OLG Hamburg zum Besitz von Internet-Kinderpornographie: Urteilsbegründung liegt vor

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 28.02.2010

Die hier im Blog schon ausführlich (aber nur aufgrund Pressemitteilungen) diskutierte Entscheidung des OLG Hamburg zu § 184b StGB (OlG Hamburg 2-27/09), ist jetzt auf openjur veröffentlicht.

Es handelt sich, wie schon Jens Ferner in seinem Blog schreibt (Dank an Herrn Ferner für den Link) um eine sehr ausführlich begründete und daher auch nicht von vornherein zurückzuweisende Entscheidung. Quintessenz ist, dass eben schon das Laden in den Arbeitsspeicher Besitz vermittelt und nicht erst das bewusste Klicken auf den Befehl "Grafik speichern unter.. bzw. "Seite speichern unter...", womit die Daten dauerhaft auf der Festplatte gespeichert werden. Damit wird sowohl der Besitz als auch das gezielte Suchen von Kinderpornographie im Internet als "Unternehmen der Besitzverschaffung" gegenüber der (bisherigen) h.L. um eine Stufe vorverlagert.

Bedeutsam ist v.a. der letzte Teil der Urteilsbegründung, hier einige Auszüge mit ein paar ersten Kommentaren jeweils im Anschluss:

"Schriften stehen nach der Legaldefinition des § 11 Abs. 3 StGB Ton- und Bildträger, Abbildungen sowie andere Darstellungen gleich, soweit in anderen Vorschriften – wie in § 184 b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 StGB – auf diesen Absatz verwiesen wird. Diese Gleichstellung erfasst seit Erweiterung durch Art. 4 Nr. 1 Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (IuKDG) vom 22. Juli 1997 (BGBl I, 1870, 1876), in Kraft getreten am 1. August 1997, auch „Datenspeicher“. Datenspeicher sind permanente Speichermedien, die der dauerhaften Aufzeichnung elektronischer, elektromagnetischer und anderer Daten dienen, wie z.B. CD-Roms, USB-Sticks, Festplatten und die internen Speicher einer EDV-Anlage einschließlich Arbeitsspeicher (vgl. Radtke in MünchKommStGB, § 11 Rdn. 118; Hilgendorf in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 11 Rdn. 121; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 11 Rdn. 36; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 11 Rdn. 78). Nach der Rechtsprechung sind Dateien, die auf Datenspeichern – wozu auch Arbeitsspeicher gehören (vgl. BGHSt 47, 55, 58; a.A. Harms in NStZ 2003, 646, 649) – festgehalten sind, selbst Datenspeicher und stehen somit Schriften gleich (vgl. schon zu früherem Recht Senat in NStZ-RR 1999, 329; zum geltenden Recht vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum IuKDG in BT-Drs. 13/7385, S. 36; BGH in NStZ 2005, 444 und 2007, 95; BGHR StGB § 184 b Konkurrenzen 1; HansOLG Hamburg, 1. Strafsenat, in StV 2009, 469; OLG Schleswig in NStZ-RR 2007, 41; a.A. Rudolphi/Stein in SK-StGB, § 11 Rdn. 62)." (Hervorhebung von H.E.M.)

Die Gleichsetzung von Datenspeichern mit Dateien widerspricht m. E. dem Wortlaut der Norm. Strafbar ist der Besitz von Datenspeichern (mit entspr. Dateien), nicht aber die Dateien selbst. Später geht es so weiter:

"aa) Die Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des Besitzes bei Aufruf einer Datei aus dem Internet zwecks Betrachtung auf dem Computerbildschirm sind in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Umfassen Wissen und Wollen des Internet-Nutzers die mit dem Aufruf verbundene automatische Abspeicherung im Internet-Cache, wird von der inzwischen herrschenden Meinung zutreffend ein Unternehmen der Besitzbeschaffung bejaht (vgl. BGH in NStZ 2007, 95; HansOLG Hamburg, 1. Strafsenat, in StV 2009, 469). Demgegenüber hat sich für die hier festgestellte Sachverhaltskonstel-lation des bloßen Aufrufes zwecks Betrachtens mit Herunterladung der Datei in den Arbeitsspeicher ohne weitergehenden Speicherungsvorsatz bisher keine überwiegende Ansicht herausgebildet (die Tatbestandserfüllung bejahend: OLG Schleswig in NStZ-RR 2007, 41; Laufhütte/Roggenbruck in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 184 b Rdn. 8; Heinrich in NStZ 2005, 361, 364; Eckstein in ZStW 117, 107, 120; a.A. Fischer, a.a.O., § 184 b Rdn. 21 b; Lenckner/Perron/Eisele, a.a.O., § 184 b Rdn. 15; Hörnle in MünchKommStGB, § 184 b Rdn. 27; Wolters in SK-StGB, § 184 b Rdn. 13; Lackner/Kühl, a.a.O., § 184 b Rdn. 8; offen gelassen durch Senat in NStZ-RR 1999, 329).

(...)

"Die Besitzbegriffe sowohl des bürgerlichen Rechts als auch etwa des Betäubungsmittelrechts sind entwickelt anhand der Herrschaft über körperliche Gegenstände. Sie genügen damit nicht vollständig der Besonderheit, dass nach §§ 184 b, 11 Abs. 3 StGB auch unkörperliche Darstellungen in Dateien Bezugsgegenstand des Besitzes sein können. Daraus ergibt sich das Erfordernis eines spezifischen Besitzbegriffes, der im Kern an den allgemeinen Besitzbegriff anknüpft, aber einzelne Definitionsmerkmale an die Besonderheiten unkörperlicher Gegenstände und ihres Verwendungszusammenhanges anpasst. Ein solcher Ansatz ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt; so hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 47, 55, 59) einen aus den Besonderheiten der unkörperlichen Datenübertragung im Internet abgeleiteten spezifischen Verbreitensbegriff entwickelt."

"Damit löst sich der normativ geprägte Besitzbegriff nicht vom Wortsinn des in der Strafvorschrift angeführten Tatbestandsmerkmals. § 184 b StGB führt den Besitz von (kinder-)pornographischen Schriften an; Abs. 1 dieser Vorschrift verweist zum Schriftenbegriff auf § 11 Abs. 3 StGB. § 11 Abs. 3 StGB stellt den Schriften u.a. Datenspeicher (einschließlich gespeicherter Daten, siehe dazu oben lit. b) aa)) gleich; dass gespeicherte Daten nicht verkörpert sind, ist allgemein bekannt. Aus der Zusammenschau dieser durch ausdrückliche Bezugnahme miteinander verklammerten Vorschriften ist dem Bürger ersichtlich, dass Besitz im Sinne des § 184 b Abs. 4 StGB sich nicht allein nach einem zu verkörperten Schriften entwickelten Verständnis definiert, sondern eine bereichspezifische, durch die Verkehrsauffassung hinreichend konturierte Modifikation des objektiven und subjektiven Herrschaftsverhältnisses erfährt."(Hervorhebung von H.E.M.)

