BVerfG: Es besteht ein Anspruch auf effektive Untersuchung von verdächtigen Todesfällen

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 26.02.2010Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Einstellung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens im Fall eines überfahrenen und dadurch zu Tode gekommenen Studenten mit jetzt veröffentlichtem Beschluss vom 04.02.2010 (Az.: 2 BvR 2307/06) nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar ergebe sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ausnahmsweise ein Anspruch gegen den Staat auf eine effektive Untersuchung von verdächtigen Todesfällen, der unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen sei. Die angegriffenen Entscheidungen hätten diesen Anforderungen aber genügt.

 

Sachverhalt 

Im März 2003 wurde der Sohn der Beschwerdeführerin auf einer Bundesstraße überfahren. Kurz vor seinem Tod hatte er an Veranstaltungen einer Organisation teilgenommen, die als «Polit-Sekte» mit rechtsextremistischem Hintergrund eingestuft wurde. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren mangels tatsächlicher Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden im Juni 2003 ein. Im Februar 2005 beantragte die Beschwerdeführerin ohne Erfolg die Wiederaufnahme des Verfahrens. Ihre Beschwerde und ihr Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zum Oberlandesgericht Frankfurt blieben ebenfalls erfolglos. Anschließend legte die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse des OLG Frankfurt Verfassungsbeschwerde ein und rügte unter anderem eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG.

 

BVerfG: Anspruch auf effektive Untersuchung von Todesfällen nicht verletzt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie jedenfalls unbegründet sei. Der Beschluss des OLG verkenne nicht die Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, aus der sich ausnahmsweise ein Anspruch gegen den Staat auf eine effektive Untersuchung von verdächtigen Todesfällen ergibt. Die Entscheidung genüge darüber hinaus auch den Anforderungen an eine effektive Untersuchung von verdächtigen Todesfällen, die von der als Auslegungshilfe heranzuziehenden Rechtsprechung des EGMR aus Art. 2 EMRK in Verbindung mit Art. 1 EMRK entwickelt wurden.

 

Wie das BVerfG ausführt, nehme das OLG zu der Kritik der Beschwerdeführerin an den staatsanwaltschaftlichen Bescheiden ausführlich Stellung. Es erkläre, weshalb es die von den Ermittlungsbehörden angenommene Selbstmord-Hypothese für zutreffend halte und warum die dagegen sprechenden, von der Beschwerdeführerin angeführten Indizien diese Hypothese nicht erschüttern könnten. Danach hält das BVerfG die Feststellung des OLG für vertretbar, dass keine konkreten Ermittlungsmaßnahmen erkennbar seien, die zu einem anderen Ergebnis als dem von den Ermittlungsbehörden angenommenen Selbstmord führen würden.

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6 Kommentare

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Die Staatsanwaltschaft sagt, es gäbe keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden?

Das verstehe ich nicht - es mag sein, daß es keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Straftat gibt, aber Straßenverkehrsdelikte oder fahrlässige Tötung dürften doch wohl durchaus in Betracht kommen, denn schließlich hat der Tote sich ja nicht selbst überfahren, sondern ist von einer anderen Person (mit einem für ihn fremden Kraftfahrzeug) überfahren worden.

Als Führer eines Kraftfahrzeuges hat man stets so langsam und so vorsichtig zu fahren, daß man wenn ein Fußgänger die Straße überquert immer noch rechtzeitig anhalten kann, und wenn man das nicht mehr schafft ist man offenbar zu schnell gefahren und möglicherweise einer fahrlässigen Tötung schuldig (es sei denn es handele sich um ein unabwendbares Ereignis, was dann aber der Autofahrer der den Fußgänger überfahren hat darlegen und beweisen muss).

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...wenn man das nicht mehr schafft ist man offenbar zu schnell gefahren und möglicherweise einer fahrlässigen Tötung schuldig (es sei denn es handele sich um ein unabwendbares Ereignis, was dann aber der Autofahrer der den Fußgänger überfahren hat darlegen und beweisen muss).

Sie verwechseln die zivilrechtliche Gefährdungshaftung mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel und gehören in die Anfängervorlesung sogar jeder Bologna-Universität...

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Das für §§ 211, 212, 315b, 315c StGB keine Anhaltspunkte vorliegen mögen, verwundert nicht.

Das jedoch wohl auch für § 142 und § 323c (sowie eventuell auch § 222) StGB keine Anhaltspunkte vorliegen sollen, verwundert schon.

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Man sollte nicht einfach so vor sich hin spekulieren, sondern sich mit den zugrundeliegenden Entscheidungen auseinandersetzen, z. B. <a href=http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lare..., wo von einem "von ihm selbst herbeigeführten Unfallgeschehen" gesprochen wird, also von Suizid. Das hält das BVerfrG, wohl zu Recht, für "vertretbar". Das BVerfG ist bekanntlich kein "Superrevisionsgericht".

Man sollte nicht einfach so vor sich hin spekulieren, sondern sich mit den zugrundeliegenden Entscheidungen auseinandersetzen, z. B. hier, wo von einem "von ihm selbst herbeigeführten Unfallgeschehen" gesprochen wird, also von Suizid. Das hält das BVerfrG, wohl zu Recht, für "vertretbar". Das BVerfG ist bekanntlich kein "Superrevisionsgericht".

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