Frisch eingetroffen: Auch für VAMA ist 100h StPO ausreichende Ermächtigungsgrundlage

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.11.2009

Frisch eingetroffen ist gestern bei mir eine Mail von RiOLG Dr. Gieg vom OLG Bamberg. Als erstes OLG hat dieses sich auch für hinsichtlich des manuell gesteuerten VAMA-Verfahrens für § 100h StPO i.V.m. § 46 OWiG als taugliche und ausreichende Ermächtigungsgrundlage ausgesprochen. Ich meine: OK!

Hier die entscheidenden Textpassagen aus OLG Bamberg, Beschl.v. 16. 11. 2009 - 2 Ss OWi 1215/09:

 

"...b) Soweit durch diese sog. Identifizierungskamera Lebensvorgänge beobachtet und technisch fixiert werden, die später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und aus­gewertet werden, liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor, da auf den gefertigten Bildern das Kennzeichen des Fahrzeugs sowie der Fahr­zeugführer deutlich zu erkennen sind und mit diesen so erlangten Daten ein Personen­bezug hergestellt werden kann (BVerfG a.a.O. und NJW 2008, 1505, 1507). In dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann aber durch eine gesetzliche Grund­lage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhält­nismä­ßig ist, eingegriffen werden. Dabei müssen Anlass, Zweck und Grenzen des Ein­griffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt wer­den. c) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht die seit 01.01.2008 durch Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007 (BGBl. I 2007, 3198) neu gefasste Regelung des § 100 h I 1 Nr. 1 StPO, die über die Verweisung in § 46 I OWiG (ohne Einschränkungen durch § 46 III bis VIII OWiG) auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt. aa) Mit dieser Eingriffsbefugnis dürfen ohne Wissen der Betr. außerhalb von Wohnun­gen Bildaufnahmen hergestellt werden. Zulässig ist damit neben der Herstellung nor­maler (auch digitaler) Lichtbilder vor allem auch – wie im verfahrensgegenständlichen Messverfahren – die Anfertigung von Video- und Filmaufnahmen (BT-Drs. 12/989, S. 58; BGHSt 44, 13/17; Bär, TK-Überwachung – Kommentar - § 100 h Rn. 4; KK/Nack StPO 6. Aufl. § 100 h Rn. 3; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 100 h Rn. 1 jew. m.w.N.). Diese Ermächtigung zur Anfertigung von Bildaufnahmen in § 100 h I 1 Nr. 1 StPO dient „zur Erforschung des Sachverhalts“ und damit Ermittlungszwecken. Sie ist entspre­chend ihrem Wortlaut daher – im Gegensatz zu § 100 h I 1 Nr. 2 StPO - keineswegs nur auf Observationszwecke beschränkt. Ein solcher Eingriff ist zulässig, wenn ein entspre­chender Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat oder - über die Verweisung in § 46 I OWiG - auch für eine Ordnungswidrigkeit besteht und entsprechend der Subsidi­aritätsklausel des § 100 h I 1 2. HS StPO „die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolg­versprechend oder erschwert wäre“. Im Gegensatz zum eingriffsintensiveren Einsatz sonstiger Observationsmittel nach § 100 h I 1 Nr. 2 StPO – z.B. dem Einbau von GPS-Peilsendern (vgl. BGHSt 46, 266/271 ff.) – erfordert die Herstellung von Bildaufzeich­nungen gerade nicht das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung (§ 100 h I 2 StPO). bb) Soweit der eingesetzte Messbeamte auf Grund der Tele- bzw. Messkamera einen Abstands- und/oder Geschwindigkeitsverstoß erkennt, besteht der Anfangsverdacht für die Begehung einer entsprechenden Ordnungswidrigkeit (§ 152 II StPO). Die vom Messbeamten gesteuerte individuelle Auslösung der Identifizierungskamera erfolgt damit ausschließlich verdachtsabhängig