Hier nimmt das Gericht Bezug auf die vorherige Gleichsetzung von Datenspeichern und Daten. Es nimmt diese zum Anlass, um für die Daten ein modifiziertes Besitzverhältnis zu konstituieren: jeder wisse schließlich, das Daten nicht verkörpert seien. Das stimmt zwar, aber Datenspeicher sind es sehr wohl - und in § 11 Abs. 3 StGB ist nur von Datenspeichern die Rede. Der Anlass einer neuen Besitzdefinition wird hier mit einer m.E. nicht dem Wortlaut von § 11 Abs.3 StGB entsprechenden Gleichsetzung von Datenspeichern und Daten begründet.

"Mit dem bewussten und gewollten Herunterladen der aufgerufenen Datei in den Arbeitsspeicher zwecks Betrachtens auf dem Bildschirm schafft der Computernutzer ein hohes Maß an Datenherrschaft, denn die Arbeitsspeicherung eröffnet als notwendiges Durchgangsstadium jeder Weiterverarbeitung der Daten grundsätzlich volle Verfügungsgewalt. Der Nutzer entscheidet eigenverantwortlich, wie lange er eine Seite betrachtet, ob er einzelne Darstellungen vergrößert und vor allem, ob er die noch nicht perpetuierte Herrschaft über die aufgerufenen Informationen durch deren Speicherung oder Ausdrucken dauerhafter gestaltet und ob er die Information durch Versendung an Dritte weitergibt (siehe auch Eckstein, a.a.O.).

Die demgegenüber im Schrifttum erhobenen Bedenken, das nur kurze Laden in den Arbeitsspeicher zum Zweck des Betrachtens sei zu flüchtig (Hörnle, a.a.O.) und es fehle an der erforderlichen Dauerhaftigkeit und Festigkeit der Herrschaft, weil die Datei nach dem Abschalten des Rechners nicht mehr verfügbar sei (Lenckner/Perron/Eisele, a.a.O.; Lackner/Kühl, a.a.O.), verfehlen die Besonderheiten der in das Internet eingestellten und von dort abgerufenen Dateien. Zwar ist die Verfügungsgewalt des Computernutzers über die aufgerufenen und bloß in den Arbeitsspeicher geladenen Dateien in mehrfacher Hinsicht beschränkt: Sie ist nur von verhältnismäßig kurzer Dauer und von vornherein nicht final auf längere Zeit angelegt, sondern beschränkt sich auf den Zeitraum des Betrachtens. Sie ist nicht gefestigter Natur, da sie spätestens dann endet, wenn der Nutzer die Seite verlässt oder die Internet-„Sitzung“ aus sonstigen Gründen – freiwillig oder unfreiwillig – beendet. Die Besonderheit besteht aber darin, dass Dateien nicht körperlicher Natur sind und nicht – wie es dem Regelfall körperlicher Gegenstände entspricht – zur selben Zeit von nur einer Person unmittelbar in Besitz genommen werden können. Vielmehr werden die Dateien bei jedem Aufruf durch einen Internet-Nutzer „vervielfältigt“ und stehen dem jeweiligen Nutzer und Betrachter im selben Umfang wie dem Anbieter zur Verfügung. Die Kopie entspricht vollen Umfanges dem „Original“, weshalb auch das nur kurzzeitige Herunterladen dem Nutzer volle Verfügungsgewalt über die aufgerufenen Dateien verschafft, die der Anbieter nicht mehr hindern kann. Der Nutzer allein hat unbeeinflusst durch den Anbieter in der Hand, wie er die Datei verwendet.
Auch hier beruht die Argumentation auf der Gleichsetzung von Daten/Dateien mit Datenspeicher. Die in der Lehre herrschende Auffassung, die flüchtige Speicherung im Arbeitsspeicher genüge nicht, lässt sich damit begründen, dass dieser Arbeitsspeicher als Datenspeicher eben nicht ein Besitzverhältnis zu den dortigen Inhalten vermittelt wie etwa eine Festplatte, ein USB-Stick oder eine CD mit den gleichen Daten. Insofern ist die erweiternde Argumentation des OLG Hamburg, man müsse der Flüchtigkeit der "Daten" gerecht werden nicht erforderlich, um eine angemssene Gesetzesanwendung zu ermöglcihen. Vielmehr scheint mir eine petitio principii vorzuliegen, wenn aus der Besonderheit der Flüchtigkeit der Daten geschlossen wird, dann müsse Besitz auch schon beim Laden der Daten zur bloßen Betrachtung bejaht werden. Dies führt nämlich zu einer uferlosen Ausweitung, die von den Besonderheiten des Datenverkehrs eben nicht veranlasst ist.

Die erste Einschätzung von Jens Ferner ist ähnlich und wird von mir geteilt: "Die hier gewählte Argumentation verwischt den Unterschied zwischen Vorbereitungshandlung, Versuchsstadium und Vollendung so, als würde man den geneigten Kaufhausdieb schon dann bestrafen, wenn er die Bierflasche nur in die Hand nimmt und noch überlegt, ob er sie einsteckt oder doch bezahlt (oder zurückstellt)." (Quelle)

Wie gesagt, sind das nur erste Kommentare und Einschätzungen, eine ausführliche Kritik bedarf noch eingehender Prüfung.

 

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35 Kommentare

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Jens Ferners "Einschätzung" ist juristisch wertlos, weil sich um methodisch korrekte Herangehensweise (was bedeutet "Besitz" an Daten?) nicht einmal bemüht, sondern sich auf haltlose Wertungsanalogien beschränkt (müssen wir dem Taschendieb, der sich von dem Bestohlenen abwendend erstmals seine Beute betrachtet, eigentlich auch erst einmal ein "Versuchsstadium" zubilligen??).

Das mag bei dem Jurastudenten Ferner angehen, aber wenn ein Juraprofessor seine "erste Einschätzung" publiziert, sollte die doch etwas mehr Substanz haben und, vor allem, etwas methodischer an die Sache herangehen.

In der Sache lässt sich im Übrigen doch auch mit viel Rabulistik nicht wegdiskutieren, dass die Kipo-Bilddateien im Arbeitsspeicher physisch vorhanden sind und sich deshalb im Besitz desjenigen befinden, der das Speichermodul besitzt. Man betrachtet eben nicht wie durch ein Fernrohr Bilder auf fremden Servern, sondern holt die Bilder zu sich und betrachtet sie dann.

