Ex-Verteidigungsminister und Ex-Arbeitsminister Jung - wegen Strafvereitelung im Amt strafbar?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 28.11.2009

Die Fraktion "Die Linke" im Hessischen Landtag hat Strafanzeige gegen den ehemaligen Verteidigungsminister und seit heute auch ehemaligen Arbeitsminister Jung erstattet, und zwar wegen Strafvereitelung im Amt, §  258a StGB. Auch der Berliner Tagesspiegel meint, der Vorwurf der Strafvereitelung im Amt stehe "drohend am Zaun", und zwar sogar für das Kanzleramt (Quelle). Es erscheint mir aufgrund der bisher bekannt gewordenen Tatsachen allerdings eine nicht leicht zu beantwortende Frage, ob ein entsprechender Verdacht strafrechtlich begründet ist. Hier eine erste Einschätzung, garniert mit einer ganzen Reihe von Vorbehalten.
Ich gehe einmal von dem (vermuteten) Fall aus, Minister Jung habe Anfang September Kenntnis über einen Feldjäger-Bericht erhalten (was er allerdings bestreitet),  der Belege dazu enthielt, dass Dutzende Zivilisten von dem Angriff auf die Tanklastzüge betroffen waren. Er habe aber diesen Bericht nicht an die Staatsanwaltschaft weitergereicht.
Naturgemäß stehen die folgenden Ausführungen unter dem Vorbehalt, dass derzeit nur dieser dürre Sachverhalt zugrundegelegt werden kann; möglicherweise werden die tatsächlichen Abläufe in den nächsten Tagen noch näher aufgeklärt und führen zu einer Ent- oder Belastung des Ex-Verteidigungsministers.

Für eine Strafbarkeit nach § 258 a StGB (Strafvereitelung im Amt) müsste der Verteidigungsminister "als Amtsträger zur Mitwirkung bei dem Strafverfahren berufen" sein. Dies ist nicht der Fall. In diese Norm fallen v. a. Staatsanwälte und Polizeibeamte. Auch Justizminister oder Innenminister (als oberste Dienstherren on Justiz und Polizei) erfüllen unter Umständen diese Eigenschaft, nicht aber ein Verteidigungsminister hinsichtlich Strafverfahren, die außerhalb seiner Zuständigkeit geführt werden.
Bleibt § 258 StGB: Hiernach kann sich grds. jeder strafbar machen, allerdings zunächst nur durch aktive Handlung.
Hätte Jung es nur einfach unterlassen, den Bericht weiterzureichen, müsste er damit eine Rechtspflicht als Garant verletzt haben. Diese Rechtspflicht ist nicht selbstverständlich: im Allgemeinen besteht sie nur für Angehörige der Strafverfolgungsorgane. Für Vorgesetzte besteht keine allg. Pflicht, ihre Untergebenen anzuzeigen bzw. auf ihre strafrechtliche Verfolgung hinzuwirken. Allerdings gilt bei der Bundeswehr § 40 WStG, der Vorgesetzte verpflichtet, bei Bekanntwerden von Straftaten eine Untersuchung einzuleiten oder Strafanzeige zu erstatten. § 40 WStG begründet zugleich eine Privilegierung gegenüber § 258 StGB, § 258 a StGB, § 13 StGB, weil die Norm eine geringere Strafdrohung aufweist. § 40 WStG ist nach § 1 Abs.2 WStG auch auf den Verteidigungsminister anwendbar, denn er ist nach Art. 65a GG militärischer Vorgesetzter.
Die Privilegierung würde den Rückgriff auf §§ 258, 13 StGB sperren, wenn sie einschlägig ist. Allerdings bestehen an der Einschlägigkeit Zweifel. Eine Untersuchung gegen Oberst Klein, nämlich eine "Vorermittlung", fand bereits statt, eine Strafanzeige wäre überflüssig gewesen. Der konkrete Vorwurf, mögliche weitere Hinweise und Unterlagen zurückgehalten zu haben, die Aufklärung einer möglichen Straftat betreffend, geht aber wohl über § 40 WStG hinaus (z. Zt. liegt mir aber kein Kommentar zum WStG vor).
Dies führt wiederum zu § 258 StGB und zur Frage, ob § 40 WStG eine Garantenpflicht begründet, die sich auch auf § 258 erstreckt.

Eine Rechtspflicht zur Vorlage der Unterlagen könnte sich auch aus § 95 StPO, der Editionspflicht bezogen auf Beweismittel, ergeben. Ob die Voraussetzungen gegeben sind ("auf Erfordern") ist mir nicht bekannt. Hier gibt es einen Hinweis in der Presse:

"Mancher hat schon sehr früh gesagt, der deutsche Oberst müsse wegen Kriegsverbrechen vor Gericht. Dabei wird jetzt erst darüber entschieden, ob überhaupt der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Darüber brütete seit Wochen eine aus zwei Staatsanwälten bestehende Ermittlungsgruppe der Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Sie hatte sich vom Verteidigungsministerium alle einschlägigen Unterlagen übermitteln lassen - auch die abstrakte Rechtsauffassung zum Kampfeinsatz in Afghanistan. Sie sollte darüber entscheiden, ob ein förmliches Ermittlungsverfahren etwa wegen fahrlässiger Tötung aufgenommen werden sollte oder nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte den Fall wegen seiner Komplexität und Bedeutung von der Leipziger Staatsanwaltschaft übernommen, die wegen des dortigen Dienstsitzes des Offiziers zuständig war." So Müller/Löwenstein in der FAZ vom 6.11.2009 . (Hervorhebung von mir)

Läge jedoch ein aktives Vertuschungsmanöver vor, bräuchte man für § 258 StGB keine Garantenstellung des Ministers.
Aber auch die weiteren Tatbestandsmerkmale werfen Fragen auf. Für den Taterfolg (Vereitelung) müsste die Strafverfolgung von Oberst Klein mindestens eine geraume Zeit (nach Rspr. 10 bis 14 Tage) verzögert worden sein. Erst seit dem 6. oder 7. November führt der Generalbundesanwalt die Vorermittlungen, offenbar hat allein die Prüfung von Zuständigkeiten bereits zwei Monate und drei Staatsanwaltschaften (Potsdam, Leipzig, Dresden) gebraucht. Ob diese Prüfungen  durch das Zurückhalten von Unterlagen um geraume Zeit verzögert worden sind, erscheint daher fraglich. Allerdings ist nach § 258 Abs.4 StGB auch der Versuch strafbar.

Objektiv muss außerdem tatsächlich eine Straftat von Oberst Klein vorliegen - was ja erst noch zu klären ist. Und Verteidigungsminister Jung muss subjektiv zumindest mit dolus eventualis davon ausgegangen sein, dass sich Klein strafbar gemacht hat. Auch dies ist fraglich, da sich Jung jedenfalls so geäußert hat, als sei er von der Unschuld des Oberst überzeugt.

Im Fazit: Eine Strafbarkeit gem. § 258 StGB erscheint nicht völlig ausgeschlossen, es müssten allerdings noch einige rechtliche (und tatsächliche) Hürden genommen werden.

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2 Kommentare

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Vor allem natürlich rechtliche Argumentation zu dem von mir oben "vermuteten" Sachverhalt.

In den Tatsachen geht es derzeit noch weit auseinander: Nach einigen soll sogar das Kanzleramt an der Vertuschung (vor der Bundestagswahl) beteiligt gewesen sein, nach anderen soll Jung unschuldiges Bauernopfer sein - er habe tatsächlich gar nichts gewusst.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

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