Der Fall "No Angels" - im April Untersuchungshaft und Vorverurteilung, im November immer noch keine Anklage oder Verfahrenseinstellung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 29.11.2009

Wir erinnern uns. Im April 2009 wurde Nadja Benaissa, Sängerin der Popgruppe "No Angels", kurz vor einem Auftritt verhaftet. Der Vorwurf: Gefährliche Körperverletzung durch Ansteckung von nicht informierten Geschlechtspartnern mit HIV. Der Haftgrund: Wiederholungsgefahr. Der Staatsanwalt ließ sich nicht lange bitten, medizinische Daten und intime Details aus dem Leben der Beschuldigten öffentlich zu verbreiten, der hessische Innenminister Hahn unterstützte ihn noch darin.(Berichterstattung und Diskussion hier im Blog). Die Boulevardpresse, allen voran die Bild-Zeitung, suhlte sich in dem Drama. Dabei war das Vorgehen der Staatsanwaltschaft aus der Sicht der meisten Juristen, mit denen ich über den Fall diskutierte, viel zu weitgehend und damit ein Riesenfehler: Der Fall wird inzwischen als Anschauungsunterricht dafür herangezogen, wie staatsanwaltliche Pressearbeit nicht aussehen darf.
Während die nach zehn Tagen aus der U-Haft entlassene Betroffene mittlerweile mit der durch den Fall bundesweit bekanntgewordenen HIV-Infektion offen umgeht und in Talkshows (z.B. letzte Woche bei Kerner) und Interviews inzwischen für Aids-Prophylaxe wirbt, fragt man: Was ist eigentlich aus dem Ermittlungsverfahren geworden? Wenn im April ein so dringender Taverdacht bestand, dass man Frau Benaissa in Untersuchungshaft nahm, warum muss dann noch sieben Monate (bislang offenbar ergebnislos) weiterermittelt werden?
Zum Thema führte Hans-Herman Kotte (Frankfurter Rundschau) ein lesenswertes Interview mit Rechtsanwalt Felix Damm, seit vorgestern hier nachzulesen. Damm rechnet noch mit einer Anklageerhebung, weil sonst "Gesichtsverlust" der StA zu besorgen sei. Seine Vermutung, warum es u. a. so lange dauert: "Ja, Amtshaftungsansprüche, unter anderem gerichtet auf die Zahlung von Geldentschädigung, stehen sicherlich im Raum und sind keineswegs von der Hand zu weisen. Auch deshalb besteht bei der Staatsanwaltschaft möglicherweise das Interesse, diesen Fall nicht vorrangig zu bearbeiten. Der Amtshaftungsanspruch verjährt in drei Jahren."

Drei Jahre wird man sich wohl nicht Zeit lassen können mit einem Abschluss der Ermittlungen. Und ob der Gesichtsverlust bei einem möglichen Freispruch kleiner ist als wenn man das Verfahren sang- und klanglos einstellt? Wenn man aber seitens der StA meint, eine Verurteilung sei wahrscheinlich, warum klagt man dann nicht an?

 

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5 Kommentare

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Wenn im April ein so dringender Taverdacht bestand, dass man Frau Benaissa in Untersuchungshaft nahm,...

 

Womit wir beim Thema StudiVZ sowie beim Thema der Befragung von Zeugen durch die Polizei wären. Beim Thema "ausüben von Druck" mit Mitteln welche dem Staat nicht in dieser Form zugestanden werden sollten.

 

Grüße

ALOA

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Ein hervorragender Kandidat für den Titel „Justizpleite des Jahres" wegen Totalversagens aller Beteiligten:

Eine Staatsanwaltschaft, die ein ersichtlich aussichtsloses Verfahren lostritt und das auch noch medienwirksam publiziert, ein „Medien"anwalt, der in militanter Verkennung des Streisand-Effekts die doch ach so persönlichkeitsrechtsverletzende Geschichte erst richtig in’s Licht der Medien hievt (anstatt sich lieber um die Freilassung seiner Mandantin aus der U-Haft zu kümmern) und ein Verteidiger, der (angeblich) von der Beschuldigten gar nicht mandatiert worden ist - schlimmer geht’s nimmer.

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Nun also doch - die Presse (SZ-Online) meldet heute, Frau Benaissa sei angeklagt worden, wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung in einem Fall und wegen mehreren Fällen der versuchten gef. Körperverletzung. Offenbar geht die Staatsanwaltschaft davon aus, eine unmittelbare Ansteckung eines Sexualpartners ließe sich nachweisen.

Die Anklage erging zu einem Jugendschöffengericht, da Frau Benaissa zum Zeitpunkt der ersten Tat (2000) noch Jugendliche gewesen sei.

Neben dem oben Gesagten:

Da bin ich ja mal auf den Nachweis der subjektiven Tatbestandsmerkmale, maW. eines Vorsatzes, gespannt.

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Zum Thema "Vorverurteilung" bzw. "Einflussnahme auf Gerichte" durch das breit treten von belastendem Material (siehe auch Tauss usw.) hier einmal wie das in "anderer Richtung" gehandhabt wird - nämlich wenn man gegen den Staat klagt:

http://hausblog.taz.de/2010/02/zu-heikel-um-es-zu-veroeffentlichen/

 

Da wird dann (urplötzlich) §3 IFG gezogen - "um nicht.....".

 

Grüße

ALOA

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