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Sehr geehrter Herr Emil,

vielen Dank für Ihren Kommentar. In der wissenschaftlichen Debatte kommt es nicht darauf an, ob ein Argument von einem Studenten oder einem Professor oder von Emil vorgebracht wird. Von allen Seiten  können bessere oder auch schlechtere Argumente genannt werden. Nun weiß ich nicht, ob Sie vielleicht nur den letzten Absatz meines Beitrags gelesen haben, und welche Gegenargumente Sie meinen übrigen Erwägungen entgegensetzen möchten. Da Sie vom "Besitz an Daten" sprechen, vermute ich, dass Sie meine vorherigen Ausführungen zu den entsprechenden Argumenten des Gerichts nicht gelesen haben.

Zu Ihrem Kommentar soviel: Ein Meinungsstreit ist letztlich nicht mit Analogien zu entscheiden, aber Analogien können doch auch Einsichten vermitteln. Ich möchte daher an Ihre Analogie anknüpfen und statt Fernrohr eine Digicam setzen. M. E. wäre dann nach Meinung des OLG Hamburg "Besitz" schon gegeben, wenn  das Bild auf dem Vorschaubildschirm am Rücken der Kamera angezeigt wird, nach meiner Auffassung aber erst, wenn der Fotograf auf den Auslöser gedrückt hat und das Bild auf dem Speicherchip gespeichert ist. Sicherlich sind beide Auffassungen "vertretbar", ich halte nur aufgrund des Wortlauts des § 11 Abs.3 StGB und aufgrund der Rechtssicherheit/Eindeutigkeit eine Speicherung auf einem dauerhaften Speicher für erforderlich. Und wenn Sie sagen "physisch vorhanden", dann gehen Sie sogar noch weiter als das OLG Hamburg, das ja von einer Nicht-Verkörperung der Daten ausgeht (s.o.). Im Übrigen zeigt sich bei einer Durchsicht der vom OLG Hamburg für die Gleichsetzung von Daten mit Datenspeichern angegebenen Quellen (BGH NStZ 2005, 444; BGH NStZ 2007, 95), dass diese hinsichtlich der Frage, ob schon Daten im Arbeitsspeicher als Schriften anzusehen sind, nicht alle aufschlussreich sind. Zwar wird in diesen Quellen auch vom Besitz an Daten/Dateien gesprochen, aber der Unterschied zum Besitz an Datenspeichern wird dort  überhaupt nicht näher diskutiert (da es in diesen Entscheidungen darauf auch gar nicht ankam). Der ebenfalls zitierte Heinrich (NStZ 2005, 364) ist im Übrigen im Ergebnis der dem OLG Hamburg entgegengesetzten Auffassung. Diskutiert wird die Frage aber eingehend von Eckstein in ZStW 117, 107, 120. Er meint - das OLG Hamburg zitiert ihn also zutreffend - die Datenherrschaft (bei gleichzeitiger Sachhherrschaft über den Arbeitsspeicher) sei bei dem für den auf die EDV-Verhältnisse bezogenen Besitzbegriff gegeben, wenn die Dateien in den Arbeitsspeicher geladen seien. Wer zur Betrachtung solcher Dateien im Internet surfe, der unternehme es daher, sich Besitz zu verschaffen, und mache sich strafbar. Für den nur kurzfristigen solchen Besitz etwa bei zufälligem Klicken oder untergeschobener Verlinkung wird es dann aber dogmatisch schwierig, strafbaren Besitz zu verneinen. Wie so oft in der Rechtswissenschaft: An den Rändern der Norm bleibt eine Unsicherheit. die von den Interpreten unterschiedlich ausgefüllt werden kann (siehe zudem schon die Diskussion bei meinem ersten Beitrag zu dieser Entscheidung).

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Diese Wertung hat Auswirkungen noch ganz anderer Art:

Ein US-Gericht hat das Laden eines legal erworbenen Programms in den Arbeitsspeicher als Urheberrechtsverletzung gewertet, wenn dabei gegen die Lizenzbedingungen des Programmherstellers verstoßen wird. Es ging um ein Computerspiel, zu dem einige Benutzer ein den Spielregeln nach unerlaubtes Hilfsprogramm laufen ließen:

http://en.wikipedia.org/wiki/Glider_%28bot%29

Dies hat die auf den ersten Blick etwas kuriose Folge, dass der Verstoß gegen privatrechtliche Lizenzbedingungen - konkret gegen Spielregeln - strafbar ist.

Das OLG Hamburg müsste nach dem o. g. Urteil eigentlich ähnlich werten; es wird dann zur Raubkopie, was zwar legal erworben und bezahlt, aber entgegen den Lizenzbedingungen benutzt wird.

Im Grundsatz mag man dies noch nachvollziehen können. Auch sonst kann ein Verstoß gegen Lizenzbedingungen die Urheberrechtswidrigkeit ausmachen, bspw. bei einer öffentlichen statt einer privaten Vorführung eines Films. Neu ist jedoch, dass die Kopie im Arbeitsspeicher als Kopie angesehen wird, so dass das Strafrecht eingreift.

Als - überzogene - Kritik wurde zum o. g. Urteil in der Fachwelt angebracht, der Hersteller einer Textverarbeitung könne ja auch über seine Lizenzbedingungen verbieten, kritische Texte über den Hersteller zu verfassen, und dann mit Hilfe des Strafrechts (!) Kritiker verfolgen lassen (!). Ob das einer ABG-Kontrolle standhielte, sei dahingestellt. Aber die Dramatik zeigt es sehr schön.

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Sehr geehrte/r Herr/Frau Ass. Iur.,

soweit ich das ermessen kann, handelt es sich bei der von Ihnen zitierten Entscheidung um eine zivilrechtliche. Es geht um Urheberrechtsverletzungen bzw. mögliche Vertragsverletzungen. Die dort ausgesprochenen "penalties" sind solche des Vertragsrechts, bedeuten also keine Strafbarkeit.  Im Urteil des OLG Hamburg geht zudem nicht um Urheberrecht oder  "Raubkopien", sondern um den Besitzbegriff in § 184b StGB. Dieser unterscheidet sich vom Vervielfältigungsbegriff im Urheberrecht.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:
soweit ich das ermessen kann, handelt es sich bei der von Ihnen zitierten Entscheidung um eine zivilrechtliche.

Ja, ist es, und zudem nicht gegen einen Benutzer, sondern gegen den Hersteller. Interessant ist der Fall (jenseits des konkreten Falls), weil dort meines Wissens erstmalig die Annahme auftauchte, dass das Kopieren in den Arbeitsspeicher ein Vervielfältigungsvorgang im Sinne des Urheberrechts ist.

Henning Ernst Müller schrieb:
Im Urteil des OLG Hamburg geht zudem nicht um Urheberrecht oder  "Raubkopien", sondern um den Besitzbegriff in § 184b StGB. Dieser unterscheidet sich vom Vervielfältigungsbegriff im Urheberrecht.

Sicherlich sind dies zwei unterschiedliche Fragestellungen, aber die Sachverhalte dahinter sind identisch. Wer es als Besitzen ansieht, Daten im Arbeitsspeicher zu haben, wird konsequenterweise auch einen Kopiervorgang annehmen müssen, denn Daten kann man kaum besitzen, ohne sie irgendwie erworben zu haben - hier durch Kopieren.