zur Ermittlung des potentiell verdächtigen Betr. auf der Grundlage des § 100 h I 1 Nr. 1 StPO. Da die Eigenart des fließenden Verkehrs auf Autobahnen die Anhaltung verdächtiger Fahrzeuge oder sonstige alternative, weni­ger intensive Eingriffe zur Identifizierung des Fahrers nicht zulässt, wird bei dieser nur wenige Sekunden andauernden Videoaufzeichnung auch die allgemeine Subsidiaritäts­klausel des § 100 h I 1 2. HS StPO hinreichend beachtet. cc) Da sich der vom Messbeamten gesteuerte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die angefertigte Videoaufzeichnung auch nur unmittelbar ge­gen den verdächtigen Verkehrsteilnehmer richtet, handelt es sich hierbei um den von § 100 h II 1 StPO i.V.m. § 46 I OWiG primär erfassten Adressaten des Eingriffs. Die Tatsache, dass mit der Identifizierungskamera möglicherweise noch unvermeidbare Aufzeichnungen im Bezug auf ein nachfolgendes oder vorausfahrendes – drittes - Fahr­zeug erfolgen können, steht gemäß § 100 h III StPO i.V.m. § 46 I OWiG einer Durchfüh­rung der Maßnahme ausdrücklich nicht entgegen. Der mit dieser auf wenige Sekunden beschränkten Videoaufzeichnung verbundene Eingriff in das informationelle Selbstbe­stimmungsrecht des Betr. ist auch nicht unverhältnismäßig. Nachdem weniger ein­schneidende und gleich erfolgversprechende Maßnahmen zur Verfolgung der Ord­nungswidrigkeiten nach §§ 3 und 4 StVO nicht vorhanden sind, steht der mit der Video­aufzeichnung durch die Identifizierungskamera für den Betr. verbundene Grund­rechtseingriff auch zu dem angestrebten Zweck, die Sicherheit des Straßenverkehrs im Hinblick auf die besonderen Gefährdungen durch zu geringen Abstand und/oder über­höhte Geschwindigkeit im fließenden Verkehr zu gewährleisten, nicht außer Verhältnis. dd) Auch die formellen Voraussetzungen für einen solchen Eingriff liegen vor. Maß­nahmen nach § 100 h I 1 Nr. 1 StPO können neben der StA auch von der Polizei (§ 163 StPO; § 46 II OWiG) angeordnet werden. Durch die für Maßnahmen nach § 100 h I 1 Nr. 1 StPO ebenfalls geltenden grundrechtssichernden Verfahrensvorschriften im Be­zug auf die Benachrichtigungs- und Kennzeichnungspflichten in § 101 I, III und IV StPO sowie durch die Löschungsverpflichtung in § 101 VIII StPO hinsichtlich der erlangten Daten (vgl. Bär a.a.O. § 101 Rn. 3 ff.) wird bei dieser verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch bereichsspezifisch ein effektiver Grundrechtsschutz für den Betr. gewährleistet. d) Soweit demgegenüber mit der sog. Telekamera und der sog. Messkamera durch Übersichtsaufnahmen nur der auflaufende Verkehr erfasst wird, hat das BVerfG in sei­nem Beschluss vom 11.08.2009 (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen, ob hier überhaupt von einem Grundrechtseingriff auszugehen ist. Nachdem mit diesen so gefertigten Bildern nach den Feststellungen des AG mangels hinreichender Auflösung und Vergrö­ßerung eine individuelle Identifizierungsmöglichkeit im Bezug auf Kennzeichen der Fahrzeuge sowie der Fahrzeugführer nicht besteht und damit auch kein Personenbezug hergestellt werden kann, ist insoweit bereits zweifelhaft, ob überhaupt von einem Ein­griff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) aus­gegangen werden kann (vgl. insoweit BVerfG NJW 2008, 1505, 1507). In jedem Fall wäre ein etwaiger darin zu sehender Eingriff unterhalb der Schwelle des § 100 h I 1 Nr. 1 StPO aber auch durch die Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161, 163 StPO i.V.m. § 46 II OWiG abgedeckt...."
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