Fall Tennessee Eisenberg - neue Erkenntnisse durch Tatrekonstruktion?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 05.12.2009

Nach Berichten über die letzte Woche stattgefundene  Tatrekonstruktion und wiedergegebenen Auskünften des Rechtsanwalts Tronicsek (mandatiert von der Familie Eisenbergs) seien  nicht nur die letzten vier Schüsse, sondern auch die ersten beiden Schüsse nicht in einer Notwehr/Nothilfefsituation abgefeuert worden (Quelle). Natürlich ist zu berücksichtigen, dass hier der RA für seine Mandantschaft spricht. Nachdem sich aber die Zweifel an einer eindeutigen Notwehrsituation demnach eher verdichten als zerschlagen, wird man nach meiner Einschätzung um eine Anklageerhebung kaum noch herum kommen. Der Fall hat auch mittlerweile so viel (auch überregionale) öffentliche Aufmerksamkeit erregt, dass eine Rechtsfrieden stiftende Entscheidung wohl nur noch durch ein Gericht nach transparenter Aufklärung im Gerichtssaal ergehen kann (hier die umfangreiche Diskussion im blog dazu). Das bedeutet nicht notwendig, dass die Polizeibeamten auch verurteilt werden. Denn auch wenn sich bestätigen sollte, dass objektiv keine Notwehrlage gegeben war, wird man sich noch fragen, ob die Beamten auch schuldhaft gehandelt haben, oder ob sie in der Situation - überraschend dem ein Messer führenden Eisenberg gegenüber zu stehen - einem zwar fahrlässigen, aber (möglicherweise) nicht schuldhaften Irrtum unterlagen.

Der Darstellung in der Mittelbayerischen Zeitung (Quelle), nach der praktisch nur eine Totschlagsanklage oder eine einem Freispruch gleichkommende Einstellung nach § 170 Abs.2 StPO in Betracht komme, ist daher zu widersprechen - auch eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung kommt in Betracht. Und ob eine Verurteilung erfolgt, hängt ganz von den in der Hauptverhandlung präsentierten Beweisen und der Würdigung derselben ab.

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76 Kommentare

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Vielen Dank auch für die Neuigkeiten und Ihre Einschätzung.

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Hier kam es in Berlin ebenfalls zu einem Schuss aus einer Dienstwaffe, der Beamte war alleine und hatte zahlreiche Gegner, dennoch konnte er besonnen nur auf das Bein zielen "Trotz der deutlichen Überzahl hat er die Besonnenheit gehabt, in den Unterschenkel zu zielen“ http://www.tagesspiegel.de/berlin/Polizei-Justiz-Polizei-Ticker-Polizei-... .

Wie es im Fall von Herrn Eisenberg zu diesem extrem unverhältnismäßig wirkenden Einsatz kommen konnte, der für den Leser bisheriger Fakten nahezu einer "Hinrichtung" gleichen könnte, ist völlig unverständlich. Es bleibt sehr zu hoffen, das sich Staatsanwaltschaft und Gericht ihrer Verantwortung in diesem Fall bewusst sind, wodurch die Chance bestünde, dass dann zumindest die Zukunft zu einer sensibleren, flexibleren und verhältnismäßigeren Polizeiarbeit führen könnte.

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Und selbst wenn man sich durchringt den Beamten den Schußwaffeneinsatz zu zugestehen, dann reicht eine Doublette auf den Körper und dann ein abwarten der Wirkung.

 

bombjack

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@bombjack:
wie würden sie handeln, falls ein bewaffneter angreifer nicht stehenbleibt, wenn sie zwei haben sehen lassen? würden sie weiter schiessen oder abwarten, ob und wann die schüsse wirkung zeigen? ich bin ganz ehrlich gesagt froh, nicht ein beruf zu haben, vor solche solche entscheidungen gestellt werden zu könn.

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Defensives und kluges Verhalten wäre angezeigt. Solange im direkten Nahfeld keine gefährdeten Personen zu erkennen sind, was im Fall von Herrn Eisenberg wohl auch so war, gibt es keinen Grund, auf diesen Menschen zu schiessen. Vielmehr hat sich die Polizei hier verhältnismäßig, vermittelnd, defensiv und zurückweichend zu verhalten. Dass selbst als äußerstes Mittel der Gebrauch von Schusswaffen verhältnismäßiger möglich ist, sieht man an dem o.g. Fall, wo ein einzelner Polizist zahlreichen Angreifern gegenüber steht und vermutlich mit klarerem Verstand reagierte. Der Fall Eisenberg gehört daher zweifelsfrei und restlos aufgeklärt.

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"Der Fall hat auch mittlerweile so viel (auch überregionale) öffentliche Aufmerksamkeit erregt, dass eine Rechtsfrieden stiftende Entscheidung wohl nur noch durch ein Gericht nach transparenter Aufklärung im Gerichtssaal ergehen kann."

Ein Interesse an Rechtsfrieden scheint seitens der Behörden nicht zu bestehen. Soeben war im Radio zu hören, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellt. Eine solche Entscheidung trägt nicht gerade dazu bei, den Verdacht der Vertuschung zu entkräften - aber vielleicht hofft die Staatsanwaltschaft ja, dass die Menschen drei Tage vor Heiligabend zu beschäftigt sind, um sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen.

Armes Deutschland. Rechtsstaat ade.

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Diese Meldung der Einstellung nach § 170 Abs.2 StPO ist nach den lang anhaltenden Ermittlungen und insbesondere nach den jüngsten Äußerungen (allerdings der Anwälte der Angehörigen Eisenbergs) einigermaßen überraschend.
Auf Regensburg Digital ist eine sehr ausführliche Erklärung der Staatsanwaltschaft online gestellt worden:

Erklärung der Staatsanwaltschaft:
http://www.regensburg-digital.de/?p=6035

In dieser Begründung der Einstellungsverfügung wird das Vorgehen der Polizeibeamten als mit § 32 StGB gerechtfertigte Notwehr/Nothilfe dargestellt.
Sicherlich wird hier und an anderer Stelle noch über diese Entscheidung diskutiert werden.

@Mediziner
Ja, anscheinend ist man an einer öffentlichen Aufklärung nicht interessiert:
http://www.sueddeutsche.de/bayern/955/498251/text/

Egal, wie man die Vorwürfe gegen die beteiligten Polizisten bewertet - eine öffentliche Verhandlung wäre in jedem Falle die bessere Lösung. Denn wenn solch schwere Vorwürfe hinter verschlossenen Türen einfach "beerdigt" werden, bleibt dennoch oder erst recht an den Beschuldigten etwas haften. Ihnen ist damit bestimmt nicht gedient.

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Die achtseitige Presseerklärung der Staatsanwaltschaft hat offenbar nicht alle Fragen geklärt. Auf Regensburg digital werden die Rechtsanwälte der Familie Eisenberg mit einigen Gegenpositionen zitiert:

http://www.regensburg-digital.de/?p=6059

Ob die Öffentlichkeit sich mit der Einstellung des Verfahrens abfinden wird, ist wohl fraglich. An anderer Stelle im Blog habe ich in der Antwort auf einen Kommentar bereits dargelegt, woran dies liegen könnte, möchte es aber hier wiederholen.
In der Beziehung zwischen Öffentlichkeit, Polizei und Justiz geht es vor allem um Vertrauen. Wer den Angaben der Staatsanwaltschaft vertraut, kann dieses Ergebnis gut akzeptieren. Es ist juristisch korrekt - eine Anklage darf nicht erfolgen, wenn aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine Verurteilung nicht wahrscheinlich ist. Das Vertrauen in in eine unabhängige Ermittlung ist im Fall Eisenberg aber stark gestört - die Gründe dafür sind auch in der hiesigen Blog-Diskussion erkennbar, haben aber nicht nur mit dem Fall Eisenberg zu tun: Es ist in Deutschland extrem unwahrscheinlich, dass ein Polizeibeamter wegen Fehlverhaltens im Dienst vor Gericht erscheinen muss. Dahinter steckt ein strukturelles Problem: Während in einigen anderen europäischen Ländern eine tatsächlich unabhängige Ermittlungsinstanz in solchen Fällen ermittelt, ist es in Deutschland die Polizei/Staatsanwaltschaft selbst. Und schon aus psychologischen Gründen ist es sehr schwierig, hier tatsächlich "unabhängig" zu bleiben, wenn es um die eigenen Kollegen geht und um eine Situation, in die jeder der Ermittler selbst einmal kommen kann. Es lässt sich auch nur schwer vorstellen, dass es im Falle eines tödlichen Ausgangs bei einer Auseinandersetzung unter Privaten keine Anklage gegeben hätte, wenn sämtliche Entlastungszeugen aus dem Verkehrskreis der Beschuldigten stammten.

Auch wenn im Fall Eisenberg das Ermittlungsergebnis die Wahrheit wiedergibt und sich die Staatsanwaltschaft alle Mühe der Objektivität gibt, ist es aus diesen Gründen schwierig, die Öffentlichkeit zu überzeugen. Daher ja auch die offenbar mit großer Mühe um Offenheit formulierte 8-seitige Presseerklärung der StA. Ich habe im Verlauf der vergangenen Wochen mit sehr vielen Menschen (Juristen und Nichtjuristen, auch Polizeiangehörige) gesprochen und bei allen Verständnis für die Rolle der Polizeibeamten bemerkt, wenn man sich wirklich auf einen Austausch von Argumenten einließ und versuchte sich in die Situation hineinzuversetzen. Andererseits stand die Hoffnung im Vordergrund, dass sich die tragischen Vorfälle in einem Gerichtsverfahren am ehesten aufklären ließen.

"bei allen Verständnis für die Rolle der Polizeibeamten bemerkt" ...damit kann ich leider nicht dienen, denn ist das Verhalten auch soziologisch nachvollziehbar, denn "eine Krähe hackt der anderen schließlich kein Auge aus", so kann ich die starke Parteilichkeit und fehlende Objektivität bei derart bedeutenden Rechtsfragen nicht verstehen. Nun werden weder für künftiges Handeln Grenzen bei evtl. Unverältnismäßigkeit aufgezeigt, noch wird der Fall voll umfänglich öffentlich aufgeklärt, trotz bundesweiten überragenden Interesses der Bevölkerung. Diese Entscheidung, die Ermittlungen einzustellen, ist nach m.M. ein exorbitantes Armutszeugnis für den Rechtsstaat.

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Ich verstehe, dass die handelnden Polizisten auch nur Menschen sind und dass Menschen auch mal Fehler machen. Ich weiß, dass Menschen dazu neigen Ihre Fehler zu vertuschen und ich weiß, dass Menschen zu Manipulation und Machtmißbrauch neigen. Das gibt es auch schon bei sämtlichen Affenarten.
Es ist nun eine Fleiß- und Geduldsprobe um sämtliche Mittel und Möglichkeiten auszuschöpfen um diesen Menschen Ihre Fehler nachzuweisen und Sie zur Übernahme der Verantwortung mit den entsprechenden Konsequenzen zu zwingen. Das ist halt so in unserer zivilisierten und verlogenen Welt.

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Die Stuttgarter Nachrichten meinen hierzu:

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/2329413_0_6626_-justiz-un...

Justiz und Polizei in Bayern: Pleiten, Pech und tragische Pannen

Bayerns Polizei glänzt bundesweit mit den geringsten Kriminalitäts- und den höchsten Aufklärungsquoten. Bayerns Juristen gelten als die Krone der Rechtswissenschaften. Das alles aber schützt offensichtlich nicht vor Fehler, Pleiten, Pech und Pannen.

