Fristlose Kündigung wegen eines Bagatelldelikts: Kommt der "Emmely"-Paragraf?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 30.11.2009

Rechtspolitiker verschiedener Parteien, darunter auch der langjährige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), setzen sich für ein Verbot von Kündigungen bei Bagatelldelikten ein. Das berichtet der Spiegel in seiner heutigen Ausgabe (Nr.49/2009, S. 46), In den vergangenen Monaten hatten immer wieder gerichtliche Auseinandersetzungen Schlagzeilen gemacht, bei denen sich Arbeitnehmer gegen eine fristlose Kündigung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zur Wehr setzten. Wir haben im BeckBlog Arbeitsrecht mehrfach hierüber berichtet (vgl. nur Blog vom 25.03.2009 u.a. - Fall "Emmely", Blog vom 03.08.2009 - "Stromdiebstahl" durch Aufladen des Mobiltelefons im Betrieb, Blog vom 12.10.2009 - Verzehr einer Frikadelle, Blog vom 22.11.2009 - Verzehr einer Teewurst). Jetzt soll gesetzlich geregelt werden, dass der erstmalige Diebstahl einer Sache von geringem Wert - gedacht ist an eine Wertgrenze von 25 Euro - keinen Kündigungsgrund darstellt. "Wenn unsere Arbeitswelt nicht mehr von Ethik bestimmt wird, brauchen wir halt noch mehr Paragrafen" wird Norbert Blüm zitiert. Auch ein gesetzliches Verbot der Verdachtskündigung wird erwogen.

Die Initiative muss sich allerdings fragen lassen, ob ein solch punktueller Eingriff in das System des Kündigungsrechts sachgerecht ist. Denn neben Eigentums- und Vermögensdelikten führen häufig auch Beleidigungen oder kleinere Handgreiflichkeiten zur Kündigung. Hier gewährleistet § 626 BGB bislang die Beurteilung mit einem einheitlichen Maßstab. Zudem würde eine absolute Bagatellgrenze eine Abwägung mit anderen Kriterien, etwa der Dauer der Betriebszugehörigkeit, nicht zulassen.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

10 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Interessante Meldung und mal wieder ein markiger Spruch von Blüm.

Doch wird sich das BAG im Vorfeld dazu äußern? Im Rahmen der Revision im Fall "Emmely" hätte man dazu Gelegenheit, auch wenn eigentlich nur die Frage zu entscheiden ist, inwiefern das widersprüchliche Verhalten der Klägerin während des Kündigungsschutzprozesses Berücksichtigung finden soll.

Vielleicht beglückt uns der Senat vorab mit einem obiter dictum...

0

Sehr geehrter Prof. Dr. Christian Rolfs,

auch wenn ich Ihrer Meinung bin, bieten absolute Grenzen meiner Ansicht nach mehrere Vorteile.

- sie sind (Politikern) vermittelbarer

- sie sind damit auch durchsetzbarer (in der Politik)

- sie vermindern durch fehlende Grauzonen den späteren Aufwand der Gerichte (was billiger und damit politisch gewollt ist)

 

Sie merken aber schon anhand meiner Punkte das es hierbei nicht darum geht den Arbeitnehmern möglichst gerecht zu werden sondern um Politik. Das ist (leider) der Regelfall. Das sehe ich in anderen Gebieten auch so.

 

Grüße

ALOA

0

Im Moment stell sich die Lage doch so dar:

Wenn auch nur der Verdacht besteht, dass der Arbeitnehmer eine Sache im Wert von wenigen Euro entwendet hat (sei es nun eine Frikadelle oder ein Brotaufstrich), so genügt schon dieser Verdacht des Diebstahls einer geringwertigen Sache für eine Kündigung, mit dem Totschlagargument "zerrüttetes Vertrauensverhältniss". Die meisten dieser Kündigungen gehen auch dann durch, wenn der Arbeitnehmer zuvor über Jahrzehnte untadelig gearbeitet hat.

Offensichtlich bedarf es hier einer gesetzlichen Regelung, wenn manche Arbeitgeber keinen Anstand mehr zeigen und viele Arbeitsgerichte keinen gesunden Menschenverstand.