Worauf ich hinweisen wollte: Die Auswirkungen einer solchen Bewertung der technischen Vorgänge gehen weit über das Problem "KiPo" hinaus. Wenn "Kopien" im Arbeitsspeicher juristische Relevanz beigemessen wird, hat das in zahlreichen Konstellationen Auswirkungen.

Muss man die temporären Internetdateien auf dem Rechner aus Gründen des Strafrechts in Zukunft löschen? Ein Nutzer, der auf einer Seite unerlaubte Bilder (Kinderpornographie, urheberrechtswidrig vervielfältigte Bilder, persönlichkeitsrechtswidrige Aufnahmen etc.) "sieht", kopiert sie notwendigerweise in den Arbeitsspeicher. Der technisch versierte Nutzer (oder in 10 Jahren der typische Nutzer) weiß, dass sich Kopien irgendwo auf seiner Festplatte finden werden. Macht er sich strafbar (!), wenn er diese nicht unverzüglich entfernt?

Die Rechtsprechung bewegt sich hier m. E. auf ein sehr ungünstiges Ergebnis zu. Möglicherweise ist der Gesetzgeber aufgerufen, hier korrigierend einzugreifen, denn dem Wortlaut, dem ersten Anschien nach hat das OLG Hamburg schon recht. Aber die Folgen könnten ungewollt sein.

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Das Gericht verkennt völlig, dass es sich beim Arbeitsspeicher um sog. flüchtigen Speicher handelt, der eben nicht - wie beim Datenspeicher - permanent vorliegt. M.E. hat der Gesetzgeber bewusst den Begriff Datenspeicher im vorbezeichneten Sinne gewählt, um gerade das u.U. auch ungewollte oder zufällige Surfen auf Kipo-Inhalte nicht zu pönalisieren; wahrscheinlich wegen abzusehender Schwierigkeiten, dem Beschuldigten einen Vorsatz im Prozess nachzuweisen. Insoweit überschreitet das Urteil in der Tat die Wortlautgrenze der Norm zu Lasten des Beschuldigten, mehr noch, es verkehrt den Sinn der Norm und schafft somit Rechtsunsicherheit.

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Sehr geehrter Herr Ass. Iur.,

"Wer es als Besitzen ansieht, Daten im Arbeitsspeicher zu haben, wird konsequenterweise auch einen Kopiervorgang annehmen müssen"

die Frage haben wir schon einmal diskutiert (siehe hier und hier). Aber es besteht eher ein umgekehrter Zusammenhang: Nach h.M. zu § 16 UrhG liegt im Laden in den Arbeitsspeicher (etwa beim bloßen "Streaming") bereits eine "Vervielfältigung"  vor - dies wird bisher noch unabhängig vom Besitzbegriff in § 184b StGB gesehen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:
Nach h.M. zu § 16 UrhG liegt im Laden in den Arbeitsspeicher (etwa beim bloßen "Streaming") bereits eine "Vervielfältigung"  vor

Wenn dann auch endlich eingesehen, daß damit aber auch ein (wirksamer) "Kopierschutz" per se technisch Unfug ist ?

Ein wirklich wirksam kopier-geschütztes Medium ist grundsätzlich auch nicht benutzbar, da jegliche Benutzung zwangsläufig mit vielen Kopier- und Weiterverarbeitungsvorgängen einher geht. Schon beim einfachsten CD-Player.

Wer das nicht einzusehen vermag, der hat schlicht nicht die essentiellsten Grundlagen der EDV/Signalverarbeitung verstanden.

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Das Gericht verkennt nicht völlig, dass es sich beim Arbeitsspeicher um sog. flüchtigen Speicher handelt, der eben nicht - wie beim Datenspeicher - permanent vorliegt. Es möchte vielmehr zwanghaft eine Strafbarkeit begründen. Das gibt eben Wählerstimmen und Frau X und Herr Y aus dem gemeinen Volk haben wieder das Gefühl, dass alles super läuft im deutschen Staat und man die bösen Jungs dingfest macht. Ähnliches zwanghaftes Verhalten der Juristen läßt sich bei Dränglern auf der Autobahn erkennen. Diese am besten mit Freiheitsstrafen belegen und den Schleicher mit 35 km/h auf der linken Spur nur verwarnen. Leider gehöre ich diesem Berufsstand der "Gesetzeswortlautzurechtbieger" solange bis wir ein Ergebnis haben, was uns gefällt, an. Na ja, Augen auf bei der Berufswahl....

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Peter schrieb:
Es möchte vielmehr zwanghaft eine Strafbarkeit begründen.

Das ist der Kern des Verfahrens und in einer Linie mit den "Erlebnissen" in der Justiz Hamburg. Eine Passage des Urteils liest sich so, als sei es dem Angeklagten negativ anzurechnen, dass er einen Verteidiger hatte und dieser sein Aussageverhalten durch Beratung mitbestimmt haben könnte... Das passt auch zur pauschalen Rektal-Untersuchung bei gesetzlich unschuldigen U-Häftlingen, die erst vom BVerfG gestoppt werden konnte. Allmachtsphantasien wo man hinschaut.

Stadtstaaten habe halt Nachteile, wenn alle unter einer Käseglocke sitzen und sich seit dem Referendariat kennen. Dann gibt es noch weniger Korrekturmöglichkeiten für richterliche Macht.

Hoffentlich bekommt das Verfahren noch einmal an anderer Stelle eine faire Chance. Der Angeklagte hat ja den moralisch höchst verwerflichen Konsum zugegeben, da sollte sich doch eine rechtsstaatliche Lösung finden lassen!?

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Sehr interessante Hinweise - dass dieser Zusammenhang hier bereits diskutiert worden war, war mir nicht bekannt - vielen Dank!

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Wenn ich Zeit habe suche ich den Link der letztens (nur wenige Tage her) auf Twitter kursierte (war ein Scan mit geschwärztem Namen usw.). Dort hat man jemandem einen Strafbefehl zugeschickt der offensichtlich in einem Chat mit einem Grünen Politiker etwas hinterlassen hatte, welcher alle Chat-Nutzer auf Schmuddel-Seiten umgeleitet hatte.

 

Gibt es einen Verbreiter? (Der Script wurde imho nur eingespeist, verbreitet hatte es demnach der Chat-Betreiber an die Nutzer)

Hat jemand etwas besessen? (Wird dabei nicht vorhandenes Wissen und Wollen der Chat-Nutzer vor der Strafe schützen?  Ist ein Script mit einem Verweis dorthin schon ein KiPo-Vergehen (neben der Beeinträchtigung welche sicher eines war; und angenommen es wäre KiPo gewesen; es waren imho andere Schmuddelseiten aber für die Annahme hier wandle ich das Beispiel um))

 

Grüße

ALOA

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Ich finde es durchaus richtig auch flüchtigen Speicher zu erfassen.