Falsch sind nach dem StA-Bericht die in Foren zunächst verbreiteten Behauptungen über „Amok“-Warnungen des notrufenden Mitbewohners. Der fürchtete nur Gefahr für sich, war aber akut in Sicherheit (seine Aufgeregtheit war insofern etwas wirr), und für Eisenberg selber. Die Einsatzzentrale teilte den Beamten mit „die Sache sei jetzt eilbedürftig. Der Täter habe gesagt, er wolle sich jetzt selbst umbringen.“ All das lässt keinerlei Drohung gegen andere als den entkommenen Notrufer erkennen, sondern Geringschätzung eigenen Weiterlebens.
Besonnenes Reden (Talk down), Entschuldigungen für das „Hereinplatzen“ in die Wohnung des E., verbaler Rückzug („Wir gehen sofort wieder. Sie brauchen uns gar nicht erst zu vertreiben. Ist ja Ihre Wohnung. War wohl ein Fehlalarm.“ o.ä.) wäre richtig gewesen.
Die Beamten mussten damit rechnen, dass laute energische Aufforderungen an E. ähnlich wirken wie Körperverletzungen.
Dessen lautes Lachen nach dem Pfeffersprayeinsatz zeigte eher Verwirrtheit oder überfordert-sprachlosen Widerspruch zur Situationsdeutung der Beamten als Aggressivität. Laute Aufforderungen an die eigenen Kollegen hingegen („Hört auf! Lasst den Mann in Ruhe. Wir gehen wieder raus. Hier sind wir falsch.“ o.ä.) waren immer noch geeignet, die Situation zu entschärfen. Talk down schloss Abwehrbereitschaft der verringerten Gefahr einer Messerattacke ja nicht aus.

Einige Thesen zu Zitaten aus der Pressemeldung:

„Schon zum Zeitpunkt der ersten auf T. Eisenberg abgegebenen Schüsse durch die Beschuldigten lag ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff des T. Eisenberg auf den sich in die Raumecke flüchtenden Polizeibeamten, der zuvor – ebenfalls gerechtfertigt – seinen Schlagstock gegen Herrn Eisenberg zum Einsatz gebracht hatte, im Sinne einer Nothilfelage gemäß § 32 Abs. 2 Var. 2 Strafgesetzbuch vor.“
Ohne Not verzichtete dieser flüchtende Beamte auf weitere Rückzugsmöglichkeit. Daher durfte diese Möglichkeit auch nicht Sekunden später als Nothilfe herbeigeschossen werden. Der Beamte musste die Folge seiner Entscheidung selbst tragen und sich notfalls selbst verteidigen.
" … lag … Nothilfelage gemäß § 32 Abs. 2 Var. 2 Strafgesetzbuch vor. Eisenberg wandte sich nämlich mit einem langen, spitzen Messer in der rechten Hand diesem Polizeibeamten zu und war im Begriff, auf den Beamten zuzugehen …“
Nach vorangegangenen unbestätigten Äußerungen des Notrufers und zweifelsfreien wiederholten Äußerungen des E. (lautes Lachen und „Dann erschießt’s mich halt!” und „Dann schießt doch!”) war weit mehr damit zu rechnen, dass E. auf die Beamten zugehend sich selber als Opfer präsentiert, als mit einer Attacke: Auch daher keine Nothilfelage, vermutetes „war im Begriff“ war kein Angriff.

„Auf einen lebensgefährlichen und mit einem hohen Fehlschlagrisiko verbundenen Versuch, Herrn Eisenberg auf andere Weise zu überwältigen, mussten sich die Beschuldigten ebensowenig einlassen wie die anderen Einsatzbeamten.“ Möglich waren aber besonders risikoarme, chancenreiche Versuche von schräg hinten (rechten Messerarm verdrehen, Standbein wegtreten, o.ä.), wie sicher regelmäßig trainiert wird.
Wenn das Messer lediglich in Hüfthöhe gehalten wurde (die Pressemitteilung verschweigt derartige Zeugenaussagen) und nach vorne gerichtet war, war das Risiko eines wuchtigen lebensgefährlichen Stoßes für die rückwärtigen Beamten gering.

„Die Beschuldigten durften in dieser Situation das ihnen zur Verfügung stehende Verteidigungsmittel zum Einsatz bringen, das die von Herrn Eisenberg ausgehende Gefahr unmittelbar und sicher beseitigt. Da T. Eisenberg als Angreifer nach den ersten Schüssen wider Erwarten keine erkennbare Wirkung zeigte …“ Unsinnige Erwartung bei ungeeigneten Schüssen auf linkes Knie und linken Arm. Da so die behauptete Bedrohung mit dem rechten Messerarm eben nicht unmittelbar und sicher zu beseitigen war, durften die Beschuldigten in dieser Situation die Pistolen so nicht zum Einsatz bringen. Immer war die Sekunde Zeit gewesen, den Messerarm mit schnellem Sidestep wieder ins Visier zu bekommen und – wenn überhaupt – dann erst zu schießen, nur auf den Messerarm. Auch weil E. mit 1-2 Schritten von hinten erreichbar war, waren aber selbst diese Schüsse nicht erforderlich.

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Dankbar bin ich für ganz konkrete Argumente zu meinen vorliegenden und folgenden Thesen (T…); denn als außenstehender Laie kann ich bei Fakten, vor allem aber auch bei rechtlichen Wertungen irren. Der Moderation danke ich dafür, wenn sie im Fall einer Diskussion die konkreten Bezüge sichern kann.
Nun fast zum Anfang der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft (StA):

„ Außerdem erzählte er, sein Mitbewohner wolle sich jetzt selbst umbringen.

Der Notruf über die Nummer 110 lief von 10.43 Uhr bis 10.46 Uhr in der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Oberpfalz auf. Der Geschädigte erzählte hierbei, sein Mitbewohner namens Eisenberg habe ihn gerade mit dem Messer bedroht und habe ihn abstechen wollen. Er habe aus der Wohnung fliehen können. Der andere habe auch gesagt, er werde sich selbst erstechen. Der Mitteiler wurde sodann aufgefordert, beim Sonnenstudio zu warten.“

(T5:) Die Zentrale versäumte, nach Namen, Telefonnr. etc. von Nahestehenden des E. zu fragen (Freundin, Angehörige, Hausarzt, …) und diese zuerst von der angeblichen Selbsttötungsdrohung zu informieren, anschließend Polizeipsychologen/Facharzt (Stand das nicht in einer Dienstanweisung?).
(T6:) Es gab bei Eintreffen der Polizei keinen Grund, eine Gefährdung Dritter anzunehmen. Zurecht tat das dem StA-Bericht zufolge auch niemand. Vielmehr erwog Herr Eisenberg nach damaliger Informationslage, sein Grundrecht wahrzunehmen, sich selbst zu töten.
(T7:) Grundsätzlich war daher ein deeskalierendes Vorgehen angezeigt – im krassen Gegensatz etwa zu einem Amoklauf (Klärten Dienstanweisungen den Gegensatz? Training?)

(StA:) „Um 10.47 Uhr beorderte die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums einen Streifenwagen zur Schwandorferstraße 11, da ein Herr Eisenberg dort seinen Mitbewohner mit dem Messer bedroht habe. Dieser habe flüchten können und warte nun beim Sonnenstudio.“

(T8:) Was den Beschuldigten über die Vorgeschichte bekannt wurde, wird erst ab hier berichtet!
(T9:) Die Einsatzbegründung war nicht sachgerecht. Da die Einsatzleitung wusste, dass der Notrufer außer Gefahr war, in Gefahr nur Eisenberg wegen angekündigter Selbsttötung, durfte der angeblich Lebensmüde zunächst nicht zum Tatvorwurf befragt werden. Erst musste durch Angehörigen oder Arzt/Psychologen sichergestellt sein, dass E. hinreichend stabil ist. Gab es keine entsprechende Dienstanweisung?
(T10:) Richtig wäre der Auftrag an die Streifen gewesen, Dritte aus möglichem Gefahrenbereich zu halten und zu holen und dabei den Lebensmüden möglichst wenig zu beunruhigen bis ein Angehöriger/Arzt/Psychologe eintrifft – also auch kein Blaulicht/Martinshorn bei Anfahrt. Eile war daher eher falsch, ebenso die auffällige Gegenwart mehrerer Streifenwagen.

(StA:) „Die Polizeistreife kam um 10.57 Uhr am Einsatzort an. Um 10.48 Uhr erkundigte sich eine weiterer Polizeistreife bei der Einsatzzentrale nach dem Sachverhalt. Die Einsatzzentrale teilte ergänzend mit, die Sache sei jetzt eilbedürftig.“

(T11:) „eilbedürftig“ war primär die unterbliebene Information von Nahestehenden oder des Psychologen (vgl.o.).

(StA:) „Der Täter habe gesagt, er wolle sich jetzt selbst umbringen. Den Geschädigten habe er vorher schon beinahe erstochen.

(T12:) „Gefährliche Übertreibung/Eskalation durch Einsatzzentrale: Da keinerlei Verletzung bekannt war, war auch nicht sicher, wie ernst das Gerangel mit dem Notrufer wirklich war.

(StA:) „Das BRK sei jetzt auch für den Täter unterwegs.“

(T13:) Weder Streifenpolisten noch Unfallretter sind die primären Helfer für Lebensmüde, sondern Nahestehende des Lebensmüden und ein Psychologe. Die Bezeichnung „Täter“ leitete fehl. Der Tatvorwurf war gegen den Lebensmüden unbedingt zurückzustellen.

(StA:) „Daraufhin fuhren diese und eine dritte Streife von der Dienststelle aus zum Einsatzort ab.
Um 10.52 Uhr teilte die Einsatzzentrale ergänzend mit, Eisenberg habe wohl keine Schusswaffe in der Wohnung, aber mehrere Küchenmesser."

(F14:) Woher die Informationen, warum erst um 10.52 Uhr?

(StA:) „Entsprechende Eigensicherung wurde angemahnt.“

(T15:) Wo blieb die Mahnung, beruhigend vorzugehen? Die Einsatzzentrale ist zu beschuldigen, nicht gemäß der Informationslage ein deeskalierendes Einsatzziel vorgegeben zu haben. Dies nicht einmal der 4. oder 5. Streifenbesatzung.

(StA:) „Um 10.54 Uhr erkundigte sich eine vierte Streifenbesatzung nach dem Sachverhalt, wurde informierte …“
(F16:) Wie?
(StA:) „ und fuhr zunächst ebenfalls zum Einsatzort und von dort zu dem Sonnenstudio. Eine fünfte Streifenbesatzung fuhr um 10.56 Uhr ebenfalls zum Einsatzort.“

(T17:) Aufwändige, vor allem total falsche Einsatzstrategie: Die meisten Streifen erhöhten Risiken. Die wichtigsten Helfer, nämlich dem angeblich lebensmüdem E. Nahestehende, dessen Hausarzt, den eigenen Polizeipsychologen oder etwa einen Arzt vom Bezirksklinikum „vergaß“ die Zentrale.
(T18:) Fehler der Zentrale, der Dienstanweisungen, des Trainings entlasten die Beschuldigten. Die StA stellte hingegen nicht einmal eine Fehlermöglichkeit fest. Damit gab die Staatsanwaltschaft keinen Anstoß, Risiken der Wiederholung ähnlicher Fehler zu mindern. Damit entlastete die Staatsanwaltschaft die Beschuldigten vor allem nicht. War Entlastendes zu ermitteln nicht Aufgabe der StA?
(F19:) Wurde die 8-seitige Presseerklärung der StA „offenbar“ oder prima vista mit großer Mühe um Offenheit formuliert?