 

 

"Diebstahlslegalisierungsgesetz"

 

Eher nicht. Es geht hier imho um die fristlose Entlassung. Es spricht wohl wenig dagegen bei einem Vorfall eine Abmahnung zu schreiben und das Hirn einzuschalten. Wie Dr. Iris Ertan schreibt kann man wohl schlechthin bei einem eingesteckten Handy von einem zerrütteten Vertrauesverhältnis sprechen. Da wäre die Annahme eines zerrüttetes Rechtsempfinden des Arbeitgebers wohl der Sache angemessener.

 

Grüße

ALOA

0

Die Geschichte mit dem Handy ist natürlich bekloppt, aber nicht deswegen weil der benutzte Strom nur Bruchteile eines Cent wert war, sondern weil es kein entsprechendes Verbot der Nutzung von Privatgeräten an Arbeitgebersteckdosen (Private Radios waren in dem Betrieb wohl üblich, wie man damals der Presse entnehmen konnte).

Aber es ist schlechterdings nicht einzusehen, warum Arbeitnehmer, zumal in sensiblen Bereichen (Kasse...) einen Diebstahl bis 25 Euro "frei" haben sollen. Das signalisiert nur "beklau deinen Arbeitgeber bis es zum ersten Mal rauskommt, dann kannst Du immer noch aufhören".

 

 

0

Ach ja, und wo nehmen Sie das her? Aus der Presse oder haben Sie das „im Urin“?

 

Ich verfüge zwar (auch) über keine belastbaren Daten, aber nach meiner (praktischen) Erfahrung gehen solche Kündigungen nur äußerst selten durch. Im Prinzip nur dann, wenn die Tat praktisch erwiesen ist. Dies zeigt im Übrigen auch der Fall „Emmely“ sehr gut. Hat die Kammer in der 1. Instanz noch die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung bejaht, sah die 2. Instanz die Tat nach der Beweisaufnahme als erwiesen an. Gerade dieser Fall eignet sich also überhaupt nicht für die vorliegende Diskussion.

 

Vor dem BAG geht es – nach dem Beschluss -  nur um die Frage, ob das Abstreiten im Rahmen der Interessenabwägung  zu Lasten der Klägerin gewertet werden durfte. Selbst wenn das BAG dies verneint und zurückverweist, spricht viel dafür, dass eine erneute Interessenabwägung nicht anders ausfallen wird.

Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das BAG die Revision aufgrund des öffentlichen Interesses an dem Fall zugelassen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde sonst erfolgreich gewesen wäre, was ich persönlich auch für bedenklich halte.

 

Es ist doch nachvollziehbar, dass ein Arbeitgeber niemanden beschäftigen will, der ihn beklaut. Am besten wie im Fall „Emmely“ alles bis zum Letzten abstreiten und Kollegen belasten. Dabei kann es auch nicht um den Wert der Sache gehen. Wer mich einmal beklaut, dem gebe ich doch nicht die Chance, beim nächsten Mal noch mehr Schaden anzurichten.

 

Wie soll so eine Bagatellgrenze denn aussehen? Bis 25 Euro darf ich frei klauen? Also möglichst stückeln? Lieber mehrere kleine Portionen als eine große?

Sicherungsmaßnahmen des Arbeitgebers wollen wir ja auch nicht, Stasimethoden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen usw.

 

Aber der Höhepunkt ist ja wohl das Ansinnen, die Möglichkeit einer Verdachtskündigung abzuschaffen.

 

„Den Laptop in meiner Aktentasche muss mir ein Kollege untergejubelt haben. Mein Büro ist ja nicht abgeschlossen, theoretisch kann da jeder rein. Das Motiv? Mein Arbeitgeber will mich los werden. Außerdem werde ich gemobbt. Aber nicht, weil ich eine Pfeife bin, sondern weil ich neulich gestreikt habe. Bin halt unbequem. Ach ja, dass meine Tasche schwerer ist als sonst hab ich nicht gemerkt, weil einen Tag vorher mein Hund gestorben ist. Auf Nachfrage könnte es auch der Hund meines Nachbarn gewesen sein. Jedenfalls war ich mental angeschlagen. Das ist doch menschlich nachvollziehbar. Warum soll ich denn mein Arbeitsverhältnis für einen Laptop aufs Spiel setzen? Der Prozessor ist total veraltet. So blöd ist doch niemand.“

 

Na gut, unter diesen Umständen ist die Kündigung auf reinen Verdacht hin natürlich völlig überzogen. Eine Entschuldigung und eine großzügiger finanzieller Ausgleich für die Freistellung sollte das Mindeste sein.