Derjenige, der per zufall auf eine solche Seite kommt (erkennt man meist daran, dass nur ein oder eine Hand voll links hintereinander angeklickt wurden), hat niemals auch nur bedingten Vorsatz solch belastendes Material in seinen Arbeitsspeicher zu laden, er weiß es schließlich nicht was kommt.

Zu der Tatsache, dass die Daten flüchtig seien, sei folgendes gesagt, solange das Browserfenster offen ist, sind die Datein im Speicher fest (oder werden vom System auf die Festplatte ausgelagert um schnelleren Speicher zur Verfügung zu haben, ändert in der Sache aber nichts). Einzig und allein die verarbeitenden Teile (CPU/GPU/ Chipsatz/ Soundchip) behalten die Daten wirklich nur flüchtig (für den Moment der Datenverarbeitung). Umfasst man folglich den Cachespeicher nicht als Datenspeicher im Sinne von §11 Abs.3, ist vollkommen offen, wielange die Daten dort lagern müssen, um nur noch flüchtig zu sein oder schon gespeichert.

Zum Arbeitsspeicher selbst, sei noch gesagt, dass er nicht immer zwingend nur Cache-Speicher ist. Mittels Tool ist es möglich ein sog. RAM-Drive zu erstellen, sodass oft gebrauchte Daten direkt im schnell angebundenen Arbeitsspeicher liegen. Diese Daten sind dort aber fest gespeichert. Daher müsste man wenn man der h.M. folgt , dies auch beachten und wirklich nur auf den Cache-Speicher abstellen (was wie eben gesagt eigentlich nicht notwendig ist, da auch Cache-Speicher als Datenträger ausreicht).

 

 

 

Megael schrieb:

Derjenige, der per zufall auf eine solche Seite kommt (erkennt man meist daran, dass nur ein oder eine Hand voll links hintereinander angeklickt wurden), hat niemals auch nur bedingten Vorsatz solch belastendes Material in seinen Arbeitsspeicher zu laden, er weiß es schließlich nicht was kommt.

Die Nachweisbarkeit des Vorsatz ist bei strikter Betrachtung ohnehin schwierig. Wenn wir dann noch Caches / Swapfiles, etc oder zB. auch in Archiven vergrabene Daten hinzu nehmen, kann man nicht mehr automatisch davon ausgehen, daß der Nutzer überhaupt Notiz davon bekommt. Es ist sehr leicht, Leuten eine Falle zu stellen, die Möglichkeiten vielfältig. Dann noch ein anonymer Hinweis an die Polizei, und schnell ist die Zielperson ruiniert.

Dank unsicherer Technik - normale PCs sind ja schon zB. via ME/AMT on-Chip verwanzt (und komplett fernsteuerbar!) - ist es regelrecht trivial, derartige Straftaten zu inszenieren, um so zB. unliebsame Leute loszuwerden oder erpreßbar zu machen.

Ohnehin würde mich mal sehr interessieren, wie in dem Fall überhaupt die Beweiskette zum behauptetem "Besitz" im RAM aussieht. Wie genau soll das überhaupt bewiesen werden ? Man kann ja noch nichtmal bei einiger beschlagnahmten Festplatte beweisen, daß der Beschuldigte die Daten selbst dorthin gespeichert hat.

Megael schrieb:

 

Mittels Tool ist es möglich ein sog. RAM-Drive zu erstellen, sodass oft gebrauchte Daten direkt im schnell angebundenen Arbeitsspeicher liegen. Diese Daten sind dort aber fest gespeichert.

Das ändert an der Grundsatzfrage absolut nichts. Es sind lediglich andere Datenstrukturen und Zugriffsmechanismen. Die Daten bleiben weiterhin genauso flüchtig.

 

Zusammengefaßt kann ich leider nur konstatieren, daß der Großteil der Juristen nichtmal den geringsten Hauch einer Ahnung von EDV, nichtmal den essentiellsten Grundlagen, hat. Demzufolge sollten sie sich bitte auch tunlichst vor jeglichen Urteilen zurückhalten.

 

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Kurz und prägnant:

 

Wieder ein Grund mehr die Festplatte komplett zu verschlüsseln und selbst wenn man sich mutmaßlich auf normalen Seiten im Netz bewegt, den Strafverfolgungsbehörden die Daten nicht zugänglich zu machen.

Prefetching bei Firefox läßt sich zwar ausschalten, man weiß aber nie was auf solchen Seiten noch zusätzlich versteckt sein kann und was daher im Cache der Festplatte landet. Der andere Punkt ist, das dieses Urteil ein Rückschritt in die Zeit ist, wo jemand der diese Bilder angezeigt hat, gleich mal mit Ermittlungen gegen ihn beglückt worden ist, nun ist es wieder soweit..... Es mag zwar eingewendet werden, das ja nur die Absicht strafbar wäre, nur wie beweist man das es nicht absichtlich war?

 

bombjack

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bombjack schrieb:

Es mag zwar eingewendet werden, das ja nur die Absicht strafbar wäre, nur wie beweist man das es nicht absichtlich wa

 

Anhand von Verhaltensmustern. D.h. wurden noch andere Seiten besucht, wurde danach gesucht, befinden sich derartige Daten auf der Fesplatte oder auf anderen Computern des Benutzers. Bei gelöschter Chronik muss ein umständlicher weg über den Provider gegangen werden, der ggf noch IP-Addressen der Antwortserver hat.

Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, dürfte an die Computerforensik vermehrt das Verlangen gerichtet sein, anhand von Festsspeicherartefakten festzustellen, Daten welchen Inhalts sich einmal im Arbeitsspeicher befunden haben müssen. Nämlich dann, wenn weder auf der Festplatte das eindeutig belastende Material in seiner Ursprungsstruktur zu rekonstruieren ist, noch ein solcher RAM-Dump sichergestellt ist. Das halte ich für einen gefährlichen Ansatzpunkt für Kaffeesatzleserei von Sachverständigen und deren Fehlinterpretation durch Gerichte, der der prozessualen Transparenz und der Gerechtigkeit abträglich sein wird.

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Nicht nur das.

Effektiv ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Denn als verdächtig(!) kann man mehr oder minder unmittelbar jeden mit einer Internetanbindung machen. Die Verdachtsmomente sind ja u.U. nicht wirklich einsehbar oder werden gar nicht geprüft (oder sind fehlerhaft; Fehlerquote VDS... noch kurze Zeit bis zum Urteil), aber wenn man einmal hat, dann kann man nach etwas suchen. Und wer weiß was man findet.