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Sehr geehrter Herr Hohburg,
für Ihre eingehenden Diskussionsbeiträge meinen Dank. Wie ich schon an mehreren Stellen hier im Blog - und auch lange vor dem staatsanwaltlichen Bericht - geäußert habe, kommt auch mir der Einsatz zumindest suboptimal vor, ausgehend auch von dem, was schon über das Verhalten von Tennessee Eisenberg bekannt war und zum Status der (fehlenden) Gefährdung Dritter. Aber es ist strafrechtlich klar zu unterscheiden zwischen dem Vorwurf einer (möglicherweise) falschen Polizeitaktik sowie (möglicherweise) fehlerhaften Einsatzes einerseits - und des Vorwurfes des Totschlags andererseits.
Für letzteres ist entscheidend, ob zum Zeitpunkt der tödlichen Schüsse eine Notwehrlage vorgelgen hat (zu Recht konzentriert man sich seitens der Rechts- und Staatsanwälte weitgehend auf diese umstrittene Frage). Die (Vor)Geschichte des Einsatzes ist insofern (abgesehen von meinen unten stehenden Ausführungen) unerheblich. Insofern sind Ihre Thesen 5-18, so berechtigt sie auch möglicherweise sind, für den strafrechtlichen Vorwurf unmaßgeblich. Selbst wenn die Einsatzzentrale falsche oder wenig hilfreiche Anweisungen oder Informationen gegeben hat, würde das die Beamten vor Ort eher entlasten als belasten. Es gibt keine strafrechtliche Haftung "der Polizei" insgesamt, sondern immer nur des einzelnen Beamten.
Etwas anders sieht es - allerdings nach umstrittener strafrechtlicher Position - aus für die Frage einer möglichen fahrlässigen Herbeiführung einer Notwehrlage, so genannte actio illicita in causa. Danach kann derjenige, der in (berechtigter) Notwehr einen anderen tötet, wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden, wenn er diese Notwehrlage fahrlässig herbeigeführt hat. Auf diesen möglichen, aber wie gesagt dogmatisch umstrittenen, Vorwurf geht die Erklärung der StA nicht ein - nach dem Befund der Staatsanwaltschaft seien ja beim Einsatz auch keine erheblichen Fehler gemacht worden. Aber selbst dann wäre natürlich zu prüfen, ob dieselben Beamten individuell fahrlässig gehandelt haben, die dann auch geschossen haben.
Wenn sie in T6 schreiben, Herr Eisenberg habe von seinem Grundrecht, sich selbst zu töten, Gebrauch machen wollen, erfassen sie damit m. E. weder die Fakten- noch die Rechtslage zutreffend: Nach dem vorherigen Verhalten ging es hier eben nicht um die Wahrnehmung eines "Grundrechts", sondern um einen akuten Ausnahmezustand, der schon ein Tätigwerden der Behörden rechtfertigte und notwendig machte. Über die Fehler des Einsatzes lässt sich sicher einiges sagen, aber dass überhaupt die Polizei an den Ort des Geschehens fuhr, kann sicherlich niemand beklagen. Ihre (F19) verstehe ich nicht.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller

Vielen Dank, Herr Dr. Müller. Mein eigentliches Ziel ist keineswegs eine Freisprechung oder Verurteilung „der Polizei“, sondern die Analyse von Schwachstellen, sind Konsequenzen, damit künftig ähnliche Situationen besser laufen. Die strafrechtl. Aufarbeitung sollte mit der Nennung möglicher oder klarer Schwachstellen helfen.

„Selbst wenn die Einsatzzentrale falsche oder wenig hilfreiche Anweisungen oder Informationen gegeben hat, würde das die Beamten vor Ort eher entlasten als belasten.“
Gerade deshalb T18. Man könnte nun vielleicht einwenden: Da den Beschuldigten eh Notwehr und Nothilfe bescheinigt wurde, habe eine Entlastung keinen Sinn. Doch im Fall, dass Notwehr oder Nothilfe gerichtlich verworfen werden, erhalten Entlastungen Gewicht zugunsten der Beschuldigten. Sollen meine Argumente dann erst nachgereicht werden?

„Nach dem vorherigen Verhalten ging es hier eben nicht um die Wahrnehmung eines "Grundrechts", sondern um einen akuten Ausnahmezustand“
OK. Den Einschub „sein Grundrecht wahrzunehmen“ ziehe ich aus T6 zurück. Dass "Tätigwerden" richtig ist, sagten ja T5, T10, T11, T17. Undeutlich? Zustimmung zu Posting #21 aus http://blog.beck.de/2009/07/26/tod-durch-polizeischuesse-der-fall-tennes...

Den Einwand strafrechtlicher Irrelevanz oder Irreführung sehe ich hinsichtlich des Anfangsteils der Pressemitteilung (worauf sich auch meine T1 bis T4 bezögen). Zur actio illicita in causa möchte ich noch nichts sagen, sondern erinnere an meine Thesen zur Nothilfe vom 02.01.2010.

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@Hohburg
Vielen Dank für Ihre vor allem psychologisch begründete Kritik an Einsatz und Einsatztatktik. Einen Punkt möchte ich korrigieren:

"Möglich waren aber besonders risikoarme, chancenreiche Versuche von schräg hinten (rechten Messerarm verdrehen, Standbein wegtreten, o.ä.), wie sicher regelmäßig trainiert wird.
Wenn das Messer lediglich in Hüfthöhe gehalten wurde (die Pressemitteilung verschweigt derartige Zeugenaussagen) und nach vorne gerichtet war, war das Risiko eines wuchtigen lebensgefährlichen Stoßes für die rückwärtigen Beamten gering."

Ich weiß nicht, worauf sich Ihre Meinung hier stützt. Einen Angreifer, der mit einem Messer bewaffnet ist, kann man nicht mit bloßen Händen entwaffnen, ohne sich dabei selbst in akute Lebensgefahr zu begeben. Gegenteilige Darstellungen, wie sie in Actionfilmen, bei Kampfsportvorführungen usw. vorkommen, sind pure Fiktion. Eine Verletzung der Aorta führt binnen Sekunden zum Tode durch Verbluten. Auch wenn der Angreifer keine Möglichkeit eines Stoßes hat, hat er faktisch immer die Möglichkeit, lebensgefährliche Schnittverletzungen beizubringen.

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@Knut,
„immer“?? TaDA!
Staatsanwaltschaft und Justizministerin enthalten der Öffentlichkeit vor, dass der „Beschuldigte2“ wohl außergewöhnlich trainiert war, ob der außergewöhnlich Trainierte vor dem ersten Schuss rechts oder links hinter dem verwirrten Studenten stand und wer wohin schoss.
Bei nach hinten gerissenem Arm des verwirrten Studenten wäre das im Degengriff gehaltene Messer nicht mehr nach vorn, sondern gut kontrollierbar nach vorn-unten gerichtet gewesen. Jeder trainierte Beschuldigte, der von hinten den verwirrten Studenten überraschend am Messerarm gepackt hätte (Hebelgriff), wäre daher allerhöchstens an einer zupackenden Hand gefährdet gewesen. So gefährdet wie in Ihrem vorletztem Satz beschriebenen aber nur, wenn er die Aorta in der Hand hätte.
Doch wer verortet die Aorta da?

"wohl außergewöhnlich trainiert war"
Und deshalb wußte er, daß er sich in Lebensgefahr brächte, wenn er versuchte, mit bloßen Händen zu entwaffnen.

"allerhöchstens an einer zupackenden Hand gefährdet gewesen"
Das halte ich für fraglich, da ein Messer sehr schnell geführt und die Hefthaltung gewechselt werden kann. Z.B. kann ein nach vorne-unten gerichtetes Messer dann nach hinten-unten gerichtet sein - mit entsprechenden Wirkmöglichkeiten u.a. gegen den Oberschenkel. Aber diese Frage ist m.E. ohnehin egal. Denn bereits eine (tiefe) Schnitt- oder Stichverletzung der Hand kann einen Schock mitsamt Bewußtseinsverlust auszulösen - mit der daraus folgenden Wehrlosigkeit. Oder die Verletzung löst Reflexe, Schmerzhandlungen o.ä. aus, was dem Angreifer ermöglicht, sich aus dem Griff zu befreien.

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@ Knut,
ich stimme Ihnen theoretisch zu, wenn „die Hefthaltung gewechselt“ wird, „kann ein nach vorne-unten gerichtetes Messer dann nach hinten-unten gerichtet sein“. Geht aber nicht mehr im „Polizeigriff“.

Welche „Frage ist m.E. ohnehin egal“ habe ich nicht verstanden. Soll damit etwa behauptet werden, der verwirrte Student hätte mit Messer in Degenhaltung nach hinten Stechen und Schneiden können, obwohl 2 Polizistenhände den Messerarm überraschend von hinten gepackt und nach hinten gerissen oder in einem Hebelgriff genommen hatten?

Bitte vernachlässigen Sie nicht, dass 3 Polizisten 1-2m vom verwirrten Studenten entfernt waren. Ihr Wechsel der Hefthaltung wäre nur zu befürchten gewesen, wenn der verwirrte Student seinen Kopf wenigstens halbwegs zu jenem Polizisten rechts der Treppe wenden würde. Die StA-Pressemeldung belegt aber das Gegenteil
„Eisenberg wandte sich nämlich mit einem langen, spitzen Messer in der rechten Hand diesem Polizeibeamten zu und war im Begriff, auf den Beamten zuzugehen“, der in der Ecke links der Treppe stand. Er wandte sich also gerade von den Beschuldigten ab! Ein erfolgversprechenderer Moment für einen Überraschungsangriff von hinten ist kaum vorstellbar. Hätte jetzt ein Beschuldigter den Arm gepackt, wäre offenkundig keine Zeit für einen Wechsel der Hefthaltung gewesen. Dass musste nicht nur der außergewöhnlich Trainierte wissen.

Rein theoretisch noch Ihre beschworenen Folgen nach Wechsel der Hefthaltung:
Wer trainiert ist zuzupacken, lässt auch bei Schmerz durch ein einfaches Küchenmesser nicht reflexhaft los.
Ein „Schock mitsamt Bewusstseinsverlust“ hätte offenkundig erst nach vielen Sekunden gewirkt. Gemeinsam hätten die 3 Polizisten bis dahin den verwirrten Studenten längst entwaffnet.
Wenn ein Beschuldigter mit beiden Armen den Messerarm gepackt hätte, wäre kein Durchdringen bis zum Oberschenkel möglich gewesen.

Übrigens: Auch im Oberschenkel ist keine „Aorta“. Könnten Sie, sehr geehrteR Frau/Herr Knut, unbestreitbare Fakten nicht klären, bevor Sie auf einem falschen Argument beharren?
Schließlich schrieb Frau/Herr Hohburg: „Doch wer verortet die Aorta da?“

Zur Position der Nothelfer:
StA: „Als Eisenberg den Bereich vor der Treppe, wo er den Armdurchschuss und den Kniedurchschuss erhielt, verließ, sich weiter dem sich in die Raumecke flüchtenden Polizeibeamten näherte und hierbei den beiden Beschuldigten seine linke bzw. linke hintere Körperseite schräg zugewandt hatte,…“
StA: „…gelangte dieser Sachverständige bei seiner Rekonstruktion zu einer Position des Beschuldigten 1 während der Abgabe von zwei der ersten Schüsse, die von den Berechnungen des Landeskriminalamts um ca. 1 Meter abweicht.“
Eine Skizze sollte beide Situationsdarstellungen verständlich machen.

Die Pressemitteilung der StA berichtet streckenweise nicht über Individuen, sondern über nicht nummerierte, nur gezählte „Beamte“. Das erschwert die individuelle Schuld- und Entschuldigungszuordnung und die vorgelagerte Suche nach allen möglichen Schwachstellen, um Verbesserungen erarbeiten zu können. Die Pressemitteilung der StA vermittelt bisher den Eindruck, 3 Polizisten hätten einfach mal so, ohne Absprachen zu Risiken, an der Wohnung des Suizidalen geklingelt und geklopft und seien mit weiteren Kollegen von einer Überraschung in die nächste „gestolpert“. Ich bezweifle, dass die Beteiligten so kopflos wirken müssen.

Zeigt der vollst. Einstellungsbeschluss der StA oder Anlagen für jedeN BeschuldigteN (und Zeugen/in) auf, was sie/er ab dem Funkkontakt mit der Zentrale getan, gesagt, gehört hat?
Welche Informationen hatte sie/er vor Eintritt in das Wohnhaus, mit welcher Absicht trat sie/er ein?
Rechnete sie/er mit einer Messerattacke und wie wollte sie/er reagieren?
Wie deutete sie/er im Wohnhaus wann das Verhalten des E., wie das von KollegINNen?
Wer sagte was?
Vielleicht liefert der GeneralStA noch nach und gibt mehr aus vorliegenden Berichten an die Öffentlichkeit weiter. Die Persönlichkeitsrechte bleiben gewahrt bei Nummerierung der Zeugen (wie bei den Beschuldigten geschehen, allerdings inkonsequent).

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Herr Prof. Müller: können sie - evtl. aus vergleichbaren Prozessen - die Aussichten des geplanten Klageerzwingungsverfahrens beurteilen oder wäre selbst eine grobe Einschätzung hier unseriös?

