Gewalt gegen Polizeibeamte - großes kriminologisches Forschungsprojekt in der Kritik

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 17.12.2009

In den vergangenen Wochen hat eine große kriminologische Studie, in der 250.000 Polizeibeamte befragt werden sollten, einigen Wirbel gemacht. Beauftragt ist das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) , dessen Leiter ist Christian Pfeiffer, der wohl bekannteste Kriminologe Deutschlands (und ehemaliger Justizminister des Landes Niedersachsen).
Auftraggeber waren/sind das Bundesinnenministerium und die Innenministerien der Länder. Ziel der Studie - der genaue Auftragstext ist mir nicht bekannt - ist laut Presseberichten Umfang, Phänomenologie und Ursachen von Gewalttätigkeit gegen Polizeibeamte zu erforschen.

Zunächst wurde - kunstgerecht - eine Pilotstudie mit 80 Beamten durchgeführt; danach wurden Fragen, die sich als problematisch herausstellten (etwa zur politischen Einstellung) aus dem Bogen entfernt. (Einzelheiten werden in einem taz-blog dargestellt - hier)

Wirbel gab es Ende November, nachdem bekannt und in der Presse verbreitet wurde, dass unter den Fragen auch solche zur persönlichen Situation und zur Kindheit der Beamten enthalten waren, etwa zum Erziehungsstil der Eltern.
Nach Kritik der Polizeigewerkschaften, mit diesen Fragen würden "Opfer zu Tätern" gemacht, entschloss sich Pfeiffer, den psychologischen Fragenkorpus aus der Studie zu entfernen.
Dennoch stiegen die Bundesländer Hamburg, Sachsen, NRW und nun auch der Bund aus der Studie aus. Hamburg begründete dies mit den - längst gestrichenen - intimen Fragen. Grund für den Ausstieg des Bundes war laut der Pressesprecherin der Bundespolizei (nach Angaben der taz):

 "das Institut habe nicht zugesichert, dass man Einfluss auf die Veröffentlichung der Daten haben werde" (Quelle)

Hierin könnte sich ein fast schon klassischer Konflikt zeigen: Der zwischen ergebnisorientierter Auftragsforschung und unabhängiger Sozialforschung. Geht es etwa darum, die "unabhängigen" Ergebnisse nur dann zu veröffentlichen, wenn sie dem Auftraggeber "passen"?

Inhaltlich kann den zunächst geplanten Fragen nach der Kindheit (sie werden natürlich wie alle Antworten anonym erfasst) kein ernsthaftes Argument entgegengesetzt werden. Gerade Gewaltsituationen, denen Polizeibeamte typischerweise ausgesetzt sind, ergeben sich meist aus einer Interaktion. Wie Pfeiffer zutreffend ausgeführt hat, gibt es nach bisherigen Erkenntnissen im Allgemeinen einen gewissen Zusammenhang zwischen Opferwerdung in  Interaktionen und Erlebnissen in der Kindheit. Einmal positiv ausgedrückt: Wer als Kind gelernt hat, wie man brenzlige Situationen deeskaliert, wird seltener Opfer von Gewalt. Ob bei Polizeibeamten  Schulung oder Training die persönlichen Kindheitserfahrungen und aus dem Elternhaus übernommene Einstellungen zu Gewalt überlagern, ist in der Tat eine sinnvolle Fragestellung. Eine Studie, die dies "ausschneidet" kann denkbare Ursachenzusammenhänge weniger gut erfassen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft äußerte, die Fragen seien "skandalös". (Quelle)  Folgende Auffassung der DPolG findet sich in einem Polizeiforum:

"Fragen, die auf geradezu unverschämte Weise die intimsten Bereiche der Kindheit unserer Kolleginnen und Kollegen betreffen, können wir nicht akzeptieren, weil sie in keinster Weise dazu geeignet sind, Erklärungen für die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte zu liefern… es sei denn, Prof. Pfeiffer (Chef des KFN) hat die Absicht, einen Teil der Ursache bei der Polizei selbst zu suchen. Sollen hier die Opfer zu Tätern gemacht werden?"

Aber: Gerade wenn die empört zurückgewiesene Auffassung empirisch widerlegt werden soll, müssten solche Fragen auch gestellt werden. Wer behauptet, mit diesen Fragen würden "Täter zu Opfern" gemacht (so wird auch der Hamburger Innensenator Ahlhaus zitiert - hier), hat schlicht keine Ahnung.

Aber nachdem die Fragestellung von einigen Polizeivertretern vehement abgelehnt wird und dies in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, ist in der Tat fraglich, ob es noch Sinn macht, diese Fragen zu stellen. Viele der Beamten würden keine Antwort auf diese Fragen geben und überdies auch den übrigen Fragebogen so kritisch betrachten, dass ein unverzerrtes Ergebnis  nicht mehr erwartet werden kann. Insofern ist der Rückzieher von Pfeiffer hinsichtlich dieser Fragen nachvollziehbar.
Es ist aber darüber hinaus  generell methodisch fragwürdig, wenn der Fragebogen einer Studie vorher öffentlich bekannt und von den zu Befragenden diskutiert wird. Gewinnen die Polizeibeamten dadurch den Eindruck, die Studie wolle sie zu "Tätern" erklären, dann bewirkt das die denkbar schlechteste Motivation zur Mitwirkung - dies allein ist als mögliche Validitätseinschränkung bei der späteren Interpretation zu beachten. Möglicherweise ist methodisch das "Kind schon in den Brunnen gefallen".

Für mich fragt sich, warum überhaupt eine vollständige Befragung von ca. 250.000 Polizeibeamten vorgesehen ist. Für die Validität des Ergebnisses ist eine solche umfassende Studie regelmäßig nicht besser geeignet als eine repräsentative Teilstudie. Hier hätten 2500 Befragte sicher gereicht, um alle möglicherweise relevanten Faktoren abzufragen. Oder sollte mit der Befragung aller Polizeibeamten in Deutschland diesen seitens der Auftraggeber signalisiert werden, dass man ihre Sorgen ernst nimmt? Das wäre freilich mit unabhängiger Ursachenforschung nur eingeschränkt kompatibel. Dass die Ursachenforschung auf wenig Interesse stößt, ergibt sich auch aus der Mitteilung des NRW-Innenministeriums zu dieser Frage.

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1 Kommentar

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Der zwischen ergebnisorientierter Auftragsforschung und unabhängiger Sozialforschung. Geht es etwa darum, die "unabhängigen" Ergebnisse nur dann zu veröffentlichen, wenn sie dem Auftraggeber "passen"?

Natürlich. Sah man schon bei
- Zypries/VDS (Studie aus Freiburg; dort war schon von Rückforderungen der Gelder die Rede),
- Berlin und die Videoaufzeichnungen bei der Bahn (Studie wurde vor Ende abgebrochen nachdem wohl absehbar war das das Ergebnis nicht zeigen würde das die Aufzeichnungen zu einem Rückgang der Delikte führt)
- sieht man derzeit auch sehr schön bei IQUiG/Sawicki
- und m.E. war schon Thilo Weichert deshalb in Frage gestellt (aber inzw. bestätigt)
- und ähnliches gibt es auch im Falle Brender zu berichten.

Wer nicht genehmes von sich gibt wird ausgewechselt, erhält keine Aufträge mehr, Studie wird abgebrochen oder nicht veröffentlicht. Wahlweise wird sie auch unter Verschluss gehalten wegen furchtbar geheimen Dingen welche darin stehen.

Grüße
ALOA

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