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Herr Prof. Müller hat das Kernproblem einleitend schon ganz richtig herausgearbeitet. Um den rechtlichen und physikalischen Unsinn noch etwas deutlicher zu machen, hab ich den entscheidenden Satz noch etwas gekürzt:

Nach der Rechtsprechung sind Dateien, die auf Datenspeichern (...) festgehalten sind, selbst Datenspeicher.

Abgesehen davon, dass es sich nicht mal unbedingt um Dateien handelt, sondern ggf. sogar nur um einen Datenfluss (Streaming), so ist es physikalischer Unsinn, Dateien als Datenspeicher zu bezeichnen. Wie bitte schön soll denn eine Datei ein Datenspeicher sein? Da muss man zukünftig also gar keine Festplatte mehr kaufen, auch keinen RAM und keinen Arbeitsspeicher. Denn alles, was man zur Speicherung von Daten und Dateien braucht, ist wiederum nur eine Datei.

Eine Datei, die auf einem Datenspeicher festgehalten ist, ist selbst schon ein Datenspeicher. Ein Wunder! Wie kann man nur Inhalt und Behälter derart verwechseln! Da geh ich morgen in ein Geschäft und kauf mir eine Flasche Wein. Eigentlich will ich ja nur den Inhalt und nicht die Flasche. Da werde ich also der Verkäuferin sagen:

"Geben Sie mir nur den Wein mit, die Flasche behalten Sie gleich hier"

Und wenn sie mich mit großen Augen anguckt, dann erkläre ich ihr nach Art des OLG Hamburg:

"Nach der Rechtsprechung ist der Wein, der sich in einer Flasche befindet, selbst schon Flasche"

 

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Insgesamt finde ich das Thema absurd und lebensfremd.

m.M.n. liegt der Fehler schon im Satz

"Datenspeicher sind permanente Speichermedien, die der dauerhaften Aufzeichnung elektronischer, elektromagnetischer und anderer Daten dienen, wie z.B. CD-Roms, USB-Sticks, Festplatten und die internen Speicher einer EDV-Anlage einschließlich Arbeitsspeicher"

da der Arbeitsspeicher als solcher eben kein permanentes Speichermeidum darstellt. Die genannten anderen Medien lassen sich austauschen und so auch zu späteren Zeitpunkten an anderen Orten wieder auslesen. Dies ist mit dem Arbeitsspeicher ja wohl unzweifelhaft nicht möglich, da sein Inhalt bei fehlendem Betriebsstrom gelöscht wird. Allein dadurch disqualifiziert sich der Arbeitsspeicher doch schon als permanentes Speichermedium.

@Michael Gladow:

Ein RAM-Drive funktioniert aber nur derart, dass beim Starten des Computers die besagten Daten von einer Festplatte/CD/USB-Stick etc. in den Arbeitsspeicher geladen werden und beim Herunterfahren, falls geändert, neu auf der Festplatte gespeichert werden.

Der Arbeitsspeicher wird dadurch selber natürlich nicht zum Festspeicher.

 

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Christian schrieb:

da der Arbeitsspeicher als solcher eben kein permanentes Speichermeidum darstellt. Die genannten anderen Medien lassen sich austauschen und so auch zu späteren Zeitpunkten an anderen Orten wieder auslesen. Dies ist mit dem Arbeitsspeicher ja wohl unzweifelhaft nicht möglich, da sein Inhalt bei fehlendem Betriebsstrom gelöscht wird. Allein dadurch disqualifiziert sich der Arbeitsspeicher doch schon als permanentes Speichermedium.

 

Die Daten im RAM gehen nicht deshalb verloren, weil die Stormzuvor unterbrochen wird, sondern weil das Betriebssystem zu Beginn des Neustartes den RAM löscht, oder beim Herunterfahren bereits gelöscht hat. Stürzt Vista oder Win7 ab und erscheint ein Bluescreen, werden die Daten im Normalfall aus dem RAM in eine Datei umgeleitet. würde dieser Vorgang wegfalleb, ließe sich auf dem, aus normalen Flash-speicher-steinen bestehendem, RAM jede beliebiege Datei speichern und nach dem Ausbau weitergeben.

 

Christian schrieb:

Ein RAM-Drive funktioniert aber nur derart, dass beim Starten des Computers die besagten Daten von einer Festplatte/CD/USB-Stick etc. in den Arbeitsspeicher geladen werden und beim Herunterfahren, falls geändert, neu auf der Festplatte gespeichert werden.

 

Der Arbeitsspeicher wird dadurch selber natürlich nicht zum Festspeicher.

Das weiß ich. ich danke ihnen aber für die Klarsstellung hier im Blog. ändert aber an der Tatsache, dass der RAM bis zu seiner automatischen Löschung als permanentes Speichermedium dient.

@Michael Gladow:

aus Wikipedia, Artikel 'Random-Access-Memory', Kapitel 'DRAM':

DRAM steht für „dynamisches RAM“ und bezeichnet einen elektronischen Speicherbaustein, der hauptsächlich in Computern als Arbeitsspeicher eingesetzt wird. Sein Inhalt ist flüchtig (volatil), das heißt die gespeicherte Information geht nach Abschaltung der Betriebsspannung schnell verloren.

Eine etwaige explizite Löschung beim Hochfahren, dient wohl eher um unvorhergesehenen Zuständen vorzubeugen, falls noch Informationen vorhanden sein sollten.

Die einzig mögliche Vorgehensweise, die ich mir hier vorstellen könnte um den Inhalt eines RAM-Bausteins nach dem Ausschalten an anderer Stelle auszulesen, würde wohl unter den sog. Hackerparagraphen fallen.

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Sehr geehrter Herr Gladow, sehr geehrter Herr Christian,

meines Wissens wird in modernen DRAM Speicherchips die Information in Ladezuständen gespeichert, so dass die Stromzufuhr erforderlich ist, um diese volatile Speicherung zu erhalten. Wenn man den Stecker zieht (und auch kein Akku den Betrieb aufrecht erhält), ist das kinderpornographische Bild "weg". Auch wenn Sie den Chip ausbauen und woanders einbauen, werden Sie es nicht wieder auf dem Bildschirm holen können. Es gibt wohl auch andere RAM-Formen, die möglicherweise keinen Strom brauchen. Ich gebe aber zu, dass mein Wissen darüber bloßes Computer-Allgemeinwissen ist. Was den Cache angeht: Hier ist unbestritten, dass dieser einen Datenspeicher im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB darstellt. Allerdings gibt es hier Vorsatz-Probleme, die das OLG Hamburg durch die Bezugnahme auf den Arbeitsspeicher gerade umgehen will.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

@stud. iur Michael Gladow:
Ihre, nun ja, technischen Erwägungen sind grundweg falsch.