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Sehr geehrter Mediziner,

im Allgemeinen (statistisch betrachtet) sind Klageerzwingungsverfahren eher wenig erfolgsträchtig, sicher ist die Quote bei der Beschuldigung von  Polizeibeamten nicht höher. Allerdings ist das hiesige Verfahren derart speziell und hat so viel Aufsehen erregt, dass es kaum richtig erscheint, es mit dem "durchschnittlichen" Klageerzwingungsverfahren zu vergleichen. Deswegen ist es mir nicht möglich, hier eine Prognose abzugeben, schon gar nicht ohne präzise Aktenkenntnis.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Aus der neuen PM der Nebenklageanwälte:

"Die eingesetzten Beamten, auch die Beschuldigten, wussten vor dem Einsatz aus dem Funkverkehr, dass eine Bedrohung des Mitbewohners stattgefunden haben soll, dass der Bedrohte aber bereits unverletzt entkommen war und dass Tennessee Eisenberg mit Suizid gedroht hatte. Sie wussten auch, dass weitere Personen nicht gefährdet waren und dass Tennessee niemals vorher etwas angestellt hatte. Aus den Angaben des bedrohten Mitbewohners war bekannt, dass Eisenberg sich an diesem Morgen auffällig verhalten hatte.
Unter diesen Umständen war es unverantwortlich, ohne Einsatzplan, völlig konzeptlos, in die Situation zu stolpern und den in Unterwäsche mit Küchenmesser in der Hand in seiner Wohnung stehenden Eisenberg mit dem Kommando „Messer weg“ zu begrüßen.
Wer einen Suizidgefährdeten, der eventuell an einer psychischen Störung leidet, in dieser Weise behandelt, riskiert, dass dieser unkontrollierbare Angst bekommt und glaubt, sich zur Wehr setzen zu müssen.
Wer so handelt – oder solches Handeln zulässt - trägt Verantwortung für das weitere
Geschehen."

Das wirkt fast so, als hätten die Anwälte unseren Gedankenaustasch gelesen ...

 

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Ging unsere Diskussion der Nothilfesituation völlig an der Realität vorbei? Die Positionsdarstellung der Anwälte steht in schwerlich begreifbarem Gegensatz zum Bericht der StA, aus dem hier zitiert wird:

StA: „Alle sich jetzt auf der Treppe befindlichen Beamten wichen nun weiter in den Treppenhausflur des Erdgeschosses zurück. Dieser Flur ist etwa 5 m lang, in der Mitte an der Wand mündet die halb gewendelte Treppe aus dem ersten Obergeschoß. Die Entfernung vom Treppenfuß zur gegenüberliegenden Wand beträgt ca. 2 m. An dieser standen ein Sofa, ein Sessel, ein Getränkekasten und ein Einkaufskorb, was den zur Verfügung stehenden Raum auf ca. 1 m einschränkte. Überdies waren im Flur drei Fahrräder abgestellt.

Nachdem die Beamten das Erdgeschoß erreicht hatten, bewegten sich fünf Beamte (darunter die beiden Beschuldigten) rückwärts in Richtung der in der nördlichen Raumecke befindlichen Haustüre. Der sich zuletzt unmittelbar vor Eisenberg befindliche Beamte zog sich in Richtung der anderen (östlichen) Raumecke zurück, in der das Sofa stand. Als auch Eisenberg im Hausflur angekommen war, wandte er sich unmittelbar vor der Treppe diesem Beamten zu und begann mit dem Messer in der Hand, auf diesen Beamten, der nun vor dem Sofa stand, zuzugehen. Da Eisenberg diesen Beamten aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse ohne weiteres sofort mit dem Messer hätte erreichen können, entschloss sich einer der in diesem Moment hinter Eisenberg stehenden Beamten (Beschuldigter 1), dem bedrängten Kollegen, der keinen sicheren Fluchtweg hatte, durch Einsatz der Schusswaffe beizustehen. Der Beschuldigte 1 feuerte zunächst knapp an Eisenberg vorbei einen Warnschuss in die Wand rechts der Treppe.

Eisenberg reagierte jedoch nicht und begann, dem in Richtung der anderen Raumecke zurückweichenden Beamten zu folgen. Nun gab der Beschuldigte 1 einen gezielten Schuss auf Eisenberg ab, der dessen linkes Knie von hinten durchschlug. Etwa zeitgleich feuerte auch der ebenfalls im Rücken des Eisenberg stehende weitere Beschuldigte (Beschuldigter 2) einen gezielten Schuss auf den linken Arm des Eisenberg ab, der zu einem Armdurchschuss führte“

Dagegen die Nebenkläger:

 „Die Gutachten des Landeskriminalamts und des PD Dr. B. Karger/Uni Münster sind sich einig, dass der erste Schuss fiel, als T. Eisenberg sich, treppab gehend, noch auf den letzen Treppenstufen befand. Es handelt sich dabei um den, von der StA überraschend in der Einstellungsverfügung erstmals so genannten „Warnschuss“. Bei den folgenden 2 Schüssen war seine Position unmittelbar vor der Treppe, Körper treppauf gewandt, leicht seitlich der Treppenmitte. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Gutachter völlig eindeutig aus dem Anprallschaden, den das Projektil an der untersten Treppenstufe verursacht hat. Dieser Defekt korrespondiert mit der Durchschuss­verletzung am linken Knie des Herrn Eisenberg.

Das Projektil, abgefeuert vom Beschuldigten 1, durchschlug das linke Knie von leicht seitlich hinten in steilem Winkel, trat zentral durch die Kniescheibe aus und drang sodann in die unterste Treppenstufe ein.

Die Position des T. Eisenberg und des Schützen bei dieser Verletzung ist zur Überzeugung aller Gutachter völlig zweifelsfrei rekonstruierbar und zeigt, dass sein Knie in diesem Augenblick treppaufwärts zeigte, so als wollte er die Treppe, die er soeben heruntergekommen war, nun wieder hinaufsteigen. Er wandte den Schützen den Rücken zu.

In nahezu identischer Position erhielt Eisenberg durch den Beschuldigten 2 einen weiteren Treffer, der seinen linken Oberarmknochen durchschlug. Hierbei hat er den linken Arm leicht angehoben, als ob er nach dem Treppengeländer greifen wollte.

Beide Beschuldigte standen max. 1,5 m hinter Eisenberg.

Die Staatsanwaltschaft kommt nur deshalb zur Einstellung des Verfahrens, weil sie diese objektiven und eindeutigen Spuren schlicht ignoriert. Sie stützt sich ausschließlich auf die Aussagen der Zeugen, der Kollegen der Beschuldigten, die angeben, dass die ersten Schüsse gefallen seien, als Eisenberg einen Beamten bedroht habe. Er sei ihm so nahe gestanden, dass er „diesen hätte stechen können“.

Die Aussagen dieser Zeugen könnten – würden sie zutreffen - eine Nothilfesituation zugunsten der Beschuldigten belegen. Die objektiven ballistischen Spuren widerlegen diese jedoch eindeutig. Danach war Eisenberg ca. 2,50 m bis 3,20 m von dem Beamten entfernt, dem die beiden Beschuldigten laut StA zur Hilfe kommen wollten und stand seitlich/rückwärts zu ihm.“

 Der Nebenklage-Vorwurf, die StA ignoriere die ballistischen Erkenntnisse, steht in Kontrast zu folgendem Ausschnitt aus der StA-Erklärung:

 „Diese – der o. g. staatsanwaltschaftlichen Entscheidung zugrundeliegenden – Feststellungen beruhen auf den Angaben der Beschuldigten und der vernommenen Zeugen, mehreren Sachverständigengutachten und den Erkenntnissen bei der Tatrekonstruktion am 01.12.2009. Die festgestellten Schussverletzungen ergeben sich aus dem schriftlichen Obduktionsbefund vom 06.05.2009, ergänzt durch Nachtrag vom 11.05.2009. Auch der von Seiten der Angehörigen des T. Eisenberg beauftragte Sachverständige bestätigte diesen Befund anlässlich einer Nachsektion vom 14.07.2009 in den wesentlichen Punkten. …

Die Rekonstruktion der Schussabgaben und der daraus resultierenden Schussverletzungen erfolgte durch mehrere Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes. Das Gutachten des von Seiten der Angehörigen beauftragten Sachverständigen kommt – mit einer Ausnahme – zu weitgehend gleichen Ergebnissen. So gelangte dieser Sachverständige bei seiner Rekonstruktion zu einer Position des Beschuldigten 1 während der Abgabe von zwei der ersten Schüsse, die von den Berechnungen des Landeskriminalamts um ca. 1 Meter abweicht.

Dieser Unterschied hat jedoch auch nach Ansicht dieses Sachverständigen in der Gesamtschau des Tatablaufs keine Bedeutung.“

Demnach sagt eine der Prozessparteien die Unwahrheit. Wenn kein Gutachten sehr missverständlich abgefasst ist – das ist ja objektiv zu klären -, dann tut sie das sogar wissentlich.

Etwas missverständlich erscheint obige Wertung der Nebenklage, „Aussagen dieser Zeugen könnten – würden sie zutreffen - eine Nothilfesituation zugunsten der Beschuldigten belegen.“ Dass zutreffende Aussagen der Zeugen lediglich ein widerlegbares Indiz wären, zeigte ja schon unsere Diskussion. Weitere Prüfpunkte kämen hinzu.

Wenn Verdachtsmomente bestehen, dass die StA wissentlich mit unrichtiger Begründung auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens entschied, muss dann der General-StA Ermittlungen gegen seine unterstellte StA einleiten, Herr Dr. Müller?

Korrektur: Meine Kritik an den Nebenklagevertretern (vorletzter Absatz) modifiziere ich. Meine Warnung bleibt, aus erstem Beleg zu viel zu schließen, da auch Belege vorliegen, die selbst dann gegen eine Nothilfesituation sprächen, wenn die Zeugenaussagen zuträfen.

Sehr geehrter Herr Schwarz,

es geht um die unterschiedliche Interpretation derselben Faktenlage, wie es im Strafprozess häufig vorkommt. Da kann man niemandem gleich Strafvereitelung vorwerfen, der die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung aufgrund der Beweislage anders einschätzt. Aber für eine Anklageerhebung sprechen hier doch die besseren Gründe. Zu berücksichtigen ist: Bevor die Nebenkläger ein Privatgutachten in Auftrag gegeben haben, hatte die ermittelnde Kriminalpolizei (wohl Amberg) den Tatort bereits wieder freigegeben, ohne eine Untersuchung der Blutspuren zu veranlassen(!). Bekanntlich wurde in der Öffentlichkeit zunächst nur von einer "Nothilfesituation" gesprochen, d.h. die Beamten hätten geschossen, um einen der Kollegen zu retten. Erst nachdem das Privatgutachten (unter Auswertung der Blutspuren) aufgezeigt hatte, dass auf Eisenberg auch noch an anderer Stelle geschossen wurde (die entscheidenden tödlichen Oberkörpertreffer), hat man die ausführliche Tatrekonstruktion veranlasst, die aufzeigte, dass im Anschluss an die Situation, in der einem Kollegen geholfen werden sollte,  nun auch noch geschossen wurde, ohne dass noch ein anderer Kollege in Gefahr war bzw. schien. 

Die Staatsanwaltschaft argumentiert im Einstellungsbescheid dahingehend, es ließen sich aufgrund des dynamischen Vorgangs mit wohl stetig wechselnden Standorten der Beteiligten die genauen Standorte von Eisenberg und auch der Schützen nicht mehr genau ermitteln, jedenfalls sei aber "bei allen Schüssen von dem Bestehen einer Nothilfe- bzw. Notwehrlagesituation auszugehen." Meines Erachtens werden Widersprüche durch diese Würdigung "geglättet", um die Einstellung zu begründen. So wird nicht darauf eingegangen, dass sich Zeugenaussagen in einem wichtigen Punkt  widersprechen (offene/geschlossene Tür) , in einem anderen Punkt widersprechen sie der objektiven Beweislage (Schüsse an der Treppe).

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Vielen Dank Herr Prof. Müller für die aktualisierende Zusammenfassung des Sachverhaltes, es ist auch m.E. äußerst unangebracht und rechtsstaatlich sehr fragwürdig, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen.

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Herzl. Dank, Herr Professor!