 

5

Der Beitrag bezieht sich auf den Kommentar von Frau Dr. Ertan und ihre Behauptung:

"Die meisten dieser Kündigungen gehen auch dann durch, wenn der Arbeitnehmer zuvor über Jahrzehnte untadelig gearbeitet hat."

0

Eine Bagatellgrenze halte ich im Grundsatz für richtig . Um dem Widerspruch zu entgehen, dass hier nur punktuell etwas zum Bagatell-Diebstahl bzw.zur Bagatell-Unterschlagung  geregelt wird, andere Kleinigkeiten dagegen immer noch zur Kündigung führen können, und zugleich dem Hinweis zu begegnen, Arbeitnehmer würden sich an die Bagatellgrenze "heranrobben", sollte man eine etwas offenere Regelung formulieren, wobei die Bagatellwertgrenze nur als ein Beispiel formuliert würde. Dies ermöglicht die Regelbeispieltechnik, die sogar im streng subsumierenden Strafrecht (§ 243 StGB) akzeptiert ist. Also etwa:
"In der Regel keinen Kündigungsgrund stellt dar bei einem Arbeitnehmer mit eienr Beschäftigungsdauer von mindestens fünf Jahren 

der erstmalige Verdacht einer bagatellhaften Übertretung..., insbesondere

1. der einmalige Diebstahl oder die einmalige Unterschlagung von Sachen im Wert von nicht mehr als XX Euro.., es sei denn, der Arbeitnehmer ist an einer Kasse beschäftigt

2. die einmalige verbale ..."

Die Formulierung "in der Regel" führt zu einer gleichmäßige(re)n Rechtsprechung, erlaubt aber immer noch eine gewisse Flexibilität, wenn etwa besondere Umstände vorliegen, in denen das Misstrauen doch berechtigt ist. Umgekehrt kann sich die Rspr. bei anderen Kleinigkeiten an den Beispielen orientieren und analog entscheiden.

@HiG: selbstverständlich gibt es beides, den den Bagatellverdacht missbrauchenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Vertrauen missbrauchen. Dennoch erweist sich die strenge Rspr. doch als zu unflexibel und hat auch zu den Auswüchsen animiert (Handystrom, Frikadelle)

 

 

Die Rspr. konnte bislang m.E. bereits ausreichend auf Basis der bisherigen Rspr. die Einzelfälle im Rahmen der Interessenabwägung regeln. Natürlich mag es manche / viele / einige / wie auch immer Leute geben, die anders entscheiden würden, aber das ist nunmal bei einer Entscheidung durch Gerichte stets der Fall. Auch der Vors. Richter des Kündigungssenats weist darauf hin, dass sich die Rspr. des BAG an sich nicht geändert habe (das kann man in Teilen sicherlich auch anders sehen). Eine gesetzliche Regelunghalte ich daher für schwierig, da auch dann m.E. immer eine Abwägung erfolgen muss. Eine feste Grenze z.B. bei Geringwertigkeit halte ich für absolut unsinnig. Sofern man auch die Einzelfälle abwägen möchte, bleibt die Regelung zwangsläufig immer offen. Die gesetzliche Regelung legt daher nur Wertungsgesichtspunkte fest. Ob der Gesetzgeber nun "besser" werten kann, was für eine Kündigung "in der Regel" ausreichend sein soll, als der jeweilige Richter, halte ich für fraglich.

 

Bei den - in der allgemeine Presse - häufig auftauchenden Beispeiele wird gerne unterschlagen (sonst käme keine entsprechende Stimmung auf), dass in vielen Fällen die Kündigung unwirksam ist. Arbeitgeber, welche aus nichtigen Gründen kündigen, wird es immer geben.

 

Es gibt m.E. bereits ein ausreichendes Korrektiv für den jeweiligen Einzelfall.

0

Kommentar hinzufügen