erörtert und für nicht durch-greifend erachtet worden. Auch für Kostenfestsetzungen vor Inkrafttreten dieser - 5 -

Norm gilt daher, dass die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant betrifft und sich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfah-ren regelmäßig nicht auswirkt. Damit weicht der Senat von der genannten Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats und der ihm folgenden Senate ab. Die Abweichung ist jedoch die Folge einer gesetzlichen Klärung und setzt deshalb keine Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen voraus (§ 132 Abs. 2 GVG).

 

Der XII. Zivilsenat des BGH bleibt auch weiterhin bei seiner Auffassung zur Anwendung des § 15a RVG auf „Altfälle“.

Mit Beschluss vom 31.03.2010 in XII ZB 20/10 wurde ein gegenteiliger Beschluss des OLG Schleswig aufgehoben und ein Kostenfestsetzungsbeschluss des AG Kiel vom 24.07.2009 - ohne Anrechnung der entstandenen Geschäftsgebühr - bestätigt.

Mit heute veröffentlichtem Beschluss des XII. Zivilsenats vom 24.3.2010 in XII ZB 227/09 wurde bereits ein anderer Beschluss des OLG Schleswig aufgehoben und ein Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Itzehoe vom 21.07.2009 abgeändert.

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