1. Steht eine Gutachteraussage im Gegensatz zu Zeugenaussagen, muss die StA sich letztlich für die glaubwürdigere entscheiden. Was nicht völlig unglaubwürdig oder bedeutungslos ist, muss aber meines Erachtens zunächst im Einstellungsbeschluss angeführt und dann evtl. verworfen werden. Was von Gutachtern dieses Verfahrens im Widerspruch zu Zeugenaussagen aus dem Umfeld der Beschuldigten stand, war immer anzuführen und fehlt mehrfach, wie eine neue Veröffentlichung zeigt:

http://www.regensburg-digital.de/fall-eisenberg-offensichtliche-ungereim...

2. Bei der Frage, ob Ermittlungen gegen die StA angebracht sind, möchte ich nachvollziehbare Irrtümer und Interpretationsunterschiede trennen von bewusstem „Ignorieren“, „Glätten“ u.ä. zumal dann, wenn mehrere Vorfälle eine Tendenz oder mögliche Absicht anzeigen. Mir leuchtet ein, dass auch dabei der Anschein früherer Ermittlungsfehler in diesem Verfahren eine Rolle spielt, was Sie, Prof. Müller, ergänzend ansprachen.

3. Wenn man aber – mit Ihrem letzter Halbsatz - den Widerspruch zur objektiven Beweislage für nicht interpretierbar, sondern gesichert hält, und nicht für bedeutungslos, dann ist folgender Auszug aus obigem StA-Zitat (auch mit Berücksichtigung des Kontextes) einfach nicht wahr: „Diese … Feststellungen beruhen auf … mehreren Sachverständigengutachten … Das Gutachten des von Seiten der Angehörigen beauftragten Sachverständigen kommt – mit einer Ausnahme – zu weitgehend gleichen Ergebnissen. …Dieser Unterschied hat jedoch … in der Gesamtschau des Tatablaufs keine Bedeutung.“

5. Zudem wird damit ein Widerspruch trotz Bedeutungslosigkeit dargestellt und von ihm behauptet, er sei die einzige Ausnahme von ansonsten gleichen Ergebnissen der Sachverständigen. Das heißt auch eindeutig, dass es in allem Aufgezählten, worauf „diese Feststellungen … beruhen“, höchstens bedeutungslose Widersprüche gibt: Andere Widersprüche hätte die StA sonst zumindest so behandelt wie obige „Ausnahme“.

6. Die StA vernachlässigte demnach Gutachteraussagen UND die Wahrheit eigener schriftlicher Aussage. Nicht die unterschiedliche Interpretation derselben Faktenlage hatte mich zur Frage geführt, sondern Verdachtsmomente wissentlich  unrichtiger Begründung der Einstellung des Ermittlungsverfahren. Den Verdacht der Strafvereitlung haben Sie, Herr Prof. Müller, ausgesprochen und verworfen. Mich hindert die Unkenntnis des Wortlauts der Gutachten an eigener Antwort auf die weiter offene Frage. Nebenklage, StA und Ministerin wissen mehr.

7. Die PM der StA betont ziemlich irreführend die mögliche Rechtwidrigkeit der vorausgegangenen Rangelei des E mit seinem Mitbewohner. Die Rechtwidrigkeit durfte aber gerade keine Rolle spielen angesichts der akuten Gefahrenlage. Nur E. selbst war gefährdet und potentiell Menschen, die in seine Nähe hätten kommen können und nicht geschult waren im Umgang mit Suizidalen mit anscheinend psychotischer Störung: also auch Polizeibeamten. Zwingend nötig waren daher Prüfungen der StA zur a.i.i.c., die auch Sie, Herr Professor, früher ansprachen, und zwar für jede Eskalationsstufe ab Klingeln an der Wohnung und vor allem nach jedem ungewöhnlichen Verhalten des E.

8. Mögliche Vorwürfe an Einsatzbeamte sind wohl dann zu mildern, wenn die Staatsregierung an der PM mitschrieb und diese demnach immer noch nicht weiß, worauf die Beamten sich konzentrieren mussten; denn dann kann auch die Weiterbildung der Einsatzbeamten kaum diese Klarheit gehabt haben. Vermeidbar hoch bleiben dann noch immer Wiederholungsgefahren.

http://www.justiz.bayern.de/gericht/olg/n/presse/archiv/2010/02515/index...

GenStA:    „…unter Zugrundelegung sämtlicher Sachverständigengutachten …. Fest stehe jedoch: Tennessee Eisenberg habe sich … entgegen den Aufforderungen der Polizeibeamten auf diese … zubewegt …“

Würde zur Behauptung „Zugrundelegung sämtlicher Sachverständigengutachten“ passen, man habe zwar zur Kenntnis genommen, dass die Gutachter einheitlich ergaben, zum Zeitpunkt der ersten Schüsse habe sich E. wieder treppauf gewandt (zurück zu seiner Wohnung und weg von den Polizisten), man halte das aber weder für mitteilens- noch für erörterungswert, weil irgendwie das Gegenteil so felsenfest stehe, dass eine gerichtliche Untersuchung unmöglich einen anderen Tatbestand ergeben könne?

Im Normaldeutsch ist das „Nicht-Zugrundelegung“ der Gutachten. Ist Juristensprache hier so gegensätzlich? Schwarz folgend ein Vergleich der früheren Erklärungen von Nebenklage und StA

StA:     “Die Erkenntnisse des eingeholten ballistischen Gutachtens sprechen ebenfalls für eine andauernde, ununterbrochene Notwehrlage.“

Die Nebenkläger:     „Als die ersten Schüsse abgegeben wurden, stand Eisenberg direkt vor der untersten Treppenstufe, mit dem Körper den Stufen zugewandt. Ganz so, als ob er zurück in seine Wohnung im ersten Stock gehen wollte. Dies erklärt, warum ihn diese Kugeln von hinten trafen. Auch darin sind sich beide Gutachten einig. Die Staatsanwaltschaft berücksichtigt diese Erkenntnisse bei ihrer Einstellungsbegründung jedoch nicht. Sie stützt sich ausschließlich auf Zeugenaussagen der beteiligten Polizisten.

Sieben Polizeibeamte hatten den Innenraum des Hauses bereits verlassen, als es zu den letzten, tödlichen Schüssen kam. Aus der Behauptung des Todesschützen, er habe „einen Widerstand im Rücken gespürt“ und sei deshalb durch den (bereits schwerst verletzt) herankommenden Eisenberg in Todesangst geraten, schließt die Staatsanwaltschaft, dass es sich um die geschlossene Haustüre gehandelt habe.

Das passt allerdings nicht zu den ballistischen Erkenntnissen ….“

Solch diametrale Gegensätze passen nicht mehr in einen Interpretationsspielraum. Oder im Normaldeutsch: Eine Seite LÜGT. Im Rechtsstaat wirklich egal, Herr Professor?

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

gestatten Sie mir hiermit eine Strophe zum Loblied für Ihre leitenden und resümierenden rechtswissenschaftlichen Hinweise.

Sie wiesen schon darauf hin , dass Einschränkungen des Notwehrrechtes für Polizisten u.a. von Prof. Roxin gesehen werden, Herr Filtor verwies auf Prof. Jahn. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung damit, mit Gebotenheitsaspekten (s.u.) und weiterem erschiene mir angebracht, bevor die StA schlicht behauptet „Auch einem Polizeibeamten steht bei der Ausübung seines Dienstes das Notwehrrecht uneingeschränkt zur Seite. Polizeirechtliche Aufgaben- und Befugnisnormen beschneiden dieses Recht ebenso wenig wie einsatztaktische Erfordernisse.“

Die Konstruktion a.i.i.c. ist vom BGH laut folgendem Link implizit mit dem Totschlägerurteil anerkannt worden

http://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Strafrecht2/dokumente/UniRep/Totschlaegerfall.pdf

Dort war die Notlage bei Schussabgabe offenbar sehr viel unmittelbarer als bei den Herzschüssen des Beschuldigten2. Sie war völlig ohne Ausweich- oder Abwehralternative.

Hier erörterte die StA nicht, ob dem Beschuldigten2 Ausweichen mit Sidesteps möglich gewesen wäre, sondern nur, sich „vom Angreifer wegzudrehen und ihn aus den Augen zu verlieren, um nach einem Fluchtweg zu suchen“. Sie erörtert auch nicht, warum keinesfalls Schutzwehr gegen den Schwerverletzten in Frage kam, und nicht einmal, warum der Beschuldigte2 nicht schrie „Tür auf!“, falls er sie zufallen hörte (str.).

StA: „Zwar war Herr Eisenberg zu diesem Zeitpunkt nach Einschätzung des Sachverständigen aufgrund der erlittenen Schussverletzungen in seiner Beweglichkeit bereits stark eingeschränkt, jedoch ist schon nicht nachweisbar, dass der Beschuldigte 2 in den wenigen ihm zur Verfügung stehenden Sekunden die körperliche Verfassung des Eisenberg zutreffend einschätzen konnte.“

Da der Beschuldigte2 die körperliche Verfassung des E. zunächst vom EG aus beobachtet hatte, seit 3 Kollegen noch im 1. OG befindlich zurückwichen, der Beschuldigte2 später selbst eine der beiden ersten Schusswunden erzielt hatte und alle 8 Schusswunden aus nächster Nähe gesehen hatte (4 weitere Schüsse hörte er), während 7 Kollegen das Haus verließen (!), mit Schusspause vor den letzten Schüssen (lt. Gutachter), bildete sich seine Einschätzung offenkundig eben nicht nur aus „wenige(n) Sekunden“.

Die StA widerspricht sich selber.

Ein Bruchteil „wenige(r) Sekunden“ muss jedem Gelegenheitsautofahrer genügen zur Entscheidung, nur mit Bremsen oder auch Ausweichen auf ein plötzlich auf die Straße springendes Kind zu reagieren.

In der über den Totschlägerfall hinausgehenden obigen Erörterung Bonner Rechtswissenschaftler wird die Kombination a.i.i.c. mit Angriff eines erkennbar schuldlos Handelnden kurz angesprochen („mittelbare Täterschaft“).

In einer aktuellen Übersicht zeigt Prof. Hefendehl (Univ.Freiburg) unterschiedliche rechtswissenschaftliche Positionen zur Notwehr. Darunter ist eine Abschnitt

ee) Angriffe erkennbar schuldlos Handelnder“

http://www.strafrecht-online.org/index.php?dl_init=1&id=3262

Ob der Angegriffene die Schuldlosigkeit auch erkannt hat, ist demnach (allg. anerkannt) ohne Belang. Wenn Prof. Hefendehl nicht völlig irrt, behauptet die StA in der Einstellungsbegründung ein Beweisproblem zu haben, das sich gar nicht stellt:

Vorliegend kann dem Beschuldigten 2 … nicht nachgewiesen werden, dass er eine Schuldunfähigkeit des Eisenberg … erkannt hatte … .“

Zumindest versäumte die StA die Pflicht, sich mit der Rechtsmeinung auseinandersetzen, es komme nur auf die ErkennBARKEIT an.

Außer dieser zweifelhaften Argumentation ging die StA auf Rechtskriterien einer über die „Erforderlichkeit“ hinausgehenden „Gebotenheit“ nicht ein, obwohl sie mehrfach schrieb „erforderlich und … geboten“. Bei so unmittelbarer Notlage wie im Totschlägerfall wäre das weniger fatal gewesen als im Fall E.


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Sehr geehrter Herr Hohburg,

zum Teil haben wir ja diese Punkte, wies Sie ja auch erwähnen, schon erörtert. Nur ist die Diskssuion mittlerweile auf drei Stränge verteilt und in über 150 Kommentaren gegliedert. Wiederholungen lassen sich da nicht vermeiden und sind auch nicht immer unnötig.

Zur Notwehr durch Polizeibeamte: Ein heißes Thema. Man wird m. E. auch Polizeibeamten ein (beschr.) Notwehrrecht einräumen. Heikel wird es aber bei gezielt tödlichen Schüssen, die nicht nur polizeirechtlich sondern auch aus Gründen der europäischen Menschenrechtskonvention problematisch sind. Hier wäre zu erörtern, ob nicht die letzten Schüsse solche gezielten Todesschüsse darstellen, was bei Distanz und Zielpunkten nahe liegt. Es ergeben sich dann Einschränkungen.