Der Inhalt des RAMs eines handelsüblichen PCs, also der Arbeitsspeicher, bleibt nur durch eine permanente Versorgungsspannung erhalten. Entzieht man einem PC die Betriebsspannung, geht der Inhalt des Arbeitsspeichers unwiederbringlich verloren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsspeicher

Der Arbeitsspeicher eines PCs besteht auf gar keinen Fall aus Flash-EEPROMs. Diese sind um ein Viel-Vielfaches langsamer als die in der Realität verwendeten DRAM-Module. Die Arbeitsgeschwindigkeit eines PCs wäre gar nicht denkbar, wäre der Arbeitsspeicher nur mit der Geschwindigkeit von Flash-EEPROMs angebunden.

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@Cristian, Herrn Müller:

Sie haben Recht, ich habe im flaschen Artikel nach wissen gesucht (zu schnell gesrcollt...). Richtig ist, dass sie der RAM durch Kriechströme entlädt (anders als Falshspeicher), daher auch der Datenverlust.

Ich halte es aber für unproblematisch mit Daten befüllten RAM als Datenspeicher anzusehen. Die Dauerhaftigkeit bezieht sich eben auf die Dauer der Stromzufuhr, die nach heutiger Infrastruktur kaum begrenzt sein dürfte. Andernfalls könnte der bestraft werden, der die Daten auf Festplatte speichert und automatisch löschen lässt, aber nicht der, der Die Daten über Tage im Arbeitsspeicher hat und von dort aus weiter verwendet, etc.

 

Im Eingangstext erwähnten sie die Verwischung von Wollendung, Versuchhandlungen. Diese Grenzen sind m.E. nach sehr eindeutig definierbar: Gebe ich die Adresse einer Kinderpornographischen Seite in meinen Browser ein, ist es bis zum Anzeigen des Materials Versuch. Genauso verhällt es sich mit Links. Wird auf den Link geklickt, ist es Versuch. Ist das Material in den Arbeitsspeicher geladen, Vollendung.

Sehr geehrter Herr Glandow,

selbstverständlich ist auch hier noch eine Unterscheidung zwischen Vorbereitung, Versuch und Vollendung möglich. Meine (und nicht nur meine) Kritik an der Entscheidung bezieht sich darauf, dass ein klare "Besitz"-Interpretation (Speicherung auf dauerhaftem Datenspeicher) aufgegeben wird, um nun das bloße Anschauen dieses Materials zu bestrafen. Man fragt sich doch, warum der Gesetzgeber das bloße Betrachten von Kinderpornographie eben noch nicht als tatbestandsmäßig formuliert hat. Mittels der weitgehenden Interpretation des OLG Hamburg ist dies nun aber faktisch der Fall. Sie schreiben:

"Ich halte es aber für unproblematisch mit Daten befüllten RAM als Datenspeicher anzusehen. Die Dauerhaftigkeit bezieht sich eben auf die Dauer der Stromzufuhr, die nach heutiger Infrastruktur kaum begrenzt sein dürfte. Andernfalls könnte der bestraft werden, der die Daten auf Festplatte speichert und automatisch löschen lässt, aber nicht der, der die Daten über Tage im Arbeitsspeicher hat und von dort aus weiter verwendet, etc."

Mir scheint, Ihr Argument nach dem Motto "wenn schon, denn schon" entspringt eher zivilrechtlichem Denken. Ich frage mich auch, was Sie mit "von dort aus weiter verwendet etc." , meinen. Sämtliche strafwürdigen Weiterverwendungen von Kinderpornographie sind ja für sich schon eigenständig strafbar.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Müller:

Macht es einen Unterschied, ob der Täter ein ganzes Regal voller DVD's mit Kinderpornographie hat und sich diese nach seinem belieben ansehen kann oder ob der Täter ein Kinderporno im Arbetisspeicher hat und ihn sich von dort aus immer wieder ansieht? Ich denke nein.

Das das Betrachten nicht unter Strafe steht, liegt wohl daran, dass der Mensch Sensationslustig ist. Jeder schaut irgendwo (und das absichtlich) zu, egal wie abscheulich, ekelhaft oder verwerflich es ist (Selbst bei der bloßen Feststellung: "Schau mal, da läuft ein Kinderporno" dürften die meisten Menschen wohl fragen "Wo?" und suchen danach, um dann zu sagen "wie ekelhaft").  Was ich damit sagen will ist, dass es ausufern würde, das "hingucken" zu bestrafen "das bewusste "angucken" (umfasst das selbstsändige suchen) dagegen nicht.

Die Verwertbarkeit soll sich auf die ohnehin eigenständig strafbaren Handlungen sowie das immer wieder ansehen (können) beziehen.

Wäre ein Besitz in Abhängigkeit von "Flüchtigkeit" auf dem Speicher nicht besser im Einzelfall zu entscheiden?

So stellt sich meines Erachtens für viele Durchschnittsanwender die im permanenten Festplatten-Cache eines Browsers abgelegte Bilddatei als flüchtig dar, weil sie ihnen, ihrem Kenntnisstand nach, nicht mehr zugänglich ist, ohne die beinhaltende Webseite erneut aufzurufen. Die Abhängigkeit von der erneuten Beschafftung der Datei aus der Online-Quelle, die möglicherweise nur technisch unterdrückt wird, da die Datei eben noch im Cache liegt, begründet diese "Flüchtigkeit".

Ebenso ist andererseits Herrn Gladows Überlegung hinsichtlich quasipersistent eingesetzten Arbeitsspeichers ernst zu nehmen. In professionellen Umgebungen ist es teils Begleiterscheinung, teils gängige technische Lösung, sofern ein entsprechendes Erfordernis besteht, auch große Datenmengen über lange Zeiträume in Arbeitsspeicher verfügbar zu halten (z.B. in der Krytoanalyse). In freilich vereinfachter Ausführung ist das auch mit jedermann zugänglicher und erschwinglicher Technik nachzubilden.

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@Richard
Meinen Sie mit Kryoanalyse eine sog. Cold-Boot-Attacke, bei der u.U. auch die DRAM-Module tiefgekühlt werden, um ihren Inhalt nach Wegfall der Versorgungsspannung noch erhalten können? Dies funktioniert aber auch nur für Minute, bestenfalls wenige Stunden; von einem dauerhaften Speicher mag ich hier nicht sprechen. Zudem: Ein Verfahren, welches umfangreiches Expertenwissen und -ausrüstung verlangt, kann m.E. nicht als Definitionsmaßstab für einen Datenspeicher gelten.

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Die Kryptoanalyse nannte ich als Beispiel für einen IT-Bereich, in dem es (hier aus Gründen der für bestimmte Verfahren mindestens erforderlichen Performance) üblich ist, technisch sehr wohl flüchtigen Arbeitsspeicher dem praktischen äußeren Anschein nach "nicht flüchtig" zu nutzen. Sprich, es werden Rechnerstrukturen mit erheblichen RAM-Kapazitäten und einer Infrastruktur aufgebaut, welche eine möglichst zeitlich unbegrenzte und unterbrechungsfreie Verfügbarkeit der im RAM bereitgestellten Inhalte gewährt. Ich möchte zustimmen, dass prinzipgleiche, wenn auch vereinfache Ansätze, wie sie Herr Gladow interssierten Kipo-Konsumenten zutraut, nicht von vorne herein gegenüber dem Besitz eines klassischen Festspeichers mit solchem Material von der Strafbarkeit ausgenommen werden können.