Die a.i.i.c. ist zwar, wie Sie richtig zitieren, grundsätzlich der Sache nach anerkannt, jedoch wäre im vorliegenden Fall zu erörtern, ob man gerade den beiden Schützen vorheriges fahrlässiges Verhalten vorwerfen kann, d.h. es genügt nicht ein allg. fahrlässiges Vorgehen bei dem Polizeieinsatz.

Die Zeitdauer des gesamten Einsatzes bzw. die Zeitdauer vom ersten bis zum letzten Schuss sind nach wie vor unaufgeklärt, die Staatsanwaltschaft nimmt wohl nur wenige Sekunden bis zu einer halben Minute für die Schüsse an, die geschilderten Ereignisse scheinen aber mehr Zeit in Anspruch zu nehmen.

Zur Schuldlosigkeit von T.E. und deren Erkennbarkeit: Sie zitieren hier Hefendehl, der sich an dieser Stelle aber nur mit den objektiven Gegebenheiten auseinandersetzt. Wer die Schuldlosigkeit des Gegenübers nicht erkennt, handelt aber im Irrtum, der nach h. M. jedenfalls den Ausschluss des Vorsatzes zur Folge hat. D.h. die StA hat hier zunächst einmal zutreffend argumentiert. Jedoch kann der Irrtum über die Gebotenheit wie auch der über die Erforderlichkeit und der über die Notwehrlage insgesamt auch ein fahrlässiger Irrtum  sein, so dass eine fahrlässige Tötung gegeben wäre. Diese wurde im Einstellungsbescheid nicht in Betracht gezogen.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Zumal in der Radioreportage von Michael Lissek eines der seltenen Interviews (das einzige, soweit ich weiß) mit dem Mitbewohner von Tennessee sinngemäß die Aussage enthielt: "als ich dann auf den Gang trat und dort Tennessee in bizarrer Haltung sah, so als ob er schon die ganze Nacht so dastehen würde, da wusste ich auf den ersten Blick: "crazy!" - das ist nicht mehr der Typ, mit dem ich noch gestern hier gewohnt habe".

Nun mag man vielleicht dem Mitbewohner unterstellen, dass er Tennessee besser kannte und besser einschätzen konnte, als die Beamten, die ihn erstmals antrafen. Andererseits ist das psychisch höchst auffällige Verhalten ja nicht nur vom Mitbewohner sondern ausdrücklich auch von den Beamten selbst bestätigt worden (so beruht es doch auf Polizeiaussagen, dass Tennessee auf die Aufforderung, das Messer wegzulegen, nur gekichert hätte, oder?). Aufgrund dieses Sachverhalts und auch aufgrund der suizidalen Äußerungen, die der Polizei durch den Anruf des Mitbewohners bekannt sein mussten, sollten reichlich Hinweise für die Polizeibeamten auf das Vorliegen einer psychischen Problematik (inkl. Schuldunfähigkeit) vorgelegen haben. Die Erkennbarkeit scheint durchaus sehr deutlich gegeben gewesen zu sein, so dass es mir im Falle eines Irrtums doch sehr nach Fahrlässigkeit schreit.

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durch den Anruf des Mitbewohners bekannt sein mussten, sollten reichlich Hinweise für die Polizeibeamten auf das Vorliegen einer psychischen Problematik (inkl. Schuldunfähigkeit) vorgelegen haben. Die Erkennbarkeit scheint durchaus sehr deutlich gegeben gewesen zu sein, so dass es mir im Falle eines Irrtums doch sehr nach Fahrlässigkeit schreit.
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Inwieweit ist hier die Schuldfähigkeit des Herrn Eisenberg relevant? Sein Tod ist m.E. nicht das Ergebnis einer Urteilsvollstreckung. Vielmehr war der die Folge der Notwehrhandlung der Polizisten gegen Herrn Eisenberg. Und soweit ich weiß sind Notwehrhandlung auch gegen Schuldunfähige zulässig. Strittig ist, falls ich die Darstellungen von Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt der Hinterbliebenen recht zusammenfasse, ob eine zulässige Notwehrhandlung gegeben ist oder stattdessen Notwehrexzess stattfand bzw. einen Notwehrsituation gar nicht vorlag.

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Sehr geehrter Herr Tobias,

sollte T. Eisenberg schuldunfähig gewesen sein, wofür die vom Mediziner angeführte Quelle spricht, ebenso das "irre Kichern" und der bezeugte Spruch "dann erschießt mich doch", und das Aufrechtstehen, nachdem er schon durch einige Schüsse verletzt war, dann ergeben sich daraus Folgen für den Umfang der erlaubten Notwehr. Gegen einen erkennbar Schuldunfähigen ist nämlich zunächst keine "Trutzwehr", sondern nur "Schutzwehr" gerechtfertigt, d.h. der Angegriffene muss ausweichen, wenn es ihm möglich ist und muss sich möglichst "schonend" zur Wehr setzen. Wenn der Angegriffene die Schuldunfähigkeit nicht erkennt, dann stellt sich die Frage, ob er sie erkennen konnte - insoweit könnte ein (möglicherweise fahrlässiger) Irrtum gegeben sein mit der Folge der Anklage wegen fahrlässiger Tötung - siehe dazu schon oben mein Kommentar #33. Die Staatsanwaltschaft hat es, soweit ich weiß, offen gelassen, ob T.E. schuldunfähig gewesen ist, denn man könne den Beschuldigten ohnehin nicht nachweisen, dass sie dies erkannt hätten.

Die von Ihnen geschilderten weiteren Punkte sind daneben ebenfalls umstritten.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

a) Danken möchte ich für die Präzisierung zur ErkennBARKEIT gemäß §32 StGB.

b) Bei der Prüfung, ob eine Notwehrlage bestand, ist mögliche sozial inadäquate oder gar rechtswidrige Verursachung der Lage einzubeziehen. Dabei hilft vielleicht ein Blick ins BayPAG mit dem §2 in Verb. mit §23 und §62ff.

Einem Suizidalen ohne Erkrankungsanzeichen Hilfe aufzuzwingen, ist wohl keine Polizeiaufgabe. Erst die zusätzliche Annahme einer Erkrankung, eines akuten Mangels an Selbstbestimmungsfähigkeit, begründet eine Polizeiaufgabe und erschwert sie zugleich gravierend, da dieser Mangel schuldunfähig macht.

c) Wenn Polizisten einem Suizidalen, der akut nur sich selbst gefährdet, helfen wollen, dürfen sie nach §2 nicht überfallartig mit gezückten Pistolen und lauten Befehlen vorgehen, ohne den eigenen Fluchtweg zu sichern. Ihre fallweise nötige Selbstsicherung muss vielmehr von vornherein fokussieren, den Suizidalen möglichst wenig zu beunruhigen, ihn (auch verbal) zu beruhigen, Abstand zu wahren oder schnellstens wieder herzustellen, inklusive freiem Fluchtweg. Das gegenteilige Vorgehen im Fall T.E. war von vornherein rechtswidrig – auch seitens Beschuldigtem1.

d) Falls T.E. so unvermittelt aus seiner Wohnungstüre trat, dass einE PolizistIn den Sicherheitsabstand nicht wahren konnte, ist zunächst zu prüfen, ob der Sicherheitsabstand nicht mit 2-3 schnellen Schritten erreichbar war. Schließlich hielt T.E. das Messer nicht in Angriffshaltung. Eine Pflicht, Gefahr für einen Sekundenbruchteil hinzunehmen, war zudem aus der Kombination von Schuldunfähigkeit des T.E. und dem Berufsrisiko abzuleiten. Dazu kam die Rechtswidrigkeit (a.i.i.c.). Eine Wiederherstellen des Sicherheitsabstandes wird sozial kaum als „würdeloses Weichen des Rechtes“ wahrgenommen. Ob hier eine Notwehrlage, auch nur eine Putativnotwehrlage vorlag, erscheint sehr zweifelhaft.

e) Wenn erst die Annahme einer akuten Erkrankung die Suizidgefahr zur Polizeiaufgabe macht, ist der polizeiliche Versuch des Suizidschutzes regelmäßig konkludente Anerkennung von Schuldunfähigkeit des Schützlings. Warum sollte dann ein weiterer Nachweises der Erkenntnis von Schuldunfähigkeit nötig sein? Weil die Polizisten nicht lernten, was ihr Tun bedeutet?

f) Leider fehlt mir die Zeit und Fähigkeit nachzuvollziehen, warum der Gesetzgeber beim §32 StGB zunächst die Gebotenheit der Notwehr strich und 1975 wieder einführte. Ist in seinem Sinne, wenn das Kriterium „Angriff erkennBAR Schuldloser“ bei Erwachsenen gar nicht erst geprüft wird, weil die ErkenntNIS in den meisten Fällen nicht nachweisbar ist? Oder hatte er eher eine Schwelle für die Beweislast im Sinn, so dass ab deutlicher Erkennbarkeit der Irrtum nachgewiesen werden muss? Erst im nächsten Schritt wäre dann evtl. Fahrlässigkeit des Irrtums zu prüfen.

g) Wo wäre hier die Schwelle für die Umkehrung der Beweislast? Der Verdacht/die Erkenntnis akuter Krankheit musste durch anormales Verhalten von T.E. stufenweise zunehmen

 (1) insbesondere durch Aussagen des Notrufers vor Ort

 (2) durch T.E.s Schweigen auf Ansprache hin,

 (3) durch seine Bekleidung (in Unterhose am Vormittag),

 (4) durch sein Zugehen auf gezückte Pistolen mit Messer/ohne Angriffshaltung,

 (5) insbesondere durch „irres Kichern“ auf Befehle „Messer weg!“,

 (6) insbesondere durch fehlende physische Reaktion auf Pfefferspray (2 komplette Kartuschen),

 (7) insbesondere durch dann sehr lautes Lachen,

 (8) durch fehlende Reaktion auf weitere Befehle „Messer weg!“,

 (9) insbesondere durch anormale Reaktion auf Schussdrohungen „Dann schießt’s halt!“ und „Schießt doch!“

 

h) Spätestens jetzt war die akute Krankheit (welcher Art auch immer) so deutlich, dass die Beweislast wohl umschlug. Wer als PolizistIn immer noch Nicht-Erkennen einer akuten psychot. Störung behauptete, musste dafür Nachweis antreten. Ansonsten könnten Irrtumsbehauptungen evtl. noch – nach (5) - die Sprayattacke entschuldigen im Unterschied zur Knüppelattacke nach (9).

i) Gegen den Schuldunfähigen wäre die Knüppelattacke selbst bei Putativnothilfe nicht geboten, entsprach auch nicht §2 BayPAG. Der Polizist, hier V3 (Verdächtiger3) genannt, konnte SPÄTESTENS, nachdem er sich vor die Kollegen geschoben hatte , erkennen, dass er den messerführenden rechten Arm nicht erreichen konnte. Die Schmerztoleranz des T.E. hatte ja schon die Sprayreaktion gezeigt. Warum schlug V3 dennoch auf den linken Arm des T.E. ein? Das war nicht erforderlich. Erforderlich war Flucht ins EG und auf den Hof. Die Attacke war rechtswidrig. Welche Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe für seinen (Not-?)Hilfeexzess die Vernehmungsprotokolle hergeben, hätte der StA-Bescheid erörtern müssen.

j) Gute Fluchtmöglichkeit bestand (voraussehbar) offenbar unmittelbar nach dem Sprayangriff, als T.E. sich das Gesicht abwischte und laut lachte (7). Analoge Möglichkeiten bei den Rufen seitens T.E.(9). Offenbar nicht im möglichen Ausmaß machten die Polizisten von Fluchtmöglichkeiten Gebrauch. Behinderten Nachrücker (darunter V3) auf der Treppe die Kollegen?

Erst nach der Knüppelattacke wird Flucht berichtet. Dass T.E. ebenfalls schneller treppab ging, wird nicht berichtet. Jedenfalls als V3 die Treppe im EG verließ, hatte er sofort die Gelegenheit, die Distanz zu T.E. so zu vergrößern, dass auch daher zur Putativnotwehr jede Basis wegfiel. Keine Notlage!

k) Ohne Not folgte V3 im EG nicht seinen Kollegen, sondern ging in eine potentiell gefährliche Raumecke, um einen 2-Frontenangriff einzuleiten. Falls sich T.E. folgend V3 zuwandte (str.), entsprach das diesem Wunsch von V3, war keine (neue) Notlage. Dies war auch für die Kollegen klar erkennbar. Da sich V3 zur 1:1-Konfrontation mit T.E. gedrängt hatte, mussten die Kollegen davon ausgehen, dass er auch das Risiko einer erneuten 1:1-Konfrontation mit T.E. bewusst auf sich zog. (Sie hatten überdies bereits die Rechtswidrigkeit der Knüppelattacke erkennen können - a.i.i.c.?). V3 durfte daher höchstens mit schonendem Mittel geholfen werden (wie früher zwischen den Herren Knut und Schwarz diskutiert). Keine Notlage!

D.h. die beiden Beschuldigten wollten nicht aus einer Notlage helfen, sondern T.E. wohl überwältigen. Ohne Not, sondern zwecks Angriff verzichteten auch die beiden Beschuldigten auf einen Sicherheitsabstand zu T.E. Sie gerieten auch selbst in keine Notlage!

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Veranstaltungshinweis für Regensburg und Umgebung für Dienstag:

Podiumsdiskussion zum Fall “Tennessee Eisenberg”

Teilnehmer: Alexander Bosch (Amnesty International); Manfred Ländner MdL (Sprecher für Polizeifragen der CSU-Landtagsfraktion); Rudolf Kraus (Polizeipräsident Oberpfalz); Prof. Dr. Müller (Uni Regensburg)

Datum: Dienstag, 27.04.2010
Uhrzeit: 19.oo Uhr bis 21.00 Uhr
Ort: Theatersaal der Universität Regensburg (im Studentenhaus am Forum der Universität)

 

Die Diskussion wird veranstaltet von einer hiesigen Studenteninitiative und unterstützt von der KHG.

Hinweislinks:

amnesty international - Sektionsgruppe Polizei

Tennessee-Eisenberg.de

KHG-Regensburg

 

 

Wenn #37 auch auf den ersten Blick vielleicht aussah wie eine neue Rechtsposition, hatten doch Sie, Herr Prof. Müller, sogar in Ihrer Eingangserklärung des ersten Stranges schon angedeutet: „Nun liegt nach vielen Wochen ein ballistisches Gutachten vor: Insgesamt 16 Schüsse wurden abgegeben, 12 trafen den Studenten, 7 davon von hinten. Letzteres schließt natürlich eine Nothilfe nicht aus, aber die Anzahl der Schüsse (gegen einen einzelnen Angreifer mit Messer) lässt gewisse Zweifel an der Erforderlichkeit der Notwehr aufkommen.“ Hinzugekommen sind diverse Zweifel an der Gebotenheit und - wie Sie an anderer Stelle ergänzten - an der Notwehrlage überhaupt. 

Dynamische Konkretisierungen, ob Notwehrlage vorlag und mit welchen Einschränkungen, und die objektive Erkennbarkeit von beidem, stand (unvollständig) im Fokus meines Beitrages #37 vom 16.4. Subjektive Glaubwürdigkeit von Zeugen sollte ein Gericht beurteilen. Zu einigen Punkten Korrekturen oder Ergänzungen:

 

Zu d) Fragen an Prof.Müller: Falls gegenseitig rechtswidrige Bedrohung -> beiderseits keine NotWEHRrechte (NotSTANDSrechte gelten kaum für Polizei)?

Falls doch Notwehrrechte vorhanden: Eingeschränkt auf ein Minimum wg. Schuldunfähigkeit und aiic oder sozialer Inadäqanz sowie professioneller Pflicht zur Hinnahme kurzzeitig erhöhter Gefahr (analog §35 StGB) bis Sicherheitsabstand ereicht?

Verhindert unprofessionelle Vorbereitung die Entschuldigung mit Verwirrung/Schrecken bei vorzeitigem extensiven Notwehrexzess oder gar Putativnotwehrexzess?

Zu f) Unbelegte Irrtumsbehauptung führt dann zur Folgerung Gleichgültigkeit hinsichtlich Schuldfähigkeit oder absichtl. Missachtung von Schuldlosigkeit.

zu h) Bereits bei Eintreffen hat der Notrufer sicher jedem Polizisten, der ihn fragte, das „durchgedrehte“ Verhalten des T.E. sofort überaus deutlich gemacht (vermutlich auch ungefragt). Auch der Beschuldigte2 und der Verdächtige 3 mit Knüppel konnten und mussten fragen.

Zu i). Die Polizisten hinter dem Verdächtigen 3 waren jedenfalls ab hier nicht mehr in Gefahr.

Zu j) Den Grund zur Furcht vor einem Stich von T.E. hatte der Verdächtige 3 gegenüber sich selbst verstärkt. Daraus ergab sich die Pflicht, sich vorrangig selbst in Sicherheit zu bringen. Stattdessen forderte er pflichtwidrig die nächste Konfrontation mit T.E. geradezu heraus. Ob T.E. auf die Provokation einging ist strittig. Die obj. Belege (ballist. Gutachten auch des LKA) sprechen dagegen.

Zu k) Ein Fluchtirrtum des Verdächtigen 3 im EG erscheint so unwahrscheinlich, dass dafür zumindest starke Belege aus frühen Vernehmungen vorliegen müssten.

Spätestens seit die Schuldunfähigkeit des T.E. gemäß (9) deutlich war, hätte Beschuldigter 2 seine Pistole wegstecken und sich in seiner Bereitschaft zur (Not?-)Hilfe auf andere Mittel konzentrieren müssen (Gebotenheit). Da er nicht auf der Treppe war, hatte er mehr Ruhe zu beobachten als Beschuldigter1. Er konnte auf seine besondere Ausbildung im Nahkampf vertrauen. Von hinten konnte er dann T.E. im EG wohl mit einfacher Beinsichel zu Fall bringen oder in Polizeigriff nehmen statt zu schiessen (7 „Treffer“ von hinten von 2 Schützen). Die Chance, die Gefahr sofort endgültig auszuräumen, war weit größer als durch die ersten Schüsse von hinten ins linke Knie und den linken Arm (Messer in rechter Hand!), bei mäßigem Risiko (Messer in Degenhaltung, Überraschungsangriff von hinten, unmittelbare Unterstützung durch 2 nahe stehende Kollegen).

Irrtum über Gefahren und Chancen ist jedenfalls beim Beschuldigten 2 nicht plausibel, auch nicht Verwirrung oder Angst. Schon die Pistolendrohung vom EG aus war zumindest seitens Beschuldigtem 2 gegenüber dem Verwirrten rechtswidrig.

Auch kein Irrtum, falls T.E. sich (zum Rückzug) zur Treppe gewandt hatte, was objektive Beweislage ist durch die ballistischen Gutachten.

Zwar war die anhaltende Schussdrohung nicht geboten und daher rechtswidrig. Noch rechtswidriger war, bei der Schussdrohung auf die sichere Distanz zu verzichten, die gezielte Schüsse nicht erschwert hätte. Zusätzlich rechtswidrig war, Schüsse nicht auf den messerführenden rechten Arm zu konzentrieren. Spätestens mit dem (Hilfe?-)Exzess der ersten beiden Schüssen auf die Rückseite von T.E. und zwar von hinten in den linken Arm und das linke Knie lag das Notwehrrecht objektiv bei T.E., was Notwehrrechte der Schützen ausschloss (im obigen BGH-Fall wechselte durch nicht erforderlichen Notwehrexzess des Verteidigers mit Todschläger das Notwehrrecht zum Angreifer mit Schrotflinte). Bei diesen „Treffern“ wurde keine abrupte Drehung des T.E. berichtet. Und selbst die hätte nicht erklären können, warum auf kürzeste Distanz auf den rechten Arm gezielte Schüsse so extrem fehl gehen können (auch später kein Schuss auf rechten Arm oder Schulter nachweisbar – bei 16 Schüssen). Die Verantwortung liegt zunächst bei den Schützen.

Milderung wegen Fehlern der Staatsregierung erscheint denkbar.

 

 

 

Aktuelles:

Eine Häufung merkwürdiger Fälle von Polizeigewalt fällt aktuell in Regensburg auf http://www.regensburg-digital.de/polizisten-mussen-nicht-freundlich-sein/23042010/. Erschien solches bisher und an anderem Ort nur weniger berichtenswert?

Die geplante Podiumsdiskussion hat mit dem Sprecher für Polizeifragen der CSU-Landtagsfraktion und dem Polizeipräsident Oberpfalz 2 Vertreter, deren Funktion Parteinahme für die Beschuldigten nahe legt und mit Amnesty International 1 Vertreter der Opferseite.

Der Polizeipräsident wird wissen, wie die bisherige Praxis im Umgang mit Suizidalen ist. Dass er weiß, wie mit Suizidalen umgegangen werden SOLLTE, ist nach sehr vielen polizeilichen Forumsbeiträgen hierzu – „zum Haareraufen“ meinte Dr. med. Ertan - nicht zu erwarten. Da auch nach jüngsten Einlassungen von Innenminister Herrmann hier kein Verbesserungsbedarf erkannt wurde, wäre dringend zu wünschen, dass ein kompetenter Arzt, etwa vom Bezirksklinikum für das Podium gewonnen wird.

Im Dialog zweier Fachgebiete könnte klarer werden, wann die Polizei die Selbsttötungsgefahr oder eine Psychose verschlimmern durfte, wie sie sich zum Selbstschutz vorbereiten sollte, wann eine Selbsttötung sogar hinzunehmen oder erste Hilfe zu leisten ist.

Wann darf Polizei Vertraute des Suizidalen oder mediz. Helfer nicht holen oder gar nicht zum Suizidalen lassen, weil sie selbst kompetenter ist?

Wo ist das Gleichgewicht zwischen Rechten und (Irrtums-)Verantwortung?

Weitere Aspekte des Grenzbereiches wurden von Polizisten und anderen schon angesprochen.

 

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Darf ich um Korrektur bitten: Ich meinte gegen Ende statt "erste Hilfe" in Wahrheit "vorbeugende Hilfe". Danke!

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Eine sehr interessante und notwendige Diskussion, nun zumindest innerhalb der Universität, leider wäre die Anreise zu weit, ich wünsche jedoch maximale Aufklärung der Anwesenden und sehr gutes Gelingen.

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Ein paar Eindrücke von der Diskussion gestern Abend gibt es dort

regensburg-digital.de

und dort

mittelbayerische (video)

Mittelbayerische Zeitung (Artikel)

Wer sich bislang schon hier oder woanders über den Fall informiert hat, hat sicherlich nicht viel Neues erfahren. Beeindruckend war, dass an dem Abend des Fußballspiels FC Bayern-Lyon sich ca. 200 Menschen einfanden, um über den Fall zu sprechen. Das zeigt das nach wie vor große öffentliche Interesse in Regensburg an der Aufklärung dieses Falles. Der  Polizeipräsident der Oberpfalz selbst stellte sich dieser öffentlichen Diskussion, auch wenn er (vorhersehbar) wenig Zustimmung bekam.

 

Hier der Link zu einer Niederschrift (bzw. dem Manuskript) der Radioreportage von Michael Lissek. Sehr interessant finde ich besonders den Abschnitt mit dem Interview mit Mauro, Tennessees Mitbewohner, relativ weit hinten im Manuskript.

http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/feature-am-sonntag/-/id=5898906/property=download/nid=659974/1ocw34c/swr2-feature-am-sonntag-20100307.pdf

Auch interessant Mauros Aussage "Und, im Grunde möchte ich sagen, es gab keinen Streit an sich, oder im Vorfeld." Auch kein einziges Wort von einer Messerattacke ist dort zu finden geschweige denn ein Hinweis auf die Richtigkeit der Aussage von Polizeipräsident Kraus bei der Podiumsdiskussion letztens, der behauptete, Mauro sei "45 Minuten lang von Tennessee angegriffen" worden. Das Interview zeigt eher, dass Mauro offenbar eine andere (weniger fahrlässige?!) Taktik eingeschlagen hat, als die Polizeibeamten: er hat - angesichts Tennessees merkwürdigem Verhalten und seiner beunruhigenden Äußerungen - mit ihm geredet. Leider lässt auch das Interview mit Mauro noch Fragen offen und es wäre wünschenswert gewesen, dass dieser besonders interessante Abschnitt der Reportage ausführlicher gewesen wäre.