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@Richard
Entschuldigen Sie meine Verwechslung Kryo-/Kryptoanalyse. Verstehe ist Sie recht, daß Sie im Grunde eine RAM-Disk meinen, verwendet in einem Rechner(-verbund), welcher dauerhaft in Betrieb ist? M.E. stoßen wir auch bei diesem Szenario schnell auf das Analogie-Verbot.

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@Tribble:

 

Bitte entschuldigen Sie auch die Tippfehler in meinen Beiträgen, welche Missverständnissen förderlich sein dürften.

 

Um eine RAM-Disk im eigentlichen Sinne handelt es sich bei den angesprochenen Implementierungen nicht. Eine RAM-Disk zeichnet aus, dass sie Arbeitsspeicher gegenüber Anwendungsprogrammen als Festspeicher darstellt. Da solche Emulationen ein Nadelöhr darstellen, verwalten derlei spezialisierte Lösungen den Arbeitsspeicher durchaus als solchen.

 

Die Überlegung ist meines Erachtens aber eine ganz grundlegende, bei der es auf die Art der technischen Nutzung von Arbeitsspeicher im Detail nicht ankommt. Herr Gladow hat mich damit von meiner ursprünglichen Betrachtung des Themas etwas abgebracht. Ich wollte, ihm zustimmend, lediglich verdeutlichen, dass Arbeitsspeicher in Abhängigkeit von und hinsichtlich seines konkreten Einsatzes (im Endeffekt) sich nicht per se als so flüchtig darstellt, wie er es als einzelne technische Apparatur zweifellos ist. Es existieren wie gesagt Anwendungen, die gerade auf Arbeitsspeicher mit dem Verfügbarkeitsniveau eines Festspeichers aufbauen. Die Frage ist, ob ein strafloser Besitz von Kinderpornografie in die Reihe dieser Anwendungen zu gelangen droht, solange zwischen Arbeits- und Festspeicher differenziert wird.

 

 

 

Wenn wir die technischen Unterschiede auf zwei einfache Fälle zweier Normalanwender herunter brechen:

 

X startet ein Betriebssystem von CD, geht ins Internet und betrachtet mit dem integrierten Browser ein kinderpornographisches Bild. Ein Festplattenzugriff findet nicht statt - sagen wir, X's Laptop hat gar keine Festplatte mehr. Der Laptop hat aber noch einen Akku und bleibt (in Betrieb) mit diesem ständig ans Netz angeschlossen. So überlebt er auf X's Schreibtisch als"digitaler Bilderrahmen" viele Monate jeden Stromausfall.

 

Y hingegen gibt die URL desselben kinderpornographischen Bildes in einen Download-Manager ein und speichert es so auf einem USB-Stick.

 

 

 

Dass nun Y das Bild besitzt, ist recht einleuchtend. Dass X es wegen einer vermeintlichen Flüchtigkeit dagegen nicht besitzen solle, eher weniger. Einen der Flüchtigkeit des RAM entsprechenden Vorbehalt kann man auch dem USB-Stick entgegen bringen: So handelt es sich aus Sicht des Verwenders bei einem digitalen Festspeicher immer um eine Art "cat in the box". Ob er die einmal abgelegten Daten noch verkörpert, ist erst durch ihren Abruf bestimmbar und der Erfolg dabei auch maßgeblich von der Art des Abrufs abhängig (ob die Daten in derselben Logik interpretiert werden, in der sie abgelegt wurden, insbesondere hinsichtlich Dateisystem und Dateistruktur). Der digitalen Information ist geradezu immanent, dass neben der Information ein zugehöriges Lese-Muster vorgehalten werden muss, dessen drohender Verlust, z.B. durch Defekt von Leseeinrichtungen (Speichercontroller) oder schlicht die technologische Fortentwicklung über den verwendeten Standard hinaus, eine gewisse Flüchtigkeit durch Unlesbarkeit der binären Daten begründet.

 

Insoweit scheint es unbedeutend, ob ein Speichermedium nun seine mehr oder weniger begrenzte Dauerhaftigkeit durch ein Funktionsprinzip gewinnt, welches ständige Stromzufuhr voraussetzt oder nicht voraussetzt.

 

Weiterhin bin ich aber der Meinung, dass selbst logisch richtige Überlegungen hier in der Praxis zu schwer erträglichen Ergebnissen führen können. Das liegt wohl im Tatbestand selbst begründet.

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In meinen Augen hat das Sexualstrafrecht, sowie die Auslegung der einzelnen Paragraphen, mittlerweile jedes Verhältnis verloren.

Mag in diesem Einzelfall diese Auslegung noch korrekt sein, wie ist es aber bei einem Computer Laien, der ein einziges Bild entdeckt, es nicht aus dem Arbeitsspeicher lädt, weil er gar nicht weiß wie daß geht ?

Auch in den USA, nun wirklich nicht zimperlich bei Gesetzen gegen Kinderpornographie, oder was man dafür hält, wurde vor Jahren erwogen, schon das Anschauen von KP unter Strafe zu stellen. Davon hat der US Gesetzgeber schließlich doch Abstand genommen, weil

a.) es theoretisch auch möglich ist, daß man zufällig auf KP trifft

( nach der US Definition, child pornography = unter 18, ist dies sogar sehr wahrscheinlich, denn Pornographie mit 15-17jährigen Jugendlichen ist im Netz leicht auffindbar, selbst wenn man nicht danach sucht )

b.) man befürchtete, daß dies Bürger von Meldungen an die Strafverfolgungsbehörden abhalten würde, denn dann würde zuerst gegen sie selbst ermittelt werden

c.) dann sich selbst die strafbar machen würden, denen UNAUFGEFORDERT KP zugemailt oder postalisch zugeschickt wird.

Mag sein, daß diese Verfahren dann wieder eingestellt werden, aber alleine ein solches Verfahren ist bei der heutigen Hysterie oft das soziale und berufliche Aus.

Im obigen Fall mag es den Richtigen getroffen haben, nur leider ist eine Verallgemeinerung und Generalisierung dann extrem gefährlich für andere Fälle.

 

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Zur Entscheidung hat Jens Ferner in seinem Blog jetzt eine ausführliche Anmerkung veröffentlicht, die ich für lesenswert halte. Ich selbst habe eine Anmerkung für die Beck-Zeitschrift MMR verfasst, die zur baldigen Veröffentlichung vorgesehen ist.

In beiden Anmerkungen wird auf die dogmatischen Schwächen der Entscheidung des OLG, aber auch auf die möglichen Folgen hingewiesen.

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