 

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Sehr geehrter Herr Mediziner,

in der Tat ein spannendes und lesenswertes Dokument, diese Radioreportage. Leider findet sich wirklich nichts über die Auseinandersetzung selbst oder über die Art und Weise, wie bzw. wie lange "Mauro" angegriffen wurde oder wie er entkommen ist. Dieser Teil wird ja leider komplett ausgespart.

Auch dies übrigens ein Punkt, der in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zu klären wäre.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Recht interessante Diskussion, allerdings auch sehr rechtstheoretisch und wenig praxisbezogen. Ich möchte nicht nochmal alle bereits zu diesem Thema gemachten Ausführungen wiederholen, möchte aber dennoch nochmals darauf hinweisen, das sich selbst Spezialeinheiten mit Messer bewaffneten Störern nur mit Kettenpanzer und etwa 2 Meter langen Stangen bewaffnet nähren. Eine weitere Alternative, die dem Streifendienst ebenfalls nicht zur Verfügung steht, ist der Einsatz von Air-Taisern. Alles andere ist Erfindung des Popcorn-Kinos oder Handeln wider jede Erfahrung und Vernunft. Das Öffnen der Oberschenkelaterie führt übrigens ebenfalls innerhalb kürzester Zeit zum Tod.

Ich finde es ebenfalls etwas überraschend, das T.E. immer nur den Status eines "Suizid-Gefährdeten" oder auch "Störers" einnimmt. War er nicht auch Tatverdächtiger und hat Straftaten z.N. seines Mitbewohners begangen?

Weiterhin ist fraglich. ob man bei den Verhaltensauffälligkeiten von psychischen Ursachen ausgehen mußte oder ob nicht die gleichen Auffälligkeiten durch den Genuß von Betäubungsmitteln oder Meidikamenten hervorgerufen werden können. In jüngster Vergangenheit mehren sich Fälle von Tilidinmißbrauch, welche ebenfalls durch unberechenbares Verhalten, gepaart mit fast völliger Schmerzunempfindlichkeit gekennzeichnet sind.

Die Besprechung polizeilicher Einsatztaktik, so habe ich im Verlauf der Diskussion gemerkt, gehört hier nicht hin.

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Sehr geehrter Herr Saint John,

das Theorie/Praxis-Problem einer rechtlichen Aufarbeitung eines tatsächlichen Geschehens ist mehr oder weniger das Grundproblem jedes Strafverfahrens. Wenn deshalb jedes Verfahren eingestellt werden müsste, könnten wir gar kein Strafrecht mehr durchsetzen. Wenn sich aber

"selbst Spezialeinheiten mit Messer bewaffneten Störern nur mit Kettenpanzer und etwa 2 Meter langen Stangen bewaffnet nähern"

fragt sich natürlich, warum eben diese von Ihnen als selbstverständlich geschilderte polizieliche Erkenntnis eben gerade hier nicht bzw. unzureichend berücksichtigt wurde und man sich dann also "sehenden Auges" in eine absehbare Notwehrsitaution hineinbegeben hat. Natürlich musste T.E. auch als Tatverdächtiger (hinsichtlich des von seinem Mitbewohner geschilderten Verhaltens) angesehen werden, aber was soll das hinichtlich der konkreten Einsatzsituation ändern? Da er nicht flüchtig war, hätte man für die Festnahme und Klärung des Tatverdachts noch lange Zeit gehabt. 

Drogeneinnahme wurde hier durch die Rechtsmedizin ausgeschlossen, ist aber natürlich in anderen Fällen ein Thema, das auch bei Gewalttätigkeit gegen Polizeibeamte zu beachten ist.

Es würde sicherlich zu weit führen, allg. polizeiliche Einsatztaktik hier zu diskutieren - einerseits bin ich da wirklich kein Experte, andererseits werden solche Taktiken ja auch von den Experten nur ganz eingeschränkt in der Öffentlichkeit diskutiert, aus richtigen und nachvollziehbaren Gründen. Was die konkrete Taktik bei dem hier besprochenen Einsatz betrifft, gibt es widersprüchliche Angaben. Einerseits hat man doch den Eindruck, hier sei - ob strafrechtlich vorwerfbar oder nicht - doch jedenfalls etwas "schief" gegangen: Ein Beamter begibt sich, seiner Angabe nach durchaus taktisch überlegt ("das habe man so trainiert") , in eine Raumecke, in der er dann aber nur Sekunden später von seinen Kollegen per Schusswaffeneinsatz "gerettet" werden muss. Andererseits wird behauptet, der Einsatz sei - auch in der Abfolge - richtig gewesen und würde sich womöglich heute wieder so ereignen. Gerade um solche Widersprüche aufzuklären, erscheint mir ein transparentes Hauptverfahren unerlässlich.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

@Saint John

Ich möchte der zutreffenden Antwort von Herrn Müller lediglich noch zwei medizinische Gesichtspunkte hinzufügen.

Sie sagten:

"Das Öffnen der Oberschenkelaterie führt übrigens ebenfalls innerhalb kürzester Zeit zum Tod."

Das ist so nicht zutreffend. Selbst eine völlig zerfetzte Arteria femoralis kann problemlos durch Druckverband, besser noch durch kräftiges manuelles Abdrücken vollständig komprimiert werden. Dies ist auch eine Maßnahme, die jeder Führerscheinbesitzer, zumindest aber jeder Polizist beherrschen sollte.

Es stellt sich somit auch die Frage, warum die letzten Schüsse nicht gegen den waffenführenden Arm oder auch die Beine abgegeben wurden, sondern in den Brustkorb. Die Gefahr, eine Beinarterie zu zerfetzen, besteht zwar, der Schaden ist aber auch durch einen Laienhelfer beherrschbar. Hingegen sind Treffer in den Bauch (mit Zerreiißung der Aorta) oder gar in die Herzgegend verheerend und können oft selbst unter Klinikbedingungen nicht schnell genug beherrscht werden. Ein Schuss in die Herzgegend geschieht immer mit Tötungsabsicht (Raten Sie mal, warum Schusswesten der Polizei den Oberkörper schützen, nicht aber Arme oder Beine).

Die Schnittstellenproblematik Theorie / Praxis ist hinlänglich bekannt und wird solche Sachverhalte immer begleiten. Ich sehe aber keine mittelfristige Lösung für dieses Problem und es wird uns noch lange begleiten.

Es mag sein, daß in der Einsatzsituation persönliche Fehler gemacht wurde, nach wie vor bin ich aber der Überzeugung ein Aufsuchen der Wohnung war alternativlos und absolut notwendig. Im Rahmen der strafrechtlichen Komponente mag zwar der Sachverhalt im Grunde feststellbar gewesen sein und die Personalien ebenfalls, in einem möglichen Strafverfahren diesbezüglich wird aber immer die Frage der Schuldfähigkeit auftauchen. Die Erfahrung zeigt, daß gerade diese Frage immer wieder als Hebel von Verteidigern angesetzt wird, um Verfahren in bestimmte Richtungen zu drängen. Gerade der Polizei werden diesbezüglich fehlende Feststellungen immer wieder als Ermittlungsfehler angekreidet, was im Einzelfall zu unangenehmen Situationen vor Gericht führen kann.

Interessant ist allerdings, das hier immer nur eine strafrechtliche Bewertung der Einsatzsituation erfolgt. Ein Verhalten, das im Zusammenhang mit solchen Ereignissen immer wieder zu beobachten ist. Es mag sein, daß der Polizei Notwehrrechte uneingeschränkt zur Verfügung stehen, aber nur in Ausnahmefällen die Basis polizeilichen Handelns sein dürfen. In polizeilichen Nachbereitungen wird aber schwerpunktmäßig zunächst die polizeirechtliche Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns geprüft. In diesem Themenkomplex sehe ich bei Anwendung von Vorschriften aus NRW keine unrechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen. Ich vermute aber, die bayrischen Vorschriften werden sich im Kern nicht wesentlich von diesen unterscheiden.

Dies fällt mir gerade recht leicht, weil ich die Nachbereitung eines vergleichbaren Falles, allerdings ohne die tragischen Folgen vor mir liegen habe. Leider kann ich daraus nicht zitieren, weil das Dokument nur für den internen Gebrauch bestimmt ist, aber durchaus Paralellen aufweist. Es sei nur soviel gesagt, daß keine ausdrückliche Handlungsempfehlung formuliert wurde, da sich jeder vom Einsatzanlass gleich gelagerte Fall im weiteren Verlauf als sehr individuell erweist und es daher keinen vorgegebenen Handlungsablauf geben kann. Zwar werden Fehler in der Bewertung einzelner Teilaspekte und auch Handlungsalternativen aufgezeigt, aber ein "Masterplan" wird nicht entworfen.

Ich kann die Gedanken von Hohburg diesbezüglich nachvollziehen, muß aber sagen, daß er die Möglichkeiten von Verwaltung und Polizei weit überschätzt.

Mag sein, das einiges wünschenswert wäre, vieles scheitert aber an organisatorischen, rechtlichen und nicht zuletzt finanziellen Möglichkeiten. Und das in einer Metropolregion wie dem Ruhrgebiet, welches eine deutlich größere Dichte an Bevölkerung und Infrastruktur aufweist als z.B. Regensburg.

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@ Dr. Iris Ertan

Es ist natürlich richtig, das ein Öffnen der Oberschenkelaterie nicht sofort zum Tod führt und eine Intervention möglich ist. Die Frage ist doch, kann ich mich denn sofort darum kümmern, oder habe ich dann nicht noch immer einen verletzten Beamten im Einwirkungsbereich eines bewaffneten Täters? Auch bei dem Einsatz von Notärzten gilt doch auch die Regel, das deren Arbeitsumfeld erst hinreichend gesichert sein muß. Ein ebenfalls verletzter Helfer nützt mit nichts.

Was die Schußabgabe auf die Brust angeht, wurde bereits in dem zu diesem Thema bestehenden Diskussionsforum erläutert, das die Brust i.d.R. die breiteste Körperstelle ist und somit die höchste Trefferwahrscheinlichkeit bietet. Ein eilig abgegebener Schuß wird also immer in diese Richtung abgegeben werden. Zudem sind Arme und Beine zuvor bereits mehrfach ohne sichtbaren Erfolg beschossen worden. Dem Beamten deshalb eine Tötungsabsicht zu unterstellen ist nicht sachgerecht. Wäre dies die Absicht der Beamten gewesen, warum dann so lange warten und erst mehrfach auf vital nicht wichtige Körperregionen schießen?

Die Vielzahl der abgegebenen Schüsse und die relativ hohe Trefferquote sprechen eher für die gegenteilige Absicht.

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@Sain John

 

Nur ein weiterer Grund, in dieser nicht bestehenden Notsituation zuzuwarten. Erstens wäre es dann mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu dieser eskalierenden Situation gekommen, als durch diesen draufgängerischen Polizeieinsatz mit dem Resultat des Todes eines jungen Studenten, und zweitens hätte man dann auch neben einem Psychologen einen Notarzt zugegen gehabt, der dann freilich glücklicherweise zudem noch unnötig gewesen wäre. Es scheint auch so, als müssten alle anwesenden Polizisten ihre womöglich unterdurchschnittlichen und erheblichen, selbst an einem Normalmass eines Durchschnittsbürgers gemessen, sportlichen Defizite ausgleichen, welche diese zahlreichen erwachsenen Männer daran hinderten, trotz des wohl unangebrachten Einschreitens, den jungen Mann zu stellen. Da wäre wohl nahezu jeder private Sicherheitsmann engagierter und geeigneter gewesen in dieser Situation und ich erinnere nur an den mutigen Einsatz beim kürzlichen Berliner-Casino-Raub, wo ein Sicherheitsmann alleine einen der sicherlich wesentlich kriminelleren Täter stellte, die noch dazu brutale rund schwerer bewaffnet waren. Schlussendlich müssen alle der betreffenden Polizisten sich fragen lassen, ob sie auch hinsichtlich des Schiessens für den Beruf hinreichend qualifiziert sind, denn die anscheinend sinnlosen Treffer lassen hier ebenfalls sehr erhebliche Zweifel bestehen.

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